Freundliche Aufnahme in Prag

[203] Aus einem Briefe Mozarts an seinen Freund Gottfried Freiherrn von Jacquin; Prag, am 14. Jänner 1787 Endlich finde ich einen Augenblick, an Sie schreiben zu können; – ich nahm mir vor, gleich bey meiner Ankunft vier Briefe nach Wien zu schreiben, aber umsonst! – Nur einen einzigen (an meine Schwiegermutter) konnte ich zusammenbringen; und diesen nur zur Hälfte – meine Frau und Hofer mußten ihn vollenden. Gleich bei unserer Ankunft (Donnerstag, den 11ten um 12 Uhr mittags) hatten wir über Hals und Kopf zu tun, um bis 1 Uhr zur Tafel fertig zu werden. Nach Tisch regalirte uns der alte Herr Graf Thun mit einer Musik, welche von seinen eigenen Leuten aufgeführt wurde und gegen anderthalb Stunden dauerte. – Diese wahre Unterhaltung kann ich täglich genießen. – Um 6 Uhr fuhr ich mit Grafen Conac auf den sogenannten Breitfeldischen Ball, wo sich der Kern der Prager Schönheiten zu versammeln pflegt. – Das wäre so was für Sie gewesen, mein Freund! – Ich meine, ich sehe Sie all den schönen Mädchens und Weibern nach – – laufen glauben Sie? – Nein, nachhinken! – Ich tanzte nicht und löffelte nicht. – Das erste, weil ich zu müde war, und das letztere aus mei ner angeborenen Blöde; – Ich sah aber mit ganzem Vergnügen zu, wie alle diese Leute auf die Musik meines Figaro, in lauter Contretänze oder Teutsche verwandelt, so innig vergnügt herumsprangen; denn hier wird von nichts gesprochen als von – Figaro; nichts gespielt, geblasen, gesungen und gepfiffen als Figaro. Keine Oper besucht als – Figaro und ewig Figaro; gewiß große Ehre für mich. Nun wieder auf meine Tagesordnung zu kommen. Da ich spät vom Ball nach Hause gekommen und ohnehin von der Reise müde und schläfrig war, so ist nichts natürlicher [203] auf der Welt, als daß ich sehr lange werde geschlafen haben; und gerade so war es. – Folglich war der andere ganze Morgen wieder sine linea; nach Tisch darf die hochgräfliche Musik nie vergessen werden, und da ich eben an diesem Tage ein ganz gutes Pianoforte in mein Zimmer bekommen habe, so können Sie sich leicht vorstellen, daß ich es den Abend nicht so unbenützt und ungespielt werde gelassen haben. Es gibt sich ja von selbst, daß wir ein kleines Quatuor in caritatis camera (und das schöne Bandel Hammera) unter uns werden gemacht haben und auf diese Art der ganze Abend abermal sine linea wird verloren gegangen seyn; und gerade so war es. – Nun zanken Sie sich meinetwegen mit Morpheus; dieser ist uns beyden in Prag sehr günstig; – was die Ursache davon seyn mag, das weiß ich nicht; genug wir verschliefen uns sehr artig. – Doch waren wir imstande, schon um 11 Uhr uns beym Pater Unger einzufinden und die k.k. Bibliothek und das allgemeine geistliche Seminarium in hohen niedern Augenschein zu nehmen; nachdem wir uns die Augen fast aus dem Kopfe geschauet hatten, glaubten wir in unsern Innersten eine kleine Magenarie zu hören; wir fanden also für gut zum Grafen Canal zur Tafel zu fahren; – der Abend überraschte uns geschwinder als Sie vielleicht glauben; – genug, es war Zeit zur Opera. – Wir hörten also »Le gere generosa«89. – Was die Aufführung dieser Oper betrifft, so kann ich nichts Entscheidendes sagen, weil ich viel geschwätzt habe; warum ich aber wider meine Gewohnheit geschwätzt habe, darin möchte es wohl liegen. – Basta; Dieser Abend war wieder al solito verschleudert; – heute endlich war ich so glücklich, einen Augenblick zu finden, um mich um das Wohlseyn Ihrer lieben Eltern und des ganzen Jacquinschen Hauses erkundigen zu können. – Ich hoffe und wünsche vom Herzen, daß Sie sich alle so[204] wohl befinden mögen, als wir beyde uns befinden. – Ich muß Ihnen aufrichtig gestehen, daß (obwohl ich hier alle möglichen Höflichkeiten und Ehren genieße und Prag in der Tat ein sehr schöner und angenehmer Ort ist) ich mich doch recht sehr wieder nach Wien sehne; und glauben Sie mir, der Hauptgegenstand davon ist ganz gewiß Ihr Haus ...
Ps. Mittwoch werde ich hier den Figaro sehen und hören – wenn ich nicht bis dahin taub und blind werde. – Vielleicht werde ich es erst nach der Opera – – –
Quelle:
Mozart. Zusammengestellt und erläutert von Dr. Roland Tenschert. Leipzig, Amsterdam [1931], S. 203-205.
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