*260. [an L. Hagenauer in Salzburg]

[247] Haag le 5. Novb: 1765.


Monsieur!


Ja, ia! ganz gewiß: Homo proponit: Deus disponit. Ich habe eine sichere Probe davon. Der Mensch kann seinem Schicksaale nicht entfliehen. – – Ich muste wieder meine Neigung nach Holland gehen, um alda meine arme Tochter. wo nicht gar zu Verlieren, doch schon fast in den letzten Zügen zu sehen. Und wer trieb mehr an nach Holland zu gehen als meine Tochter? – – Sie hatte das gröste Verlangen dahin zu reisen, wohin sie ihr schicksaal zog. – – Sie erinnern sich, daß ich in meinem ersten von hier ihnen sagte, daß [247] meine Tochter mit einem Cartharr gleich den zweyten Tage nach unserer Ankunft nämlich den 12ten Sept: befallen wurde. Es schien anfänglich nichts zu bedeuten. ja es hatte das Ansehen, daß es sich zur besserung neigte; ia es war auch besser, und sie war niemals zu Bette. Allein den 26ten Abends kam ihr un Versehens eine Kälte, daß sie zu Bette Verlangte. Nach der Kälte kam die Hitze: Ich sahe also, daß sie das fieber am Halse hatte. Den Tag darauf war sie nichts besser und ich ließ einen Medicum kommen. Kurz den 28ten um 4 Uhr Abends wurde ihr Adergelassen: und obwohl der Puls sich etwas besserte, so war doch noch immer ein klein Fieber da. – – Das gieng so fort mit etwas Catharrischen Auswurf; und da das Blut sehr inflammiert, und der halbe Theil weisser Schleimm oder Speck und kurz sehr böse aussache, so darfte sie wenig Suppen nehmen, hingegen muste sie Viel wasser mit Milch Vermischt trincken; dazu kam eine Kleinigkeit von Kornblumfast x: Nachdem dieß einige Täge so fortgieng; so Verfiehl der Medicus unglückl: weise auf den Gedancken, daß der Catharr eine Deposition ad pulmonem gemacht hätte und quod sit fomica in pulmone. Mit einem Worte, er hielte es für einen Ansatz Verschiedener Blattern und kleinen Geschweren in der Lunge. [...] Nun brach mir alle gedult auf einmal los; Ich sahe meine Tochter täglich abnehmen; sie hatte nun nichts mehr als die Haut und Knochen; und es fieng nun schon auch der Sedes an mir zu zeigen, daß eine Relaxatio universalis causata per aquam Seltranam im Anzuge seye. Der Medicus hatte selbst keine Hofnung mehr. Mein armes Kind sahe eines theils die Gefahr selbst ein, und empfand ihre Schwäche. Ich bereitete sie zur Resignation in den göttlichen Willen; und sie empfieng nicht nur das heilige Abendmahl, sondern der geistliche fand sie in so schlechten Umständen, daß er ihr auch das heilige Sacrament der letzten Öhlung gab: denn sie war oft so schwach, daß sie dasjenige, was sie sagen wollte, kaum herausbringen kunte. Solte iemand unsere Unterredung, die wir 3, meine Frau, ich, und meine Tochter manchen Abend zusammen hatten, und wo wir dieselbe von der Eytelkeit dieser Welt, von dem glückseligen Tode der Kinder überzeuget, gehöret haben; [248] der würde ohne nassen Augen es nicht angehöret haben: da entzwischen der Wolfgangl im anderen Zimmer sich mit seiner Musique unterhielt. Den nämlichen Tage den 21. Octob: (als wir sie Nachmittag um 5. Uhr mit den heiligen Sacramenten versehen ließen) ließ ich um halbe 2 Uhr (das heist hier vor dem Mittag) ein Consilium halten. Der ehrliche alte Herr Professor Zwenke (der nirgends mehr hingehet, und den mir die Prinzessin von Weilburg geschicket) zeigte gleich, daß er den Handl besser Verstehet. Er nahm das Kind erstlich bey der Hand, und grief ihr alle Nerven. Er setzte seine Augengläser auf, und beschauete sie in den Augen, die Zunge und das ganze Gesicht. Dann Vernahm er den Statum morbi. Dieß war das erste mahl, daß ich meiner Wissenschaft der Lateinischen Sprache etwas sonderbares zu Verdanken habe. Hätte ich nicht Latein gekannt; so wäre der Herr Professor etc. ganz anders berichtet worden. Denn nachdem der Medicus von seinem Gewissen schon überzeugt ware, daß er den fleck neben das Loch gesetzt: so muste er natürlich den Statum Morbi so erklären und angeben, daß er seine angewendete Mittl rechtfertigen kunte. Allein, so oft eine Lüge kamm, so oft widersprach ich ihm; so wie ich ihm wegen seiner geglaubten Verwunderung, Geschwer, Blatter an der Lunge (oder wie er sie tauffen wollte) allzeit widersprochen hatte. Absonderlich sagte er, daß sie Schmerzen gehabt hätte, und daß sie nicht ieder seyte liegen könnte; welches doch nicht wahr und von mir allzeit widersprochen ward; indem sie niemals weder einen Schmerzen empfunden, und auf allen Seiten liegen und schlaffen können. Der Herr Professor zeigte ganz klar, daß es nichts als eine außerordentlich dicke Verschleumung war. Er Verboth Milch und Selzerwasser. Er befahl ihr gute kälberne Suppen mit stark Versottenem Reis zu geben. Zum Gedranck, Wasser mit gebähten Brod und zu Zeiten eine Arth von Orseade, mit Gerstenwasser, mandimilch, die 4. Sem: frig: und aqu: Cinam: oder Zimmetwasser. Dann Verschrieb er folgende Latwerge, davon sie mehr nicht denn alle 4. Stunden, und nach den Umständen alle 6., ja nur alle 12. Stund ein kleinesCaffé löferl voll nehmen muste. nach den Umständen; sie werden es gleich [249] hören. – [...] so bald sie aber diese Latwerge 2. bis 3. mahl genommen, so fieng sie an die meiste Zeit zu schlaffen. Wir gaben sie ihr dann nur alle 8, und endlich nur alle 12. Stund; die Ursache ist, weil bey dem Elect. diascord. etwas opium ist. Das Elect. diascord. hat man aber dazu gethañ, um, weil das mandloht und Hönig Laxieren, durch das Elect. diascord: die intestina zu Verstärcken und den Tonum in Ordnung zu erhalten, damit keine diaroca erfolget, welche in solchen Kranckheiten Signum mortale ist. Der Sedes war wirklich schon ohnedem resoluta, sed non frequens, und er continuierte also mit kleinen Verkochten Excrementis. Diese ganze Zeit über war sie schlaffend und wachend niemals bey sich, und sprach immer im Schlaf, bald englisch, bald französisch bald deutsch, und da sie von unseren Reisen materie genug im Kopfe hatte, so musten wir, bey aller Betrübniß, oft lachen.

Das war etwas, so den Wolfgangerl ein wenig aus seiner Traurigkeit brachte, die er wegen seiner schwester hatte. Der Herr Professor kamm dann ordentlich, und da er sahe daß das fieber nachließ, und daß dieser Sedes eine kleine Diaroca critica Salutaris war, so gab er ihr ein wenig Rhej: Elect. und da nun das fieber Völlig gewichen, so nimmt sie eine Mixtur ad corroboraudum. Nun kommt es darauf an, ob ihr Gott die Gnade giebt, daß sie wieder zu ihren Kräften gelanget, oder ob ein anderer Zufall dazu kommt, und sie in die Ewigkeit schicket. Wir haben uns iederzeit dem göttlichen Willen überlaßen, und schon ehe wir von Salzburg abgereiset sind, so haben wir Gott inständigst gebetten, unsere vorhabende Reise zu verhindern oder zu seegnen. Stirbt meine Tochter; so stirbt sie glückseelig. Schenkt ihr Gott das Leben; so bitten wir ihn, daß er ihr seiner Zeit eben so einen unschuldigen seel: Tod verleihen möge, als sie ietzt nehmen würde. Ich hoffe das letztere: indem, da sie sehr schlecht war, am nämlichen Sontage ich mit demEvangelio sagte: Domine descende: komme Herr! bevor meine Tochter stirbt. Und diesen Sontage hieß es: die Tochter schlief; dein Glaub hat dir geholfen. suchen sie nur imEvangelio, sie werden es schon finden – – – Übrigens können sie sich leicht Vorstellen, wie [250] wir ietzt lebten, und wie mein ganzes Concept auf einmal wieder Verrücket ist. Unser Kind konnten und wollten wir nicht frembden Händen Vertrauen. folglich gehet meine frau schon so lange Zeit nicht eher als morgens um 6. Uhr zu bette, wo ich dan aufstehe und bis Mittag meiner Tochter abwarte; dann hat meine frau und ich die Nacht bis den Mittag getheilt und jedes schläft 5. bis 6. Stund. Nun wie lange wird es zu gehen bis meine Tochter (wenn sie sollte genesen) im Stande zu reisen ist? – – Die Jahrs Zeit ist am schlechtesten. und wird immer böser. Unsere Beltze sind von Calais nach Paris gegangen: denn, nach meiner Rechnung, wären wir ietzt schon wieder aus Holland weggegangen. sie fragen mich immer wasfür einen Weeg ich nach Hause nehmen werde. Habe ich ihnen dann nicht geschrieben, daß ich einen Coffré von Calais nach Paris geschicket habe? – und sie wissen ia, daß ich vorhero schon Viel Bagage in Paris gelassen habe. Ich muß also über Paris; und will auch über Paris. Es ist mein Schade nicht. Meine Gedancken waren die 3. MonateAugust, Septb: und October in brabant, Holland und Flandern, zu zubringen, den Novb: in Paris zu bleiben und im December nach Hause zu reisen, so, daß ich ad Festum S: Thomae sicher zu Hause gewesen wäre. Nun hat Gott einen Strich durch meine Rechnung gemacht; und es kommt ietzt nicht mehr auf mein Wollen, sondern auf die Umstände meiner Tochter an; und jeder Vernünftiger wird einsehen, daß ich mein Kind, wenn Gott ihr das Leben schencken will, nicht muthwilliger weise der augenscheinlichen Gefahr sie durch eine solche unzeitige Reise ums leben zu bringen, aufsetzen kann. Daß ich keinen Nutzen, sondern den grösten schaden von diesem Zufalle habe, ist leicht zu begreiffen; und ich glaube, daß man sich genug zu Verwundern hat (wenn man es wohl betracht) wie ich diese Reisen, und NB: auf solchem fusse auszuhalten im Stande bin: denn frankr: Engelland und Holland sind keine Länder wo man von Zwölfern und batzen, sondern von Nichts als Louis d'or, Guinées, ducaten und Reitter spricht. Das wissen sie Vielleicht nicht was ein Reitter ist? Es ist eine Holländische Geld Sorten, die ganzen gelten 14 fl: die halben 7 fl. Holländ: ich werde sie ihnen zeigen. [251] Meine jetzigen Unkösten sind ganz abschänlich: denn hier muß alles bezahlet werden. Man weis ia was Holland ist. Das reist mir ein zimliches Loch in Beutl. Basta! was ist es um das Geld! wenn ich nur mit den meinigen wieder gesund davon komme.

Nun bitte wegen meiner Tochter eine heil: Meße zu Maria Plain. eine heilige Meß bey den heiligen Kindl zu Loretto. Eine zu Ehren der heiligen Walburgis, und 2. zu Passau auf dem Maria Hilsberg lesen zu lassen. Nun hat mein Mädl auch an die fromme Crescentia gedacht, und auch ihr zu ehren eine heilige Meß wollen lesen lassen. Allein, da wir noch nicht dergleichen zu thun befugt sind, bevor unser Kirche in betreff dieser frommen Person etwas dediciert hat, so lasse ich dero Frau Liebsten über, mit etlichen Patribus Franciscanern ein Consistorium darüber zu halten, und die Sache so einzurichten, daß meine Tochter zufrieden gestellt, die Satzungen Gottes und unserer Kirche aber nicht beleidiget werden. [...]

Ich war noch nicht in Amsterdam; allein, sobald meine Tochter so im stande ist, daß ich meine frau allein bey ihr lassen kann; so fahre ich mit dem Wolfgang allein auf etliche Täge hin. Auf der Post ist man in 6. bis 7. Stunden da. Auf dem Wasser braucht man länger. NB.: Dieses sind merkwürdige Sachen, die seiner Zeit mündlich erzehlen werde. Ich werde nicht ermangeln ihr Verlangen inAmsterdam zu besorgen. Am Ende mus ich ihnen noch sagen, daß sie aus den Umständen der Krankheit und Cur meiner Tochter Vielleicht glauben werden, ich habe den nächsten besten schlechten Medicum genommen. Nein! Es ist der Dr. Hayman der Medicus des Kayserl: des Portugasischen, des Spanischen, französischen und Neopolitanischen Gesandten, von da er mir recommandirt ware. [...]

Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 4. München/ Leipzig 1914, S. 247-252.
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