20.

Zerbrochene Fesseln.

[215] Es ist mit der »Gesellschaft,« dem gesellschaftlichen Leben, oder unserem Umgang etwas ganz Eigenthümliches.

Jede Gesellschaft, in der wir uns auch nur entfernt angenehm und behaglich bewegen sollen und wollen, erfordert vor allen Dingen Aehnlichkeit der Elemente: gleiche oder doch annähernd gleiche Denkungsart, Bildung und Stellung. Stehen diese drei Dinge in schroffem Gegensatz, so fühlen wir uns von vornherein unbehaglich, unglücklich, zurückgestoßen.

Aber der gesellschaftliche Umgang fordert, soll er ein[215] angenehmer sein, auch noch ein Zweites: nämlich eine gegenseitige Accommodation. Ganz er selbst sein kann Jeder nur, so lange er allein ist; wer also nicht die Einsamkeit liebt, der liebt auch nicht die Freiheit: denn nur sobald man allein ist, ist man ganz frei! Zwang der einen oder der anderen Art ist der unzertrennliche Gefährte jeder Gesellschaft. Daher wird Jeder in dem genauen Verhältniß zu dem Werthe seines eigenen Selbst die Einsamkeit fliehen, ertragen oder lieben. Denn in ihr fühlt der Jämmerliche seine ganze Jämmerlichkeit, der große Geist seine ganze Größe, Jeder sich als das, was er ist.

Ferner, je höher ein Mensch auf der Rangliste der Natur steht – d.h. je edler, zartfühlender, talentvoller, genialer er ist – desto einsamer steht er unter der unendlichen Masse der Alltagsmenschen der hohen und niederen Stände da. Sie verstehen ihn nicht, und so dringt die häufige Umgebung heterogener Wesen störend, ja, feindlich auf ihn ein, raubt ihm sein Selbst und hat nichts zum Ersatz dafür zu bieten. Sodann, während die Natur zwischen den Menschen die größte Verschiedenheit im Sittlichen und Geistigen gesetzt hat, stellt die Gesellschaft – diese für nichts achtend – sie alle gleich, oder vielmehr: sie setzt an ihrer Stelle die Unterschiede und Stufen des Standes und Ranges, welche der Rangliste der Natur sehr oft diametral entgegenlaufen. Bei dieser Anordnung stehen sich nun diejenigen, welche die Natur niedrig gestellt hat – also die Dummen, die Bornirten und Gemeinen – schon ihrer Mehrzahl wegen, sehr gut; die Wenigen aber, welche sie hochstellte – die Edlen, Zartfühlenden, Großdenkenden – kommen dabei zu kurz, da die Trivialität der Masse triumphirt.

Oder wäre es vielleicht nicht so? wäre dies Urtheil zu hart oder zu streng?

Ein einziger Blick in das Leben wird entscheiden.

Selbst die sogenannte gute Gesellschaft läßt Vorzüge aller Art gelten, nur nicht die geistigen! Alles was den Stempel der Wahrheit, des Geistes, ächter Größe trägt .... ist hier Kontrebande. Die »sogenannte« gute Gesellschaft verpflichtet uns, gegen jede Thorheit, Narrheit und Verkehrtheit die grenzenloseste Geduld zu beweisen .... die persönlichen Vorzüge großer und bedeutender Menschen aber ..... die sollen sich Verzeihung erbetteln, oder .... sich verbergen.

Keiner von allen denjenigen, die da fühlen, daß sie geistig [216] ein Nichts sind, will übersehen sein: daher der Haß, die Verfolgung und Zurücksetzung gegen alles Große und das jammervolle Liebäugeln und Erheben alles Kleinen.

Daher hat denn auch die Gesellschaft, welche man die »gute« nennt, nicht nur den Nachtheil, daß sie uns Menschen darbietet, die wir weder loben, noch lieben können, ..... nein! sie läßt auch nicht einmal zu, daß wir selbst sind, wie es unserer Natur angemessen ist; sie nöthigt uns vielmehr, des Einklanges mit den Anderen wegen, einzuschrumpfen, oder gar uns selbst zu verunstalten. Oft müssen wir daher, mit schwerer Selbstverleugnung, dreiviertheil unserer selbst aufgeben, um uns den Andern zu verähnlichen.

Aber wegwerfen, geradezu wegwerfen müßte sich der edlere Mensch, und in seinem eigensten Wesen selbst vernichten, wollte er sich der gemeinen Gesellschaft accomodiren! Gewaltsam in sie geschleudert, wird er daher auf eine Folter gespannt, oder zum geistigen Selbstmord verdammt, und nur eines bleibt ihm dann zu seiner Rettung, sich mit sich selbst, mitten im Meere der Gemeinheit, auf die Insel der eigenen Einsamkeit zu flüchten. Je verlassener und einsamer er aber hier steht, desto riesiger wird er sich über die Erbärmlichkeit seiner Umgebung und der Welt erheben.

Dies letztere war jetzt Mozarts Fall.

Der Unterkoch hatte eben – halb zwölf Uhr – der Dienerschaft des Herrn Fürstbischofs von Salzburg zum Mittagsessen geläutet und die tägliche Gesellschaft des Bedientenzimmers hatte Platz genommen.

Die zwei Leib-Kammerdiener, Krippner und sein College, saßen obenan; dann kamen der Controleur, Herr Zetti, der Zuckerbäcker, die Zimmerlakaien, Germain und Veit, endlich die Köche und unten, den Köchen gegenüber, Wolfgang Amadeus Mozart und die beiden Kammer-Musiker Ceccarelli und Brunetti74. So hatten es seine Hochfürstlichen Gnaden der Herr Fürstbischof Hieronymus, Josephus, Franziscus de Paula, aus dem fürstlichen Hause Colloredo-Wallsee und Möls, angeordnet und befohlen.

Wie peinlich Mozart, der so oft schon mit Fürsten gespeist, diese Lage war, kann man sich denken. Schon die frühe Zeit des Essens war ihm höchst fatal, da er um halb[217] zwölf Uhr noch gar keinen Hunger hatte; indessen, was konnte er in seiner Lage machen, und .... besser ohne Appetit, als gar nicht zu Mittag speisen.

»Donnerwetter!« – rief jetzt Krippner, der täglich, als der Erste, das große Wort an der Tafel führte, – »da hab' ich heute einen prächtigen Witz von unserem Leibmedicus, Dr. Unzer, gehört!«

»Nun« – versetzte Zetti kauend und die halb abgenagten Knochen eines Backhänderls auf den Teller spuckend – »heraus damit!«

»Der Unzer ist doch ein verfluchter Kerl!« – fuhr Krippner fort – »vorgestern war er hier bei einem reichen Handelsherrn, der ihn von Salzburg aus kennt, zu Tisch.« Nach dem Essen zeigt ihm dieser sein ganzes Haus, Stallung und Remise, endlich öffnet der Krämer auch noch eine kleinere Stallthüre und sagt lachend: »Hier wohnt mein Doctor, seine Recepte bekommen mir trefflich!« Unzer sah hinein und erblickte ... einen Esel. Aber er war mit der Antwort nicht faul: »Das kommt daher,« – rief er der Krämerseele entgegen – »daß der Ihnen nichts verschreibt, als was zu Ihrer Natur paßt!«

Ein, von der Bedientenwelt allgemein ausgestoßenes schallendes Lachen lohnte diesen Witz.

»Das war recht!« – rief Germain und leckte sich die Finger ab. – »Himmelsacrament! der hat ihm den Esel gut aufgebunden.«

»Germain ist ganz entzückt!« – sagte jetzt der Mundkoch, – »daß des Esels Ehre gerettet wurde. Er nimmt doch merkwürdig an diesem Thiergeschlechte Antheil.«

»Das macht die Verwandtschaft!« – rief Krippner. Alle, außer Mozart und den Musikern, lachten auf's Neue. Nur Germain zuckte mit der Hand nach dem Glase, das vor ihm stand, und es fehlte nicht viel, so wäre es dem Herrn Leib-Kammerdiener an den Kopf geflogen.

»Laßt mir Germain ungehudelt!« – sagte jetzt Herr Zetti – »er ist ein Mann von Verdienst. Keiner von Euch allen wäre im Stande, so schöne Verschen für meine Bonbons zu machen, wie er. Hochfürstliche Gnaden geruhen ihren großen Spaß daran zu haben.«

»Hat er heute wieder etwas zusammengezimmert?« – frug Krippner spöttisch. – »Der Monsieur Mozart kann ja die Musik dazu schreiben.«

[218] Mozart schwieg, wie immer; aber Zetti rief: »Hört nur, ganz wie sie der Herr gern hat:


Jungfer Lieschen! weiß sie was?

Komm' sie mit uns in's grüne Gras,

Laß in diesen Arm sich fassen

Und mich nicht mehr länger passen,

Sonst verblüh' ich stante pe,

Wie die bittere Aloe!«


»Prächtig! prächtig!« – riefen Veit und die Köche und im Chorus wiederholte die Dienerschaft:


»Sonst verblüh' ich stante pe,

Wie die bittere Aloe!«


Ein neues Jauchzen füllte das Bedientenzimmer. Veit aber rief: »Noch etwas von deiner Dichtkunst, Germain

»Damit kann ich dienen« – sagte dieser stolz – »ich hatte heute Morgen gute Laune, und da ging das Dichten flott von der Leber.«

»Also?«

Und Germain declamirte mit Pathos:


»O Schönste! deinem Reiz kann Niemand widerstreben,

Kaum hat man dich erblickt, muß man sich .... übergeben


»Hallo!« – schrie Veit und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß Teller und Gläser klirrten – »das ist ein süßer Vers, den muß Herr Zetti in eines seiner besten Bonbons stecken.«

»Nun« – sagte Germain – »ich wette, der Alte gaudirt sich herrlich darüber.«

»Ja, er ist vernarrt in solche Dinge!« – bestätigte Zetti. – »Wißt Ihr was, Germain, der Alte kann die Federbüsche nicht leiden, welche die Frauen jetzt in den Haaren tragen, macht einmal schnell einen Vers darauf .... recht grob .... das liebt seine Hochfürstliche Gnaden!«

»Ja, ja!« – riefen Mehrere, die noch an Germains Dichtertalent zweifelten, und sich nun überzeugen wollten, ob die bisherigen Proben auch eigene Perlen seien.

»Von den Federn?« – wiederholte Germain und gab sich eine wichtige Miene.

»Ja! von den Federn auf den Köpfen der Frauenzimmer.«

Germain sann einen Augenblick, dann rief er strahlenden Auges: »Ich hab's!«[219]

»Nun?« – tönte es von allen Seiten. Aber Germain sagte stolz:


»Ach, laßt das Fräulein Firlefanz!

Giebt's ohne Federn eine Gans?«


Donnernder Jubel folgte diesen Worten. Mozart aber stand auf; er war physisch und moralisch satt.

»Schon wieder fertig?« – sagte Germain, dem die Anerkennung als Dichter jetzt einen stolzen Halt gegeben hatte, – »der Monsieur Mozart muß einen kleinen Magen haben, da er alle Tage beim halben Essen aufsteht.«

»Er ist nicht für alle Speisen gemacht!« – sagte der junge Musiker kalt und verließ mit Brunetti und Ceccarelli Tisch und Zimmer.

»Laßt den hochnasigen Gimpel!« – rief Krippner – »er wird schon zahm werden, wenn er noch einige Wochen hier ist. Bildet sich der Laffe von Musikmacher ein, er sei mehr als wir!«

Und eine Fluth von Schimpf-, Spott- und Stichelreden folgten Mozart aus dem Bedientenzimmer nach.

Dieser aber wandte sich draußen zu seinen Collegen und sagte mit Indignation:

»Es ist eine Schande von unserem Fürstbischof, uns mit diesem Bedientenpöbel zusammenzusetzen! Wenn es Ihnen recht ist, meine Herren, gehen wir gerade zu ihm und bitten uns einen Tisch für uns aus!«

Aber Brunetti und Ceccarelli zuckten die Achseln.

»Das würde sehr vergeblich sein!« – sagte dabei der Erstere. – »Haben Sie von Salzburg aus vergessen, daß seine Hochfürstlichen Gnaden uns alle von jeher als Bediente tractirt hat?«

»Ich kann aber eine solche Behandlung nicht ertragen!« – rief Amadeus.

»Sie werden es wieder lernen!« – meinte Ceccarelli – »warten Sie nur heute Abend ab.«

»Heute Abend!« – frug Mozart – »was soll da geschehen? Wir spielen bei dem Fürsten Galitzin

»Das heißt« – verbesserte Brunetti – »der Fürstbischof hat uns für heute Abend dem Fürst Galitzin geliehen, wie man einen Lakai zum Aufwarten verleiht.«

»Galitzin ist ein charmanter Mann!« – sagte Wolfgang – »ich darf sagen, mein Beschützer und Freund!«[220]

»Wenn Sie als Herr Mozart bei ihm sind!« – versetzte Brunetti. – »Anders aber in Gegenwart unseres Alten, und der ist heute Abend da.«

»Nun?«

»Nun, dann ist es der unabänderliche Wille seiner Hochfürstlichen Gnaden, daß sämmtliche Leute aus seiner Capelle sich vor der Thüre des Empfangzimmers bei dem dort aufgestellten Herrn Leib-Kammerdiener Krippner melden. Krippner beauftragt alsdann Germain, jeden von uns einzuführen und ihm eine Ecke des Salons anzuweisen, wo er stumm und unbeweglich warten muß, bis der Befehl zum Beginn des Concertes kommt.«

Mozart lachte hier laut auf. – »Sie scherzen, meine Herren!« – rief er dann.

»Keineswegs!« – versicherten jene.

»Nun, dann muß ich Ihnen sagen« – fuhr Amadeus fort – »daß diese Art von Etiquette nicht nach meinem Geschmacke ist, und daß ich mich nicht daran binden werde. Eine solche Demüthigung Angesichts der Welt ist unserer unwürdig. Ich werde diese Fesseln brechen.«

»Sie wollen doch nicht« .... riefen hier Brunetti und Ceccarelli zugleich.

»Dem Fürstbischof Trotz bieten!« – sagte Mozart fest. – »Wenn ich zu Fürst Galitzin komme, bin ich Mozart, der Künstler, und jedem der Anwesenden gleich! Rechnen Sie auf mich!« – und mit diesen Worten reichte er jedem der Collegen die Hand und ging rasch nach seinem Zimmer.

Der Abend war angebrochen. Hunderte von Lichtern und Lampen flammten in den Sälen, Zimmern, Antichambres und Corridors, wie auf den Treppen und Gängen des fürstlich Galitzinschen Palais. Alles war Licht, Pracht und Glanz und kündete den feinen Geschmack und den enormen Reichthum des Besitzers. Auch rollten die prächtigsten Equipagen vor; denn Jedermann kannte die Prachtliebe, Freigebigkeit und geschmackvolle Ausfüllung dieser Abende, und heute, .... heute sollte die Fürstbischöflich Salzburgische Capelle spielen, deren Hauptglanzpunkt der berühmte junge Maestro Mozart war, dessen Oper »Idomeneo« erst kürzlich so großes Aufsehen in München gemacht. Ihn sollte man heute Abend hören, sehen und sprechen, .... ein von ihm neu componirtes Concert sollte zur Aufführung kommen.[221]

Auch der Herr Fürstbischof war eingeladen; denn obgleich weder Fürst Galitzin, noch der übrige hohe Adel, noch der Kaiser selbst den Erzbischof ausstehen mochten, so mußte man ihn doch zuziehen, weil dies der einzige Weg war, seine Leute, und namentlich Mozart zu bekommen, von dem man wußte, daß er von seinem Herrn aus Neid und Eigennutz fast wie ein Gefangener gehalten wurde.

Galitzin empfing den geistlichen Herrn daher mit besonderer Aufmerksamkeit und führte ihn selbst in dem großen Saale ein, wo schon eine ebenso zahlreiche als glänzende Gesellschaft versammelt war. Des Erzbischofs erste Blicke richteten sich nach der Orchesterecke, wo seine musikalischen Sclaven zu warten hatten.

In der That standen sie dort alle, steif, unbeweglich, stumm wie die Fische und wagten sich nicht zu rühren. Doch was ist das? Einer fehlt .... und dieser eine ist Mozart .... Mozart, der verwegene kecke Bursche, der es wagt, außer einem elend bezahlten Diener seiner Gnaden noch etwas anderes sein zu wollen!

»Nun!« – murmelte der Erzbischof mit finsterer Miene vor sich hin – »er soll mir für diese Frechheit büßen.«

In demselben Augenblicke aber, in welchem die fromme Seele des Herrn Erzbischofs diesen edlen Entschluß faßte, ereignete sich in den Empfangszimmern eine andere Scene.

Mozart war gekommen, ganz bescheiden zu Fuße, aber nicht ohne Eleganz gekleidet. Jetzt hatte er seinen Mantel abgelegt, denn es war ein rauher Märzabend, und schritt nun, den Hut unter dem Arme, mit solcher Sicherheit und solch' leichtem Anstande zwischen den sonst angekommenen hohen Gästen die breite mit kostbaren Teppichen belegte Marmortreppe hinauf, daß man ihm auf der Stelle das Vertrautsein mit solchen Situationen ansah.

Wie das Alles – trotz der frühen Jahreszeit – so geschmackvoll und reich mit Blumen decorirt war; und siehe da, dort an der Thüre des zweiten Empfangsaales stand, mitten unter Floras lieblichen Kindern, der gute Leib-Kammerdiener Krippner. Wolfgang mußte innerlich lachen, denn er kam ihm wie eine große Kreuzspinne vor, die in ihrem Verstecke auf die armen Fliegen lauert, die ihrem Netze zu nahe kommen. Und etwas Spinniges lag allerdings in Krippners Gesicht, zumal jetzt, da er Mozarts ansichtig wurde, auf den er längst gepaßt, und den zu demüthigen er sehnlichst verlangte. Er[222] winkte daher Germain mit einem triumphirenden Blicke herbei, so daß Mozart, wenn er in den Saal wollte, durch beide Livreen durchmußte.

»Jetzt aufgepaßt und gefaßt!« – murmelte Krippner. Aber in demselben Augenblicke verfinsterten sich seine Züge; denn gerade trat Graf Cobenzl ein, und ging, als er Mozart erblickte, mit solcher Herzlichkeit auf diesen zu, ihm die Hand wie einem Freunde reichend und schüttelnd, daß es dem Herrn Leib-Kammerdiener bald heiß, bald kalt vor Aerger und Verlegenheit über den Rücken lief. Aber seine freche Seele erholte sich bald von diesem Schrecken; und mußte die Demüthigung für Mozart nicht doppelt sein, wenn er gerade Angesichts des Grafen an der Thüre ab- und einem Lakaien zugewiesen wurde?

Jetzt nahten sich beide. Wie vertraut der Unverschämte mit dem Grafen sprach! .... jetzt hatten sie die Thüre erreicht, ... Mozart verbeugte sich leicht, dem hohen Staatsmanne den Vortritt gebend, da trat Krippner vor:

»Monsieur Mozart verzeihen!« – sagte er boshaft lächelnd und geflissentlich laut, damit es der Graf höre – »den Musikern hat Germain ihren Platz anzuweisen!«

Aber Mozart frug nach des Leib-Kammerdieners Worten nicht. Das Haupt stolz erhoben, schleuderte er ihm einen Blick tiefster Verachtung zu, und indem er mit vornehmem Lächeln sagte: »Um in einen Salon zu treten, bedarf ein Mozart keines Ceremonienmeisters in Livree!« durchschritt er leicht und stolz die Thüre des Saales und ging gerade auf den Fürsten Galitzin zu, der ihn mit der größten Freundlichkeit empfing. Und hier, zwischen Fürst Galitzin und Graf Cobenzl stehend, verharrte Mozart im unbefangensten Gespräche, bis das Concert begann.

Der Fürstbischof biß sich vor Wuth auf die Zähne; – Krippner und Germain waren wie versteinert; – Ceccarelli, Brunetti und die übrigen Musiker sahen verwirrt, starr und entsetzt aus ihrer Orchesterecke auf den kühnen Verbrecher!75

Aber diese Verwegenheit hatte nun auch in der That den Zorn des Erzbischofs im höchsten Grade erregt; so daß es sich dieser vorgeworfen hätte, wenn er Mozart im Mindesten[223] etwas von der Buße nachgelassen haben würde, die er ihm von diesem Augenblicke an zugeschworen. Der Adel bat ihn: Mozart zu gestatten ein Concert zu geben: er schlug es ab. Man ersuchte ihn um die Erlaubniß: Mozart wenigstens in dem Concerte mitwirken zu lassen, das demnächst zum Nutzen der Wittwen der Wiener Musiker stattfinden sollte: er schlug es ab, obgleich dies nichts anderes hieß, als den Pfennig der Wittwe angreifen. Aber dies alles war noch nicht genug, der fromme Mann wollte auch noch persönlich seine Rache an dem Verwegenen nehmen. Kaum waren beide daher aus der Galitzinschen Abendunterhaltung nach Hause zurückgekehrt, als der Erzbischof Mozart zu rufen befahl.

Krippners und Germains Gesichter strahlten vor Entzücken; aber in den Zügen Mozarts lag auch etwas, das – wenn auch nicht wie Entzücken – doch wie ein fester kühner Entschluß aussah.

Als Mozart eintrat, saß der Fürst in einem kostbaren Sessel seines Schlafgemaches. Sein Gesicht glühte vor Zorn, und kaum hatte jener die Thüre hinter sich zugemacht, als außen der Herr Leib-Kammerdiener und Germain ihre Ohren an die Thüre legten und innen das Unwetter losbrach.

»Welche Unverschämtheit hat Er sich heute erlaubt!« – rief der Fürst mit funkelnden Augen. – »Kennt Er meine Befehle nicht, sich bei jedem derartigen Concerte, wo es auch sei, bei Krippner zu melden und von Germain auf seinen Platz weisen zu lassen?«

»Man hat mir davon gesagt,« – entgegnete Mozart ruhig – »aber Hochfürstliche Gnaden erlauben, daß ich an der Wahrheit eines solchen Befehles zweifelte.«

»Warum?«

»Weil Er Ew. Gnaden unwürdig und für die Künstler Ihrer Kapelle entehrend wäre.«

»Was?!« – rief hier der Fürst – »geht Er in Seiner Frechheit so weit, Uns tadeln zu wollen? Wir wissen, was Unserer Hochfürstlichen Würde geziemt, und brauchen Uns das nicht von einem lüderlichen Musikanten sagen zu lassen. Kerle seines Gleichen gehören nicht in die Gesellschaft des Adels.«

Mozarts Augen flammten. »Vor allen Dingen,« sagte er fest und entschieden, »muß ich Hochfürstliche Gnaden ersuchen, in anderer Weise mit mir zu sprechen. Ich habe vor Oesterreichs Kaiser und Kaiserinnen, vor Seiner Heiligkeit dem Papste,[224] vor den Königen und Königinnen von Frankreich und England und zahllosen Fürsten gestanden und erfreute mich stets einer achtungsvollen Aufnahme und Behandlung; und wenn ich auch im Dienste Ew. Hochfürstlichen Gnaden bin, so kann ich dies doch auch hier verlangen; denn ich erfreue mich eines ehrenhaften Namens und leiste bei Gott hundertmal mehr, als der Gehalt, den ich empfange, vergüten kann.«

»Hei!« – rief der Fürstbischof vor Zorn lachend – »soll ich Ihn vielleicht mit Gold einfassen?«

»Nein, aber mit dem Anstande behandeln,« – sagte Mozart – »wie es ein Künstler verdient.«

»Künstler? Ein Geiger ist Er!«

»Ich bin der Componist des Idomeneo

»Was, Componist; ich bezahle Ihn und dafür ist Er mein Knecht.«

»Nie!«, – rief Mozart empört – »und damit Sie sehen, daß ich es nicht bin, erkläre ich hiermit, daß ich nicht mehr an der Bediententafel und in dem Bedientenzimmer speise. Achten Sie in dem Menschen den Menschen und den Künstler!«

»Ich achte Ihn als einen Buben, als einen Schurken, als einen lüderlichen Kerl!« –76 rief hier, sich ganz und gar vergessend, der Fürstbischof, indem er aufsprang und die geballte Faust nach Mozart reckte.

Aber jetzt war des jungen Künstlers Geduld erschöpft. Blaß wie der Tod, aber mit Augen, die Blitze eines edlen Zornes sprühten, hoch aufgerichtet, so daß die kleine Gestalt wie durch eine geheimnißvolle Macht zu imponirender Größe wuchs, rief er ernst und fest:

»Es ist genug, Herr Fürstbischof! Mit Verachtung werfe ich meine Bestallung zu den Füßen eines Mannes, der jeder besseren Regung fremd ist, jedes Verdienst in den Staub tritt und wie ein Tyrann über seine Untergebenen herrschen will. So wahr Gott lebt, ich hätte es längst gethan, wenn mich nicht heilige Pflichten zurückgehalten. Aber es giebt Grenzen, wo jede Aufopferung aufhören muß. Meine Ehre verlangt, daß ich diese unwürdigen Fesseln zerreiße. Noch diese Nacht verlasse ich Ihr Haus!«

Das hatte nun freilich der Fürstbischof von diesem kleinen,[225] ihm aber sehr nützlichen Musiker nicht erwartet. Auch imponirte dem rohen Menschen die Sprache und das Auftreten Mozarts. Der Jämmerlichkeit im Fürstenmantel stand ein Mann – im edelsten Sinne des Wortes – entgegen: groß, fest, gewaltig, auch im bürgerlichen Rocke. Aber zeigen durfte der Fürstbischof diesen Eindruck so wenig, als daß ihn die Kündigung überrasche. Er ließ sich daher wieder in seinen Sessel gleiten und sagte im Tone der Verachtung:

»Das thue Er! .... Pack Er sich hin, wo Er will; Wir sind froh, Ihn los zu sein!«

»So geht es Fürstbischöfliche Gnaden, wie mir!« – antwortete Mozart. – »Aber ehe ich gehe, noch ein Wort.«

»Es ist genug!« – rief der Fürst; Mozart aber sagte mit einem so gebietenden Tone: – »Nein! Sie müssen mich noch hören!« – daß der Fürst, wie von einer unsichtbaren Gewalt bezwungen, schwieg.

Da war es aber mit einem Male, als ob sich Mozarts Gestalt verkläre. Wie Nathan, der Prophet, vor David, so stand er vor dem Erzbischof, und wie jenem floß der Rede Strom in feurigen Worten von seinen Lippen.

»Ein Wort noch, ehe wir scheiden!« – sagte er. – »Ew. Hochfürstlichen Gnaden sollen wenigstens noch von mir hören, daß unter dem bürgerlichen Rocke auch Herzen schlagen, deren höchster Schatz die Ehre ist! – Der Werth des Mannes liegt nicht darin, was er nach seiner äu ßeren Stellung scheint, sondern darin, was er ist! Denn was einer für sich selbst ist, was ihn in alle Lebensverhältnisse, selbst in die Dürftigkeit begleitet, und was Keiner ihm geben oder nehmen kann, ist offenbar für ihn wesentlicher, als Alles, was er nach außen hin besitzt, oder was er in den Augen Anderer sein mag. Ein Mensch, der eine Welt in sich trägt, ist unter allen Umständen groß; in wessen Herz und Kopf aber eine Oede ist, der bleibt ein Nichts und wenn er einen Purpur trägt. Und auch wirklich reich und glücklich ist nur der, der seinen Reichthum und sein Glück in sich schließt. Denn was Reichthum und Macht über die Befriedigung der wirklichen und natürlichen Bedürfnisse hinaus leisten können, ist von geringem Einfluß auf unser wahres Glück, das nur im Schaffen und Aufbauen einer schönen inneren Welt, in dem Bewußtsein beruht: Großes, Edles, Erhabenes geschaffen zu haben! Erst im[226] Mißgeschick, wo Jeder auf sich selbst angewiesen ist, da zeigt es sich, was er an sich selber hat! Da seufzt der Tropf unter der unabwälzbaren Last seiner armseligen Individualität; während der Hochbegabte die finstere Lage, die traurigste, ödeste Umgebung durch seines Geistes, seines Genius Gaben zu einem Pa radiese macht. Darum auch wird die Aussicht auf Aemter, Gold, Gunst und Beifall der Welt den edlen Menschen nie verleiten, sich selber aufzugeben. Zu seinem Selbst aber gehört vor allen Dingen seine Ehre. Und wenn Sie, Herr Fürstbischof, die Achseln mitleidig zucken, wenn von bürgerlicher Ehre die Rede ist, so will ich Ihnen, der diese Ehre nicht kennt, sagen, was Ehre überhaupt ist: Sie steckt nicht im Titel, nicht im Wappen, nicht im Rang, nicht in dem Reichthum und der Macht ..... die wahre Ehre ist das äußere Gewissen, und das Gewissen ist die innere Ehre. Wo aber kein Gewissen ist, da ist auch freilich keine Ehre. Dem Rechtlichen aber geht die Ehre über das Leben! .... Das ist es, was ich sagen wollte!« – rief Mozart – »und nun leben Sie wohl!«

Und er schritt wie ein König aus dem Gemache, seine Hochfürstliche Gnaden zähneknirschend, die rauschenden Sclavenseelen starr und verwirrt zurücklassend. Die Sclavenketten waren gebrochen, und noch vor Mitternacht hatte Mozart das Palais des Fürstbischofs von Salzburg verlassen.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 215-227.
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