»Kühler« Empfang bei der Duchesse de Chabot

[98] Aus Mozarts Brief an den Vater;

Paris, am 1. Mai 1778


... Mr. Grimm gab mir einen Brief an sie35 und da fuhr ich hin. Da gingen 8 Täg vorbey ohne mindester Nachricht; sie hatte mich dort schon auf über 8 Täg bestellt und also hielte ich mein Wort und kam. Da mußte ich eine halbe Stund in einem eiskalten, ungeheizten und ohne mit Camin versehenen Zimmer [98] warten. Endlich kam die D: Chabot, mit größter Höflichkeit, und bat mich mit dem Clavier vorlieb zu nehmen, indeme keins von den ihrigen zugericht seye; ich möchte es versuchen. Ich sagte, ich wollte von Herzen gern etwas spielen, aber itzt seye es ohnmöglich, indemme ich meine Finger nicht empfinde für Kälte, und bat sie, sie möchte mich doch aufs wenigste in ein Zimmer, wo ein Camin mit Feuer ist, führen lassen. O, oui Monsieur, vous avés raison. Das war die ganze Antwort. Dann setzte sie sich nieder und fing an, eine ganze Stunde zu zeichnen en compagnie anderer Herrn, die alle in einem Cirkel um einen großen Tisch herumsaßen. Da hatte ich die Ehre, eine ganze Stunde zu warten. Fenster und Türen waren offen, ich hatte nicht allein in Händen, sondern in ganzem Leib und Füßen kalt; und der Kopf fing mir an wehe zu tun. Da war also altum silentium und ich wußte nicht, was ich so lange für Kälte, Kopfweh und Langeweile anfangen sollte. Oft dachte ich mir, wenns mir nicht um Mr. Grimm wäre, so ging ich den Augenblick wieder weg. Endlich, um kurz zu seyn, spielte ich auf dem miserablen, elenden Pianoforte, was aber das Ärgste war, daß die Madme und alle die Herrn ihr Zeichnen keinen Augenblick unterließen, sondern immer fortmachten und ich also für die Sessel, Tisch und Mäuern spielen mußte. Bey diesen so übel bewandten Umständen verging mir die Geduld – ich fing also die Fischerischen Variationen an, spielte die Hälfte und stund auf. Da waren Menge Eloges. Ich aber sagte, was zu sagen ist, nämlich daß ich mir mit diesem Clavier keine Ehre machen könnte und mir sehr lieb seye, einen andern Tag zu wählen, wo ein besseres Clavier da wäre. Sie gab aber nicht nach, ich mußte noch eine halbe Stunde warten, bis ihr Herr kam. Der aber setzte sich zu mir und hörte mit aller Aufmerksamkeit zu und ich – ich vergas darüber alle[99] Kälte, Kopfwehe und spielte ungeachtet den elenden Clavier so – wie ich spiele, wenn ich gut in Laune bin. Geben Sie mir das beste Clavier von Europa und aber Leute zu Zuhörern, die nichts verstehen oder die nichts verstehen wollen und die mit mir nicht empfinden, was ich spiele, so werde ich alle Freude verlieren ...

Quelle:
Mozart. Zusammengestellt und erläutert von Dr. Roland Tenschert. Leipzig, Amsterdam [1931], S. 98-100.
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