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Salzburg den 13ten aug: 1778.


Mon tres cher Fils!


Endlich erhielt ich zwey Briefe auf einmahl, nämlich die vom 20ten und 31ten July. beyde kammen erst den 11ten aug: Hl: Baron v. Grimm schrieb mir den 27 July. Sein schreiben macht mir vergnügen und missvergnügen. vergnügen, weil ich daraus sahe, daß Du Dich wohl befindest; und weil er schrieb, daß Du alle Kindliche schuldigkeit an Deiner lieben seel: mutter mit der grössten genauigkeit (daran ich zwar nicht zweifelte) genau erfüllt hättest. Missvergnügen aber, weil er (mit den nämlichen ausdrücken wie er zu Dir sprach) sehr in zweifel zog, wie Du nun in Paris Dein fortkommen oder glück oder vielleicht meint er Deinen nötigen unterhalt finden werdest. Er sagt: il est zu treuherzig, peu actif, trop aisé à attrapper, trop peu occupé des moyens, qui peuvent conduire à la fortune. ici, pour percer, il faut être retors, entreprenant, audacieux. le lui voudrais pour sa fortune le moitié moins de talent et le double plus d'entregent, et je n'en serais pas embaraßé. au reste, il ne peut tenter ici que deux chemins pour se faire un sort. Le premier c'est de donner des Leçon de Clavecin; mais sans compter qu'on n'a des écoliers qu'avec beaucoup d'activité et même de charlatanerie, je ne sais s'il aurait aßez de Santé pour Soutenir ce métier, car c'est une chose très fatigante de courir les quatre coins de Paris et de s'épuiser à parler pour montrer. Et puis ce métier ne lui plaira pas, parce qu'il l'empêchera d'ecrire, ce qu'il aime par deßus tout. Il pourrait donc s'y livrer tout à fait; mais en ce pays ci le gros du public ne se connait pas en musique. on donne par conséquent tout aux noms, et le mérite de l'ouvrage ne peut être jugé que par un très petit nombre. Le public est dans ce moment ci ridiculement partagé entre Piccini et Gluck, et touts [66] les raisonnemens, qu'on entend sur la musique font pitié. il est donc trés difficile pour votre Fils de réussir entre ces deux partis x: alles das hat seine Richtigkeit. – Nur das letzte hängt grossen Theils vom glück und zufahl an. und eben weil zwey Partyen sind; so kann ein dritter sich mehr Beyfahl hoffen, als wenn das ganze Publikum nur für einen Componisten alleine eingenommen wäre. Ich, meines Theils halte für das schwerste eine opera zu bekomm: und die höchste zeit – dann Piccini und Gluck werden alles thun solches zu hindern, und mir scheint es fast nicht möglich, daß Du eine bekommst. Noverre würde es alleine vielleicht durchgetrieben haben. Bey diesen Umständen, und da ich fast abnehmen konnte, daß Du itzt nichts verdientest, welches auch, da Deine Scolaren auf dem Lande sind, gewisser massen sich so verhält; er mir auch schrieb: vous voyez, mon cher maitre, que dans un pays où tant de musiciens médiocres et détestables même ont fait des fortunes immenses, le crains fort que Mr: Votre Fils ne se tire pas seulement d'affaire. Bey diesen Umständen, sage ich, muste mir abermahl ein schwerer Stein aufs Herz fallen, und da er beysetzte: Je vous ai fait cet exposé fidele non pour vous affliger, mais pour prendre ensemble le mellieur parti possible. Il est malheureux que la morte de l'Electeur de Baviere ait empésché M: Votre Fils d'être placé à Manheim x: so schrieb ich ihm, daß man Dich gerne wieder hier hätte, daß der Churf: nach München gehen und Manheim verlassen wird, daß Du hier näher wärest um Beym Churf: anzukommen x: welches er Dir vermuthlich wird gesagt haben: alleine alles dieses verstehe nur unter annehmlichen Conditionen, und weil (wenns nicht gut thut) man Salzb: wieder verlassen kann ohne sich dadurch zu schaden. Mann redet immer um mich herum, und ich gebe keine antwort, wollte die gräfin2 mich einführen, so würde auch sie selbst schon davon gesprochen haben: allein bis dato kein Wort, – nur immer fragen – wie es Dir gehet – ob ich briefe von Dir erhalten habe? – meine antwort – immer – gut – vortrefflich. Nun ist der alte Lollj3 Todt, den 11ten aug: [67] haben wir ihn begraben und gestern haben wir ihm zu St: Sebastian den gottesdienst gehalten. Nun bin unter 4 Capellmeister, die im Calender stehen, der einzige. Nun wird sich wieder etwas in Bewegung setzen. Ich werde morgen an Padre Martini schreiben.4 wie weit Du Dich auf Deine Freunde wirst verlassen können, – und was sie zu thun im Stande sind, wird die zeit lehren. Die Erfahrung (die Du mit schaden erst machen wirst) hat mich genug überzeugt, daß es keinen wahren freund – im äussersten grade genommen – giebt, als einen vatter. – selbst die Kinder sind es nicht, in dem nämlichen grade, gegen ihre Eltern: denke nach – überlege gedanken und Thatsachen – Du wirst Beyspiele in der Welt genug finden, die Dich der Wahrheit meines Satzes überzeugen werden. gott hat auch dessentwegen den Kindern das geboth ihre Eltern zu ehren und Strafe so gar beyzusetzen für nothwendig befunden, da er den Eltern ein geboth zu setzen nicht nötig fand. Missliwecek hat mir so viele Brief porto gekostet, und in allen Briefen war die Scrittura von Neapl für Dich richtig, ohngezweifelt, entschieden, gewiß. Nachdem ich ihm zu 37 Duggatten geholfen, ist er von München vor ostern schon weg – und nun kein Wort mehr. – Daß Du nun etwas zum graviern um 15 Louisd'or verkauft hast5 – wünsche daß es geschehen ist. wenn Du nun itzt Deine Scolaren nicht hast, so schreibe abermahl etwas, wenn Du auch es itzt um weniger weg giebst, um gottes willen, das muß Dich ja bekannt machen. Nur Kurz – leicht – popular. Rede mit einem graveur, was er am liebsten haben möchte, – vielleicht leichte Quatro à 2 violini viola e Basso. glaubst Du Dich vielleicht durch solche Sachen herunter zu setzen? – keinesweegs! hat dann Bach6 in London iemals etwas anders, als derley Kleinigkeiten herausgegeben? Das Kleine ist groß, wenn es natürlich – flüssend und leicht geschrieben und gründlich gesetzt ist. Es so zu machen ist schwerer als alle die den meisten unverständlichen künstlichen Harmonischen progressionen, und schwer auszuführenden [68] Melodyen. hat sich Bach dadurch heruntergesetzt? – keines wegs! Der gute Satz, und die ordnung, il filo – dieses unterscheidet den Meister vom Stümper auch in Kleinigkeiten. Wäre ich an Deiner Stelle, so würde ich itzt so etwas vorarbeiten und dann auch alles mögliche anwenden um eine opera zu bekommen. itzt must du bemühet seyn an ein oder anderngraveur etwas zu verkauffen. must Du nicht geld haben um zu leben? und wie kannst Du sonst auf andre art geld machen, wenn die Scolarn auf dem Lande sind? etwas muß man thun! ich hab Dir von den umständen der Mdme d'Epinay niemals etwas geschrieben; – allein nun da Du bey ihr im Hause bist und vermuthlich bey ihr zu Tische gehest, so ist es zeit, daß ich sie Dir näher bekannt mache. Ihre Umstände sind nicht so gut, als sie Dir vielleicht vorkommen, schon damals als wir alle in Paris waren musste sie von dem wenigen nur leben, was ihr ihr Mann (der ein Pariser schwermer ist) nothwendig geben muß. folglich kann ich nicht verlangen, daß Du ihr wegen der Kost und Drunck beschwerlich fallen solltest; und ich bin versichert, daß ihr hl: von Grimm solches etwa bezahlet. Daß aber auch dieser in keinen so glänzenden umständen seyn mag kann ich mir leicht vorstellen, weil ein so kleiner Hof, wie Sachsengotha, keine grosse Bezahlung geben kann: und ich nehme vieles aus folgenden Worten, die er mir schrieb, ab: – – je voudrais que ma position me permit de le secourir efficacement; si j'avais deux ou trois mille livres à lui donner tous les ans, le ne vous en parlerais seulement pas, et je vous épargnerais tous les soins: mais vous m'avez vu pendant votre séjour à Paris dans un état beaucoup plus obscur, et cependant j'étais plus riche alors que je ne le suis aujourdhui que ma place m'oblige à une infinité de depenses que le n'avais pas alors. Depuis trente ans, que je suis en France, je n'ai jamais été dans un état aussi gêné que cette année qu'il a fallu faire avec un revenu très modique mon établißement de ministre, après avoir voyagé de Paris par Naples à Petersbourg et de Petersbourg par Stockholm à Paris, ce qui m'a mangé un argent incroyable. Er wird natürlicher Weise seine umstände mit [69] einem äusserlichen guten schein bedecken. Du must ihn aber in Deinem eigenen und meinem Nahmen ersuchen, daß Du, wenn Du da zu speisen die Erlaubniß hättest, es Dir eine gnade wäre, wenn Du für die Bezahlung da zu verbleiben hättest, indem es etwas ganz anders ist einige mahl eingeladen zu seyn, und wieder ganz etwas anders beständig an einem orte zu Tische zu gehen. welches letztere eine indiscretion wäre. – Du wirst aller Orten bezahlen müssen, es ist doch ja immer vernünftiger, vorträglicher und mehr Ehre zu trachten daß Du bey hl: B: v grimm bleiben darfst. umsonst ist dieses nicht zu verlangen, es wäre die güte eines freundes missbraucht, der anstatt gutem vermögen nun schulden zu bezahlen hat. überdas möchte – und muß wissen, ob Du ihm etwas schuldig bist? – ob er Dir einiges paares geld geliehen? und genauest will ich wissen wie viel es ist. mir scheint aus seinem schreiben so etwas entdecket zu haben. – Ich habe mich bereits gegen ihn erkleret, daß ich für alles stehe. ich habe ihn gebetten, Dich in seiner Obsorge, wenns immer möglich zu behalten. bist Du etwas schuldig so sehe, daß Du nur etwas wenigst davon bezahlen kannst, lasse es nicht bey den leeren worten, daß Du DeineSonaten für 15 Louisd'or hingeben willst, gebe sie hin, und mache daß sie bald graviert werden. Du wirst ja hoffentl: itzt, ein Mensch alleine, leben können und keine schulden machen. ob – und was Du dem hl: B: v grim etwa schuldig bist, schreibe mir ohne zeitverlurst, er hat uns so viel gutes gethann, wir müssen nicht undankbar seyn. hat er Dir etwas gegeben, so wird ers auch wieder zu seinen Ausgaaben brauchen. überdas weis ich, daß die Mdme d'Epinay eine schwache Frau schon damals war, und auch immer kränklich seyn wird, ich habe mitleiden mit ihr. alles das übrige was hl: v grimm an mich schreibt ist Sorgfalt und Wunsch Dich glückl: zu wissen. Er sieht ein daß Du bereits 4 Monat in Paris bist und darüber. et il est (sagt er) presqu' außi peu avancé que le premier jour ayant pourtant mangé près de mille livres. Nun so must Du doch dieses geld eingenommen haben – oder bist Du es schuldig? – Er wünscht daß ich bey Dir wäre, ja, da würde freylich die Sache ganz eine andere Wendung bekommen. Er sagt: un [70] malheur à ajouter à tous les autres, c'est, que je suis si accable d'affaires, que je n'en puis faire que la moitié, par conséquent il ne me reste aucun moyen de m'occuper de Mr. Votre Fils ou de lui chercher des reßources – ja, und Du bist dazu wenig oder gar nicht aufgelegt. über alles dieses hast Du immer die allerweitesten im tiefesten perspectivpunkt liegenden Sachen vor augen, und vernachlässigst dadurch das gegenwärtige und folglich auch die nothwendigen Mittl dorthin zu gelangen, was Dir in Kopf stecket. Du bist itzt in Paris, Du must also alle Mittl ergreiffen Dir alda den Unterhalt auf das allerwenigste, und wo möglich einigen vorrath an geld zu machen, und unterdessen das übrige erwarten, über welches man nur Speculiert, wenn man darüber etwas zu schreiben oder zu beantworten hat. Deine Beyde Brief werde nächstens in vielen Stücken ordentlich beantworten: und dasjenige Dir sagen, was Du mir noch nicht sagen willst, und ich Dir längst hätte sagen können. Du wirst sehen, daß ich Dich zwar bedauern, aber bey allem dem, so weit es mit der gesunden vernunft übereins kommt, Dir nicht entgegen seyn, sondern selbst, wenns möglich, helfen werde. Deine schwester danket Dir fürs praeambulum, welches vortrefflich ist. Sie will Dir selbst schreiben. um 4 uhr hat sie es bekommen. nach 5 uhr kam ich nach Hause, und sie sagte, sie hätte sich etwas ausgedacht, wenn es mir gefiehl, so wollte sie es aufschreiben. sie fieng das preludium auswendig, die erste Seite, zu spielen an. ich riss die augen auf und sagte, wo teufl hast Du diese gedanken her? sie lachte, und zog die Briefe aus dem Sack. Hl: Bullinger und alle gute Freunde, sonderht: die schützen Compagnie empfehlt sich. Die Mitzerl dankt für die Errinnerung, schwert ihre alte treu, hat aber abscheuliche ahndung Deinerseits. Den Krieg betreffend hast Du Dich um den Kayser dermahl lange nichts zu sorgen. Der König in Preussen steht noch am alten Platz in Böhmen, wo sie ihn hereingelassen ohne einen schusß zu thun, damit man sagen kann, er ist eingefallen. Er hat Nachod x: im Rücken und muß alle Lebensmittl für seine truppen aus schlesien hereinführen lassen. Der Kayser stehet vor ihm und hat die vestung Königsgratz im Rüggen, verbreitet [71] sich links und rechts bis gegen die Lausnitz hinauf, wo sich dergr Laudon mit einer arme nach Zittau gezogen. unterdessen bemühet sich Prinz Heinrich mit Preussen und Sachsen auf der andern Seite bey Komotau in Böhmen einzudringen: allein einmahl hat es ihm schon misslungen, ein Laudonisches Corps kam durch einen forçierten marsch schon voraus nach Comotau, und das Corps des Prinz Heinrichs zog sich wieder in Sachsen zurück: keine Haupt Bataille wird nicht vorgehen, sie werden nur itzt suchen einander den weg abzulauffen, bis einer recht abgeschnitten wird und dann recht rauffen muß, itzt giebts nur Husarn Croaten und Dragoner scharmützt; und sollten auch 2000 3000 M daraufgehen, so ists so viel als nichts. Der Prinz Heinrich muß sich mühe geben, dem König Luft zu machen, sonst kan er keinen schritt weiter gegen den Kayser vorrücken. Er wird auch immer trachten bey Marienberg und Kommotau hereinzukommen, Laudon wird sich bemühen es zu hindern. addio die Post geht. ich bin Dein redlicher vatter

Mzt

Fußnoten

1 Antwort auf Wolfgangs Briefe vom 18./20. und 31. Juli (s. hierzu den Brief vom 27. August).


2 Franziska von Wallis.


3 der Kapellmeister der Salzburger Hofmusik.


4 Vgl. den folgenden Brief vom 21. August.


5 s. Wolfgangs Brief vom 20. Juli.


6 Joh. Christian Bach.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 4. München/ Leipzig 1914, S. 72.
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