123. [an den Vater, Paris, 12. Juni 1778]

[197] 1 Nun muß ich ihnen doch auch von unserm Raaff etwas schreiben. sie werden sich ohne zweifel erinnern, daß ich von Mannheim aus nicht gar zu gut von ihm geschrieben habe. daß ich mit seinem singen nicht zufrieden war. afin daß er mir halt gar nicht gefallen hat. Das war aber die ursache weil ich ihn zu Mannheim so zu sagen gar nicht gehört hatte. ich hörte ihn das erstemahl in der Probe von holzbauers günther. Da war er nun in seinen eigenen kleidern, den hut auf dem kopf, und einen stock in der hand. wenn er nicht sang so stund er da wie das kind beym D –. wie er das erste Recitat: zu singen anfieng, so giengs ganz Passable. aber dann und wann that er einen schrey – der mir nicht gefiell; die arien sang er so gewis [197] faul – und oft einige töne mit zu viell geist – das war meine sache nicht. Das ist eine gewohnheit die er allzeit gehabt hat – die vielleicht die Pernachische schule mit sich bringt. denn er ist ein schüller von Bernachi2. bey hof hat er allzeit arien gesungen, die ihm meiner Meinung nach gar nicht angestanden, weil er mir gar nicht gefahlen hat. hier endlich als er im Concert spirituell debutierte, sang er die scene von bach3, non sò d'onde viene, welches ohnedem meine favorit sache ist, und da hab ich ihn das erste mahl singen gehört – er hat mir gefahlen – das ist in dieser art zu singen – aber die art an sich selbst – dieBernachische schule – die ist nicht nach meinengusto. er macht mir zu viell ins Cantabile. ich lasse zu, daß es, als er jünger, und in seinen flor war, seinen Effect wird gemacht haben, das er wird surpreniert haben – mir gefällts auch, aber mir ists zuviell, mir kömmts oft lächerlich vor. was mir an ihm gefällt, ist wenn er so kleine sachen singt, so gewisse andantino – wie er auch so gewisse arien hat, da hat er so seine eigene art. jeder an seinem ort. ich stelle mir vor daß seine haupt force war, die Bravura – welches man auch noch an ihn bemerckt, so wie es sein alter zuläst; eine gute brust und langen othem, und dann – diese Andantino. seine stimme ist schön und sehr angenehm. wenn ich so die augen zu mache, wenn ich ihn höre – so finde ich an ihn viell gleiches mit den Meissner4, nur daß mir Raffs stimm noch angenehmer vorkömmt – ich rede von izt, denn ich habe beyde nicht in ihrer guten zeit gehört – ich kan also von nichts als von der art oder Methode zu singen reden, dann diese bleibt, bey den sängern. Meissner hat wie sie wissen, die üble gewohnheit, daß er oft mit fleiss mir der stimme zittert – ganze viertl – ja oft gar achtl in aushaltender Note marquirt – und das habe ich an ihm nie leiden können. Das ist auch wircklich abscheulich. Das ist völlig ganz wieder die Natur zu singen. Die Menschenstimme zittert schon selbst – aber so – in einem solchen grade, daß es schön ist – daß ist die Natur der stimme. man [198] macht ihrs auch nicht allein auf den blas-instrumenten, sondern auch auf den geigen instrumenten nach – ja so gar auf denClaviern – so bald man aber über die schrancken geht, so ist es nicht mehr schön – weil es wieder die Natur ist. Da kömts mir just vor wie auf der orgl, wenn der blasbalk stost. – Nun, das hat der Raff nicht, das kann er auch nicht leiden. was aber das rechte Cantabile anbelangt, so gefällt mir der Meissner (obwohl er mir auch nicht ganz gefällt, denn er macht mir auch zuviell) aber doch besser als der Raff. was aber die bravura, die Passagen und Rouladen betrift, da ist der Raff meister – und dann seine gute, und deutliche aus-sprach – das ist schön. und dann, wie ich oben gesagt habe, Andantino, oder kleineCanzonetti – er hat vier teutsche lieder gemacht die sind recht herzig. er hat mich sehr lieb. wir sind sehr gute freunde zusammen. er kommt fast alle täge zu uns. ich habe nun schon gewis 6 mahl bey graf Sücknugen, Pfälzischen gesandten gespeist – da bleibt man allezeit von 1 uhr bis 10. Die zeit geht aber bey ihm so geschwind herum, daß man es gar nicht merckt. er hat mich sehr lieb. ich bin aber auch sehr gerne bey ihm – das ist ein so freundlicher und vernünftiger herr, und der so eine gesunde vernunft – und eine wahre einsicht in die Musick hat; heute war ich abermal mit Raff dort; ich brachte ihm, weil er mich darum gebeten hat, (schon längst), etliche sachen von mir hin. heit namm ich die Neue sinfonie mit, die ich just fertig hatte, und durch welche am Frohnleichnams-tag das Concert spirituell wird eröfnet werden. diese hat allen beeden überaus wohl gefallen. ich bin auch sehr wohl damit zu frieden. ob es aber gefällt, das weis ich nicht – und die wahrheit zu sagen, liegt mir sehr wenig daran: denn, wem wird sie nicht gefallen? – Den wenigen gescheiden franzosen die da sind, stehe ich gut dafür daß sie gefällt; den dummen – da sehe ich kein grosses unglück wenn sie ihnen nicht gefällt – ich habe aber doch hoffnung daß die Esel auch etwas dariñ finden, daß ihnen gefallen kann; und dann habe ich ja den Premier coup d'archet nicht verfehlt! – und das ist ja genug. Da machen die Ochsen hier ein wesen daraus! – was teufel! ich mercke keinen unterschied – sie fangen halt auch zu[199] gleich an – wie in andern orten. Das ist zum lachen.Raff hat mir eine histori von Abaco5 darüber erzehlt – er ist von einen franzosen in München oder wo befragt worden – Mr, vous avés etè à Paris?oui; est-ce que vous étiés au Concert spirituel?oui; que dites vous du Premier Coup d'archet?avés vous entendu le premier Coup d'archet?oui; j'ai entendu le premier et le dernier – Coment le dernier? – que veut dire cela? – mais oui, le premier e le derniere le dernier même m'a donnè plus de plaisir. – Nun muß ich schliessen. ich bitte meine Empfehlung an alle gute freunde und freundinen, besonders an h: Bullinger. ich küsse ihnen tausendmahl die hände, und meine liebe schwester umarme ich von ganzen herzen, und bin dero gehorsamster sohn

Wolfgang Amadé Mozart6

Fußnoten

1 Zu Anfang ein längerer (der letzte) Brief der Mutter.


2 Antonio Bernacchi (1690–1756), der Begründer der berühmten Bologneser Gesangsschule.


3 Joh. Christian Bach (s. hierzu den Brief vom 28. Februar).


4 Der Salzburger Sänger Jos. Meißner.


5 E.F. dall' Abaco (1675–1742), hervorragender Instrumentalkomponist.


6 Antwort des Vaters: 29. Juni.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 1. München/ Leipzig 1914, S. 200.
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