Mozart schreibt allegris miserere aus dem Gedächtnis nieder

[39] Aus einem Briefe Leopolds an Gattin und Tochter;

Rom, am 14. April 1770


... Den 11ten, da wir ankamen, sind wir nach Tische in die St. Peterskirche und dann in die Mette gegangen, den 12ten haben wir die Functiones, und da der Papst bey der Tafel der Armen aufwartete, denselben so [39] nahe gesehen, daß wir obenan neben ihm standen. Es ist solches umsomehr zu bewundern, da wir durch zwey mit geharnischten Schweizern bewachte Türen hineinkommen und durch viele 100 Menschen uns durch dringen mußten und NB noch keine Bekanntschaft hatten. Allein die gute Kleidung, die deutsche Sprache, meine gewöhnliche Freiheit, mit welchen ich meinen Bedienten in teutscher Sprache den Schweizern zurufen ließ, daß sie Platz machen sollten, half uns aller Orten bald durch. Sie hielten den Wolfgang für einen teutschen Cavalier, andere gar für einen Prinzen und der Bediente ließ sie auf dem guten Glauben; und ich ward als sein Hofmeister angesehen. Eben so gingen wir zur Tafel der Cardinäle. Da begab sich, daß der Wolfgang zwischen die Sessel zweener Cardinäle zu stehen kam, deren einer der Cardinal Palavicini war. Dieser gab dem Wolfgang einen Wink und sprach zu ihm: Wollen Sie nicht die Güte haben, mir im Vertrauen zu sagen, wer Sie sind? Der Wolfgang sagte ihm alles. Der Cardinal antwortete ihm mit der größten Verwunderung und sagte: Ey, sind Sie der berühmte Knab, von dem mir so vieles geschrieben worden? Auf dieses fragte der Wolfgang: Sind Sie nicht der Cardinal Palavicini? – – Ja, der bin ich, und Warum? – – Wolfgang sagte ihm alsdann, daß wir Briefe an Se. Eminenz zu übergeben haben und unsere Aufwartung machen werden. Der Cardinal bezeigte ein großes Vergnügen darüber, sagte, daß der Wolfgang gut italienisch spreche und unter anderem sagte er: Ik kann auck ein benig deutschsprecken etc. Da wir weg gingen, küßte ihm der Wolfgang die Hand und der Cardinal nahm das Biret vom Haupt und machte ihm ein höfliches Compliment. Du wirst vielleicht oft von dem berühmten Miserere in Rom gehört haben, welches so [40] hoch geachtet ist, daß den Musicis der Capellen unter der Excommunication verboten ist, eine Stimme davon aus der Capelle wegzutragen, zu copiren oder jemandem zu geben. Allein, wir habenes schon. Der Wolfgang hat es schon aufgeschrieben und wir würden es in diesem Briefe nach Salzburg geschickt haben, wenn unsere Gegenwart, es zu machen, nicht notwendig wäre; allein die Art der Production muß mehr dabey tun, als die Composition selbst, folglich werden wir es mit uns nach Hause bringen und weil es eines der Geheimnisse von Rom ist, so wollen wir es nicht in andere Hände lassen, ut non incurremus mediate vel immediate in censuram Ecclesiae. Die St. Peterskirche haben wir schon rechtschaffen durchsucht und es soll gewiß nichts unbeachtet verbleiben, was immer hier zu sehen ist.

Quelle:
Mozart. Zusammengestellt und erläutert von Dr. Roland Tenschert. Leipzig, Amsterdam [1931], S. 39-41.
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