Achter Abschnitt.
Fortsetzung der dritten Kunstperiode Gluck's. (1766–1767.) Die Oper: »Alceste.«

Nach dieser Operette verband Gluck sich neuerdings mit seinem Dichterfreunde Calzabigi, um mit dessen Hilfe ein zweites Meisterwerk, das in einem noch höheren tragischen Style, als »Orfeo,« gehalten und noch grössere theatralische Wirkungen hervorzubringen bestimmt seyn sollte, aus den Schachten seines Geistes zu Tage zu fördern.

Es war »Alceste,« Oper in drei Abtheilungen. In dem Wiener Diarium1 lesen wir darüber folgende Anzeige:

»Samstag (den 16. Dezember) und die folgenden Tage wurde auf dem Theater nächst der Burg das neue Singspiel ›Alceste‹ genannt aufgeführt und mit der Gegenwart sowohl Sr. Majestät des Kaisers, als Einiger der königlichen Hoheiten beehrt.«

»Wir können diesen Artikel unmöglich schliessen, ohne von dem erwähnten italischen Trauerspiele unseren Lesern soviel wie möglich eine nähere Kenntniss zu geben und zugleich der jetzigen Theaterdirektion das wohlverdiente Lob beizulegen: dass man es von Seiten derselben an nichts fehlen liess, das hiesige Publikum mit Schauspielen zu unterhalten, welche die allgemeine Bewunderung und den Beifall aller Kenner billigermassen erwarben.«

»Den Stoff zu diesem Trauerspiele, das wir auf unserer Schaubühne mit Entzücken sahen, hat der geistreiche Verfasser Hr. Ranieri von Calzabigi aus des Euripides berühmtem Trauerspiele gleichen Namens entlehnt. Nun ist bekannt, dass dieser alte Musensohn zur Anlage seines Trauerspieles gedichtet hat, dass Admetus, König zu Phera in Thessalien, und Alcestens[123] Gemahl auf dem Punkte war, sein Leben in einer schweren Krankheit zu verlieren.Apollo aber, welcher vormals, als er aus dem Olymp verwiesen war, von Admeten gütig aufgenommen worden, habe ihm bei den Parzen das Leben mit der Bedingung erbeten, dass ein Anderer für ihn sterben sollte. Alceste, von einem seltenen Triebe der Liebe und Treue zu ihrem Gemahle angefeuert, nimmt den Tausch grossmüthig an, und stirbt für ihn. Hercules, Admetens Freund kommt bei diesen obwaltenden Umständen nach Phera, entreisst Alceste dem Tode, und liefert sie dem Gemahle wieder in die Arme.«

»Dieses ist der eigentliche Entwurf, welchen Euripides so meisterhaft bearbeitet, Herr von Calzabigi jedoch für gut befunden hat, dem Hercules den, von Admet einst mit Wohlthaten überhäuften Apollo unterzuschieben und von dem letzteren dieses Wunder aus Dankbarkeit verrichten zu lassen.«

»Wir würden zu weitläufig werden, wenn wir hier das gerechte Lob in seinem wahren Lichte zeigen wollten, welches Herr von Calzabigi in der glücklichen Bearbeitung dieses Stoffes sowohl, als Herr Chevalier Gluck in dem Satze der Musik billig verdient; wir wollen, um alles in Kürze zu sagen, bloss melden, dass Beide, Jener in der Poesie, dieser in der Musik, alle darin vorkommenden Leidenschaften so glücklich und künstlich ausgedrückt haben, dass man nicht zweifelt, dieses Singspiel werde von allen Kennern, ja, von der Nachwelt für ein Meisterwerk gehalten werden.« –

Soweit das Wiener Diarium.

Calzabigi hielt bei seiner Bearbeitung den rührenden und zärtlichen Ton des griechischen Tragikers zwar fest, vermied jedoch sorgfältig das Spruchreiche und Prunkhafte desselben, sowie die von tändelnden Spitzfindigkeiten überfliessende Schreibart der Dichter der Griechen, und suchte das Erhabene nicht in den Stelzen des Ausdruckes, das Rührende nicht in dem Pathos der Empfindungen oder in den Schnörkeln verstandesloser Einfälle: denn die Sprache des Dichters soll die ungekünstelte Sprache der Empfindungen seyn und einer Quelle gleichen, die überall das Gleichgewicht beobachtet und nur dort[124] mehr oder weniger überströmt, wo sie sich an einem im Wege liegenden Felsstücke schäumend bricht.

»Dieser Stoff2 nun gelangte in Gluck's Schöpferhand, in die Hände eines Mannes, der die Tonkunst nicht bloss in einer Reihe von Akkorden und Auflösungen bestehen lässt, sondern die Anklänge der Leidenschaften, und – wenn man mit Genehmigung der musikalischen Likurge das Wort wagen darf – die Anklänge der Seele aufzufinden, und dadurch den Gesang ausdrucksvoll und redend zu gestalten weiss; in die Hände eines Mannes, der mit dem Geiste des Dichters setzt, und da, wo dem musikalischen Handwerker von den gemeinen Regeln Fesseln angelegt werden, sich über die Regeln kühn hinwegschwingt, und durch die Freiheit seines Genius selbst Regel und Muster wird.« –

Schon in dem ersten Briefe spricht Sonnenfels sich nach der ersten Vorstellung der »Alceste« in folgenden denkwürdigen Worten aus:

»Ich befinde mich in dem Lande der Wunderwerke. Ein ernsthaftes Singspiel ohne Kastraten, eine Musik ohne Solfeggien, oder, wie ich es lieber nennen möchte, ohne Gurgelei, ein welsches Gedicht ohne Schwulst und Flatterwitz! – Mit diesem dreifachen Wunderwerke ist die Schaubühne nächst der Burg wieder eröffnet worden!« –

So wie bei der ersten Aufführung des »Orfeo,« so waren auch hier die Stimmen über den Werth dieser Kunstschöpfung anfangs sehr getheilt.

»Unausstehlich ist Alceste in der Aufführung!« riefen die Einen – »Nein, nur der Haufe der Zuschauer ist es! – Die Theaterunternehmung in Wien ist das undankbarste Geschäft von der Welt! Was für eine Ermunterung kann das für den Dichter, für den Tonkünstler, den Schauspieler seyn, Leuten ohne Ohren, ohne Geschmack, ohne Seele, ohne das geringste[125] Gefühl für das Schöne, zu schreiben, zu setzen, zu spielen! Leuten, die nur das grobe Vergnügen zu lachen, nicht die feinere Wollust einer stillen Schwermuth, einer sanften Thräne zu empfinden fähig sind!« – sagten die Andern. »Gewiss ist es erbaulich, sich neun Tage lang ohne Schauspiel zu langweilen, und am zehnten eine Seelenmesse hören zu müssen!« – klagten die Dritten. »Ich denke gar, hier ist es auf Thränen abgesehen? – Doch kann es seyn, dass ich welche vergiesse – aus langer Weile – Nein! das heisst seine zwei Gulden wegwerfen – eine vortreffliche Ergötzung – eine Närrin, die für ihren Mann stirbt!« u.s.w. – So lauteten die Aeusserungen des Publikums – nicht auf der Gallerie – sondern im Parterre! –

Aber auch mit diesem neuen Wurfe, den Gluck im Gebiete der Tonkunst gewagt hatte, söhnte sich der besser fühlende und vernünftiger denkende Theil der Zuhörer bald aus; das Werk ward in Kurzem angestaunt, gepriesen, von den Kennern zu den Sternen erhoben, und von den Kunstliebhabern dankbar nachempfunden. »Alceste« erhielt nun einen so allgemeinen Beifall, dass man zwei Jahre hindurch keine andere Oper hören und sehen wollte.

Schon die Ouverture gehört zu seinen vorzüglichsten Schöpfungen; sie gleicht einem Lavastrome, der zwar langsam, aber furchtbar seinem Vulkan entströmt. Sie ist, was sie seyn soll, die Ankündigung der Hauptmomente, die das folgende Drama dem Zuschauer vor Augen stellt, nämlich der Abdruck des Charakters der ganzen Oper; sie verdient daher als diejenige, in welcher der erhabenste tragische Styl durchgeführt ist, mit Recht vor allen dieser Gattung den Vorzug. Wo findet sich wohl in dem Gesammtgebiete des italischen Melodrams ihre Nebenbuhlerin? –

Dass Gluck ein Meister in der musikalischen Deklamation ist, hat er bereits im »Orfeo,« »Telemacco,« ja selbst in mancher seiner früheren Opern glänzend dargethan. Zu diesen Musikstücken in der »Alceste,« die zugleich sein tiefes Eindringen in den Geist der Dichtung bewahrheiten, gehören ganz[126] vorzüglich: das Recitativ der Alceste im 1. Akte »Ove son che« – insbesondere die Stelle: »Ah vi son io!« – und in der 2. Scene des 2. Aktes die Stellen: »Protegetemi, o numi, ecco il momento!« – »Tu tiranno dell' ombre« – »Chiamo voi« – »A voi per il mio sposo, io mi consecro« – und im 3. Akte der Ausruf Admet's: »La mia – ah non più la mia!« auf der so wirksamen Wiederholung; ferner Admet's Arie im 2. Akte: »No crudel, non posso vivere« – und noch andere Stellen.

Eine der glänzendsten Seiten unseres grossen Künstlers ist die hohe Wahrheit und der richtige Ausdruck der Leidenschaften. Wie schön ist nicht Alceste's Schmerz bei der Trennung von ihrem Gemahle und ihren Kindern in der 2. Scene des 3. Aktes ausgesprochen! – Ebenso der Schmerz Admet's, und der, die herzzerreissende Klage bezeichnenden Arie in der 1. Scene desselben Aktes: »Misero! e che farò?«3 – So die Verzweiflung in der Arie, 5. Scene des 2. Aktes: »No crudel, non posso vivere.« – Die mannigfaltigen, bedeutenden Modulationen, die leidenschaftliche Abwechslung der Bewegung, dann auch die herzliche accentvolle Melodie, das schnelle Steigen und Fallen der Stimme, die charakteristische Anwendung von schweren, übermässigen Intervallen – Alles dieses gibt diesem Gesang einen hohen Vorzug vor den übrigen. – Wie innig ist nicht der Ausdruck der Gattenliebe, der mütterlichen Zärtlichkeit, und des Streites der Alceste zwischen der Gatten- und Mutterliebe in folgenden Tonstücken bezeichnet: In der Scene des 1. Aktes: »Figlj, diletti figlj!« – in dem Duett des Abschiedes, 2. Scene des 3. Aktes: »Cari figlj, ah non piangete!« –; in der Arie des 1. Aktes: »Ombre, larve, compagne di morte!« –; dann in der letzten Arie des 2. Aktes: »A per questo già stanco mio core sono, o cari bambini amorosi!« – Es ist Einer[127] der vorzüglichsten Tonsätze der Oper, der seinen Platz mit Würde behauptet. Der Schluss dieser Arie ist ein hoher schneidender Ton, der wahre Anklang einer auf's höchste gespannten mütterlichen Empfindung, wo die Stimme gleichsam überspringt und einen Misslaut gibt, der dem Ohre peinlich fällt, aber eben dadurch das Herz des Zuhörers verwundet, und den Stachel in der Wunde noch lange zurücklässt. Alle diese Stücke verdienen Muster und Studien für den wahren Ausdruck zu bleiben.

Als Beispiele der originellen rhythmischen Kunst betrachte man vorzüglich die Arie der Alceste am Schlusse des 2. Aktes »È il più fiero di tutti tormenti.« – Solche Beispiele findet man jedoch schon in Gluck's früheren, minder bekannten Opern.

Gluck offenbart bei aller Einfachheit der Instrumentirung die vortrefflichste Orchesterbegleitung. Er weiss die verschiedenen Instrumente nicht allein einzeln auf das zweckmässigste zu verwenden, sondern versteht sie auch wieder so reich und in so herrlicher Fülle zu benützen, wenn der Gegenstand es erfordert. So sind die, in der berühmten Arie der Alceste: »Ombre, larve, compagne di morte« – angebrachten Posaunen von so schauervoller Wirkung, dass man davon im Innersten erschüttert wird. Schon in der 3. Scene des 1. Aktes muss vor Allem das Recitativ des Gran Sacerdote: »A te, Nume del giorno« – hervorgehoben werden. Die Begleitung des Orchesters zeigt alle die verschiedenen Erscheinungen an, welche die Gegenwart des Sonnengottes hervorruft, und nun folgt in eben diesem Auftritte nach dem Orakelspruche: »Il Rè morrà, s'altri per lui non more« – der unnachahmliche Chor: »Che annunzio funesto!« –, worin Gluck als Dichter und Tonsetzer zugleich erscheint, und durch seine Instrumentalmittel dasjenige ergänzt und verschmilzt, wozu die Textesworte der Musik keinen behandelbaren Stoff darboten. Kaum erscholl unter der schweigenden Rotte der erschreckliche Götterspruch, so lassen die Bässe sich in dumpfen, gezogenen Tönen vernehmen, um das hohle und furchtsame Gemurmel einer Menge auszudrücken, welcher Schrecken und Staunen den Mund zu artikulirten Lauten[128] verschlossen hatten. Dieses Gemurmel nimmt zu, und bricht endlich in Ausrufungen aus, die jedoch noch immer unterdrückt erscheinen, und nur durch die Verbindung mehrerer Stimmen zur vernehmbaren Stärke anschwellen. Die Beschämung eines Volkes, das feig genug ist, einen würdigen und verehrten Fürsten undankbar zu verlassen, sucht gleichsam eine Frist, die schon beschlossene Flucht zu bemänteln. Endlich wird in der Ferne das verwirrte: »Fuggiamo« – von nur Wenigen angestimmt. Sobald dieser Anstoss gegeben wird, bricht die verrätherische Stimme aller Orten hervor, wird allgemein, und die Menge schützt die einzelnen Ungetreuen. Dieser Auftritt bildet Eines jener, eben nicht sehr zahlreichen schönen Gemälde, welche jemals auf den Brettern erschienen und ihres grossartigen Eindrucks gewiss sind.

Das Alleingespräch der Alceste im Haine, in der 2. Scene des 2. Aktes: »Parti, sola restai« – ist göttlich, und die Begleitung der Instrumente durchgehends ausdrucksvoll und angemessen. Die darin vorkommende allgemeine, zwei Takte lange Pause bei dem Satze: »Un cheto alto silenzio ingombra la tenebrosa selva« – übertrifft alles, was der Tonsetzer an deren Stelle hätte setzen können. Dieses Schweigen ist das redendste Stück des ganzen Selbstgespräches.

Der Chor der unbekannten Gottheiten in eben dieser Scene ist ein Beweis des tiefen und geläuterten Urtheils, das dem Verfasser innewohnt. Es wäre widersinnig, die Schatten viel moduliren zu lassen: daher sind die Singstimmen auf einen tiefen Grundton beschränkt, die Melodie jedoch den Instrumenten anvertraut. Bei den ersten Aufführungen machte dieser Chor eine fast unangenehme Wirkung, weil das Orchester zu leise begleitete und die Stimmen zu tief in die Schaubühne hinein verlegt waren. In der Folge wurde dieser Fehler verbessert, die Sänger zwischen den vorderen Schiebwänden geordnet und stärker begleitet. Nun gelangten auch jene zur besseren Einsicht, die Anfangs zwischen diesem Chore und den verstimmten Mönchschören eine Aehnlichkeit zu finden glaubten.

Wie gross des Tonsetzers Kunst sei, mit einer durchgeführten,[129] beim ersten Anblick oft unbedeutend scheinenden Instrumentalfigur grosse Wirkungen hervorzubringen, davon zeugt die Begleitung des Arioso der Alceste im 2. Akte: »Che mi parla! – che rispondo? Ah che spavenio!« – Wie einfach und schön ist der Opfermarsch im 1. Akte instrumentirt! – Die Melodie dieses, ganz im grossen Style gehaltenen, nur von Saiteninstrumenten und tiefen Flöten getragenen, die hohe religiöse Handlung ankündigenden, so ganz von der früher üblichen Art dieser Tonstücke abweichenden Marsches bringt die vortrefflichste Wirkung hervor, wenn sie nämlich mit der, vom Tonsetzer bezeichneten Ruhe und dem leisen, gezogenen Gange vorgetragen wird. Mozart hatte dieses Tonstück bei der Schöpfung des Priestermarsches zur »Zauberflöte« oder schon zum »Idomeneo« vermuthlich im Auge, so wie man bei ihm überhaupt ein aufmerksames Studium der Werke Händel's und Gluck's an gar vielen Orten wahrnimmt.

Gluck ist auch ein Meister in der Zeichnung der Charaktere seiner Personen. So ist der Charakter der Alceste Einer der vollendetsten. Schon da, wo sie sich für ihren Gemahl den Todesgöttern weiht, erkennen wir in ihr die grosse Königin, die edle, der grössten Aufopferung fähige Seele, die liebende Gattin, die zärtliche Mutter; – und diese Grundzüge bleiben ihr bis an's Ende der Oper.

Die erste Arie: »Io non chiedo eterni Dei« – ist im grössten tragischen Style geschrieben. Die Stelle: »Freddo ho il sangue in ogni vena« – ist durch die Figur des Cello trefflich gemalt; eben so das Schluss-Recitativ des 1. Aktes, wo der Entschluss, für den Gatten zu sterben, in ihrer Seele aufsteigt, und die herrliche Arie: »Ombre, larve.« – Alle sind Zeichnungen ihres Charakters; so nicht minder die herzzerreissende leidenschaftliche Stelle der Schlussscene des 2. Aktes: »Lo stuccarsi da dodici suoi figlj e lasciarli nel pianto così.« – Das Anschwellen der Töne auf dem Worte »Pianto« – ist höchst bezeichnend; dessgleichen die letzte Bitte an ihren Gemahl und der Abschied von ihren Kindern: »Venite sovente alla mia tomba, ornatela di fiori« – und: »Ombra amorosa, vigirerò d' intorno« – sind von[130] unnachahmlicher Schönheit des Ausdrucks und Adels der Empfindung. Ebenso musterhaft wird der Widerstreit entgegengesetzter Gefühle im 1. Akte: »›Ove son, che ascoltai‹ – und im 2. Akte: ›Figlj, diletti figlj‹ – ausgedrückt!«

Höchst charakteristisch und meisterhaft in Gluck's Opern sind die Furienchöre, und untereinander dennoch ganz verschiedene Gebilde der Fantasie. Furchtbar im »Orfeo,« waren sie doch besiegbar durch die Macht der Töne des thracischen Sängers. In der »Alceste« hören wir die geheimnissvollen, unerbittlichen Todesgötter; nirgends sind diese furchtbaren Wesen so schauerlich und so tief erschütternd dargestellt, als in dieser Tonschöpfung. Ihre Chöre zeichnen sich hier auch dadurch aus, dass sie meistens imUnisono mit tiefen männlichen Stimmen gesungen werden, wovon der Chor: »E voi morire, o misera« – ein kunstvolles Beispiel ist, da um den, bald als Grundton, bald als Mittelstimme behandelten Gesang die mannigfaltigsten dissonirenden Akkorde gruppirt sind. Der letzte Chor, in welchem sie endlich erscheinen, um Alceste von ihrem Gatten abzuholen und dem flehenden Admet, der sich von seiner Gattin nicht losreissen kann und mit ihr zum Orkus wandern will, das gewaltige: »Nò, non è più permesso, non v'è più pietà« – entgegensetzen, ist von höchster tragischer Wirkung. Durch diese bestimmte Haltung der Charaktere wird die Verbindung aller Theile des Dramas hergestellt und durch die Weglassung aller, die Handlung aufhaltender und störender Ritornelle, Zwischen- und Nachspiele, sowohl in den Arien als Recitativen immer nur auf den einen grossen Zweck: höchste Wahrheit des Ausdrucks und höchste charakteristische Wirkung hervorzubringen, einzig hingearbeitet; eben dadurch und durch die Verbindung der Einzelgesänge mit den, in die Handlung eingeflochtenen Chören wird erst die wahre Rundung des Ganzen bewirkt, und die vollendetste Einheit hergestellt.

Die Duetten Alcestens und Admet's, und so manches Andere in dieser vortrefflichen Oper würden stete Lieblingsstücke des Publikums seyn, wenn man fortführe, das Vergnügen fleissig zurückzurufen, das selbst die kleinste Nummer dieses Kunstwerks[131] verursacht. Die Setzart Gluck's verdient daher auch die charakteristische genannt zu werden, und es wäre zu wünschen, dass sie unter den Tonkünstlern noch heut' zu Tage so viele Nachahmer fände, als sie sich damals unter den Liebhabern der Musik, deren Gefühl durch die sybaritischen Harmonien der italischen Kunst noch nicht verwöhnt war, Bewunderer gefunden hat.

Gluck wiederholt selten die Worte des Dichters, weil er eben nur immer einen, und zwar den richtigsten Ausdruck für das findet, was der Stoff des Dichters ihm darbietet, wo er aber wiederholt, da ist es gewiss von der höchsten Bedeutung und Wirkung. So ist die Wiederholung der Stelle in dem Recitativ der Alceste in der Schlussscene des 2. Aktes: »Non avete più madre – non avete più madre, amati figlj« – wo der Accent in einer gesteigerten Tonfolge auf dem ersten »Non« liegt, – ein Beweis des seelenvollsten Ausdrucks! Letztere Schönheit leuchtet noch in folgenden Stellen hervor: in dem Rufe Admet's am Schlusse der Arie des 3. Akts: »La madre, ah che dolor« – und ganz besonders in der grossen 2. Scene der Alceste im 2. Akte: »Parti, sola restai« – wo ihr dann, als sie in der schauerlichen Einsamkeit die Todesgötter anruft, eine unsichtbare Stimme in tiefen Tönen antwortet: »Che chiedi, Alceste?« – Die schwache Natur des Weibes siegt hier einen Augenblick über den männlichen Entschluss ihrer grossen Seele; jedoch die, in ihr flammende hohe Liebe erhebt sie bald wieder über sich selbst und leiht ihr Stärke, das erhabene Opfer zu vollbringen. Sie ruft noch einmal die Unerbittlichen und spricht das furchtbare Gelübde der Weihe aus. Im Augenblick erscheinen die Höllengötter selbst, angekündigt durch ein dreimaliges Unisono der Posaunen. Sie wollen Alceste sogleich mit sich führen. Sie fleht nur noch, den letzten Abschied von ihren Kindern und ihrem Gatten nehmen zu dürfen; ihre Bitte wird gewährt. Mit der unbeschreiblich flehenden und rührenden Arie: »Non vi turbate, pietosi Numi!« – kehrt sie noch einmal zurück.

Man hat unserm Gluck zu seiner Zeit alle Schönheit der Melodie abgesprochen. Der wahre Kunstfreund durchblicke nur[132] – nebst den späteren Werken des grossen Meisters – auch die vor dessen »Orfeo« erschienenen, und er wird der melodienreichen Stellen und schönen Arien ohne Zahl darin finden. Aus der »Alceste« wollen wir nur die obige Arie: »Non vi turbate, pietosi Numi!« – hier anführen, und die Entscheidung über die andern dem unpartheiischen Partiturleser überlassen.

Auch die Chöre sind musterhaft. Es gibt keine einzige der Gluck'schen Opern aus der letzteren Periode, in denen die Chöre sich nicht durch Kraft, Ursprünglichkeit, schöne Harmonie und edlen Ausdruck auszeichnen; so auch die Chöre der »Alceste.« Ausser den genialen der unterirdischen Gottheiten beachte man nur den Chor der Fliehenden im I. Akt; dann jenen mit den Anfangsworten »Chi fra lamenti l'afflitta madre consolerà?« – Letzterer ist auch in harmonischer Beziehung merkwürdig. Vor Allem jedoch verdient der Trauerchor: »Piangi, o Patria! morta è Alceste!« hervorgehoben zu werden. Er besteht zwar aus nur wenigen Akkorden: aber er drückt mit dem wiederholten Nachhalle der tiefen Stimmen die erhabensten Klagen und die Trauer eines Volkes um die verlorene Herrscherin in ihrer ganzen Grösse aus.4

Die Tänze, gleich charakteristisch und wirksam, schliessen sich würdig an die Handlung an und helfen das dramatische Kunstwerk verschönern.


Madame Bernasconi, eine geborene, an einen Italiener verheiratete Wienerin, sang und spielte die Rolle der Alceste mit einer Wahrheit, Empfindung und Theilnahme, die an ihr allgemein bewundert wurde. Ihre Landsleute waren mit Recht auf sie stolz, und die Italiener bissen sich über die Lobsprüche, die man an sie verschwendete, stillschweigend in die Lippen. Alceste war ihre erste ernsthafte Rolle, da sie sonst nur in komischen[133] Opern sang. Sonnenfels ertheilt allen ihren vortrefflichen Kunst- und Naturgaben das ausgezeichnetste und ungeheucheltste Lob. Ihr Gebärdenspiel folgte stets den Bewegungen des Herzens, und ihr Herz führte sie beständig zu dem angemessensten und richtigsten Ausdruck.

Die Bernasconi war zugleich eine höchst angenehme und rührende Sängerin, deren reine, äusserst biegsame Stimme fast drei Oktaven umfasste. Das Tragen des Tones war ihr in dem Grade eigen, dass ihre Recitative ebenso melodisch und anziehend, als ihre Arien waren, und diese fanden den geraden Weg zum Herzen. Sie war unter allen damals bekannten Sängerinnen vielleicht die einzige, die den Geist der Gluck'schen Musik richtig auffasste und getreu wiederzugeben fähig war. Bei der dritten Wiederholung bekundete sie einen dieser glücklichen Züge in der Schluss-Arie des 2. Aktes bei den Worten: »È il più fiero di tutti tormenti« –; das erste und zweite Mal machte sie bei der Bezeichnung der Trennung die Bewegung der gewaltsamen Entfernung. Es war eine jener malenden Gebärden, die dem Auge ebenso deutlich, als die Worte dem Ohre sind. Das dritte Mal schoss sie, von ihrer Empfindung geleitet, ihren wilden gefühlvollen Blick auf Aspasia, liess ihn eine Weile unbeweglich auf ihr ruhen; dann aber, als das Gefühl der Nothwendigkeit der Trennung mächtig in ihr erwachte, warf sie sich dem Kinde an den Hals, umschlang es mit beiden Armen, als wäre dieser Augenblick wirklich vorhanden, und als könne sie diesen grausamen Moment durch Widersetzlichkeit entfernen.

Die Rolle des Admet war in den Händen des Signor Tibaldi. Dieser Künstler, früher einer der frostigsten Sänger von der Welt, übertraf sich in dieser Rolle selbst, und spielte, besonders in der Scene, wo er der Alceste das Geständniss ihres grossen Gelübdes zudringlich entreisst, mit wahrem, innigem Gefühle. Tibaldi besass seiner Zeit eine der schönsten Tenorstimmen; ihm war auch sonst jedes, einen Sänger schätzbar machende Talent eigen: aber auf den Brettern fehlte es ihm an Seele. Jetzt, da er einige von seinen höheren Saiten verloren[134] hatte und seine Zuflucht öfters zu einem, eben nicht angenehmen Falset zu nehmen gezwungen war, empfing er erst Feuer und Leben. Seine Gebärde wurde nun angemessener, freier, anständiger, angenehmer; sein Gesicht begleitete und unterstützte die Gebärde, ja, er brachte sogar nicht selten einzelne Züge eines stummen Spieles an, welche Richtigkeit der Empfindung und Einsicht bewiesen. So geschah es denn, dass er nun in der Gunst des Publikums höher stieg, und sich, namentlich in der »Alceste,« einen höheren Grad des Ruhmes erwarb der' jedoch mehr dem Schauspieler als dem Sänger galt.


Im Jahre 1769 erschien die Partitur dieser Oper im Druck. Gluck schickte ihr eine, an den Grossherzog von Toscana gerichtete Zueignungsschrift in italischer Sprache voran, in der er sowohl seine Ideen über die dramatische Musik, als auch den Plan, dem er in seinen Schöpfungen gefolgt ist, zu rechtfertigen sucht. Die Wahrnehmung, wie Gluck in einer Beziehung selbst die Geschichte seiner Ideen über die Natur der Oper niederschreibt, ist sehr anziehend. Ich glaube diese Schrift als ein Dokument hier anführen zu müssen, und hoffe, man werde sie mit Vergnügen lesen, indem sie die Grundsätze unseres grossen Tonsetzers weit deutlicher darstellt, als es ganze Abhandlungen von Erörterungen zu thun vermöchten.

»Als ich es unternahm,« schreibt Gluck, »die Oper Alceste in Musik zu setzen, war es meine Absicht, alle die Missbräuche, welche die falsch angebrachte Eitelkeit der Sänger, und die allzu grosse Gefälligkeit der Componisten in die italische Oper eingeführt hatten, sorgfältig zu vermeiden; Missbräuche, die Eines der schönsten und prächtigsten Schauspiele zum langweiligsten und lächerlichsten herabgewürdigt haben. Ich suchte daher die Musik zu ihrer wahren Bestimmung zurückzuführen, das ist: die Dichtung zu unterstützen, um den Ausdruck der Gefühle und das Interesse der Situationen zu verstärken, ohne[135] die Handlung zu unterbrechen, oder durch unnütze Verzierungen zu entstellen. Ich glaubte, die Musik müsse für die Poesie das seyn, was die Lebhaftigkeit der Farben, und eine glückliche Mischung von Schatten und Licht für eine fehlerfreie und wohlgeordnete Zeichnung sind, welche nur dazu dienen, die Figuren zu beleben, ohne die Umrisse zu zerstören. Ich habe mich demnach gehütet, den Schauspieler im Feuer des Dialogs zu unterbrechen, und ihn ein langweiliges Ritornell abwarten zu lassen oder plötzlich mitten in einer Phrase bei einem günstigen Vokale aufzuhalten, damit er entweder in einer langen Passage die Beweglichkeit seiner schönen Stimme zeigen könne, oder abzuwarten, bis das Orchester ihm Zeit lasse, Luft zu einer langen Fermate zu schöpfen. Auch glaubte ich nicht über die zweite Hälfte einer Arie rasch hinweggehen zu dürfen, wenn gerade diese vielleicht die leidenschaftlichste und wichtigste ist, nur um regelmässig viermal die Worte der Arie wiederholen zu können; eben so wenig erlaubte ich mir die Arie dort zu schliessen, wo der Sinn nicht schliesst, nur um dem Sänger Gelegenheit zu verschaffen, seine Fertigkeit im Variiren einer Stelle zeigen zu können. Genug, ich wollte alle jene Missbräuche verbannen, gegen welche der gesunde Menschenverstand und der wahre Geschmack schon so lange vergebens kämpfen.

Ich bin der Meinung, dass die Ouverture den Zuhörer auf den Charakter der Handlung, die man darzustellen gedenkt, vorbereiten und ihm den Inhalt derselben andeuten solle; dass die Instrumente immer nur im Verhältniss mit dem Grade des Interesses und der Leidenschaft angewendet werden müssen, und dass man vermeiden solle, im Dialog einen so grossen Zwischenraum zwischen dem Recitativ und der Arie zu lassen, um nicht, dem Sinn entgegen, die Periode zu unterbrechen, und den Gang und das Feuer der Scene am unrechten Orte zu stören.

Ferner glaubte ich einen grossen Theil meiner Bemühungen auf die Erzielung einer edlen Einfachheit verwenden zu müssen; daher vermied ich es auch, auf Kosten der Klarheit mit Schwierigkeiten[136] zu prunken; ich habe niemals auf die Erfindung eines neuen Gedanken irgend einen Werth gelegt, wenn er nicht von der Situation selbst herbeigeführt und dem Ausdruck angemessen war. Endlich glaubte ich zu Gunsten des Effektes selbst die Regel opfern zu müssen.

Diess sind die Grundsätze, die mich geleitet haben! Glücklicher Weise entsprach die Dichtung meinem Vorhaben aufs herrlichste. Als der berühmte Verfasser der Alceste, Herr von Calzabigi, meinen Plan eines lyrischen Dramas durchführte, hat er alle blühenden Schilderungen, alle unnützen Bilder, alle kalten und wortreichen Sittensprüche durch kräftige Leidenschaften und anziehende Situationen, durch die Sprache des Herzens und eine stets abwechselnde Handlung ersetzt. Der Erfolg rechtfertigte meine Ansichten, und der allgemeine Beifall in einer Stadt, wie Wien, führte mich zu der Ueberzeugung, dass Einfalt und Wahrheit die einzigen richtigen Grundlagen des Schönen in den Werken der Künste sind.

Ich habe überdiess, ungeachtet des wiederholten Ansinnens der ausgezeichnetsten Personen, den Druck der Alceste zu beschleunigen, das ganze Wagniss meines Unternehmens, mit den tief eingewurzelten Vorurtheilen in offenen Kampf zu treten, sehr lebhaft empfunden, und desshalb den Entschluss gefasst, mich mit dem mächtigen Schutz Eurer Königlichen Hoheit zu waffnen, und um die Gnade zu bitten, meiner Arbeit Höchstdero erlauchten Namen, welcher schon längst alle Stimmen des erleuchteten Europa für sich gewonnen hat, voransetzen zu dürfen. Der grosse Schützer der schönen Künste, der Beherrscher eines Volkes, das mit ihm den Ruhm theilt, nicht nur jene der Unterdrückung entrissen zu haben, sondern auch selbst die grössten Muster in einer Stadt hervorzubringen, welche zuerst das Joch des gemeinen Vorurtheiles gebrochen hat, um sich den Weg zur Vollkommenheit zu bahnen: nur ein solcher Fürst kann die Reform des edelsten der Schauspiele, in welchem alle schönen Künste gleichen Antheil haben, erfolgreich unternehmen. Sollte dieses gelingen, so wird auch mir der Ruhm erblühen, den ersten Stein zum grossen Bau gelegt zu[137] haben. Mit diesem öffentlichen Zeugnisse des erhabenen Schutzes habe ich die Ehre, mich ehrfurchtsvoll zu nennen

Eurer Königl. Hoheit

ergebensten und gehorsamsten Diener

Christoph von Gluck.«


In dieser Zueignungsschrift hat der denkende Künstler den Grundsätzen, die ihn bei seinen dramatischen Bestrebungen geleitet, und die er in seinen früheren Arbeiten theilweise, im »Orfeo« aber schon im Ganzen ausgeübt hatte, volles Genüge geleistet. Wien kann endlich den oben ausgesprochenen Glaubensakt unseres Gluck in Beziehung auf die Oper nicht lesen, ohne von dem Gefühl eines befriedigten Stolzes ergriffen zu werden, dass es die ersten schönen Früchte einer vollkommenen Erkenntniss gebrochen und genossen hat.

»Es muss dabei,« sagt Fétis in seinem Werke, »noch zu folgenden Betrachtungen angeregt werden:

Gluck war zwei und fünfzig Jahre alt, als er die Oper ›Alceste‹ schrieb, in der er das zweite Mal die Grundsätze befolgte, die er in der vorangeschickten Zueignungsschrift entwickelt hat. Denn früher ahmte er, wie wir erfahren haben, mehr oder weniger den, von den italischen Tonsetzern gewählten Manieren nach. Zwanzig Opern, welche er in Italien, England und Wien geschrieben, zeigen nur vereinzelte Spuren seiner späteren Eigenthümlichkeit, und ein und zwanzig Jahre seiner theatralischen Laufbahn waren verflossen, ehe er den Gedanken, in der Behandlung der Oper eine Reform vorzunehmen, zur Reife bringen und verwirklichen konnte. Ist es demnach nicht klar, dass Gluck's Talent mehr das Ergebniss eigenen Nachdenkens und einer sich nach und nach erworbenen Kunstphilosophie, als eines unwiderstehlichen Triebes war? – Hat dieser Umstand in Beziehung auf die Ausbildung mancher grosser Künstler sich nicht oft bewährt? – Man könnte zum Beweise dessen, dass die musikalischen Schöpfungen dieses ausgezeichneten[138] Genius mehr das Werk eines überdachten Planes als einer vorübergehenden Begeisterung seien, noch hinzufügen, was Gluck selbst von sich sagte, wenn die Erfahrung es nicht lehrte, dass viele grosse Künstler erst nach der Hand die vortrefflichsten Motive fanden, um das zu combiniren, was lediglich das Ergebniss eines, in ihnen noch nicht zur klaren Anschauung gelangten Triebes gewesen ist. Die Geschichte der Kunstbestrebungen Gluck's scheint mir entscheidender. Uebrigens bleibt noch immer die Bemerkung frei, dass diess nicht das erste Beispiel eines grossen und gerechten Rufes sei, wozu ein späteres Nachdenken den Grundstein gelegt hat. Rameau, der vor Gluck schrieb, und auch ein Reformator gewesen ist, befand sich schon in einem Alter von beinahe sechzig Jahren, als er seine erste Oper zur Darstellung brachte. Bis dahin hatte er sich nur darauf beschränkt, über die, der Musik seiner Zeit anklebenden Mängel Betrachtungen anzustellen. Die bisherigen Vorgänge haben es gezeigt, dass auch Gluck nur Schritt für Schritt seine schönere Laufbahn betrat; und indem er fortfuhr, sich eine Philosophie der dramatischen Musik zu bilden, nahm er mit seinen ersten Ideen nach und nach solche Veränderungen vor, dass er dadurch seinen Schöpfungen endlich den Stempel jener Eigenthümlichkeit aufdrückte, dem er seinen grossen Ruhm verdankt.«


Die in der Oper »Alceste« handelnden Personen sind übersichtlich folgende: Alceste (Sopran), Admeto (Tenor), Evandro und Ismene (Soprane), Apollo (Sopran), Gran Sacerdote (Tenor), un Banditore (Bass), Coro del Popolo, Coro de' Numi Infernali, Voce dell' Oracolo und ein Nume Infernale.

Die Tonstücke sind der Ordnung nach folgende:

Im I. Akte. Ouverture in D min. C Takt, un poco Moderato, welche auf der Dominante schliesst.

Die 1. Scene dieses Aktes wird mit einem Trompettenstosse und einem kurzen Recitative desBanditore oder Herolds: »Popoli,[139] che dolenti della sorte d'Admeto« – eröffnet; diesem folgt ein vierstimmiger Chor in Es maj. Achter Abschnitt Takt, Andante: »Ah giusti Dei!« mit Streichquartett, 2 Corni und Tromboni colle voci. Ein zweiter Instrumentalsatz, Andante espressivo, begleitet die, Verzweiflung und Trauer ausdrückende Pantomime. Daran schliesst sich ein Recitativ des Evandro, dann der Chor da Capo und noch ein Recitativ des Evandro.

Die 2. Scene beginnt mit einem Doppelchor in G min. Achter Abschnitt Takt, Moderato: »Misero Admeto, povera Alceste!« – mit Streichquartett, 2 Oboi, Flauti und Tromboni. Die Oboen und Flöten alterniren mit den Violinen. Darauf Recitativo und Aria d'Alceste in Es maj. C Takt, Moderato: »Io non chiedo eterni Dei« – mit Streichquartett, Oboe sola, Corni und Fagotto. Diese Arie, in die sich der Gesang ihrer beiden Kinder mischt, wechselt zweimal das Zeitmass mit dem 3/4 Takte, Adagio. Die Scene wird mit dem grossen Chore des Volkes »Miseri figlj, povera Alceste!« – in Es maj. C Takt, und einem kurzen Recitative der Alceste geschlossen.

3. Scene. Priestermarsch in G maj. Achter Abschnitt Takt mit Streichquartett und Flöten, die an einzelnen Stellen mit den Violinen gehen; dann vierstimmiger Chor inC min. 6/8 Takt, Andante: »Dilegua il nero turbine« – mit Streichquartett, Flauti, Oboi und Tromboni, an den sich ein Recitativ des Gran Sacerdote schliesst. Dem Chore da Capo folgt ein Arioso und die Wiederholung des Priestermarsches.

Die 4. Scene beginnt mit einem kurzen Recitative der Alceste und dem obigen Chorsatze: dann ertönt ein begleitetes Recitativ des Gran Sacerdote mit dem Orakelspruche und dem Chor in H min. 2/3 Takt: »Che annunzio funesto!« – mit Streichquartett, Oboen, Trompetten und Posaunen, der mit dem charakteristischen: »Fuggiamo!« schliesst.

5. Scene. Grosses Recitativ mit der schönen Arie der Alceste in B maj. C Takt, Andante: »Ombre, larve compagne di morte!«

Die 6. Scene enthält nur Evandro's Recitativ: »Ah, t'affretto, o Regina!« –

7. Scene. Kurzes Gespräch zwischen Evandro und Ismene,[140] dann Chor in G min. Achter Abschnitt Takt, Andante non molto: »In lutto abandonnar« – mit Streichquartett. Dieser Chor schliesst in einem andern Tempo mit beigegebenen Hörnern in C maj. 6/8 Takt, Andante: »Serve e chi regna.« –

Im II. Akte. 1. Scene. Kurzes Recitativ zwischen Alceste und Ismene, dann Aria d'Ismene inEs maj. 3/4 Takt, Andante: »Parto, ma sento, o Dio!« – welche nach 22 Takten in ein Allegro Achter Abschnitt Takt, und nach neuen 10 Takten wieder in ein Andante übergeht und vom blossen Streichquartett begleitet wird.

2. Scene. Grosses begleitetes Recitativ undAria d'Alceste in F maj. Achter Abschnitt Takt, Andante non molto: »Chi mi parla? che rispondo?« – mit Streichquartett, Oboi und Fagotto; dann der Chor der Gottheiten der Unterwelt in D min. Achter Abschnitt Takt, Moderato: »E voi morire, o misera!« – sammt Recitativ mit Streichquartett,Trombe und Tromboni, Viole und Corni; endlich kurzes Arioso einer unterirdischen Gottheit, und darauf ein Recitativ mit kurzem Chor der Unterirdischen in D min. Achter Abschnitt Takt, Moderato: »Altro non puoi raccogliere« – wie vorher, und Arie der Alceste in Es maj. 3/4 Takt, Andantino: »Non vi turbate, nò!« – mit Streichquartett und Corni inglesi. Eine Pantomime der Numi infernali schliesst diese Scene.

3. Scene. Vierstimmiger Chor der Hofleute inB maj. Achter Abschnitt Takt, Andante: »Dal lieto soggiorno« – mit Streichquartett, Flauti, Oboi und Corni und darauf folgender Balletmusik; dann Aria d'Evandro in F maj. 3/8 Takt, Andante: »Or che morte il suo furore« – mit Streichquartett, Oboe, Flauti und Fagotto, einem Nachspiele in B maj. und endlich der Chor da Capo.

4. Scene. Recitativ zwischen Admeto und Evandro: »Signor mai più sincero.«.

5. Scene. Begleitetes Recitativ zwischen Admeto und Alceste; dann Duetto in D min. Achter Abschnitt Takt, Andante appoggiato: »Ah, perchè con quelle lagrime« – mit Streichquartett, abwechselnder Flöte und Oboe; dann wieder Recitativ und Arie des Admet in C maj. 3/4 Takt, Andante con espressione: »Nò crudel, non posso vivere« – mit Streichquartett und Oboe, welche später in den Achter Abschnitt Takt übergeht.[141]

6. Scene. Begleitetes Recitativ zwischen Alceste und Ismene, dann Chor und Arie der Ismene in F min. 3/4 Takt: »O come rapida nel suo bel fiore« – mit Streichquartett und Oboi. Diesem folgt ein Recitativ mit Chor da Capo, und endlich ein Chor in F min. 3/4 Takt, Andante: »Così bella, così giovane!« – mit Streichquartett und Flöten und einem Arioso der Alceste in F maj. C Takt, Moderato: »Vesta, tu che fosti e sei tutelar« – mit Streichquartett, Schalmeien und Posaunen, wozu später die englischen Hörner treten. Es schliesst mit obigem Chore: »O come rapida etc.« – und einer Arie in F maj. Allegro moderato: »Oh casto, oh caro nuzial mio letto« – mit Streichquartett, Schalmeien, englischen Hörnern und Posaunen; dann Ismene und Alceste mit kurzem Chor in F min.: »Non v'è sorte, o Dio, più barbaro« – welchem Satz' ein Recitativ zwischen Ismene und Alceste und deren Kindern, dann Alceste's liebliche Arie in F maj. Achter Abschnitt Takt: »Ah per questo gia stanco mio core« – mit Streichquartett und Oboi, und wieder der kurze Chor: »O come rapida etc.« – folgen.

Im III. Akte. 1. Scene. Begleitetes Recitativ zwischen Admeto und Evandro, dann Admet's ausdrucksvolle Arie in C min. Achter Abschnitt Takt, Andante un poco: »Misero, eche farò!« – mit Streichquartett und Oboe, sodann wieder Recitativ.5

2. Scene. Grosses begleitetes Recitativ und das herrliche Duett zwischen Admet und Alceste in Es maj. Achter Abschnitt Takt, Moderato: »Cari figlj, ah non piangete« – mit Streichquartett und Oboi, welches dann inAdmet's Allegro: »Che acerbo tormento« – übergeht und mit einem kurzen, theils zwei-, theils dreistimmigen, von Alceste, Ismene, Admeto und Evandro vorgetragenen Satze und mit dem, meistens einstimmigen, von Admet's und Alceste's kurzen Zwischensätzen unterbrochenen Chören der unterirdischen Gottheiten endet.

Die 3. Scene beginnt mit einem, aus Posaunen, tiefen Flöten, Oboen und Hörnern bestehenden Einleitungssatze in C min. Achter Abschnitt Takt, Lento, dem ein begleitetes Recitativ und der[142] meisterhafte Chor: »Piangi, o Patria, o Tessaglia! è morta Alceste« – folgt.

4. Scene. Begleitetes Recitativ zwischen Admeto, Evandro und Ismene: »Lasciatemi, crudeli.« –

Letzte Scene. Apollo's Nahen verkündendes Vorspiel in G maj. Andante, für Streichquartett,Flauti, Oboi und Corni; dann dessen Recitativ: »Admeto! in cielo ancora il tuo misero affanno destò pietà« – das Admet und Alceste fortsetzen; dann der Chor in G maj. 6/8 Takt, Andante: »Regina a noi con lieta sorte« – mit Streichquartett, Oboi, Flauti und Corni, der die Oper schliesst.

1

S. das Jahr 1767. Nr. 104.

2

Siehe »Sonnenfels Briefe über die Wienerische Schaubühne.« Wien, 1768. 8. 3. Brief, und Hiller's wöchentliche Nachrichten. III. Jahrg. Seite 127–137, wo Sonnenfels seinen Brief zuerst abdrucken liess.

3

Ueber diese berühmte, hochleidenschaftliche Arie verdient Joh.Fr. Reichardt's Aufsatz in dessen musikal. Kunstmagazin (Berlin 1791. 2. Bd. St. VIII. S. 66–68) nachgelesen zu werden. Selbst Mozart scheint diese Arie ins Auge gefasst zu haben, als er Pamina's Arie in der Zauberflöte schrieb: »Ja, ich fühl's, es ist verschwunden.« –

4

S. »Minerva.« Herausgeg. von Fr. Stoepel. Frankf. a.M. 1826. S. 81 u.s.w.

5

Diese Arie besass der verstorbene Hr. Alois Fuchs im Autograph.

Quelle:
Schmid, Anton: Christoph Willibald Ritter von Gluck. Dessen Leben und tonkünstlerisches Wirken. Leipzig: Friedrich Fleischer, 1854., S. 122-143.
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