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Salzb: den 27 aug: 1778


Mein lieber Sohn!


Mein schreiben vom 13ten diess wirst Du erhalten haben. Ich versprach in demselben Deine zween Briefe, die zugleich angelangt sind, nächstens zu beantworten. Der erste schon den 18ten und 20ten geschriebene erzehlt mir eine Menge vom anfange und zuwachs der schäzbaren freundschaft des h: Raffs. Ich wunsche, daß seine Bemühungen für Dich, auf die Du vieles hoffest, seine gute Wirkung haben mögen; ich erinnere mich aber, daß ihr mir einmahl von Manheim geschrieben, daß Mr: Raff ein sehr ehrlicher guter alter redlicher Mann seye, daß er aber weder etwas brechen noch etwa smachen könnte: und, die wahrheit zu sagen, das schien mir doch auch unglaublich, denn so ein Mann hat sich doch Credit gemacht, wenn er gleich itzt nicht mehr so singen kann, weil er alt ist. an Padre Martini habe schon geschrieben2. Wir wollen nun alles erwarten. Was Du mir dort von zeitungen3 schriebst, waren aufgelegte Lügen und zwar gar alles. Der Mr Hopfgarten, den wir kennen, war nicht Soldat, sondern inCivil Diensten als Rath. was Du am Ende vom Cammerdiener wegen 25 auf den Buckel schreibst, weil er die Catherl4 nicht geheyrathet, weis ich nicht ob er nicht eine million auf dem Buckl bekommt wenn er sie zur Ehe nimmt. Nach und nach, mein Sohn, muß man die Leute kennen lernen. Du kannst Dir keine schlechtere Wirtschafterin, keine leichtsinnigere Person vorstellen, als diese Catherl, sie geht den ganzen tag in Visiten und schmarotzt herum, die arbeit fliehet sie wie eine ansteckende Krankheit. Ein neues kleid, eine Haube, ein paar schue x: zieht sie an und trägt es so lang bis es zerrissen oder schmutzig ist. so gehet sie auch bey schönem oder schandlichem Wetter immer in einer Haut, und sie war am Maria Himmelfarts tage mit der nämlichen schmutzigen Haube. und dem ganz gewöhnlichen Anzug im Domb, [75] wie sie tags vorher herumlief. Sie ist ein ehrliches Mädl, aber der Narr in allen gassen und mit allen Kaufmansdienern, Studenten x: wie ein Budl, und der Mann wird ihr nicht genug geld geben können, weil sie solches nicht regieren kann x: und wie soll er sie heyrathen, der Cardinal zu Passau ist bald 80 Jahre alt, stirbt er, so stirbt sein Dienst auch mit: und wie lange kann es beym Obersthofmeister dauern? was ist er alsdann? und was kann er, um einem andern Dienste vorzustehen? – – Der Leib Cammerdiener: itzt truchsess, adam wollte bey Deiner schwester bekanntschaft suchen. Einmahl überfiel er uns, von derselben zeit an waren wir aber niemals mehr zu Hause, und endlich (da er sich über seine Liebe gegen unsere Dienstmagd Tresel öfter herausließ) befahl ich ihr zu sagen, daß es uns, wenn er einmahl verheyrathet wäre, eine Ehre seyn würde ihn und seine frau bey uns zu sehen, so lange er aber Wittwer wäre müste ich mir seine Besuche verbitten, indem meine Tochter nicht der Stoff einer Stattgeschichte seyn wollte. Nun wand er sich an die Catherl, machte ihr und dem vatter Liebserklärungen. Sie ist Stolz darauf, spasset sich, und er lauft immer hin. ist das vernünftig? Sie hat sich auch den Hafner Siegmund5 eingebildet, ich wünsche daß es ihr gelinge, dann so eine Party muß sie haben, wo geld genug ist. wenigst ist es wahr daß h: Hafner nun ernstlicher über seine Liebs Historie nachgedacht, die Sache überlegt, der vernunft Platz gegeben und von dieser Bekanntschaft sehr nachgelassen hat. Dein zweyter Brief vom 31 Julij erzehlt mir die Umstände der Krankheit Deiner besten seel. Mutter. daß Deine Mutter die erste Person war, die Du hast müssen sterben sehen, war eine besondere schickung gottes, und eine Anmerkung die ich den ersten augenblick bey erhaltener Nachricht vor aller Welt machte. Mein lieber Sohn! Das Schicksaal gab noch zu einer ganz anderen Anmerkung Anlass. Deine liebe Mutter gieng gerne, ohne widerspruch mit Dir aus Salzb: weg. Sie sollte von Manheimm nach Hause zurückkehren. Du nahmst erst nach der Bekanntschaft und Reise mit den Weberischen das ernstliche Bedenken – und den Entschluß mit Wendling nicht zu reisen. – Der [76] Brief war so späth geschrieben, daß, bis meine antwort anlangen konnte, Wendling schon weg war. Daß hatte ich alles genau ausgerechnet, sonst würdest Du nicht zurückgeblieben seyn. Ich musste also schreiben, daß Du, so bald es möglich nach Paris eilen solltest, weil die beste zeit vorbey gieng. Deine liebe Mutter sahe alles ein, sie wollte mir aber allen verdruß erspahren und schrieb mir am Ende des Briefes6: Mein lieber Mann aus diesem Brief wirst Du ersehen haben, daß wenn der Wolfgang eine neue Bekanntschaft macht, er gleich guth und Bluth für solche Leute geben wollte: es ist wahr, sie singt unvergleichlich, allein man mußja seinen aigenen Nutzen niemals auf die Seite setzen, es ist mir die gesellschaft mit dem Wendling und Rahm niemals recht gewesen, allein ich hätte keine Einwendungen machen därffen, und mir ist niemals geglaubt worden, sobald er aber mit den Weberischen ist bekannt worden, so hat er gleich seinen Sinn geändert: mit einem Wort bey andern Leuten ist er lieber als bey mir, ich mache ihm in ein und anderm, was mir nicht gefahlen will, Einwendungen, und das ist ihm nicht recht. Die Reise mit Wendling finde freilich nicht für rathsamm, ich will ihn lieber selbst nach Paris begleiten, vielleicht bekommst Du von h: v grimm noch eine Antwort. Dieses, mein lieber Sohn, ist das einzige was mir Deine seel. liebe Mutter, seit der ganzen zeit euerer abwesenheit im vertrauen von Dir als einen Anhang hingeschrieben. und obwohl sie es weit klärer hätte schreiben und der Sache ihren rechten Nahmen hätte geben können, so hatte sie mich und Dich zu lieb, um sich deutlicher zu erklären. Wäre Deine Mutter von Manheim nach Salzb: zurückgekommen, so würde sie nicht gestorben seyn, da nun aber die göttliche vorsehung die Stund des Todes Deiner Mutter auf den 3ten July bestimmt hatte, so muste sie aus Salzb: mit Dir fortreisen, und durch Deine neue Bekanntschaft ihre zurückreise nach Salzb: verhindert werden. Dieser [77] Todfall, der ganze Hergang der Sache und der ganze zusammenhang zeiget Dir, daß die zusammenhängende Kette des schicksaales und der göttl: vorsehung sich nicht zerreissen läst, sonst würdest Du den Entschluß mit Wendling nicht reisen zu wollen und Deine Bedenklichkeit eher berichtet, ich Dir aber, auf Deine vernunft und Tugend vertrauend, solche benommen haben, Du würdest abgereiset, zu rechten zeit in Paris eingetroffen seyn, Du würdest dein Intereße und mehr Bekanntschaft gemacht haben und mein armes Weib würde in Salzb: seyn. Die Sünnen des Menschen müssen in einen Daummel gerathen, so, wie der geschickteste Medicus blind wird, und seine Cur verfehlt, die krankheit nicht mehr erkennet, wenn die vorsehung es so haben will. gott gebe nun aber, daß dieses, was bis itzt geschehen nicht noch weit schlimmere Folgen für uns alle nach sich ziehet. Es ist noch zeit vorzubeugen. Wenn Du aber fortfährst schlösser in die Luft zu bauen, und mit lauter Speculation für künftige noch weit entfernte aussichten Dir den Kopf anzufüllen, so wird das gegenwärtige, höchst nothwendige um Dich zu Deinen Aussichten zu führen vernachlässiget, der Kopf ist Dir von Sachen voll, die Dich zu allem dem gegenwärtigen untauglich machen; Du wirst keinen schritt weiter kommen, denn itzt must Du zu leben haben, und nach Deinen gedanken die Du mir erst, wenn es zeit seyn wird, entdecken willst7, must Du einen guten wohleinträglichen Dienst haben, – da solcher aber nicht so leicht, als Du glaubst, mit allen den Umständen, die Du verlangst zu haben ist, Dir aber meine Umstände und die zu bezahlende schulden bekannt sind, so siehest Du doch hoffentlich endlich mit gesunder vernunft ein, daß du itzt, da Du in Paris einmahl bist, und alda die gute zeit etwas zu verdienen heran nahet, auf gar nichts anders zu gedenken und zu studieren hast, als durchzudringen, Dich bekannt zu machen und Dir Credit und dadurch geld zu machen. Wegen Manheim hast du bereits alles gethañ, was zu thun ist, Du must also den Ausgang abwarten, und dazu hilft nun alle Speculation nichts. Es mag nun etwas geschehen oder nicht, so [78] kannst Du itzt Paris nicht verlassen, geschieht aber nichts – so must Du in Paris bleiben um zu leben – wo sonst hin? – Daß sich in allem falle graf Sückingen angetragen Dir einen Platz in Maynz zu verschaffen ist gut – allein man muß sich nichts für gewiß einbilden, dann das heist nur und muß verstanden werden, er wird sich Mühe geben Dir einen Platz zu verschaffen. ob ers zu wegen bringt, das ist eine andre frage? In Maynz ist ein alter Capellmeister h: schmid der nichts mehr thut. Kreyser ist eben zu rechten zeit nach Maynz kommen als der Concertmeister Jacobi gestorben. seine leichte ins ohr gehende Synfonien haben gefallen, er wurde also gleich Concertmeister. Nun studiert er sich zum Capellmeister geschickt zu machen; er ist bey allen beliebt, und wird diese Stelle mit der zeit suchen. Ich kann es euch nicht verzeihen, daß ihr nicht, bey dem so langen Aufenthalt in Manheim, ein Reise nach Maynz gemacht8. untersuche es unpartheiisch, Du wirst bekennen müssen, daß ihr wenig nach meinem Rath und vorschrift gethañ. Eine Reise nach Maynz würde Dir mehr genützt haben als Deine fatale Reise nach Kirchheim Polland, Maynz ist doch ein Hof wo einige Aufsicht wäre, und wo vielle bekannte unter der Nobleße und andere freunde haben. Du siehst also, daß gegenwärtig alle Deine Speculation einzig dahin gehen muß Dich gut in Paris zu Souteniern. Das übrige wegen Manheim, Maynz oder Salzburg muß man abwarten, ohne mit seinen gedanken an blossen leeren träumen zu hängen, die zu nichts helfen als sich zu gegenwärtigen nothwendigsten verrichtungen ungeschickt zu machen, es geschieht ohnehin nur dasjenige was uns die ewige vorsehung bestimmt hat, wenn wir nur die nötigen Mittel ergriffen und uns, durch beständiges Nachdenken auf die von uns dermal noch nothwendig entfernte Dinge, nicht selbst für das gegenwärtige schaden. In Manheim oder besser dermal in München (wo der Hof Ende dieses Monats eintreffen soll) wird schwerlich etwas zu thun seyn, ausgenommen es wäre, daß ein Bedacht genommen würde für einen Componisten für die deutsche opera zu sorgen, und daß Raff und Cannabich [79] Dich in vorschlag brächten. Wendling ist Dein freund, allein ich weis nicht, ob die Weberische Bekanntschaft Dich nicht um die gunst des Wendlingischen Hauß gebracht hat. Eine Sängerin hasst die andre9. Maynz ist in der Bezahlung nicht stark. und Maynz hat mit Salzburg den gleichen vortheil, daß es mit dem todt des Fürsten nicht abstirbt. – Manheim stehet auf 2 augen. Salzburg hat (wenn man recht bezahlt ist) den vortheil vor Maynz, daß, sonderheitl: die Kirchenmusik prächtiger – und daß der Ort näher bey Italien ist. Ich habe Dir schon geschrieben. daß man Dich wieder hier zu sehen wünschet, und man gieng so lange um mich herum, ohne daß ich mich heraus ließ, bis endlich nach dem Todt des Lolli10 ich der gräfin11 sagen musste, daß ich dem Erzb: eine Bittschrift eingereicht, in welcher ich aber nichts anders sagte, als daß ich mich nach meinen so viele Jahre unklagbar geleisteten zu gnaden empfehle x: Nun fiel endlich die Rede auf Dich – und ich sagte alles von der Brust heraus, was nothwendig war, und so, wie ich es dem gr: Starmberg gesagt hatte. Endlich fragte sie mich, ob Du denn nicht kommen würdest, wenn mir der Erzb: den Lollischen gehalt und Dir den Adlgasser: geben würde, welches, da ich es schon vorhero berechnet hatte, zusamm jährlich 1000 f beträgt, also konnte ich nichts anders thun als antworten, daß ich keinen zweifel hätte, daß Du dieses, wenn es geschehen würde, mir zu Liebe annehmen würdest, indem sie noch beysetzte, daß nicht der geringste zweifel wäre, daß Dich der Erzb: alle zwey jahre nach Italien reisen ließe, indem er selbst immer behauptet, daß man von Zeit zu Zeit wieder etwas hören muß, und daß er Dich mit guten reccommandations Briefen versehen würde. Würde dieses geschehen, so könnte ich sichere Rechnung machen, daß wir alle Monate 115 f wenigst, und wie es itzt ist mehr als 120 f monat: gewisse Einkünfte hätten. ohne was ich durch den verkauf meiner Violinschule einnehme, welches Jährlich, gering gerechnet, 50 f beträgt, und ohne was Deine schwester für sich verdient, die [80] itzt monatlich 10 f gewis einnimmt, und sich damit kleidet, indem sie die 2 kleinen freul: von der gräfin unterweiset, und zwar täglich, ich aber die grössern 2. hierzu ist nun nicht gerechnet, was Du etwa für Dich besonders verdienen könntest, denn obwohl hier auf nichts Rechnung zu machen, so weist Du doch daß Du von zeit zu zeit etwas eingenommen, und auf diese art stünden wir besser, als an iedem andern Ort, wo es ums doppelte theurer ist, und wenn man aufs geld nicht so genau schauen darf, so kann man sich schon unterhaltungen verschaffen. allein der Hauptpunkt ist, daß ich mir auf die ganze Sache keine Rechnung mache, weil ich weis wie schwer dem Fürsten ein solcher Entschluß ankommen würde. Daß es der gräfin ihr ganzer Ernst und Wunsch ist, darfst Du gar nicht zweifeln, und daß der alte Arco, der gr: Starmberg und der Bischof von Königsgratz dieses mit guter art durchzubringen wünschen, hat seine Richtigkeit – Es hat aber seine ursachen, wie es bey allen Sachen geht, und wie ich Dirs tausendmal sage, die gräfin förchtet, und auch der alte Arco, daß auch ich fortgehe. Sie haben niemand zur Unterweisung auf dem Clavier; ich habe den Ruhm, daß ich gut unterweise, und die Proben sind da. Sie wissen nicht, wen, und wann sie so dann iemand bekomm: und sollte einer von Wieñ kommen, wird er wohl um 4 f oder einen Duggatten 12 lectionen geben, da man andern Orts 2 und 3 Duggatten bezahlt? – Das setzet sie alle in verlegenheit. allein wie schon gesagt habe, ich mache keine Rechnung darauf, weil ich den Erzb: kenne: obwohl es gewiß ist, daß er Dich im Herzen zu haben wünschte; so kann er doch zu keinem Entschluß kommen, absonderlich wenn er geben soll. Dasjenige, was Du immer in Deinen gedanken hast würde ganz gewiß hiedurch befördert werden, denn eine Reise nach Italien oder hiesige günstige Umstände könnten vieles thun. Du schreibst immer und ewig von den betrübten Umständen der Weberischen Familie. aber sage Du mir, wie konnte es Dir mit gesunder vernunft in Kopf kommen, daß Du derjenige seyn könntest, welcher diesen Leuten ihr glück zu machen im Stande ist? Du weist nun nach und nach (wie ich hoffe) wie viel geld ein einziger Mensch braucht. [81] um sich mit Reputation zu unterhalten. Du bist nun in dem Falle, – und Du warst es seit dem 23 Sept: des vorigen Jahres mit Deiner seel. Mutter in 2 Personen, wo ich, um euch zur Reise zu equipieren und mit Reisegeld zu versehen, mit 300 f und dann in Manheim abermahl mit 200 f euch unterstützen musste. Das sind nun 500 f, die ich nur aus diesem grund schuldig bin. Nun bist Du allein – must Du Dich nicht mühesam für Dein tägliches auskommen sorgen? und ist das schon genug? – – must Du nicht trachten ein vorgehendes geld in Erspahrung zu bringen? Ich setze den Fall, gott verhütte es, Du würdest Krank, und hast kein erspartes geld – was würdest du thun? – – würdest du nicht elend verlassen da liegen? würdest du nicht von der gnad und Barmherzigkeit gutherziger Menschen leben müssen? – – und wo sind diese gutherzigen Menschen? – – wenn man mit gesundem Leibe genug zu thun hat um für sich selbst, eine einzige Person, zu sorgen und sich freunde zu machen, und sein vorhaben durchzusetzen, was für ein Elend stehet einem Menschen bevor, der durch Krankheit oder einen anderen auch nur kleinen Unbässlichkeitszustand gehindert wird geld zu verdienen und seinen verrichtungen nachzugehen? wenn er dann kein vorräthiges geld im Sack hat, so ist er denselben augenblick von aller Welt verlassen – die wenigen freunde ziehen sich nach und nach weg – und der freund, der noch etwa bleibt, ist in Umständen, daß er nur mit worten seine freundschaft an Tag legen, in der That aber nichts thun kann, weil er selbst arm ist. – und sind wir armseelige Menschen sicher von einer Unbässlichkeit überfallen zu werden? – – hast Du nicht das traurige Beyspiel an Deiner seel. Mutter und an Hundert Menschen, die um Dich leben, heute gesund, morgen Krank sind. Denke nach ob Du, seit dem Du von mir weg bist, einen einzigen freund hattest, welcher die Kraft hatte, etwas für Dich auszuwirken? – – du schriebst es mir gar einmahl selbst, daß du sehr viele gute freunde hättest, die aber nicht im Stande sind etwas in Stand zu setzen. Solche freunde, die nichts als wünschen, und vorschläge machen, giebt es genug. Wenn man ieden solchen wunsch und vorschlag für richtig annimmt, so ist man betrogen. [82] Ich bitte Dich hab Mitleiden mit Dir selbst und Deinem armen vatter, besorge Deine dermahl nothwendige Umstände, setze mich nicht in gefahr hier zum spoth und gelächter zu werden. Man kann sich Mühe geben, derMdßle Weber, so viel es möglich ist, zu helfen, und alles was Du seiner zeit willst, allein gehen denn unsre Kräfte so weit einer aus 6 Kindern bestehenden Familie aufzuhelfen? wer kann dieses? – ich? – Du? – der wir uns selbst noch nicht haben helfen können. wie kannst Du andern helfen, bevor Du Dir nicht selbst geholfen hast? Du schreibst – liebster vatter! ich recomandiere sie ihnen von ganzem Herzen. wenn sie uterdessen auf etliche Jahre nur 1000 f zu genüssen hätten. allerliebster Sohn! muß mir nicht, da ich dieses lese, für Deine gesunde vernunft bange seyn? – – um gottes willen ich soll ihnen auf einige jahre zu 1000 f helfen! – könnte ich das, ich würde zu erst Dir und mir und Deiner lieben schwester helfen, die schon 27 Jahre alt ist, und keine versorgung weis, und ich schon alt bin. wo sind denn die Höfe, oder wo ist itzt ein Hof der einer Sängerin 1000 f giebt? – in München haben sie 5–5 höchstens 700 f und dann bildest Du Dir ein man wird einer jungen Person, die man als eine Anfangerin betrachtet schnurgerade 1000 f geben? – – das wirst Du, wenn Du tag und Nacht nachdenkest, und für halb geschehen oder für ganz leicht Dir vorstellest, nicht erleben; sonderheitlich da man, wie Du immer hörest und erfahrest, sich vorher einen Nahmen, oder so zu sagen, sich berühmt machen muß, bevor man grössere schritte zu seinem glück in der Welt machen kann. Wenn Du den ganzen Tag denkest, und hunderttausend Dinge Dir für möglich vorstellest, so wird die Sache doch nicht nur allein nicht geschehen, wenn Du nicht vielmehr Deine itzige Umstände Dir einträglich und nützlich machest, sondern Du wirst die zeit in Unwirksamkeit hinleben, unbekannt, und arm bleiben mich und Dich zu grunde richten, und keinem Menschen helfen. alles, was Du thun must, ist, an Canabich und Raff zu schreiben, daß sie Dich beym Churfürsten und Seau als einen Componisten zu den deutschen opern vorschlagen. Das nämliche sollte gr: Sickingen an [83] B: Gemmingen oder andre Correspondenten thun, Du solltest desswegen auch an den Kays: gesandten B: Lerbach einen franz: Brief schreiben. B: grimm könnte Dir ihn aussetzen. Kurz! an alle Leute muß man schreiben, die immer bey dem Churf: etwas anbringen können. Dann es werden immer ins Künftig in München deutsche opern gespielt werden. an Caroli tage den 4ten Novemb: wird die opera12 vom Wieland und schweitzer aufgeführt, und vermuthlich den fasching durch fortgesetzt werden. ich werde von hier aus auch meine Bewegung beym gr. Seau machen. wenn Du auch itzt nur 600 f bekommen würdest. Man muß sich in Ruf bringen. wenn ist gluck – wenn istPiccini – wenn sind alle die Leute hervor gekommen? – gluck wird 60 Jahre auf dem Hals haben und es sind erst 26 oder 27 Jahre, daß man angefangen hat von ihm zu reden, und Du willst daß itzt das französische Publikum, oder auch nur die Directores der Specktacel von Deiner Compositionswissenschaft schon sollen überzeugt seyn, da sie in ihrem Leben noch nichts gehört hatten, und Dich nur von Deiner Kindheit an als einen vortrefflichen Clavierspieler und besonderes genie kennen. Du must also unterdessen Dir Mühe geben durchzudringen, und Dich als Componist in allen gattungen zeigen zu können, – und da muß man die gelegenheiten dazu aufsuchen und ohnermüdet freunde suchen, solche anspornen, und ihnen keine Ruhe lassen, solche, wenn sie einschlaffen, wieder aufmuntern, und nicht das, was sie sagen, schon für gethañ, glauben; ich würde längst an M: de Novere selbst geschrieben haben, wenn ich seinen Titul und adresse wüsste. unterdessen werde ich und Deine freunde wegen München sorgen. all Dein und mein Denken und sorgen für den h: Weber ist dermal vergebens, bis nicht Du in bessern Umständen bist, die must Du itzt besorg:

alsdann, wann Du in Credit oder an einem guten Platz bist, dann hat Deine Sorge und Hilfe mehr kraft und Wirkung, itzt wirst Du nur zerstreuet, schadest Dir selbst, und kannst ihnen nicht helfen. Deine schwester und ich küssen Dich millionmahl von ganzem Herzen, [84] sie konnte Dir nicht schreiben, weil ich zu viel geschrieben. also auf das nächste. um gottes willen! trage Sorge für Deine gesundheit, sonst sterben wir beyde. ich bin Dein wahrer freund und redlicher vatter Mzt. Vom Krieg! Da es dem Prinz Heinrich nicht gelungen bey Komotau in Böhmen einzudringen, so zog er sich nach Pirna bey Dressden zurück, und viel ganz oben bey Rumberg, Tollenstein, Zwickau, Laipa herein. Laudon hatte die ganze Sächsische gränze von Eger bis in die Lausnitz zu bedecken. er stand in der Mitte bey Leitmeriz, zog sich in Eyle gegen Tornau, so daß Prinz Heinrich sich auf Niemes zurückziehen muste und nicht bey Tornau über arnau eindringen und sich mit dem könig conjungieren konnte, dann der Kayser stand gegen Nahod gegen den König, und Laudon mit der front gegen Nimes, gegen den Heinrich, so daß Kayser und Laudon eine Linie machten und einander secondieren konnten. Heinrich hielt nicht stand, zog sich gegen Leutmeritz herunter, der König verließ Nahod, wo er seit dem 5 Julij stand, und zog sich hinter Trautenau ins gebürg, um zu machen, daß die armeen des Kaysers und Laudons sich auch ausseinandertheilen müssen. Nun ist zu erwarten, wie sie einander weiter den Weeg ablauffen werden. addio.

Fußnoten

1 Antwort auf Wolfgangs Briefe vom 18./20. und 31. Juli (s. hierzu auch den Brief vom 13. August).


2 s. den vorhergehenden Brief.


3 s. Wolfgangs Brief vom 20. Juli.


4 sc. Gilowsky.


5 S. den Brief vom (29. April) 3. Mai.


6 4. Februar 1777.


7 S. Wolfgangs Brief vom 31. Juli.


8 Vgl. den Brief vom 20. November 1777.


9 Dorothea Wendling – Aloysia Weber.


10 s. den Brief vom 13. August.


11 Franziska von Wallis.


12 »Rosamunde«.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 4. München/ Leipzig 1914, S. 85.
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