Erster Abschnitt.

Irdische Mission Mozarts.

Allgemeine Charakteristik seiner Individualität und seiner Werke.

[5] Als fast unbemerkbares Bächlein vom Ursprunge an und später zum Strome angewachsen, sah die Musik ihre Elemente sich in mehrere Arme theilen, die wie verschiedene Flüsse dahingleiteten und durch die Tribute der Zeitalter sich vermehrten, ohne daß man aber zu sagen im Stande gewesen wäre, ob sie irgend einem unbekannten Ocean von Harmonie zuströmten oder ob sie sich in dem Sande der Epochen des theilweisen Verfalls verliefen, wie es bereits mit der Kirchenmusik der Fall gewesen war. Schon war jede Gattung vereinzelt nahezu an den Zielpunkt ihrer Entwickelung gelangt oder hatte ihn gar erreicht. Der Choralgesang war seit Palestrina in seiner majestätischen Einfachheit und seinen durchaus kirchlichen Ausdruck eingesetzt worden; die regelmäßige Fuge hatte mit Bach ihren Zielpunkt erreicht; die Hauptformen des dramatischen Gesangs waren in der tragischen und in der Buffo-Oper festgestellt worden; der contrapunctische und melodische Styl hatte die Quint essenz von dem gegeben, was sie vereinzelt liefern konnten, und die Tonsetzkunst schien bei Bach und Händel, bei Gluck und Piccini stehen bleiben zu wollen, wie die Gesangskunst in Wirklichkeit vielleicht bei Farinelli, Cafarelli,[5] Pacchiarotti und Manzuoli stehen geblieben war. Haydn und Bocccherini endlich hatten die Instrumentalmusik auf den guten Weg gebracht, und den einzigen, auf welchem ein Fortschritt noch möglich war. Alle Zweige der Musik hatten ihre Früchte getragen; jede ihrer besondern Tendenzen war um das Jahr 1780 zur Reife gelangt. Jetzt trat Mozart auf und machte seine Ansprüche geltend, zu denen ihn seine irdische Sendung berechtigte.

Welchen Schritt hatte die Musik noch zu machen? Ich werde meine Antwort durch eine andere Frage beginnen. Woher kommt es, daß keiner der Vorgänger Mozart's, Haydn selbst inbegriffen (wohlverstanden der Haydn vor Mozart), nicht mehr ganz, noch auf immer, die Musikfreunde unserer Zeit zu befriedigen vermag, wenn nicht Neugierde aus Liebhaberei oder ein historisches Interesse bei dem Lesen oder Hören ihrer Werke in's Spiel kommen? Und doch waren Bach, Händel und Gluck Componisten, die in ihrer Art nicht übertroffen worden sind. Auch Piccini und Sacchini haben Beide ihre Verdienste. Unsere Bewunderung für ihren Genius bleibt ungeschwächt, und doch vermöchten wir sie nicht zwei bis drei Stunden hinter einander zu hören, ohne uns ganz leise einzugestehen, daß wir uns ermüdet fühlen. Der Grund liegt darin, daß die Ueberlegenheit dieser Leute nur eine Seite, oder wenigstens nur eine Hauptseite hat. Drei Stunden lang Declamation und tragische Arietten, drei Stunden lang süßliche und schmelzende Melodie, drei Stunden lang Vocalfugen, oder harmonische und contrapunctische Gelehrsamkeit am Claviere anhören zu müssen, geht über den Genuß; das vermag keinen Abend auszufüllen. Man wird nun Mozart's Mission begriffen haben.

Seine Bestimmung ging dahin: die streitenden Schulen unter sich zu versöhnen, indem er ihre Farben und Devisen unter [6] einer Fahne sammelte; die Zukunft der Musik durch die Vereinigung ihrer Vergangenheit mit ihrer Gegenwart fest zu begründen; die Macht und Ausdehnung dieser Kunst, durch gleichmäßige und genau abgewogene Mitwirkung aller ihrer Elemente, die gleichzeitige Entwickelung aller ihrer Hilfsmittel und die wohl überdachte Combination aller Kräfte zum Hervorbringen von Effekten zu vermehren; so viel wie möglich aus den musikalischen Productionen die localen und temporellen Einflüsse, die conventionellen und verschiedenen Schulen angehörigen Formen auszumerzen, und an deren Stelle die reinen Analogieen der Gefühle und Gedanken zu setzen, mochten sie bestimmbar oder nicht bestimmbar sein, welchen die Musik entsprechen muß. Seine Aufgabe war es, die Musik zu einer universalen Einheit zu bringen, wie das Gesetz des harmonischen Dreiklangs, aus welchem sie fließt, und wie die Poesie der Seele, deren vertrauteste und vollständigste Dolmetscherin sie ist; zu diesem Zwecke Werke zu schreiben, welche sich der Vollkommenheit näherten, soweit es überhaupt einem Menschen möglich ist, derselben nahe zu kommen, Musterwerke für jeden Styl, jede Gattung, jeden Gebrauch, ob öffentlich oder privatim, religiös oder profan, zu dem überhaupt die Musik angewendet werden kann; der Art, daß die genannten Werke sämmtliche Beispiele in sich schlössen, welche die Tonsetzkunst nöthig hat, in technischer und ästhetischer Hinsicht, und welche namentlich die oben erwähnten Gattungen, Style und Verwendungsarten erfordern.

Die auf diese Weise gegebene Definition der Mission Mozart's ist keine rhetorische Figur. Wenn sie es wäre, so würde man nur die ausschweifendste Hyperbel darin finden, so sehr erscheint sie unglaublich, fabelhaft, allen Lehren der Erfahrung widersprechend, so angemessen überschreitet sie das bekannte Maß der menschlichen Kräfte und Fähigkeiten. Eine solche Mission könnte [7] nur durch die Thatsache ihrer buchstäblichen Erfüllung anerkannt und zugestanden werden. Dieß war aber bei ihr der Fall.

Die Annalen der Literatur und der Kunst weisen durchaus nichts Aehnliches, ja sogar nur Annäherndes auf. Wo ist der Dichter, der in allen Gattungen der Poesie den anderen Dichtern überlegen gewesen wäre? Wo ist der Maler, der in allen Gattungen der Malerei geglänzt und die Anderen überragt hätte? Man frage nur, wer der erste Dichter aller Jahrhunderte gewesen sei, und kein verständiger Mensch wird darauf antworten. Die großen Dichter, wird man sagen, waren stets der allgemeinste Ausdruck ihres Zeitalters oder ihres Landes. Sie haben die zerstreuten Grundzüge derselben in sich gesammelt und nach ihrer Individualität oder ihrer Natur als Dichter dieselben in Bildern wiedergegeben; neben dem Schönen und Wahren aller Zeiten haben sie Formen hervorgebracht, welche wie die Sprache selbst wechseln, Gedanken, welche die Phasen der Civilisation und der Sitten modificiren. Eine Entscheidung der Frage, ob Homer oder Dante, Sophokles oder Shakspeare, Horaz oder Goethe größer gewesen sei, enthält nichts Weiteres, als die Erklärung, daß man sich für die antike der moderne Gesellschaft dieser oder jener Epoche ausspricht. Sodann werden alle Nationen, welche Dichter ersten Ranges aufzuweisen haben, diese immer den Dichtern des Auslandes vorziehen, gerade wie man sein Heimathland allen anderen Ländern, und seine Sprache allen anderen Sprachen vorzieht. Wer kann also competenter Schiedsrichter zwischen literarischen Völkern sein, von denen jedes seinen speciellen Gesichtspunkt oder seine einheimische Kritik hat? Wenn daher ein Geist der Reaction, der in seinem Princip ganz gerechtfertigt, heut' zu Tage aber zwecklos ist, sich bemüht, Shakspeare auf einen Universalthron zu erheben, der hoch über allen poetischen [8] Berühmtheiten des Alterthums und der neuen Zeit steht, so würden die Personen, welche zwar dem classischen und romantischen Streite, nicht aber der Pflege der Literatur und der Kenntniß der Sprachen fremd geblieben sind, Nichts als einen lächerlichen verdächtigen Fanatismus in diesem höchsten Cultus erkennen, den man einem englischen Dichter des sechszehnten Jahrhunderts weihte, von dem man nicht behaupten wird, daß er seine Nationalität oder sein Zeitalter verläugnet habe.

Aber die Frage der absoluten Ueberlegenheit wird logischer Weise nicht auf demselben Punkte entschieden, wenn es sich um Maler und Musiker handelt. Diese nehmen ihre Typen aus einer universalen und unbeweglichen Ordnung der Dinge; die Einen aus der sichtbaren Natur, die Anderen aus den Beziehungen eines Naturgesetzes zu dem Princip unserer Gefühlsfähigkeiten. Hier führen die Vergleichungen aller Zeiten und aller Orte zu annehmbaren Resultaten, und man kann, ohne sich in der Ansicht bei irgend Jemand zu schaden, fragen, wer der größte Maler aller Jahrhunderte gewesen sei. Man wird allgemein antworten: Raphael. Raphael war der Erste, und zwar in der ersten aller Gattungen, in der historischen Malerei, und der Erste in der Composition und im Ausdrucke, welches die erhabensten Eigenschaften eines Malers sind. In den anderen Gattungen aber hat er sich nicht einmal versucht. Im Colorit ist er hinter Titian und Correggio zurückgeblieben; hinsichtlich der Phantasie und der Kraft hinter Michel Angelo, und ein ganzes Element der Kunst, die Perspective, fehlte ihm, wie bei seiner »Verklärung« zu ersehen ist. Rafael wird deßhalb aber nichtsdestoweniger als ein außerordentlicher Mensch von allen Malern und allen Kennern der Malerei betrachtet.

Nehmen wir an, daß die Musik in ihren beiden Haupttheilen, [9] in der Composition und in der Ausführung, ebenso viele Anlagen und Studien erfordert, als die Kunst Verse zu machen oder die der Malerei – und dieß ist wohl das Wenigste, was man ihr einräumen kann – nehmen wir ferner diese unbestreitbare und fast schon abgedroschene Wahrheit an, daß die Werke des Genius stets mehr oder weniger die Individualität ihrer Verfasser abspiegeln; fügen wir über dies hinzu, daß diese Gattungen und Style in genauester Wechselbeziehung zu einander stehen, und daß dieselben moralischen Kräfte in allen Sphären der Poesie walten, und fragen wir uns hernach, welche außerordentliche Erscheinung ein Genius sein muß, der alle Gattungen des musikalischen Kunstgebietes aufs vollendetste repräsentirt, der ebensowohl im kirchlichen, tragischen, epischen, elegischen, als im komischen, lyrischen, erotischen und volksliedartigen glänzte, und in Allem als Muster gelten kann.

Scheint es nicht in der That, als ob ein solcher Genius alle Gesetze überschreite, welche die Classificirung der Intelligenzen und Talente regeln, und daß dies nur durch die sicherste göttliche Inspiration möglich werden könne? Muß nicht ein solcher außerordentlicher Mensch eine göttliche providenzielle Mission auf Erden zu erfüllen haben? Könnte er in einem anderen Zeitraume diese Mission antreten, als in demjenigen, den ihm die Vorsehung anwies? In welcher Epoche müßte der Musiker geboren werden, welcher der Musik ihre definitive Constitution geben sollte? In der Epoche, in welcher die Elemente dieser Kunst, welche den divergirenden Linien des Fortschrittes gefolgt waren, gehörig vorbereitet und hinreichend gereift waren, um aus dem Zustande der Vereinzelung in den der Vereinigung überzugehen. An welchem Orte mußte er geboren werden? Die Wahl des Ortes war auf Italien und Deutschland beschränkt. Ueberall sonst wäre Mozart's [10] Berufung verfehlt gewesen. Das wäre sie sogar in Italien selbst gewesen, und zwar aus dem sehr einfachen Grunde, weil die Italiener gegen fremde Musik gleichgültig waren, und weil ihr Vorurtheil in diesem Punkte ihrer Unwissenheit gleichkam. Deutschland dagegen verachtete Nichts, weil es Alles kannte, damals, wie jetzt. Mozart war also ein Deutscher aus dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Seine Wiege stand in einem katholischen Lande, zwischen Italien's und Böhmen's Grenzen, zwischen München und Wien, in einer Residenz, in welcher die Musik eine nothwendige Prachtzugabe des Hofes eines Fürst-Bischofs war. Der Ort konnte nicht besser gewählt sein! Er bildete gerade den Mittelpunkt der musikalischsten Gegenden der Welt, welche alle dem Katholicismus anhingen.

Aber wessen Händen werden so große Hoffnungen anvertraut, welche werden das anvertraute Gut zum Treiben von Früchten bringen? Man nehme Alles zusammen, was den Erfolg für die Zukunft zu sichern vermag, wähle einen Lehrer, wie ihn die Pädagogik in ihren schönsten Träumen nur zu ersinnen vermag; dieser Mentor, ein Meister in der Musik, sei ein Mann von gebildetem Geiste, von der strengsten Moralität, mit der er einen seltenen Scharfsinn und eine seltene Klugheit verbinde, der Theorie, Praxis, Lehrmethode und Literatur seiner Kunst aus dem Grunde verstehe; der keinem Vorurtheile irgend einer Schule huldige, weder individuelles noch patriotisches Vorurtheil besitze, der die alte und neue, italienische und deutsche Musik nach ihrem wahren Werthe zu würdigen verstehe. Ob ein solcher Mentor selbst heut' zu Tage, ja sogar mit Diogenes' Laterne leicht zu finden wäre, will ich dahingestellt sein lassen; allein dieser Art war Zug für Zug Mozart's Meister; und dieser Meister war sein Vater, der intelligenteste und nothwendiger Weise auch der eifrigste unter [11] allen Meistern. Wenn Leopold Mozart nicht ausdrücklich dazu berufen erscheint, die Erziehung seines Sohnes zu leiten, so müssen wir aufhören, an Endursachen zu glauben.

Sobald das Kind die Finger auf das Clavier gesetzt hat, erkennt der Vater als Christ und Musiker das Wunder an; er sieht ein, welche Methode mit einem solchen Schüler einzuschlagen ist; er läßt Spiel und Composition gleichen Schritt mit einander gehen; der Schüler spielt und studirt alle Tonsetzer ohne Unterschied, wie sie ihm in die Hände fallen. Wozu sollte man auch eine Auswahl treffen, warum dieses doppelte Studium stufenweise weiter führen! Was das Kind sieht, spielt es auch; was man ihm erklären will, weiß es bereits. Mit zwölf Jahren kennt Mozart Bach und Händel, Hasse und Graun, wie auch die alten und neuen italienischen Componisten auswendig. »Es gibt keinen Meister, so wenig er auch bekannt sein mag,« sagt er uns, »den ich nicht ein oder mehrere Male in meinem Leben studirt hätte.« Reisen sollten Das vollenden, was diese universale Erziehung begonnen hatte. Zwanzig Jahre lang sehen wir Mozart fast unaufhörlich umherirren, die Länder besuchend, in denen er Gewinn für seine Studien finden konnte, wobei er sich durch die Praxis mit dem musikalischen Genius der Nationen vertraut machte, welche sich nach Geschmack und Systemen von einander unterschieden, sich in allen Stylen versuchte, sich in allen Gattungen einübte, alle Weisen sich zu eigen machte: Italiener in Mailand, Franzose in Paris, Deutscher in Salzburg, Engländer in London, Melodist für das Publikum, Fugist vor dem Tribunale des Pater Martini, überall Virtuose und Componist nach der Mode, und bald darauf die Mode mit Füßen tretend, brach er auf immer mit dem Glücke, um dem Rufe des Geschickes zu gehorchen, [12] welches beschlossen hatte, daß er unbekannt leben und jung sterben solle.

Niemand zweifelt daran, daß die Werke des Genius, die wahrhaft originellen Werke, nach dem Ebenbilde ihrer Urheber geschaffen seien. Man erkennt in den Hauptzügen, welche die Weise eines hervorragenden Künstlers auszeichnen, die Eigenthümlichkeiten seiner Seele, die Art von Eindrücken, denen er sich vorzugsweise hingibt, und häufig selbst die Spuren seines äußern Geschickes. Je größern Einfluß gewöhnlich ein Künstler auf den Geschmack seiner Zeit und die allgemeine Richtung der Kunst geübt hat, um so mehr ist dieser individuelle Eindruck bei ihm selbst sichtbar. Wir brauchen dafür keinen andern Beweis, als die beiden Männer, welche der auf Mozart folgenden Epoche ihren individuellen Stempel, jeder in seiner Art aufgedrückt, und sich in ihren Werken mit einer so erstaunlichen individuellen Treue abgemalt haben: Beethoven und Rossini. Welche Extreme, im Guten wie im Schlimmen, drücken sich in diesen zwei Namen aus! Rossini, das verhätschelte Kind seiner Zeitgenossen, strotzend von Gesundheit und Kraft, ein schöner Mann, wenn wir den Abbildungen, die von ihm existiren, Glauben beimessen dürfen, dem das Glück nach allen Seiten lächelte, wie seine Biographen versichern, lebhaft und sprudelnd und geistig wie der Champagner, ein Freund von Reisen, auf denen er die goldenen Lorbeeren erntete, die unter der Melodie seiner Schritte wuchsen; ein Künstler, der keine anderen Götter kannte, als den Erfolg, das Vergnügen und das Geld. Man wende aber die Blicke und sehe auf den andern Musiker, der sein ganzes Leben lang auf einen Fleck festgebannt bleibt, wo er Wurzel gefaßt und traurig vegetirt zu haben scheint, gleich einer kranken Pflanze; ohne Familie und beinahe ohne Umgebung zu Hause, abgeschlossen von der Welt durch ein [13] Gebrechen, welche, wie kein anderes, der Geselligkeit im Wege steht, eine völlige Taubheit, ein Junggeselle, der nie sich zu verehlichen getrachtet hat, ein Hypochonder, dessen Seele, in einem von Leiden niedergedrückten Körper mehr einer Gefangenen als einer Bewohnerin gleichend, durch die Macht seines erhabenen Genius in die Geheimnisse der künftigen Existenz drang, welche ihm die Musik enthüllte; der melancholischste unter allen Menschen, der unter einer eisigen Rinde das wärmste Herz und die edelsten Eigenschaften verbarg; ein Stoiker aus System und ein wohlthätiger Murrkopf aus Grundsatz. Nun wohlan, bilden nicht die Werke Beethoven's und Rossini's das reinste Spiegelbild ihres Ichs? Man sieht sie, man kennt sie, man ist der Begleiter auf ihrem Lebenswege und ihr innigster Vertrauter, wenn man sie hört.

Wir begreifen diese beiden Menschen und Musiker, die beiderseits so ganz mit sich selbst übereinstimmten. Was finden wir aber, wenn wir Mozart's Charakter nach Thatsachen und Ueberlieferungen studiren? Wir finden diesen Charakter der Art, als wenn er aus einer Reihe psychologischer, aus den fabelhaften Arbeiten des Musikers gezogener Folgerungen hervorgegangen wäre; eine ebenso fabelhafte Individualität, die Gabe einer reichen Phantasie, die ihm nach Belieben zu Gebot stand, vermittelst der er den Schlüssel zu einem Räthsel zu geben im Stande war, das sonst keinen gehabt hätte. Leicht entzündbare Sinne und ein philosophischer Geist, ein von Zärtlichkeit überfließendes Herz und ein für den Calcul wunderbar organisirter Kopf; auf einer Seite Hang zum Vergnügen, eine Mannigfaltigkeit von Liebhabereien und Neigungen, welche ein sanguinisches Temperament charakterisiren, auf der andern Seite diese hartnäckige Beharrlichkeit in der Arbeit, diese Tyrannei einer ausschließlichen Leidenschaft, diese Tod bringende [14] Uebertreibung der geistigen Arbeit, welches die Attribute der melancholischen Temperamente sind, den Tag über vom Strudel sich hinreißen lassen, in dem er lebte; die Nacht beim Scheine einer Lampe hinbringend, welche der Dämon der Inspiration bis zum Anbruche der Morgenröthe angezündet hielt; abwechslungsweise überspannt und ausschweifend, hypochondrisch und drollig, devoter Katholik und lustiger Zechbruder – dieser Art ungefähr war Mozart, der unerklärbare Mensch, weil er der Universalmusiker war, der seiner Kunst mit einer bis zur Selbstaufopferung gehenden Willenskraft oblag und in allem Andern als der lebendige Widerspruch und die personificirte Schwäche sich zeigte. Welcher Art ist ein derartiger Charakter, und wie vermag man diesen auf eine Einheit zurückzuführen? Wo soll man einen vorherrschenden Zug entdecken, wenn alle Extreme vorherrschen? Man versuche die Umrisse des moralischen Individuums zu entwerfen, mit Linien, welche sich gewissermaßen perpendicular durchkreuzen! Allein auch nur mit einem so ungewöhnlichen Charakter war es einem Menschen möglich, den Don Juan und das Requiem zu machen. Man sieht also, daß in Mozart's Geschichte Alles logisch ist, gerade weil Alles darin wunderbar ist.

Die Zeit, in welcher unser Heros zur Welt kam, der Ort seiner Geburt, die Erziehung, welche er erhielt, sein Vater, seine Reisen erscheinen uns auf diese Weise vor allem als Fügungen der Vorsehung, die seine Mission vorbereiteten, deren Natur bestimmten und mit unfehlbarer Voraussicht den Erfolg derselben gewährleisteten.

Gerade wie die literarische Wiedergeburt, von der unsere Zeit Zeuge war, so erfüllte sich auch die musikalische Wiedergeburt, durch das Zurückkehren zu der Vergangenheit. Es lag im Geiste des achtzehnten Jahrhunderts, das Mittelalter und seine [15] Schöpfungen zu verachten, das man allgemein mit dem Beiworte gothisch oder barbarisch brandmarkte. Da aber die Musik um einige tausend Jahre jünger ist, als die anderen Künste, so fing ihr Mittelalter mit dem fünfzehnten Jahrhunderte an und endigte mit dem siebenzehnten. Alle Berühmtheiten dieser Zeit lagen also vergessen unter dem Staube der Bibliotheken, zu der Zeit, in welcher Mozart's erstes Meisterwerk, Idomeneo, erschien. Bach und selbst Händel waren nahezu gothische Menschen geworden; man kannte sie weder in Italien noch in Frankreich; in Deutschland hatte man sie fast vergessen, und nur England weihte Händel eine Begeisterung, die vererbt oder traditionell geworden war, und sich auf die durch die Liturgie der anglikanischen Kirche genährte Vorliebe für religiöse Musik gründete. Es gibt jedoch, wie wir bereits gemerkt haben, kein allgemeines wissenschaftliches, künstlerisches oder literarisches Streben, das, wie unnützlich es auch für die Gegenwart wäre, für alle Zukunft ganz unproductiv bleiben sollte. Palestrina und einige seiner Zeitgenossen hatten dem Choralgesange sein Recht widerfahren lassen; Bach hatte die flamändische Schule gerechtfertigt, die italienischen Meister des achtzehnten Jahrhunderts und vor Allen Gluck, hatten Monteverde's recitative Musik zu Ehren gebracht, die noch viel geschmackloser war, als der alte Choralgesang und der alte Kanon. Auch liegt das, was uns überrascht und uns vor Allem bei der Würdigung des Styles von Mozart, dem großen Neuerer, beschäftigen muß, in der theilweisen Rückkehr zu den Formen und dem Geiste der Musik des Mittelalters, von Josquin angefangen, der das älteste Streben repräsentirt. Nicht allein findet sich die kanonische Form in den Haupt-Meisterwerken Mozart's wieder und herrscht darin mehr oder minder vor; sondern dieser gefällt sich darin, die schwierigsten Spitzfindigkeiten der Gattung zu [16] reproduciren, welche die Componisten seit Bach den Theoretikern überlassen hatten, und welche man allgemein für absurde Schwierigkeiten hielt. Werfen wir zum Beispiele einen Blick auf das gelehrteste seiner Streichquartette, La fuga genannt, und bemerken wir darin neben anderen Combinationen, die eines Josquin und Bach würdig sind, das Subject, das gleichzeitig Note gegen Note in seiner ursprünglichen Gestalt und al riverso sich hören läßt:


1. Abschnitt. Irdische Mission Mozarts

Der zweite Musiker der in den Annalen der Kunst Epoche macht, und mit dem, nach unserer Ansicht, die wahre Musik ihren Anfang nimmt, ist Palestrina, dessen Stabat Mater und Improperia Mozart in Rom während der Charwoche hatte aufführen hören, und die er ohne Zweifel zuvor schon studirt hatte. Schon lange aus der weltlichen Musik und der Fuge verbannt, lebte die Modulation Palestrina's noch in dem Chorale fort; aber sie hatte ihre alte Einfachheit nicht in demselben bewahrt, und Bach, ebenso wie Vogler, sein Verbesserer1, indem er vorgab, griechische Tonweisen zu Grund zu legen, suchten sie durch künstliche Harmonie und eine Auswahl von Accorden, [17] die Palestrina durchaus nicht kannte, auf die modernen Tonarten zurückzuführen. Mozart aber, der besser wie Andere die Majestät und Gewalt einer Reihenfolge von Dreiklängen kannte, zögerte nicht, sie in der profanen Musik und selbst in der Oper mit den Veränderungen einzuführen, die nöthig waren, um sie weniger hart und correcter zu machen. Er näherte sich der Harmonie des sechszehnten Jahrhunderts viel ungezwungener als Bach und Vogler, und ohne sie für griechische Musik auszugeben, verstand er es, aus dieser kühnen Neuerung Effecte hervorzubringen, welche der Leser an dem erhabenen und allgemein bekannten Beispiele beurtheilen mag, das ich ihm hier vor Augen stelle:


1. Abschnitt. Irdische Mission Mozarts

1. Abschnitt. Irdische Mission Mozarts

1. Abschnitt. Irdische Mission Mozarts

[18] Eine Reihenfolge von Dreiklängen ohne modale Verbindung, bis zum siebenten Accorde; eine Harmonie ganz nach Art Palestrina's.

Mozart hegte für alle geschriebenen Theorieen eine ungemeine Verachtung. In einem seiner Briefe sagt er: »Wir würden, meiner Treu, schönes Zeug machen, wenn wir es so machten, wie es uns die Bücher angeben.« Er konnte wohl so sprechen, weil er eine lebende Theorie besaß, die sämmtliche Fälle, Regeln und Ausnahmen, in sich schloß. Sein Ohr lehrte ihn alle die Schranken durchbrechen, welche der beschränkte Blick und der systematische Geist der Theoretiker um die Modulation gezogen hatten. Jeden gegebenen Punkt überschreite ich, wo und wie ich will, und wenn ich ihn durchaus nicht überschreiten kann, so mache ich es, wie die Renner des Olymp, und springe in einem Satze an das äußerste, entgegengesetzte Ende des Horizontes der Modulation. So dachte, so handelte Mozart. Er verwendete nur mit vieler Zurückhaltung, und eben dadurch mit stets sicherm Erfolge, das enharmonische Verfahren, dessen Mißbrauch ebenso bequem ist, als er in der Musik Ekel erregend werden kann; zuweilen sehen wir ihn aber den einfachsten Uebergang auf eine Weise zu Stande bringen, die mehr Genie beweis't, als alle enharmonischen Verwandlungen der fünffachen b in siebenfache #, über welche der Unwissende staunt! Wir können hier nur auf Beispiele gestützt [19] weiter gehen. Ich nehme daher an, man habe hinter einander dieselben Sätze in C-moll, in G-moll und in D-moll, mit Originalität, Eleganz und Kühnheit zu reproduciren. Der Uebergang von einem dieser Töne in den andern ist eine so leichte und gewöhnliche Sache, daß sie unter diesen Bedingungen sehr schwierig wird; nicht wahr? Mozart vollführte die Aufgabe im Finale in seiner Jupiter-Sinfonie auf folgende Art:


1. Abschnitt. Irdische Mission Mozarts

1. Abschnitt. Irdische Mission Mozarts

1. Abschnitt. Irdische Mission Mozarts

1. Abschnitt. Irdische Mission Mozarts

[20] Dieser doppelte Uebergang ist originell, elegant und kühn, da er in wenigen Schritten einen so weiten Weg zurücklegt, und dem überraschten Ohre eine so entfernte Perspective aufdeckt und doch einen Augen blick hernach in dem Tone zunächst endigt, von dem er ausgeht. Man merke aber wohl, daß dieser Gang kein Gang der Phantasie ist. Die Blasinstrumente haben das Thema [21] einer zergliederten Fuge, während das Saiten-Quartett, motu contrario, ein ganz anderes, verschiedenartiges Thema verarbeitet. Ich erspare mir die Kosten der Ausrufungszeichen; man brauchte deren zu viele bei der Analyse des Mozart'schen Styls.

Ehemals modulirten die Fugisten mit vieler Umsicht und großem Ernste. Sie gingen Schritt für Schritt, von einem Haltpunkte zum andern, von einem Tone zu dem nächsten über, und die Sprünge lagen ihnen ebenso fern, als einer Magistratsperson jener Zeit, wenn sie die Treppen zum Rathhause hinaufschritt. Gewisse Gänge des Basses, gewisse Combinationen der vollkommenen Accorde mit den Septimen-Accorden gaben bekannte und durch die Theoretiker geheiligte Serien. Bei Mozart war es schwer Etwas vorauszusehen und Etwas über diesen Punkt festzusetzen. Seine Arbeit warf alle Vorschriften über den Haufen, die man bis dahin gehabt hatte, eine Fuge zu componiren, und Marpurg hätte sich wahrscheinlich die Augen ausgerieben, wenn er diese neue harmonische und contrapunctische Analyse des Thema's hätte sehen können, welches in unserm vorgehenden Beispiele der Flöte überlassen war.

Man betrachte ferner das folgende Beispiel aus demselben Finale:


1. Abschnitt. Irdische Mission Mozarts

1. Abschnitt. Irdische Mission Mozarts

1. Abschnitt. Irdische Mission Mozarts

1. Abschnitt. Irdische Mission Mozarts

[23] Eine derartige Reihenfolge hat etwas Unglaubliches, selbst in unseren Tagen. Geschah es, um diese wundervollen Accorde hervorzubringen, daß das Thema unter der dreifachen Darstellung, welche wir in den Violinen und Basse finden, vom eilften Tacte an gerechnet producirt wurde; oder war diese contrapunctische Darstellung, die nicht weniger wundervoll, als die Harmonie ist, der Grundgedanke, so daß die Accorde Nichts als eine ungefähre Folge sind. Der Zufall wäre sehr glücklich. Man möchte die beiden Dinge unabhängig von einander halten, so schön ist jedes für sich. Wer könnte aber die Gräuel alle aufzählen, welche die Gelehrten der damaligen Zeit in dem Stücke finden mochten, dem wir unsere beiden Beispiele entnommen haben. Wie mußte die furchtbare Fuge mit vier Subjecten ihrem armen Gehirne heiß machen. Dieß war weder Bach noch Händel, es war Niemand von ihrer Bekanntschaft; es war Mozart. Wo hätten sie einen Maßstab für den finden können, der ihr Richtscheit und ihren Compaß zertrümmert? [24] Einige ihrer Kritiken sind auf uns gekommen als Denkmale ihrer Betäubung.

Die beiden Fragmente, welche wir dem Leser vor Augen geführt haben, werden schon hinreichen, eine Idee von der Verschiedenheit zu geben, die zwischen der alten Fuge (der stricten und regelmäßigen) und der freien oder Mozart'schen besteht, welche sich durchaus nicht den methodischen Satzungen der Gattung unterwirft und die Mischung der Style zuläßt. Indem wir von der Einheit im Vereine mit der Abwechselung sprachen, als wesentlichen Bedingungen der Fuge, haben wir erkannt, daß die Mannichfaltigkeit zwei Principien dabei bedinge: die kanonische Nachahmung und den Contrast der Melodieen. Bach hatte das erste Mittel erschöpft; Mozart verstand es, dem zweiten einen Vortheil abzugewinnen, der mehr, als alles Andere, dazu beitrug, der Musik eine neue Gestaltung zu verleihen. Mozart, der nicht weniger scharfsinniger Kanonist als Bach, dabei aber viel erfinderischer und ohne allen Vergleich phantasiereicher, wie dieser war, verflocht in das contrapunctische Gewebe Melodieen, die dergestalt von einander verschieden waren, daß man nur mit Mühe an die Möglichkeit denkt, daß sie auf gesetzliche Weise neben einander bestehen könnten; und wenn das Auge sich endlich überzeugt hat, so fragt man sich, ob das Ohr dadurch befriedigt werden könne. Ein verzeihlicher Fehler, den aber die Ausführung bald in Begeisterung verwandelt. So besteht das Finale, aus dem wir unsere Beispiele genommen haben, aus vier Themas, die sicher nicht so aussehen, als wären sie geschaffen worden, um beisammen zu leben. Man überzeuge sich selbst:


1. Abschnitt. Irdische Mission Mozarts

[25] Am Ende des Stücks führt sie der Componist alle vier vor, und die Antwort ermangelt keines derselben. Die Nachahmung und der Contrast so vereinigt könnten sicher nicht weiter gehen.

Mit dieser Modulation voll Kühnheit und Genie, mit dieser Freiheit des Styls, mit dieser unglaublichen Gewalt der Combination, mit Themas, die nach Zeichnung und Charakter sich so sehr entgegenstehen, mit einer Orchesterbegleitung endlich, die aus 15 bis 20 Stimmen besteht, und auf Mozart'sche Weise instrumentirt ist, mußte die Fuge natürlicher Weise ihre Effecte ausdehnen und ihre Verwendung weit über die Grenzen hinaus möglich machen, welche die alten und neuen Contrapunctisten sich je gedacht haben. Die Fuge ist nicht mehr allein der abstracte Ausdruck irgend einer Empfindung; sie kann auch Gemälde werden, sich in Handlung verwandeln, einen Kampf oder irgend etwas Positives malen, ohne je Gefahr zu laufen, in die Gattung zu verfallen, die man Programm-Musik nennt. Um bei unserem Beispiele zu bleiben, was ist denn dieses Finale der Jupiter-Sinfonie, welche die, welche sie lesen, blendet und die Hörenden schwindeln [26] macht? Mir scheint es, daß dieses Allegro die Folge zu dem Grave bildet, mit welchem die Schöpfung von Haydn anhebt. Das Licht hat den Abgrund erleuchtet; die Gesetze der Schöpfung treten in Vollzug; plötzlich versuchen die Elemente, erzürnt über das neue Joch, eine riesenhafte Revolution, um die alte Anarchie wieder zu erobern. Das Feuer, die Luft, die Erde und das Wasser verlassen nach und nach ihre angewiesenen Plätze und vermengen sich in einem Wirbel, in welchem die aufkeimende Ordnung auf Immer unterzugehen scheint; ein erhabenes Schauspiel zum Ansehen, wie jeder große Aufruhr der Materie gegen den Geist, der sie beherrscht. Aber dieser Drang, in das Chaos zurückzukehren, ist vorher gesehen worden; er dient, wie die Ordnung selbst, den Endzwecken der ewigen Weisheit. Wohl mögen die Elementarkräfte sich in einer unentwirrbaren Masse verschmelzen (die fugirten Theile des Stücks), sie hören aber eine Stimme, die ihnen zuruft: »Bis hieher und nicht weiter,« und in einem Augenblicke entwirrt sich Alles, und das junge Universum geht siegreich und schöner mitten aus die ser furchtbaren Verwirrung hervor (die im melodischen Style, mit denselben Motiven componirten Theile).

Wir sehen hier den fugirten Styl aus dem psychologisch Unbestimmten und dem abstracten Ausdrucke herausgezogen, in welchen er sich bis dahin eingeschlossen hatte, und durch seine Verbindung mit dem einfachen Style, herrliche Analogieen hervorbringen, zu welchen weder der eine, noch der andere vereinzelt hätte gelangen können. Mozart erscheint uns auf diese Weise als das letzte Wort der flamändischen Schule, der primitiven Tendenz der musikalischen Kunst. Bach, welcher die Fuge so weit vervollkommnete, als es in den strengen Grenzen und den theilweise conventionellen Formen möglich war, welche ihm die Contrapunctisten [27] des siebenzehnten Jahrhunderts vorgezeichnet hatten, brachte die Gattung auf eine sehr erhabene Stufe der Größe und der Wissenschaft. Unser Heros vermehrte diese Größe und diese Wissenschaft durch die Wunder seiner Orchesterbegleitung und durch die Ausdehnung, welche er den Principien des Contrastes gab. Er verstand es, die Fuge höchst melodisch und ausdrucksvoll zu machen, indem er sie frei machte. Die alte scholastische Form zerbrach in seinen Händen, und bei'm Zusammenbrechen entstand ihr letzter und reichster Schatz, die Königin der freien Fugen, das Werk der Werke, die Ouverture zur Zauberflöte mit einem Worte.

Wer hätte glauben mögen, daß selbst der stricte und buchstäbliche Kanon sich unter Mozart's Feder mit den Sätzen der Anmuth, Zierlichkeit und zuweilen mit all' der Leidenschaft, die man möglicher Weise in irgend eine Opern-Arie, oder in ein Meisterwerk der reinen Melodie bringen kann, sich zu entwickeln vermöge. Ein pathetischer Kanon! Man muß ihn sehen, um es zu glauben.


1. Abschnitt. Irdische Mission Mozarts

1. Abschnitt. Irdische Mission Mozarts

1. Abschnitt. Irdische Mission Mozarts

1. Abschnitt. Irdische Mission Mozarts

[29] Hier machen der Contrapunct und der ausdrucksvolle Gesang, die Poesie und die Berechnung nur noch eine und dieselbe Sache aus.

Frei in seinen Gängen, wie die Melodie selbst, vermengte sich von nun an der kanonische Contrapunct mehr oder weniger mit allen Werken unseres Heros, verschönerte oder verstärkte überall den musikalischen Ausdruck, verlieh selbst den leichtesten Sachen einen dauernden Werth, gab sich mit gleicher Geschmeidigkeit zu dem Erhabenen wie zu dem Anmuthigen her, zum Tragischen wie zum Komischen, schuf eine Menge neuer Analogieen, malerischer Hülfsquellen und psychologischer Nuancen, welche seine Beiziehung allein hervorzubringen vermochte, und fand immer, wenn es sein mußte, seine abstracte Tiefe und seine alte kirchliche Bedeutung, mit aller Strenge ihrer alten Formen ausgedrückt, wieder. Die[30] Fugen des Requiem's sind methodisch, wie die von Bach und Händel.

Das siebenzehnte Jahrhundert lieferte dem Reformator der Musik als seinen Beitrag seine Kirchenmelodieen, jene wahrhaft christlichen und von jenem faden Operngesange so ganz verschiedenen Melodieen, welcher, ohne alle Farbe, sie in der Folge ersetzte und der so jämmerlich mit dem Latein der Messe zusammenstimmte. Mozart suchte diese ehrwürdigen Melodieen in Rom auf; er faßte sie in den Rahmen des gründlichen Wissens eines deutschen Organisten und umgab sie mit den Schätzen seiner Instrumentation gleich einer Einfassung von funkelnden Edelsteinen; und die Kirchenmusik stieg in dem Requiem zum höchsten Range, von wo sie berufen ist, die ganze Bewegung der Kunst zu beherrschen, deren unbeweglichen Pol sie bildet.

Es war von Werth, auch die italienischen Melodisten zu Rathe zu ziehen, welche den Uebergang von dem siebenzehnten in das achtzehnte Jahrhundert bezeichnen. Mozart verdankte ihnen mehr als eine nützliche und kostbare Lehre. Einige seiner Duette mit kanonischem Gange erinnern an die Cantaten von Alessandro Scarlatti, die von Durante zweistimmig arrangirt worden sind.

Für die Oper und Orchestermusik waren die Zeitgenossen Mozart's Vorbilder; einerseits die Italiener in Masse genommen, als Repräsentanten der Vocalmelodie, auf der andern Seite seine berühmten Landsleute und Freunde, Gluck und Joseph Haydn. Zwischen die Interessen des Gesangs und des Dramas gestellt, lag seine Aufgabe darin, die rivalisirenden Ansprüche in Einklang zu bringen, indem er sie einem dritten Interesse unterordnete, [31] welches sein ihm eigenthümliches war. Mit anderen Worten, er hatte mit aller ihm zu Gebote stehenden Macht das Princip der lyrisch-dramatischen Wahrheit aufrecht zu erhalten; den Mitteln der Execution einen bedeutenden und glänzenden Antheil anzuweisen, und sie in ihrem üppigsten Reichthum zu entfalten, sobald die Sänger mehr hatten, als was nothwendig war; endlich und hauptsächlich der Theatermusik einen von ihrer Anwendung unabhängigen Werth zu verleihen, so daß ein Stück, aus seiner Situation und seinem Texte herausgenommen, immer noch schöne und gute, klare und ausdrucksvolle Musik war, die mit sich selbst ebenso übereinstimmt, wie mit dem Libretto, dem sie entzogen würde. Nirgends fühlte Mozart eine so große Anzahl neuer Combinationen ein und entwickelte er eine so wunderbare Manchfaltigkeit von Talenten, als in der Oper, was uns nöthigt, über diesen Gegenstand in viel ausgebreitetere und umständlichere Einzelnheiten einzugehen, als bei allem Uebrigen.

Man hat behauptet, Mozart's Opern seien ein Gemisch von italienischer Musik und französischer Declamation. Das ist richtig, und doch gleichen die classischsten Stellen Mozart's weder Gluck's Opern, nach denen der Italiener des letzten Jahrhunderts, noch irgend einer von denen, die man in unseren Zeiten gemacht hat. Der Grund liegt darin, daß bei'm Studium der Meister Mozart das Princip der Schule oder die Tendenz derselben weit mehr als die individuelle Weise studirte, und daß er bei'm Entlehnen aus allen Zeitaltern der Musik Nichts copirte, sondern Alles nach der Natur seines universellen Geistes, und nach den Bedingungen, unter welchen sich die harmonische Mitwirkung dieser verschiedenen Entbehrungen realisiren konnte, modificirte. Die Wissenschaft des Contrapunctes war unter seinen [32] Händen eine ganz andere geworden, als sie es zuerst gewesen war. Ebenso verhielt es sich mit der französischen Declamation, ebenso mit der italienischen Melodie.

Jede Art des Gesangs hat in dem musikalischen Drama ihre zuständige und bestimmte Stelle, welche die Natur der Dinge selbst ihr anweis't. Die Conversation und der Monolog werden als einfache Recitative behandelt; eine gewisse Wärme und ein Interesse in der Handlung geben zu dem obligaten Recitativ Veranlassung, welches sodann, in ganz natürlicher Folgerung, den wahren lyrischen Moment herbeiführt, den Moment des leidenschaftlichen Ergusses, in dem der melodische Gesang vorherrscht. Wenn das Recitativ in die Musikstücke einverleibt und einem positiven Rhythmus unterworfen ist, nimmt es specieller den Namen der Declamation an. Es gibt eine Menge Fälle, in denen die Declamation vorzugsweise vor der Melodie angewendet werden muß. So oft man daher spricht, ohne dabei stark bewegt zu werden, oder wenn man im höchsten Grade aufgeregt ist, oder wenn die Handlung dem Gange der Worte folgen muß, oder wenn ein lebendiger und gedrängter Dialog der Musik nicht gestattet, sich in Perioden abzurunden, oder wenn die Lage zu dringend ist, als daß man sich lange bei dem aufhalten könnte, was man empfindet, wird der declamatorische Gang im Allgemeinen einen viel dramatischern Effect hervorbringen, als der melodische Gesang. Der einfachste gesunde Menschenverstand macht uns klar, daß ein Mensch, der weiß, daß er sicher seinem Untergange entgegengeht, wenn er eine Minute länger dableibt, wo er ist, nicht lange damit sich aufhalten wird, in einer Arie oder einem zärtlichen Duett seine Empfindungen auszusprechen, wenn jede Note die Gefahr vermehrt und der Illusion einen tödtlichen Streich [33] versetzt. Und dieses sind die Abgeschmacktheiten, welche man so viel und so oft dem lyrischen Drama vorgeworfen hat, als wenn die Gattung für die Dummheiten der Textmacher und Musiker verantwortlich wäre.

Es ist Thatsache, daß man es sowohl in Italien wie in Frankreich noch nicht verstand, den Dialog und die Musikstücke, die Declamation und den Gesang so einzutheilen, daß die Musikfreunde dadurch befriedigt worden wären. Die Italiener vermehrten die Arien ganz nach dem Belieben der Sänger, ohne sich um die dramatische Ursache zu kümmern, was sie aber dessen ungeachtet nicht abhielt, ihre Recitative in der Opera seria entsetzlich lang und langweilig zu machen. Gluck wandte die Arien nie unrichtig an; aber er verwies eine Menge Situationen, in welchen die Musik mit Vortheil sich hätte entwickeln können, in den Dialog. Die große französische und die große italienische Oper, so verschieden sie dem Princip nach waren, hatten doch einen Fehler gemein: das Recitativ nahm einen viel zu großen Raum darin ein. Woher schreibt sich dieser Mangel an Verhältniß zwischen den Theilen, welche das musikalische Drama ausmachen und diese überwiegende Breite einer Gesangsform, die ihrer Natur nach am Wenigsten gefällt? Die Frage ist leicht zu beantworten. Man verstand es, Cavatinen, Bravour-Arien und Chöre, selbst Duetts, wenn gleich diese weniger gut, zu machen. Was aber weder die eine noch die andere Schule verstand, waren die Ensemblestücke. Selbst Gluck hat darin keine sehr bemerkenswerthe Gewandtheit gezeigt. In Folge dieses Uebelstandes behandelte man eine musikalische Situation, sobald sie sich zwischen drei und vier Personen theilte, im recitirenden Dialog, und selten benützte man sie zu einem Terzett oder Quartett. Die Literaten triumphirten bei einer [34] derartigen Gelegenheit. Seht, riefen sie den Freunden der Musik zu, was aus dem Verse des Arkas in der Iphigenie wird:


»Il l'attend à l'autel, pour la sacrifier!« 2


Vergleicht den Effect der tragischen Scene mit dem Effect der lyrischen Scenen, und meßt dann an dieser Vergleichung die relative Macht der beiden Künste, welche ihr auf eine Stufe zu stellen wagt. Leider hatten sie sehr Recht, nicht der Musik, wohl aber Gluck gegenüber. Racine's Blitzstrahl, welcher auf einige Fetzen von Recitativ fällt: mon époux! mon père! son père! ô désespoir! ô crime! (mein Gatte! mein Vater! sein Vater! o Verzweiflung! o Verbrechen!) bringt gerade den Effect einer verpufften Petarde hervor. Mit einem magern Recitativ gegen die tragische und harmonische Gewalt eines großen Dichters kämpfen zu wollen, ist in der That ein Streit zum Lachen, in welchem der Musiker sich der Scheide statt der Klinge bedient.

Nur Geduld; da kommt Einer, der dem Geschrei der musikfeindlichen Kritiker ein Ende machen und beweisen wird, daß die idealste Form des Drama's auch die wahrste ist. Die Nozze di Figaro und Don Giovanni gaben endlich den Normalplan an, wie ein Libretto und eine Partitur, sowohl im Tragischen wie im Komischen zu machen seien. Dichter und Musiker lernten an ihnen ein neues Métier. Alle musikalischen Situationen sowohl in der Bewegung, als in den Ruhepunkten, waren darin für die Musik zugeschnitten: Arien, Duetts, Terzetts, Quartetts, Quintetts und Sextetts, Chöre und Finale; das auf das unumgänglich [35] Nothwendige zurückgeführte Recitativ wurde seines Rechtes zu ermüden und zu langweilen entsetzt, welches es beinahe zwei Jahrhunderte lang in so vollem Umfange geübt hatte, statt die Hälfte einer Oper und darüber einzunehmen, füllte es nur noch einen sehr unbedeutenden Theil aus. Auf den 590 Seiten der Partitur des Don Juan (Leipziger Ausgabe), finden sich nicht mehr als 45 für das einfache wie für das obligate Recitativ vor. Jetzt erst konnte man eine vernünftigere Vergleichung zwischen dem gesprochenen und gesungenen Drama anstellen.

Es war aber immer noch wenig, das Recitativ nur abgekürzt zu haben; man mußte es auch verschönern, ihm einen Grad von musikalischem Interesse verleihen, den es an und für sich nicht hat. Porpora und Gluck hatten die Declamation vervollkommnet; sie hatten sie auf den Punkt der Wahrheit und Genauigkeit geführt, wo sie so wenig, wie die natürlichen Biegungen der Stimme, welche sie nachahmt, oder wie die Accorde, einem Wechsel mehr unterworfen ist. Mag das Recitativ auch noch so gut declamirt werden, so hat es doch nur als eine reine Musik Werth; die Harmonie und Instrumentation vermögen ihm allein denselben zu verleihen. Gluck hatte in dieser Beziehung Viel gethan; Mozart that viel mehr. Bei dem einen ist die Instrumentation noch Nichts, als ein mehr oder weniger figurirtes Accompagnement, das sich glücklicherweise dem Texte anpaßt und ohne ihn Nichts wäre. Bei dem andern dagegen ist es eine ganze Welt musikalischer Gedanken für sich, die an und für sich selbst schon schön sind und noch viel schöner durch die ungeheure Beihülfe werden, welche sie dem Drama leisten; es liegt eine Manchfaltigkeit und ein Reichthum von Figuren darin, die einer Symphonie, eine Menge von Details und eine contrapunctische Tiefe, die eines [36] durchgearbeiteten Quartetts würdig sind. Um genau zu beurtheilen, was Mozart im Recitativ leistete, braucht man nur die Partitur des Idomeneo zu betrachten, in welcher der Dialog bei Weitem mehr Raum einnimmt, als in seinen anderen Opern. Aber wenige Liebhaber jetziger Zeit kennen Idomeneo; dagegen sind die Recitative der Donna Anna, die erhabensten Muster der Gattung, in Jedermanns Gedächtnisse, was mich der Beweise und Beispiele zur Unterstützung meiner Bemerkungen überhebt.

Wenn die Situation declamatorische Effecte in den Musikstücken verlangte, bemühte sich Mozart nicht, den Text singen zu lassen, sondern er überließ in solchem Falle dem Orchester das Interesse oder die Lust für die Ohren, d.h. den eigentlichen musikalischen Sinn. Während die Stimme ihre Rede in einem Athem und selbst mit der natürlichen Intonation des Wortes recitirt, commentirt das Orchester die Situation, drückt ihren Totaleffect aus und deckt den innern Mechanismus des Gefühls auf, der sich äußerlich durch Declamation und Geberde kundgibt. Auf diese Weise verwirklicht die Musik das Drama sowohl in seiner poetischen, als in seiner malerischen und psychologischen Form, die ihr ausschließlich gehört; sie zeigt es zugleich als Subject und Object; sie stellt es unter allen reellen, sichtbaren und verborgenen Seiten dar, die es in der Natur hat. Ein kleines Duett zwischen Cherubino und Susanne: Aprite presto, aprite, soll uns als Beispiel dienen. Almaviva, der ganz wüthend ist, soll den Augenblick kommen. Wenn der Graf den Pagen im Cabinet der Gräfin findet, so tödtet er ihn auf der Stelle und die Gräfin ebenfalls; aber die Thüren sind fest verschlossen. Che risolvere, che far? Den Hals dem wüthenden Gatten hinstrecken [37] oder zu riskiren, ihn durch einen Sprung aus dem Fenster zu brechen? Das Dilemma ist nicht zu vermeiden, und sicher ist es jetzt für Cherubin und Susanne nicht an der Zeit, die Noten abzuspinnen oder in Terzen und Sexten verliebt zu girren. Einige abgerissene Sätze mit einer Stimme hervorgestoßen, deren Gebrauch das Uebermaß der Bewegung der Spielenden kaum zuläßt, das war hier am Platze, und der Maestro war nicht der Mann, hier einen Mißgriff zu machen. Sein Duett ist ein rasches, ängstliches Zwiegespräch, das schneller verläuft, als das Wort, und nur eine Minute dauert. Das Orchester deutet die Gefahr an und spielt eine Figur, in der die Lage sich von Anfang bis zu Ende abmalt. Diese Figur ermahnt, ermuntert, treibt die Personen an und zieht sie durch die Krümmungen der Modulation, durch welche sie mit ihnen entkommen möchte; zuletzt weiß sie, wie die Spielenden, nicht mehr, wo ihr der Kopf steht, erklettert das Fenstergesims, sie ringt in Todesangst. Es gibt nichts dramatisch Wahreres, als dieses Duett, und nichts Logischeres für eine einfache Entwickelung eines musikalischen Gedankens. Die Declamation auf diese Weise mit Gesang und Orchester verbunden, vereint folglich alle Vortheile der angewandten Musik mit den Verdiensten der reinen Musik. Bewundern wir also die Weisheit der Kritiker, welche Mozart vorgeworfen, die Stimme dem Instrumente geopfert zu haben, ihm dem sangbarsten aller Componisten, sobald er, ohne abgeschmackt zu sein, singen konnte.

Wir haben gesagt, daß die italienische Melodie ebenfalls in Mozart's Opern den Charakter geändert habe; aber die Aenderung, die er mit ihr vornahm, ist eins der Dinge, welche auf eine positive und rationelle Art zu erklären die Kritik aufgeben [38] muß. Greise, welche seit vierzig Jahren Voi, che sapete, Vedrai carino, Mi tradì quell' alma ingrata, Fin c'han dal vino etc. etc. gehört haben, erbeben noch vor Lust bei diesen Melodieen des vorigen Jahrhunderts und wie wunderbar! Junge Musikfreunde finden, daß es ihnen wie ihren Großältern ergeht! Dieß ist schwer zu begreifen! Es gab eine Zeit, in welcher Nel cor più non mi sento, Una fida pastorella, Di tanti palpiti, Una voce poca fa und viele andere Piecen, welche seit Mozart alle bei'm Publicum in Gunst standen, mir wenigstens den schönsten Arien des letztern gleich zu kommen geschienen haben. Welch' ein Unterschied heute! Die Molinara ist eine zahnlückige Alte geworden, die in ihrer Mühle um Almosen bettelt, wenn sie nicht bereits gestorben ist. Von Paer's Opern ist nur er selbst übrig geblieben3; der Bart des Helden Tancredi färbt sich zusehends grau; Minette, ob gleich sehr hübsch, ist nicht mehr in ihrer ersten Jugendblüthe. Sie sind vorübergegangen oder gehen vorüber, alle diese vom Publicum verzogenen Kinder, welche Italien im neunzehnten Jahrhundert geboren hat. Und ihre älteren Geschwister, Mozart's Kinder? Man sehe sie an! Giovanni besitzt noch die ganze Macht seines bezaubernden Blickes; Elvira ist noch immer die treueste Liebende; Ottavio der melodischste der Tenore und der zärtlichste Bräutigam; Anna noch immer erhaben in ihrem Schmerze, ihrer Leidenschaft und Energie; Cherubino ist noch so frisch, wie am Tage, an dem er der Gräfin Almaviva vorgestellt wurde. Er verspricht noch immer, was er vor siebzig Jahren versprach und was er als aufkeimender Don Juan im Dissoluto punito gehalten hat. Aber was sage ich, alle [39] diese mit Jahren belasteten Leute scheinen noch im Wachsthume begriffen zu sein. Wie alte Freunde, gewinnen sie immer mehr die Sympathie der Seele, die sich in ihnen wie in dem klarsten und getreusten aller poetischen Spiegeln betrachtet.

Worin liegt denn das Geheimniß für diese fabelhaft lange Lebensdauer von Opern-Arien? Das Geheimniß, ich wiederhole es, wird stets ein Geheimniß für alle Anderen, als für Musiker von Genie bleiben, die in Mozart's Fußstapfen treten. Was sich vielleicht ganz im Allgemeinen darüber sagen läßt, ist, daß die Vocal-Melodie, die nicht veraltet, die ist, welche frei von allem Formenwesen, in Beziehung auf Situation und Worte den Charakter absoluter Wahrheit trägt. So zeigen uns Mozart's schönste Arien das reine und einfache Resultat, die musikalische Analogie in höchster Vollkommenheit der Eindrücke, die abwechselnd diese bewegliche und wechselvolle Natur beherrschten, deren zahllose Außenseiten unaufhörlich, ganz nach den Einflüssen des Augenblicks sich wendeten und wechselten. Waren die Worte für die Melodie geeignet, gingen sie gerade zu Herzen oder erregten sie die Phantasie, so begeisterte sich unser Heros am Text; er arbeitete mit Feuer; er warf auf das Papier ein Stück seines Ichs, welches sich sogleich in ein melodisches Meisterwerk verwandelte. Hatte er dagegen einen jener Stoffe in Arbeit, die weder für den Gesang, noch für die Declamation gut sind, eine jener häufigen in Reflexionen verarbeiteten Lappalien, Maximen und Gemeinplätzen schlüpfriger Moral, wie sie die Textmacher den Personen in den Mund legen, wenn diese Nichts zu sagen haben, so stieg Mozart auf den Standpunkt des Reimmachers herab, vergaß sich und vernachlässigte sich mehr und mehr, als ein großer Künstler je thun sollte. Daher rühren mehrere gewöhnliche, unbedeutende und heutzutage veraltete Melodieen in seinen Opern, und eine [40] noch größere Anzahl seiner Lieder. Er schlief zuweilen den homerischen Schlaf, und zwar sehr tief, wie wir zugeben müssen. Doch wußte er seine Augenblicke zu wählen.

Der Musiker, welcher in seinem Compositionsstyle alle Tendenzen der Musik, aus der vergangenen und seiner Zeit aufnahm, konnte aus seiner Oper die Bravour-Arie nicht ganz ausschließen. Gluck hatte sie verbannt und zwar aus guten Gründen; er hatte es mit französischen Sängern zu thun. Die Sänger Mozart's hingegen glänzten in Rouladen und Coloraturen wenigstens eben so sehr, als im Ausdrucke. Er wäre schlecht berathen gewesen, wenn er den Sängern die bewährtesten Mittel ihres Erfolges und ihrer Existenz, dem Publicum einen seiner Lieblingsgenüsse, und der Oper selbst eine unumgänglich nothwendig gewordene Zierde geraubt hätte. Mozart nahm alle Nothwendigkeiten des lyrischen Drama's an und opferte keine derselben auf. Die ausdrucksvollen Arien wurden für die ausgewählten Situationen aufgespart; die, welche den Sängern zu Liebe componirt worden waren, bezeichneten die Ruhepuncte im Drama, was beinahe unvermeidlich ist, wenn man, wie unser eins, etwas Mehr auf die Musik, als auf das Stück hält. Oft that Mozart noch mehr; er ließ die Bravour mit dem Ausdrucke zusammenwirken, und selbst die Rouladen bedeuteten etwas. Die schönste, glänzendste, melodischste und ausdrucksvollste aller Tenor-Arien, die ich kenne: Il mio tesoro intan to, ist Nichts mehr und Nichts weniger als eine Bravour-Arie.

Gehen wir zu den Duetten, Terzetten und Ensemblestücken über. Die Ansicht J.J. Rousseau's über das dramatische Duett verdient bemerkt zu werden, weil sie von einem Theoretiker des achtzehnten Jahrhunderts herrührt, in welchem der ausschließliche Geschmack für italienische Musik zuweilen durch den kritisch-philosophischen [41] Geist des französischen Gelehrten gedämpft wurde. Nach ihm ist die wesentliche Form des Duetts der Dialog; die Verbindung der Stimmen und ihr Gang in Terzen und Sexten sind seltene und kurze Ausnahmen, die sich nur durch die hinreißende Gewalt der höchsten Leidenschaften motiviren lassen. Diese Ausnahmen zu verlängern und zu vermehren hält er für die größte Unschicklichkeit, insofern die Könige, Fürstinnen, Helden und ihr Gefolge, überhaupt alle wohlerzogenen Leute wissen müssen, daß es unanständig ist, wenn zwei oder mehrere Personen zu gleicher Zeit sprechen. Vom Terzett sagt er Nichts, und das wahre Quartett erklärt er für unmöglich. Wir würden schönes Zeug machen, wenn wir es so machten, wie es uns die Bücher lehren. O, Mozart hatte sehr Recht! Er, der nur eine bürgerliche Erziehung erhalten hatte, schrak vor der plumpen Unschicklichkeit nicht zurück, zwei, drei oder vier Personen in zwei, drei oder vier verschiedenen Melodieen zugleich sprechen zu lassen. Ganz im Gegensatze zu der alten Theorie, je mehrere Sprechende er zu gleicher Zeit zu beschäftigen hatte, um so mehr unterschieden sie sich durch die Contraste des Gefühls und des Charakters, das heißt durch die Manchfaltigkeit der melodischen Anlagen und der rhythmischen Gänge, und um so mehr gewann das musikalische Gemälde an Schönheit, Reichthum, Wichtigkeit und Interesse. Die Ensemblestücke, die ehemals Nebensache waren, nur zufällig und selten vorkamen, auch meistens nur geringen Effect in der Oper machten, wurden zu einer der Hauptsachen. Man hatte vor Mozart sehr schöne Chöre componirt; aber von einem Chore bis zu einem Ensemblestück ist es noch sehr weit. Der Chor ist ein collectives Wesen, das nur einen Gedanken, ein Gefühl, einen Text hat. Das Ensemblestück vereinigt individuelle Wesen, deren gleiche oder constatirende, freundlich oder feindlich [42] gesinnte Leidenschaften sich neben einander und in voller Freiheit kundgeben, wie es der jedem zugetheilte Charakter oder ihre Situation vorschreiben. Und alle diese verschiedene Individualitäten, all' diese manchmal so vielfache Wirklichkeit beleben dieselben Accorde und machen einen Theil desselben musikalischen Gedankens aus. Nichts ist so schwierig, aber auch Nichts ist so schön, als die glückliche und vollkommene Lösung eines solchen Problems. Man braucht sich nur an das Quartett in Idomeneo, das Terzett bei'm Tode des Commandeurs, das Quartett, das Sextett und das erste Finale im Don Juan, das erste Finale in Così fan Tutte und an so viele andere Meisterwerke des musikalischen Styls zu erinnern, welche die erstaunenswürdigsten Wunder der Opern Mozart's und das Höchste, was eine Theatercomposition zu leisten vermag, ausmachen.

Es gibt kaum ein interessanteres Studium für den Musiker, als zu untersuchen, wie Mozart es verstanden hat, die musikalische Einheit mit den launenhaftesten Zwischenfällen im Drama, in den Ensemblestücken, in denen die Handlung vorwärts geht, in Einklang zu bringen. Gibt es zum Beispiel etwas dieser Einheit scheinbar mehr Zuwiderlaufendes, als die Scenen, welche das Andante des Sextetts in Don Juan bilden? Leporello sucht sich aus dem Staube zu machen, da kommen Anna und Octavio, und nach ihnen Masetto und Zerlina, alle von Rachegedanken gegen das Individuum erfüllt, das sie für Giovanni halten; Elvira, die ihren Irrthum theilt, bittet um Gnade für ihren Ungetreuen. Ein peremptorisches Nein weist ihr Flehen zurück. Leporello wird erkannt und bittet nun für sich selbst um Gnade. Allgemeines Erstaunen. Jeder spricht hier die Sprache des Gefühls, das ihn beherrscht, und doch bleibt Jeder seinem Charakter als tragische oder komische Person getreu, welcher Art auch das [43] Band der Einheit zwischen diesen disparaten Fragmenten von Melodie und Declamation sein mochte; auf welcher gemeinschaftlichen Basis auch sich nach und nach oder zu gleicher Zeit die pathetische Beschützung Elvirens, der Unwille der beiden beleidigten Liebespaare, die groteske Feigheit Leporello's, das Staunen Aller, als die Fackeln das Gänslein unter dem Gefieder des Adlers erhellen, den man selbst zu halten glaubte, kundgeben mochte. Dieses Band und diese Basis bildet eine Instrumentalfigur, die wie ein prachtvoller melodischer Wasserfall stets neuen Wechsel von Modulation und Zeichnung herabströmen läßt, und aus einem Meisterstücke einer natürlichen und lebendigen Scene ein Meisterstück der Composition, ganz abgesehen von dem Drama, macht. Außerdem liegt die Reinheit in einer Vokalphrase, die mit bewunderungswürdiger Gewandtheit von Neuem vorgeführt und durch die unmittelbar darauf folgende Wiederholung des Orchesters dem Ohre eingeprägt wird, wodurch sie sich in dem Gedächtnisse des Zuhörers festsetzt, ihn wie an einem Faden durch Dialog und Handlung hindurchführt, und ihn durch Wiederholungen erinnert, daß er aus dem Ideenkreise nicht hinausgetreten ist, in welchem ihn der Musiker herumführt. Dieser Art ist namentlich die köstliche Phrase in Don Juan: Te vuol tradir ancor, welche man sogleich als den musikalischen Drehpunct dieses Ensembles erkennt. Wir kämen nicht zu Ende, wenn wir alle Mittel auseinandersetzen wollten, welche Mozart, um diese Einheit hervorzubringen, aufwendete, diese wesentliche Bedingung der reinen Musik oder Kunst an und für sich, die aber so schwer mit den Bedingungen des theatralischen Styls in Einklang zu bringen ist.

Es hat Jemand sehr wahr gesagt, daß Mozart seine Opern nicht gemacht hätte, wenn nicht der Stoff zu einem großen Kirchen-Componisten in ihm gelegen hätte. Wir setzen aber hinzu, daß [44] er sie noch weniger gemacht hätte, wenn er nicht der größte Instrumentist gewesen wäre.

Der erste Dienst, den er der Instrumentalmusik leistete, bestand darin, daß er das Orchester materiell verstärkte. Ehemals besaß die italienische Oper fast kein anderes Accompagnement, als das Saitenquartett; die Mitwirkung der Blasinstrumente reducirte sich fast auf Null in Ermangelung tauglicher Subjecte. Gluck, welcher wahrscheinlich zahlreichere und gewandtere Symphonisten fand, benützte diesen, bis jetzt vernachlässigten Theil des Orchesters mehr, als man es seither gethan hatte, aber doch immer mit einer gewissen Aengstlichkeit. Mozart aber war durch keine jener Rücksichten gebunden, welche die Verwendung der Blasinstrumente in Italien und Frankreich beschränken konnten. Er war keineswegs verlegen, fünfzehn und zwanzig Stimmen in einer Klammer zu vereinigen; er kannte die Stärke und Schwäche jeder der Orchesterstimmen, und er lebte in einem Lande, in welchem die Symphonisten jeder Gattung nicht mehr selten waren. Wir ersehen aus den Partituren des Idomeneo, Don Juan und Titus, was für Bläser es bereits in München und Prag gab. Mozart installirte also für immer in seinem Orchester die Flöten, Oboen, Clarinette, Fagotte, Hörner, Trompeten und Pauken, die bald in den Musikstücken abwechselten, und bald sich zu einem großen vollständigen Ganzen vereinigten. Das auf diese Weise eingerichtete Orchester theilte sich in zwei Abtheilungen, deren jede ihren besonderen Dienst hatte. Im Allgemeinen scheint der Ton der Blasinstrumente, die aus Holz gemacht sind, etwas viel Einschmeichelnderes zu haben, als der der Saiteninstrumente; es ist aber notorisch, daß in einem länger Musikstücke sich das Ohr im Verlaufe mehr mit den letzteren befreundet, weil sie noch überdieß den Vortheil eines freiern, umfangreichern, beweglichern und ohne [45] allen Vergleich manchfaltigern Vergleich voraus haben. Aus diesem Grunde entwickelten sich die Fundamentalgedanken der Instrumentation im Quartett; den Blasinstrumenten wurden die Nebenfiguren zugewiesen. Da ihre rechtzeitigen Effecte namentlich von ihrem Schweigen zur rechten Zeit abhängen, so sprachen sie nicht immer; Mozart rief sie an den ausersehenen Stellen zu Hilfe; sie vermehrten das Interesse eines wiederholten Satzes; sie fielen eines nach dem andern in dem Crescendo ein; sie vereinigten sich im Forte; sie dialogisirten unter sich oder mit dem Quartette, vereinzelt oder in Gruppen; endlich in den Stücken im fugirten Style sehen wir sie in langehaltenen Noten den Accord tragen, die Synkopen verbinden, die Ritardirungen unterstützen, die Auflösungen entwirren, die harmonische Reihenfolge in ihre elementaren Sätze zurückführen, während die Saiteninstrumente die Figur des Contrapunctes bearbeiten. Es wäre unmöglich, alle Funktionen dieser beiden Abtheilungen aufzuzählen; aber eine Besonderheit der Mozart'schen Instrumentation müssen wir hervorheben, die ohne Zweifel ihre guten Gründe hat. In den Arien, in welchen die Instrumente mit der Stimme concertiren, war die Rolle des Solisten immer einem Mitgliede der blasenden Partie und nie der Violine anvertraut. Sollte es nicht aus dem Grunde geschehen sein, weil die Violine, in den Händen eines Virtuosen, jeden Sänger vernichtet? Ich habe viele Amenaiden, deutsche wie italienische, gehört, und darunter einige von großem Talente. Wenn nun die fatale Arie kam, so wurde die herrlichste Stimme, die anmuthigsten und fließendsten Rouladen von den ersten Bogenstrichen eines Lafont oder Böhm verdunkelt. Die Mitwirkung einer Flöte, eines Clarinetts, einer Bratsche oder eines Violoncells ist der Stimme bei Weitem nicht so schädlich; sie kann ihr sogar von großem Vortheile sein. Eben so gab [46] Mozart bei den Soli's, die er in seine Symphonieen und Ouverturen mischte, stets den Blasinstrumenten den Vorzug. Das ist ganz natürlich. Das Quartett bildet die Grundlage des Orchesters, und folglich hebt sich das Solo als solches weit besser hervor, wenn es einem episodischen Instrumente anvertraut ist.

Mozart, der stets auf alle Erfindungen und Vervollkommnungen Bedacht nahm, welche das Instrumental-Colorit mit einer neuen Schattirung bereichern konnte (man denke nur an die Bassethörner in seinen beiden letzten Opern und im Requiem), verfolgte seine Entdeckungen auch rückwärts und zog einige wohlklingende Instrumente aus ihrer ungerechten Vergessenheit. Nunc audite et intelligete gentes! Mozart ließ die Posaunen wieder erstehen. Kommt einer seiner Ansprüche auf Ruhm diesem gleich? Musiker aller Nationen und aller Schulen, geht und errichtet mit eigenen Händen Dem eine Statue, welcher euch die Posaune geschenkt hat? Was würden wir heutzutage ohne Posaune machen?


Aimez-vous le trombone, on en a mis partout.


Und das ist das Uebel! Der Restaurateur dieses Instrumentes des Mittelalters hatte es in einigen Scenen seiner Opern, in der Ouverture zur Zauberflöte und im Requiem angewendet. Der Erfolg war überraschend, und weil eine zweimalige Anwendung diesen Effect machte, so glaubte man nur noch mehr zu Wege zu bringen als Mozart, wenn man die Dosis verdoppelte. Weil in einer Scene des Don Giovanni und in dem Requiem die Posaunen gleich denen des Weltgerichts erklangen, so mußten die durch eine ganze Partitur wirkenden Posaunen zum allerwenigsten die Mauern von Jericho einstürzen. Das war aber nicht der Fall; kein Stein rührte sich; dagegen ermüdeten unsere Componisten das Ohr durch ein Effectmittel, das, mäßig und namentlich zu rechter Zeit angewendet, wie es Mozart that, stets seine [47] Macht bewahrt hätte. Mit solchen Hilfsmitteln konnte Mozart seine Begleitung so viel er wollte vervielfältigen und alle mögliche Formen erschöpfen, von der Nacktheit des manchmal so kräftigen Unisono an bis zu dem blendenden Prachtaufwande der vier concertirenden Stimmen; von dem natürlichen Accorde, voll angeschlagen oder in Arpeggien gebrochen, bis zu dem buchstäblichen auf eine Viertelspause gehaltenen Kanon. Und wenn man alle diese Formen prüft, so wird man immer einen ausgesuchten Geschmack und eine tiefe Berechnung finden; man wird nicht Eine treffen, welche nicht den Vocalgesang in das angenehmste Gewand kleidete und zu dem Drama den getreuesten Commentar lieferte, den man hätte auswählen können, um die Melodie damit auszustatten und die Situation zu versinnlichen.

Heutigen Tages, nachdem das Material und die Haupteinrichtungen dieses Orchesters Gemeingut der Musik geworden sind, haben Mozart's Werke aufgehört, unter mehreren Puncten, die wir angedeutet haben, Originale zu sein. Einige seiner Nachahmer stehen ihm hinsichtlich des Reichthums der Instrumentation und der Kenntniß des akustischen Colorits gleich; eine große Anzahl hat ihn noch überboten und ist über das Ziel hinausgekommen, statt es zu erreichen. Wenige der jetzigen Meister, und zwar nur die großen unter denselben, haben die negative Seite der Mozart'schen Instrumentation studirt, wir meinen damit die gelehrte und tief berechnete Einfachheit, die in einigen Stücken seiner Opern herrscht. Warum sind so viele Accorde da, denen einer oder mehrere Intervalle fehlen; so viele Stimmen, die feiern; so viele leere Colonnen und andere, die so wenig ausgefüllt sind? Man befrage die Italiener darüber, die Schiedsrichter in Sachen des melodischen Geschmacks und des Wohlklangs. Ihre Schule lehrte, daß das Schwierigste bei der Begleitung das wäre, zu [48] wissen, nicht was man Alles im Orchester anbringen, sondern das, was man weglassen könne. Mozart, der kühnste unter den Fugisten, der vollendetste und glänzendste Instrumentist, war von dieser Wahrheit so durchdrungen, daß er das Orchester häufig auf eine Guitarre-Begleitung beschränkte. Man hätte glauben können, er accompagnire nach dem Gehöre, wie Einer, der die Musik nicht erlernt hat. Hie und da ein kleiner Strich von zwei Noten; ein Ton, der sich in den Blasinstrumenten fortpflanzt, Pausen, so viel wie Nichts, und der Zauber hat seinen höchsten Grad erreicht, und der Effect dringt Einem durch Mark und Bein.

Ehre, dem Ehre gebührt! Derjenige unter den gegenwärtigen Meistern, der in seinen Accompagnements am besten diese anbetungswürdige Anmuth und wundervolle Einfachheit hervorgebracht hat, ist Giacomo Rossini. Wie sehr hat er nicht immer, wie sein Vorbild, die Grenzen respectirt, welche in dem musikalischen Drama die poetische Nachahmung von der pittoresken oder interpretativen Nachahmung, den Vocalgesang von dem Orchester getrennt. Die Stimme soll nicht wie ein Instrument singen. Stimmen die ganz mit kleinen Figuren in Sechszehnteln und Zweiunddreißigsteln eingefaßt sind, mit gebundenen oder punctirten Arpeggien, Staccato's u.s.w. könne ihren Werth und ihre Bedeutung im Orchester haben; wenn man sie aber einem Sänger zumuthet, so verändern diese Dinge die Reinheit der Vocalmelodie und zerstören deren dramatischen Ausdruck; sie werden widersinnig und verfallen in das, was wir Formalismus nennen.

Dadurch, daß die Musik Mozart's einige der Kennzeichen verloren hat, die sie im achtzehnten Jahrhunderte völlig neu machten, scheint sie dennoch nichts verloren zu haben. Seine Meisterwerke [49] halten sich siegreich gegen die Nachahmung im Ganzen und das Plagiat im Einzelnen, die sich seit siebzig Jahren an dieselben knüpfen. Man ahmt wohl die äußere Form oder den Umriß nach; aber man ahmt keinen universalen Geist und keine Wissenschaft eines universalen Styls nach. Das ist der Grund, warum Don Juan, das Requiem, die Ouverturen, die Symphonieen, die Quintett's und Quartett's Mozart's noch wie in den ersten Tagen gegen alle Productionen alter und moderner Musik abstechen.

Wir müssen aber der Wahrheit die Ehre geben und sagen, daß die dramatischen Arbeiten Mozart's nicht frei von Fehlern sind. Mit Ausnahme eines einzigen Werkes findet man schwache Stücke, triviale oder selbst mit den Worten nicht übereinstimmende Melodieen darin. Aber, was ist Schuld daran? Er mußte leben, und um dieß zu können, mußte dem Zeitgeschmack ein Opfer gebracht werden. Niemand gehorchte weniger als Mozart dieser Nothwendigkeit; Niemand beklagte sich mehr darüber, als er. Er beklagte sich noch auf seinem Todtenbette darüber; die Ehre, zufälligerweise ein Musiker nach der Mode gewesen zu sein, quälte sein Gewissen wie eine Todsünde, und er hatte doch diese Schuld so wenig auf sich geladen.

In der Instrumentalmusik befreite sich Mozart gänzlich von einem Joche, das ihm so unerträglich war. In ihr trifft man keine Beimischung, keine Spur eines vorübergehenden Geschmacks, keine veraltete Note; in Allen findet sich der ungeheure Schwung, der nie matt wird, Gedanken, welchen unabänderlich das Siegel einer unvergänglichen Distinction und Eleganz aufgedrückt ist; wundervolle Arbeiten. Es handelt sich von den Werken, welche von 1784 bis 1791 componirt worden sind. Wann wir einzeln die Symphonieen, die Quintett's und Quartett's zu [50] prüfen haben werden, so werden wir sehen, welche Schranken Mozart zwischen diesen drei Gattungen aufgestellt hat.

Das sind, so viel mir möglich war, in einer einfachen, technischen Analyse anzudeuten, einige der Hauptmerkmale von Mozart's Styl, Merkmale, welche sich in zwei Worten ausdrücken lassen: Universalität und Transcendentalität. Mit diesen Attributen wurde die Musik endlich Alles, was sie werden konnte und was sie zuvor noch nie gewesen war: eine Poesie aller Zeiten und aller Orte, eine vollständige und absolute Poesie, die nicht den Menschen entzweit, um sich ihn zu unterwerfen, sondern die ihn durch das Ganze ihrer Leistungsfähigkeiten, durch den Geist und die Sinne, das Herz und die Einbildungskraft beherrscht; ein materieller Genuß, der bis in den Grund aller Sympathieen der Seele dringt und seinen geheimnißvollen Instincten antwortet; die Sprache des Herzens, die, ich weiß nicht welches harmonische Gefühl der Gesetze der Welt in uns erweckt, das unausgesprochene Wort, das man allein noch hört, in seinen hohen psychologischen Regionen, wenn die speculative Vernunft und die Erfahrung zum Schweigen gebracht sind.

Aus demselben Grunde, aus welchem Mozart's Musik universal ist, sowohl hinsichtlich der menschlichen Organisation als in Beziehung der Epochen der Kunst, von der sie historisch und ästhetisch den verschiedenartigen Genius und die vielfachen Tendenzen in sich schließt, gehörte diese Musik nie einer besonder Epoche an. So lange Mozart lebte, waren die berühmtesten und beliebtesten Componisten Europa's Haydn, Gluck und einige andere italienische Meister. Nach ihm sehen wir die Oper beherrschen: Paisiello, Cimarosa, Fioravanti, Winter, Paer, Simon Mayer, Cheru bini, Spontini, Rossini, Weber, Bellini, Meyerbeer, von vielen [51] Anderen gar nicht zu sprechen; und in der Instrumentalmusik Beethoven.

Mozart war nie der Liebling eines besondern Publicums und wird es auch nie sein. Ein Publicum ist deutsch, französisch oder italienisch; man ist immer aus seinem Lande und, wenn's hoch kommt, aus seinem Jahrhundert. Darum theilen sich auch die Sympathieen der Massen immer zwischen den nationalen Meistern und den Häuptern der Schulen der Gleichzeit. Nie vermag die classischste, aber in einem andern Geiste, als unsere Zeit es verlangt, componirte Musik die großen Haufen der Zuhörer so zu erregen, wie eine Musik, die ihre Nationalität oder ihre Epoche abspiegelt, ebenso wie nie, weder die Griechen, noch die Römer, noch Shakespeare, noch Calderon, noch Molière, noch Racine für den großen Haufen der Leser die Anziehungskraft jener Bücher haben werden, von denen man sagt, daß sie uns von der Seele weg sprechen, und die Jeder von uns gerade so geschrieben hätte, wenn er Bücher zu schreiben im Stande wäre. Jedermann ist aus seiner Zeit, ich wiederhole es, mit Ausnahme derer, die ihre Zeit gemacht haben. Die Greise, die Nichts mehr empfinden, ziehen häufig die alte Musik vor, welche sie empfunden zu haben sich erinnern. Es tritt bei ihnen eine Art von Täuschung ein; sie verwechseln das Herz mit dem Gedächtnisse. Wenn die aufgeklärtesten Musikfreunde, ja wenn selbst die verständigsten Componisten sich nicht ganz gegen die Einflüsse des Zeitgeschmacks, des schlechtesten sogar, verwahren können; wenn diese Einflüsse gewaltsam in die Arbeiten dieser und in den Geschmack jener eindringen, wie sollte dann das Publicum davon unberührt bleiben, das keine Mittel hat, sie von sich abzuhalten, noch ein Interesse, es zu thun.

Es ist klar, daß nach dem Charakter, den wir in Mozart's [52] Meisterwerken erkannt haben, alle diese Bedingungen der Popularität ehemals noch mehr als heutzutage fehlen mußten; allein vermöge einer Ausgleichung, die nicht weniger natürlich als diese Popularität selbst ist, wurde Mozart in der Meinung der Musiker bis zu dieser Stunde immer größer. Er figurirt gewöhnlich in zweiter Linie auf dem musikalischen Repertoir Europa's; dagegen hält er sich darauf trotz aller Umwälzungen im modernen Geschmacke, so daß er, obgleich stets in den Augen der Menge durch die herrschende Mode verdunkelt, immer anmuthiger und auserlesener erscheint, als die Mode, die vorübergeht.

Dieses Crescendo des Ruhmes, das nun schon seit sieben Decennien anhält, läßt voraussetzen, daß Mozart's Ruf mit einem Piano anfing. Und in der That, die vielen Componisten, die viel höher in der Achtung der Zeitgenossen standen, wie er, die kalte Aufnahme seiner Opern in Wien, das seinen Don Juan zurückwies, welchen Europa gar nicht kannte, weil er Jahre lang innerhalb der Grenzen Deutschlands und Böhmens, gleich einer von der Douane confiscirten verbotenen Waare zurückgehalten wurde; ferner die traurigen Auskunftsmittel, zu denen unser Heros seine Zuflucht nehmen mußte, um leben zu können; alles dieß beweist, wie sehr er, trotz seiner Berühmtheit, die er bereits genoß, mißkannt war, und welche er dem Tadel seiner Lästerer wenigstens ebenso als den Huldigungen seiner Freunde verdankte. Im Hinblick auf diesen Umstand werden meine Leser mit einigem Erstaunen, in das sich ein gewisser Stolz mischen dürfte, auf den Abstand zwischen einem Publicum von ehemals und von heute blicken. Alle Hauptmeisterwerke der Opernbühne, welche unser Jahrhundert hervorgebracht hat, sind sogleich und einstimmig in Europa mit Beifall aufgenommen worden; die Gerechtigkeit, welche das Publicum den Autoren schuldet, ließ nie länger als über die [53] ersten Vorstellungen hinaus auf sich warten. Aus dieser schnellen und allgemeinen Erkenntniß des Schönen wird man auf die Schwäche, die Ungewißheit und häufig auf das Lächerliche in den Urtheilen schließen, welche die Liebhaber des achtzehnten Jahrhunderts fällten; ferner auf die ästhetische Taubheit, von welchen sie heimgesucht gewesen zu sein schienen, daß diese Dinge spurlos an ihnen vorübergingen, welche sie in den siebenten Himmel hätten versetzen sollen. Mozart hatte wohl Recht, sie »lange Ohren« zu nennen, wird der Leser sagen. Ich sage aber Nein; Mozart hatte Unrecht, gleich denen, die jetzt auf diese Weise urtheilen. Die Musikfreunde des vergangenen Jahrhunderts hatten keine längeren Ohren, wie wir, und sie urtheilten so, wie wir es an ihrer Stelle gerade ebenso gethan hätten. Zwischen ihnen und uns liegt nur der Unterschied des Standpuncte. Unserer geht von den Werken Mozart's selbst aus, die unsere Ausgangspuncte in der Musik bilden, und die sich noch immer als der Haltpunct zeigen, den noch Niemand bis jetzt überschritten hat. Von da aus ist es für uns leicht, alles Das richtig zu sehen und zu urtheilen, was sich dieser Höhe naht, ohne zu ihr heraufzureichen; wir sehen von Oben nach Unten, während die Musikfreunde vor uns von Unten nach Oben durch jenen Nebel sahen, mit welchem der Eindruck der contrapunctischen Musik ein uncultivirtes Ohr so häufig umhüllt. Von 1780 bis 1791 ging der musikalische Standpunct hinsichtlich der Werke für das Theater von den Werken eines Piccini, Sacchini, Martini, Paisiello und höchstens eines Gluck und Salieri aus. Wenn wir also gegen die Liebhaber des vergangenen Jahrhunderts gerecht sein wollten, so müßten wir irgend eine dieser Partituren vornehmen und sie bis in das geringste Detail herab und durch alle Beziehungen mit der Partitur des Don Juan vergleichen. Aus diesem ebenso interessanten als [54] heutzutage leichten Studium würde die Rechtfertigung der Zeitgenossen Mozart's hervorgehen, und unser Erstaunen, das sich einem andern Gegenstande zuwenden würde, wäre nichts weiter, als eine tiefe Verehrung für das Prager Publicum. Wir würden finden, daß Mozart zu seiner Zeit die kühnsten Erwartungen und alle Gewohnheiten des Ohres irre machte; daß er seinen Zuhörern eine Menge wundervoller, verwickelter Gefühle einflößte, die man von der Bühne aus nicht gewohnt war; daß seine Melodie häufig sonderbar und seine Harmonie äußerst hart klingen mußte. Statt einen einzigen Hauptgesang vorzuführen, warf er den Zuhörer in eine ausgedehnte Combination verschiedenartig gezeichneter und abgemessener Stimmen, die in melodischer Wichtigkeit mit einander wetteiferten und die Accorde wie in einer Fuge mit mehreren Subjecten verwickelten. Dieß Alles setzte die ersten Zuhörer in Verwirrung und ägyptische Finsterniß, in ein Labyrinth ohne leitenden Faden, in welchem die Aufmerksamkeit sich verlor, weil sie nicht sich zu vertheilen gelernt hatte. So vielfache Formen mußten unzusammenhängend, antieuphonisch, unerträglich klingen, weil sie nicht weiter, als bis zu dem materiellen Organ drangen und nicht bis zum Geiste, welcher sie nach ihren gegenseitigen Beziehungen geordnet und durch die unendliche Mannigfaltigkeit der Einzelnheiten hindurch die erhabene Einheit des Ensembles erfaßt hätte. Man sah den Wald vor lauter Bäumen nicht. Aber nicht allein für die große Masse des Publicums mußte Mozart in vielen seiner Compositionen unverständlich sein, sondern viele Männer, welche die Tonsetzkunst verstanden, hielten sich sowohl auf die Autorität ihrer Bücher, als wie auf das Urtheil ihres Ohres hin, für berechtigt, ihn zu verdammen. Ich erinnere in dieser Hinsicht an eine bekannte Anekdote. Haydn befand sich eines Tages in Gesellschaft von Kunstgenossen, [55] in der man von einer Oper sprach, welche in Wien gegeben worden war. Alle Stimmen vereinigten sich im Tadel gegen dieselbe; man nannte sie eine mit gelehrter Harmonie zu sehr überladene, eine schwerfällige, ungleich ausgearbeitete, zu chaotische Musik. Zu chaotisch, man merke wohl: »Was meinen Sie, Vater Haydn?« »Ich kann die Sache nicht entscheiden; Alles, was ich weiß, ist, daß Mozart der größte Componist auf der Welt ist.« Diese verurtheilte Oper hieß: Don Giovanni, osia il Dissoluto punito. Ein andermal unternahm es Sarti, schriftlich zu beweisen, daß Mo zart das Componiren nicht verstehe. Vielleicht handelte er in gutem Glauben4. Endlich [56] haben wir gesehen, daß man in Italien die Haydn gewidmeten Streichquartett's wegen der zahllosen Fehler zurückwies, von denen das Original wimmelte. Dieser Art war die Stellung der Zeitgenossen den hervorragendsten Werken des Reformators der Kunst gegenüber. Man braucht also nicht weiter nachzufragen, ob sie, wie wir, eine Sprache verstanden, die uns von Kindheit an geläufig ist, und die für sie unerhört war, sondern ob sie ihre eigene Sprache ebenso gut verstanden, wie wir die unserige; ob die Componisten, wenn sie nach dem Geschmacke und dem Verstandesvermögen von damals arbeiteten, eben so gewürdigt wurden, wie die, welche nach dem heutigen Geschmacke und Verständnißvermögen arbeiten. Eine so gestellte Frage kann man auf die bestimmteste Weise mit Ja beantworten. Ja gewiß, Haydn, Gluck, Piccini, Sacchini, Salieri, Martini und Paisiello wurden ebenso von ihrer Zeit gewürdigt, gut gefunden, bewundert und gerühmt, wie ihre berühmtesten Nachfolger in unseren Tagen; [57] ebenso wurden sie auch sogleich von ihrem Publicum begriffen. Die Gewohnheit spielt in der Musik eine große Rolle, wir müssen es zugeben. Sie dient den Unwissenden statt des Verstehens und sie ist in gewissen Fällen ein sichererer Führer als selbst das Verstehen, weil man mit Wahrheit sagen kann, daß Mozart heut' zu Tage von den Unwissenden besser verstanden wird als von den Gelehrten des vorigen Jahrhunderts.

Unter allen Fürsten in der Musik, von Josquin an bis auf Palestrina, hatte Mozart allein das Unglück mit seiner Epoche und seinen Richtern in fortwährendem Streite zu liegen. Dieses Unglück war sein Geschick, und dieses Geschick, welches den Menschen zu Boden drückte, führte den Künstler dahin, daß er Punkt für Punkt die Instructionen der Vorsehung ausführte, deren Inhalt wir zu Anfang dieses Capitels auseinander gesetzt haben.

Ein Umstand, den man durchaus nicht außer Acht lassen darf, und der am Leichtesten zu erweisen ist, ist der, daß kein Componist weniger frei in der Auswahl seiner Arbeiten handeln konnte, als Mozart. Wir kennen seine Vorliebe für die Werke der Bühne, und darin stimmte sein Geschmack vollkommen mit seinen Interessen überein. Die Existenz eines dramatischen Componisten in der Mode war im achtzehnten Jahrhunderte glücklich und glänzend, obgleich seine Einnahmen sich weniger als heut' zu Tage dem Gehalte der Sänger näherten und die Tyrannei einer Prima-Donna oder eines Primo-Uomo mehr auf ihm lastete. Dagegen überlebten sich die Opern schneller, wurden in größerer Anzahl und mit weniger Aufwand fabricirt; die Berühmtheit erwarb sich auf eine viel wohlfeilere Art. Hatte ein Maestro in Neapel, Rom, Mailand oder Venedig einen Erfolg gewonnen, so kamen ihm die Bestellungen von allen Seiten zu; das Ausland berief ihn; er [58] konnte wählen, wie es ihm und seiner Laune zusagte, und arbeiten so viel es seine Kräfte erlaubten. Wollte er sich irgendwo niederlassen, eine ehrenvolle und einträgliche Stelle annehmen, so konnte er unter den musikliebenden Höfen Deutschlands wählen, die ihm um die Wette die Directionen ihrer Capellen und Theater anboten. Hundert und mehr Opern konnten leicht die Spuren einer solchen Laufbahn bezeichnen, die Kirchenmusik und die im Opernstyle geschriebene Concert- und Kammermusik gar nicht gezählt. Mozart bemühte sich lange um eine solche Stelle, er, der eben so rasch Opern zu componiren im Stande war, als seine Mitbrüder in Italien, und sie dabei ebenso gut machte als manches Meisterwerk aus unseren Tagen, das seinen Autor mehrere Jahre Arbeit gekostet hatte. Mozart fehlte es aber als dramatischem Componisten an Arbeit. Während der zwölf Jahre, die er in Wien verlebte, wurden nur drei Stücke für das kaiserliche Theater bei ihm bestellt: die Entführung, die Nozze di Figaro und Così fan Tutte. Was das erste Werk anbelangte, so konnte man nicht wohl einen Andern als einen Deutschen damit beauftragen, weil es sich darum handelte, eine nationale Oper zu grün den; was die beiden anderen Libretti betrifft, so darf man wohl glauben, daß wenige italienische Meister sie gewollt hätten. Das Ausland zeigte ihm dieselbe Gleichgiltigkeit. Italien, welches das Kind adoptirt hatte, verleugnete den Mann; kein Impresario würdigte den Componisten des Idomeneo einer Unterhandlung. Frankreich hatte selbst den Namen Mozart vergessen. In Deutschland hatte dieser Name zwar einigen Klang; allein die Unternehmer der eingeborenen Gesellschaften scheinen ebenso wenig daran gedacht zu haben, daß es von Nutzen sein könne, den Componisten von Belmonte und Constanze zu verwenden. Nicht Einer machte ihm bis zum Jahre 1791 einen Vorschlag. Mit [59] Ausnahme von Wien, wo er lebte, bestellte nur eine Provinzial-Hauptstadt zwei Opern für ihr italienisches Theater.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß wenn Mozart von seinem Publicum besser verstanden worden wäre, er sich ausschließlich einer Gattung von Arbeiten, der glänzendsten und einträglichsten von allen zugewendet hätte, für welche er ebenso großen Beruf als Lust in sich verspürte. Er hätte nur Opern gemacht und hätte keine Zeit gefunden, etwas Anderes zu schaffen. Aber durch die Composition eines Libretto alle zwei Jahre würde er kaum das tägliche Brod verdient haben. Man weiß ja, welche Honorare ihm seine besten dramatischen Werke eintrugen. Don Juan brachte ihm hundert Ducaten ein, und die Zauberflöte gar nichts, wenn wir Herrn v. Nissen Glauben schenken wollen. Weil Mozart keine Stelle und kein festes Einkommen außer einem kaiserlichen Almosen von achthundert Gulden hatte, mußte er sich nach den Umständen richten, dem Publicum im Einzelnen dienen, da es ihm in der Masse versagt war; er mußte Kunden aller Art suchen und sich zu allen Dingen herbeilassen, bei welchen man zu einem Manne seines Gewerbes seine Zuflucht nimmt. Seine Verhältnisse zu dem Publicum machten ihn den Künstlern des Mittelalters gleich, die als Arbeiter in Malerei, Bildhauerei und Musik ebenso eine Zunft bildeten wie die Schreiner und Maurer. Wie diese, hielt er seinen Laden, in welchem Composition, Spiel und Unterricht feil waren. Es fehlte Nichts als der Aushängeschild: Hier werden alle Sorten musikalischer Waaren von bester Qualität und um festen Preis gefertigt und verkauft. Namentlich der letzte Punkt zog Kunden in Menge herbei. Meister! ich brauche deutsche Lieder für meine Tochter, die Worte dazu habe ich bei mir. – Ich möchte gern eine italienische Arie mit obligatem Contrabaß für [60] meine Frau. – Und ich möchte für meine Schwadron gern einige Trompeterstückchen und Signale. – Ich möchte aber ein hübsches Stückchen aus F-moll, ich liebe diese Tonart gar zu sehr, für eine Spieluhr. Doch bitte ich um den billigsten Preis. – He, Meister Wolfgang! ein halb Dutzend Menuetts, ebenso viele Contretänze und Ländler; es hat aber Eile, denn sie sind für den nächsten Ball bestimmt, der bei dem Fürsten X. stattfindet. – Mein Anliegen ist noch viel dringender; ich gebe morgen einen musikalischen Abend, es ist mein Namenstag. Bringen Sie Ihr Bestes mit, ich lasse es an Nichts fehlen: Sie erhalten fünf Ducaten und das Nachtessen! – Nun, mein Lieber, wie steht es mit dem Flötentrio, das ich bei Ihnen schon voriges Jahr bestellt und den Preis voraus bezahlt habe. (Dieser Kunde log, wie wir später sehen werden.) – Und die Cantate, Bruder, die wir bei unserm Maurerfeste singen wollen, hast Du daran gedacht? Es findet übermorgen statt. – Ein letzter Kunde erscheint sorgfältig in seinen Mantel gehüllt auf der Schwelle des Ladens. Ich handle nicht, ich kann warten. Ich brauche eine Todtenmesse; für wen werden Sie bald erfahren, ohne daß ich es Ihnen zu sagen brauche. – Und allen diesen Leuten erwiderte Mozart, den einen: Mein Herr oder meine Dame, ich stehe zu ihren Befehlen; den andern: ich werde mein Möglichstes thun Ihnen zu dienen; diesen: Ihre Bestellung liegt bereit; jenen: haben Sie gefälligst noch Geduld. Die Leser werden sich erinnern, daß außer den Bestellungen, welche Geld eintrugen, Mo zart eine Menge Dinge für seine Freunde und Cameraden machte, wofür er nie Etwas annehmen wollte, und die sich selbst ein Gewissen daraus gemacht haben würden, ihn anders als durch ein »schön' Dank« zu bezahlen. Seine Schüler, sowie seine Kunden theilten sich in zwei Classen, eine zahlende und nicht bezahlende, je nachdem sie die [61] Musik aus Liebhaberei oder gewerbsmäßig trieben. Zu den einen ging er; die andern kamen zu ihm. Für die Schüler in der Composition brauchte er Beispiele; für die Schüler auf dem Piano Stücke mit stufenweise sich mehrenden Schwierigkeiten. Das machte weitere Geschäfte. Mit all' diesen Auskunftsmitteln verband Mozart noch eine andere, seiner würdigere Einnahmsquelle; nämlich öffentliche Concerte, musikalische Abende in den Gesellschaften des hohen Adels und Akademieen auf Subscription, wie man sich ehemals auszudrücken pflegte, zu geben. Wir wissen nicht, wie hoch sich der Betrag dieser Einnahmsquellen belief, aber so viel geht daraus hervor, daß Mozart sich eine ungeheuere Arbeit dadurch auflud. Er gehörte nicht unter die Künstler, welche sechs Monate im Jahre damit hinbringen, ein Stück zu studiren und die sechs anderen, es zu spielen. In diesen Concerten mußte Alles von ihm und neu sein; ein treffliches Mittel das Publicum vor Uebersättigung des Talentes eines Künstlers zu bewahren, den man oft zu hören Gelegenheit hat, obgleich es, wie man zugeben wird, etwas schwierig in der Anwendung ist.

Der Umstand, daß der größte Kirchen-, Theater-und Kammer-Componist genöthigt war, nach Marken Unterricht zu ertheilen, Kindern die Tonleiter zu lehren, für festliche oder ländliche Bälle zu arbeiten, krumenweise sein tägliches Brod zu sammeln, ist sicher der außerordentlichste und auffallendste in seiner Biographie. Wer sieht aber nicht auf den ersten Blick, wie sehr diese Bedingungen, um leben zu können, die einem Manne wie er so eigenthümlich und wieder so fremd waren, und in welchen er selbst nur die Wirkung einer bedauerungswürdigen Nothwendigkeit sah, die Entwickelung seines universalen Genius begünstigten und ganz gerade auf das Ziel seiner Mission zuführten!

Auf diese Weise erklärt sich uns, mit Beiziehung anderer [62] biographischer Einzelnheiten, der Hauptkatalog Mozart's, dieses außerordentliche Document, in dem das Wunder der Quantität dem der Qualität den Rang streitig macht, und von dem wir hier eine nach Stoffen geordnete gedrängte Uebersicht geben.


I. Kirchenmusik.

Messen, Litaneien, Offertorien, Motetten, Psalmen, heilige Cantaten und ein Requiem, im Ganzen 36 Werke.


II. Oratorien.

Außer zwei kleineren den Davidde penitente.


III. Theatermusik.

15 oder 16 Opern, ernste, komische und romantische; zwei Serenaden und ein dramatisches Schäferspiel; mehrere Ballet's, Pantomimen, Zwischenacte, Intermezzo's und einzelne Chöre. Unter diese Rubrik gehören noch 43 Arien, einzelne italienische Duetts und Terzett's mit Orchesterbegleitung.


IV. Instrumentalmusik mit großem Orchester.

33 Symphonieen und 15 Opern-Ouverturen.


V. Concertmusik.

29 Concerte für das Pianoforte; 5 Violin-Concerte; 6 Concerte für das Waldhorn; 1 Concert für das Fagott und 1 Concert für das Clarinett. 41 Divertissements (concerti grossi) für das Orchester und Harmoniemusik. Einige derselben haben bis zu 16 Stimmen. Außerdem eine Menge Solo's und Variationen [63] für das Piano mit und ohne Orchester; Concertante's für zwei Claviere; Solo's für die Violine, das Violoncelle, dieViola da gamba, die Flöte u.s.w.


VI. Kammermusik.

10 Violin-Trio's, von denen nur eines bekannt ist; 28 Quartett's und 8 Quintett's für Streichinstrumente; 23 Trio's, 5 Quartett's und eine Menge Sonaten und andere Piecen zu zwei und vier Händen für das Clavier; zwei Quintett's, halb für Saiten- und halb für Blasinstrumente; ein Quintett für die Harmonica mit Begleitung der Flöte, der Oboe, der Bratsche und des Violoncell's.


VII. Nicht dramatische Vocalmusik.

16 drei- und vierstimmige Kanon's, mehrere Cantaten und eine Sammlung italienischer und deutscher Lieder, 30 an der Zahl, die bei Breitkopf und Härtel in Leipzig herausgekommen sind.


VIII. Tanzmusik.

Menuett's, Walzer, Ländler, Contretänze und Allemanden.


IX. Militairmusik.

Märsche, Trompeterstückchen und andere Piecen für Trompeten und Pauken für die Reiterei.


X. Serenaden-Musik.

Ein Notturno, als Violinquartett arrangirt und ein musikalischer Spaß, in welchem Mozart sich darin gefiel, die Straßenmusikanten [64] nachzuahmen. Dieses Stück ist für zwei Violinen, eine Bratsche, zwei Hörner und einen Baß.


XI. Zum Unterrichte bestimmte Musik.

Solfeggien, leichte Sonaten und Sonatinen; Kanons und einzelne Fugen; Studien und Uebungen des Contrapunctes; eine kurz gefaßte Generalbaß-Schule, die Mozart für eine Nichte des Abtes Stadler schrieb.


XII. Arrangirte Musik.

Der Messias, Acis und Galathea, Cäcilia oder das Alexandersfest, sämmtlich Werke von Händel.

Eine sehr große Anzahl dieser Compositionen ist noch nicht veröffentlicht worden. Diejenigen, von welchen der Componist selbst ein chronologisches Register mit Angabe ihres Themas führte, fangen erst mit dem 9. Februar 1784 an und gehen bis zum 15. November 1791. Dieser selbst geschriebene Katalog umfaßt 145 Numern. Der übrige Theil schließt alles Das ein, was man bis jetzt veröffentlicht hat und Alles, was man in Manuscripten von früheren Werken Mozart's, vom Jahre 1764 an, hatte sammeln können. Nichts beweis't aber, daß diese Sammlung schon ganz vollständig ist, und man hat sogar allen Grund, das Gegentheil zu glauben.

Außer den vollendeten Werken haben sich in den hinterlassenen Papieren Mozart's verschiedene Projecte und Fragmente von Werken aller Art, 95 an der Zahl, vorgefunden. Der Abt Stadler hat davon ein Inventarium, mit Erläuterungen und Bemerkungen begleitet, verfertigt. Das war die ganze Erbschaft. [65] Mit Inbegriff dieser unvollendeten Werke würde sich, nach Herrn v. Nissen, als Totalsumme der Compositionen Mozart's die Zahl 800 und darüber ergeben. Wenn man nur die vollendeten Werke zählen wollte, so müßte man erstens in Betracht ziehen, daß Mozart nicht immer die aus Gefälligkeit und unentgeldlich seinen Freunden gefertigten Stücke in den eigenhändigen Katalog eintrug; zweitens, daß es ihm nie an Freunden, und ebensowenig an Gefälligkeit in dieser Hinsicht fehlte; und drittens, daß viele dieser Piecen nicht veröffentlicht und unbekannt in den Händen ihrer Besitzer geblieben sind; wodurch in Betracht der Wichtigkeit und des Umfangs einiger dieser Fragmente, die von Herrn v. Nissen angenommene Schätzung nicht nur erreicht, sondern sogar noch übertroffen würde. Unter den Werken, welche weder der eine noch der andere Theil des Katalogs aufführt, befinden sich sogar einige, von welchen wir in der Biographie zu sprechen Gelegenheit fanden. So finde ich zum Beispiel das Concertante nicht, welches Mozart 1784 für die Signora Strinasacchi componirt hatte, noch die schönen Duo's für Violine und Bratsche, welche er für den kranken Michael Haydn gemacht und unter dessen Namen dem Erzbischof von Salzburg überreicht hatte, und eben so wenig das gelehrte Quartett, die Fuge genannt, welches längst veröffentlicht worden ist. Auch treffe ich nirgends die Chöre und Zwischenacte, die zu dem Drama: König Thamos in Aegypten, componirt worden waren, welche Arbeit man in das Jahr 1783 wird datiren dürfen, und welche man den erhabensten Schöpfungen Händel's und Gluck's gleichstellt. Herr v. Nissen sagt uns, daß diese Musik Kirchentexten angepaßt worden sei, und daß man sie noch in Prag bei feierlichem Gottesdienste als Graduale und Offertorien executire. Endlich findet sich selbst das Requiem nicht in dem eigenhändigen Kataloge eingetragen. Neue, [66] bis jetzt ganz unbekannt gebliebene Werke sind erst in neuerer Zeit entdeckt worden.

Dieser Art ist der Katalog der Werke Mozart's beschaffen, und er erwartet noch seine Vervollständigung. Man messe das Leben des Musikers mit diesem riesenhaften Documente. Achthundert Compositionen, von denen einige Hefte von 600 Seiten füllen, und welche nur für eine Numer zählen! Ziehen wir von dieser Totalsumme die Versuche der Kindheit, die Arbeiten der ersten Jugend, die vernachlässigten und mittelmäßigen Producte ab, so bleibt doch zur Ausfüllung der 12 Rubriken des Katalogs eine Menge von Musterwerken in allen Gattungen der Musik; entweder eine gelehrte und gewissenhafte Arbeit bei der arrangirten Musik; oder wenigstens bei den untergeordneten Gattungen, das Verdienst einer vollkommenen Uebereinstimmung mit ihren respectiven Bestimmungen; denn selbst bis auf den Ländler und das Wiegenlied herab trifft man Compositionen, welche Muster ihrer Gattung sind. Achthundert Werke in einem Leben von fünfunddreißig Jahren, von dem die ersten acht nicht zählen, von welchem die Reisen zwei Drittheile in Anspruch genommen und in die sich auch noch die Geschäfte des Unterrichts und die weltlichen Zerstreuungen theilten; ein Leben, in welchem kaum mehr Raum übrig zu sein schien, als selbst der unermüdlichste Mensch zu seiner Ruhe unumgänglich nothwendig hat! Statt dieser Ruhe findet man aber eine ganze musikalische Bibliothek, eine Universalbibliothek!

Wie soll man die materielle Möglichkeit dieser wunderbaren Fruchtbarkeit mit der Lebensweise Mozart's, der nichts weniger als viel zu Hause war, und mit seinen vielen verschiedenartigen Beschäftigungen in Einklang bringen. Die Morgen gehörten den Schülern; die Abende den Einladungen, dem Theater, den Concerten [67] und Gesellschaften von Freunden. Für die Composition blieben demnach nur die frühesten Morgenstunden und die Nacht. Mozart stand sehr frühzeitig auf und doch arbeitete er aus Gewohnheit und mit besonderer Vorliebe Nachts, wenigstens sah man ihn zu dieser Zeit am häufigsten an seinem Schreibtische oder an seinem Piano. Wie Schiller, so fand auch unser Heros, daß die äußere Ruhe, die Einsamkeit, das Verschwinden der sichtbaren Welt und der Zustand nervöser Begeisterung, welche das Entbehren des Schlafs hervorbringt, mächtige Vehikel für die Inspiration seien. Er wendete überdieß, wie der Dichter, andere Reizmittel an, die der Gesundheit nicht weniger verderblich waren. Man könnte also wohl mit gleichem Rechte auf alle beide die Verse Goethe's auf das frühzeitige Ende seines hochberühmten Freundes anwenden:


Er wendete die Blüthe höchsten Strebens

Das Leben selbst, an dieses Bild des Lebens.


Nichtsdestoweniger würde die ungeheuere Zahl von 800 Werke, die in so wenigen Jahren geschaffen wurden, stets unerklärbar bleiben, wenn Mozart nur an seinem Piano, oder mit der Feder in der Hand, oder als er von allen anderen Geschäften frei gewesen, gearbeitet hätte. Allein die Auflösung des Räthsels liegt darin, daß er Tag und Nacht, Morgends und Abends, bei Tisch und im Wagen, allein oder in Gesellschaft, bei der Flasche und während der Pein des Scala-Leh rens componirte und stets componirte. Man wird sich auch erinnern, daß ein großer Theil der Clemenza di Tito auf dem Wege nach Prag vollendet wurde; daß mehrere Stücke im Don Juan bei'm Kegeln entstanden, und daß ein Quintett in der Zauberflöte zuerst unter obligater Begleitung von Carambolagen die Phantasie des Schöpfers desselben füllten. Hören wir zu weiterer Bestätigung in dieser [68] Beziehung eine Erzählung, in welcher die kostbarsten Einzelnheiten mit einer Natürlichkeit dargelegt sind, welche keinen Zweifel über die Glaubwürdigkeit des Erzählenden zulassen. Wir verdanken sie Sophie Weber, derselben, welche man in dem großen Processe des Requiem's hat figuriren sehen.

»Ich sah meinen Schwager immer guter Laune, aber selbst in der besten sehr nachdenkend, einem dabei scharf in's Auge blickend, auf Alles, er mochte heiter oder traurig sein, überlegt antwortend, und doch schien er dabei an ganz etwas Anderem tiefdenkend zu arbeiten. Selbst wenn er sich in der Frühe die Hände wusch, ging er dabei im Zimmer auf und ab, blieb nie ruhig stehen, schlug dabei eine Ferse an die andere und war immer nachdenkend. Bei Tische nahm er oft eine Ecke seiner Serviette, drehte sie fest zusammen, fuhr sich damit unter der Nase herum und schien in seinem Nachdenken Nichts davon zu wissen, und öfters machte er dabei noch eine Grimasse mit dem Munde. Seine Hände und seine Füße waren beständig in Bewegung, er spielte immer mit Etwas, z.B. mit seinem Hute, in seiner Tasche, mit seinem Uhrbande, mit Tischen und Stühlen gleichsam Clavier u.s.w. u.s.w.« Diese Erzählung bedarf keines Commentars. Andere Zeugen setzen hinzu: »Wenn Mozart allein, oder mit seiner Frau, oder auch mit anderen Leuten zusammen war, deren Gegenwart ihm keinen Zwang auferlegte, so hatte er die Gewohnheit zu trällern und selbst mit lauter Stimme zu singen, ohne daß er es wußte. Sein Gesicht bedeckte sich dann mit brennender Röthe und er duldete nicht, daß man ihn in diesen Momenten störte.« Die Umstände, an die ich so eben erinnert habe, wie die mit dem Billard und Kegelspiele, beweisen. daß selbst die geräuschvollsten Zerstreuungen den Faden seiner Ideen nicht immer zu unterbrechen vermochten. Man darf aber ebenso wenig [69] glauben, daß bei Veranlassungen dieser Art Mozart sich darauf beschränkt habe, die Motive oder die Hauptgedanken des projectirten Werkes zu suchen, und daß er die Arbeit der Entwickelung und Instrumentirung derselben auf gelegenere Zeit aufsparte. Nein, er trennte bei'm Componiren die Details nie von dem Ganzen. Er arbeitete Alles im Großen aus, wie es, glaube ich, alle großen Contrapunctisten machten. Sobald ein Gedanke in ihm aufstieg, so erfaßte er ihn sogleich in allen seinen Folgerungen und in seinem ganzen harmonischen Geleite. Der Gesang, der Baß, du Mittelstimmen, Alles ertönte in seinem Kopfe, zuerst verwirrt, dann mit zunehmender Genauigkeit, je mehr die Seele Ohr wurde. Alles entstand zu gleicher Zeit, combinirte und entwickelte sich ohne Verwirrung, ordnete sich nach den Regeln der Modulation und des Contrapunctes, und theilte sich zwischen den Gesangs- und Orchesterstimmen, wie vermöge einer ästhetischen Nothwendigkeit, eines außerordentlichen Instinctes, der sich aber nie über das Schöne täuschte.

Daß Mozart seine Werke im Ganzen ausarbeitete, beweist ihr Bau dem Auge und dem Ohre jedes Musikers bis zur Evidenz; und daß er sie sodann im Kopfe vollendete, beweisen die Fac-Simile's seiner Entwürfe, die mit einer Reinlichkeit geschrieben und mit einer Genauigkeit ausgeführt sind, daß man sie für in's Reine geschriebene Copieen halten könnte. Ich bemerke im Vorübergehen den Unterschied, welcher in dieser Beziehung zwischen Mozart und Beethoven besteht, dessen Manuscripte unleserlich sind. So natürlich die Arbeit des ersten Gedankens oder des ersten Entwurfs dem Einen zu sein scheint, ebenso sehr scheint der Andere die Gewohnheit gehabt zu haben, seine Conceptionen einer sorgfältigen Ueberarbeitung unterwerfen zu müssen. Daraus entstand die zweifache Klippe, welche die beiden Meister nicht immer [70] zu vermeiden wußten. Mozart, der sich auf seine beispiellose Leichtigkeit des Arbeitens verließ, wurde zuweilen in den Werken von geringerer Wichtigkeit, welche er so leicht hinwarf, trivial. Beethoven, der stets darauf ausging, etwas Neues und Außerordentliches zu suchen, was sich nicht immer mit dem Schönen in Einklang bringen läßt, wurde dadurch häufig bizarr und verdarb sich dann seine eigene Arbeit.

Ein ganz specielles Gesetz der Organisation Mozart's lehrt uns die Ursache dieser fortgesetzten und unwillkürlichen Arbeit des Geistes kennen, welche die merkwürdigen, oben angeführten Beweise belegen. Von der Natur hatte er das liebevollste Herz und die erregbarsten Sinne erhalten, dabei war aber sein ganzes Wesen der Art beschaffen, daß er keine seiner Fähigkeiten ohne einen mehr oder minder directen Antheil seines musikalischen Organs auszuüben vermochte. Jedes Ereigniß, das ihn berührte, jeder nur etwas lebhafte Eindruck von Außen, erweckten sympathetische Saiten des Harmonie-Schatzes, den er in seinem Innern bewahrte, und von dem aus sogleich die Themata sich bildeten, welche der Impuls des Augenblicks erweckt hatte. Zeigte sich zum Beispiel eine, von einer lieblichen Frühlingssonne erleuchtete schöne Landschaft Mozart auf seinen Reisen, so betrachtete er sie zuerst mit stummer Bewunderung; seine sonst so ernsten und gedankenvollen Züge hellten sich auf; sein inneres Orchester fing an zu spielen; das Echo desselben trat auf seine Lippen und mit funkelnden Augen rief er endlich aus: Ach, wenn ich dieses Thema auf dem Papiere hätte! Sobald der Rapport des Objectes zu dem Individuum angefangen hatte, sich mit der Form zu bekleiden, die ihm definitiv verbleiben sollte, ich meine damit, wenn die durch die Wirklichkeit hervorgebrachten Eindrücke sich in musikalische Bilder auflös'ten, vergaß Mozart das Object und dachte [71] nur noch an das Bild. Dadurch kann man vollkommen begreifen, warum er, trotz seines entzündbaren Temperaments und seiner ungemeinen Empfänglichkeit, doch eigentlich keine wirkliche Leidenschaft außer der Musik hatte. Dagegen hatte er viele Liebhabereien, welche alle zusammen zur Nahrung und zum Gegengewichte dieser einzigen Leidenschaft dienten. Er liebte das weibliche Geschlecht, eine gute Tafel, den guten Wein, das Billard, die Canarienvögel, das Reiten, den Tanz und was weiß ich Alles. Als Schüler des ältern Vestri's that er sich auf sein Tanzen und ein schönes Bein etwas zu gut. Man sagt auch, daß er als Arlequin und Pierrot, das seine Lieblingsmasken waren, sich ausgezeichnet habe. Alle diese Genüsse, denen er sich gern hingab, dienten, wie wir sagten, seiner einzigen Leidenschaft als Nahrung und Gegengewicht; als Nahrung, insofern sein musikalisches Organ auf seine übrigen Fähigkeiten eine Gewalt der Assimilation übte, welche alle andere in ihm concentrirte, so daß auf diese Weise die Freuden und Leiden, das ganze Gefühls- und Geistesleben des Künstlers zum Besten der Kunst mit beitrugen. Andererseits mußte eben diese Leidenschaft durch Mittel irgend einer Art bekämpft werden, wenn ihr Uebermaß nicht schnell tödtlich wirken sollte. Tag und Nacht von dem Dämon der Inspiration besessen und unfähig ihm den Widerstand eines festen Willens entgegenzusetzen, der ihm gänzlich fehlte, suchte Mozart ihm auf Augenblicke zu entfliehen, was ihm aber nicht immer gelang, mochte er zu Fuß sein oder zu Pferde sitzen.

Zerstreuungen aufzusuchen war demnach ein so gebieterisches physisches Bedürfniß für ihn, daß er es um jeden Preis befriedigen mußte, wenn er nicht zu Grunde gehen oder in Wahnsinn verfallen wollte. Das ist so wahr, daß, je mehr die Leidenschaft oder die Wuth der Arbeit sich in ihm vermehrten, und diese nahmen [72] immer mehr zu, in demselben Verhältnisse auch das Bedürfniß, sich zu zerstreuen, sich in ihm vermehren mußte. In seiner ersten Jugend scheint Mozart vernünftiger, geordneter, haushälterischer gewesen zu sein, als während der letzten sieben oder acht Jahre seines Lebens, zu einer Zeit also, in welcher die Meisterwerke eines um das andere aus seiner classischen Feder flossen, und in der die fortgesetzten erhabenen Inspirationen ihm endlich häufige Ohnmachten zuzogen.

Dadurch, daß Mozart abwechselungsweise aus dem exaltirten und fast fieberhaften Zustande, welcher im Gefolge des Schaffens von Meisterwerken sich vorfindet, in den der Berauschung überging, welchen die geräuschvollen Zerstreuungen und die sinnlichen Genüsse verschaffen, und sich gewissermaßen vor einem Excesse durch einen entgegengesetzten Exceß bewahrte, so konnte er nie den Schlummer der Seele, die Trägheit des Körpers, das far und sentir niente (das nichts Thun und nichts Fühlen), die lange Weile kennen lernen; lauter Dinge, über die wir uns so sehr gegen uns selbst beklagen, und die so trefflich dazu dienen, um unsere schwache Maschine ausruhen zu lassen. Mozart nützte auf diese Weise nach und nach alle Spannkraft seiner gebrechlichen Organisation in der Verfolgung des Schönen ab, zu welchem er sich bald auf den feurigen Flügeln der Extase aufschwang, und das er bald in den gelehrtesten Tiefen der Berechnung suchte. Wenn er ermüdet war, so trachtete er an der Quelle der Genüsse seinen Durst zu löschen, und er trank auch den Tod aus dieser Quelle. Die Erschöpfung kündigte sich schon mit dem dreißigsten Jahre an. Allmälig versank Mozart in eine Art von schwarzer Hypochondrie, die ihn bald mehr, bald weniger quälte, seinem Humor aber keinen Eintrag that, sobald der Anfall vorüber war; welcher jedoch, wunderbarer Weise, seine bereits übermäßige Thätigkeit noch [73] mehr anspornte und ohne Zweifel die moralische Ursache seiner erhabensten Schöpfungen wurde.

Wer kennt nicht Schiller's Theilung der Erde. Zeus sagt zu den Menschen: ich gebe euch die Welt; kommt und theilt sie brüderlich unter einander. Alle kamen herbei, der Landmann, der Kaufmann, der Edelmann, der Priester, der König. Jeder nahm seinen Antheil. Erst als die Welt schon vertheilt war, kam der Dichter. Warum kommst Du so spät, wenn ich Dir Nichts mehr geben kann?


»Mein Auge hing an Deinem Angesichte,

An Deines Himmels Harmonie mein Ohr;

Verzeih' dem Geiste, der von Deinem Lichte

Berauscht, das Irdische verlor.«


Das hieß sich wenigstens als Dichter entschuldigen. Zeus, entzückt, von einem Sterblichen die wahre Sprache der Gotter reden zu hören, erwidert ihm darauf: wohlan, da die Erde vergeben ist, so schwinge Dich, so oft es Dir gefällt, zu mir in meinen Himmel auf.

Niemand machte häufigern Gebrauch von dem den Söhnen Apollo's von Jupiter zugestandenen Vorrechte. Er begnügte sich nicht damit, sich nur zuweilen an den Hof der Götter aufzuschwingen, sondern er schlug seine bleibende Wohnung daselbst auf. Darf man sich nach diesem noch verwundern, daß er auf dieser Welt hienieden Alles vernachlässigte, was einer Industrie gleich sah. Jeder meiner Leser ward, wie ich denke, auch schon einmal wenigstens in seinem Leben in den Olymp zugelassen; Jeder hat schon seine Augenblicke gehabt, in denen er über eine Sache, eine Idee, eine Person, für die er geschwärmt hat, das Irdische vergaß. Dann befand auch er sich im Olymp, Jupiter gegenüber. Zwischen uns und Mozart ist aber nur dieser eine kleine Unterschied, [74] daß wir den Gott der Götter sehr selten sahen, Mozart aber immer mit ihm zusammenlebte. Für uns haben die Gunstbezeugungen Jupiter's meistens Nichts als Täuschungen und Spöttereien zur Folge. Die Klügeren merken dieß bald und ziehen sich in ihr Haus zurück, gleich der Schnecke, die zur Unzeit ihre Hörner herausgestreckt hat. Für Mozart aber war es eine Reihenfolge herrlicher, himmlischer Geschenke, welche den Dichter hundertfach dafür entschädigten, daß er von der Theilung auf Erden ausgeschlossen worden war.

Wenn man Mozart's Charakter nach allen Seiten hinstudirt, so glaubt man auch weniger das Bild eines Individuums, als den Typus des generischen Charakters darin zu erkennen, den man jener Classe von Menschen zuschreibt, welche Gott zu Dichtern oder Künstlern bestimmt hat. Eine ungemeine Gleichgiltigkeit gegen das Positive; eine unaussprechliche Verachtung gegen alle Weltklugheit, oder vielmehr eine vollendete Unkenntniß ihrer Maximen: eine rücksichtslose Freimüthigkeit, weil sie kein Interesse kennt, irgend Etwas zu verbergen; eine blinde Freigebigkeit, weil sie den Werth dessen nicht kennt, was sie gibt und nie die Folgen berechnet, denen sie sich aussetzt; endlich, als Folge von all' diesem eine unverbesserliche Anlage, sich bei jeder Gelegenheit betrügen und hintergehen zu lassen. Diese Eigenschaften, schlimmer als Laster in den Augen eines Mannes von Welt, obgleich sie oft Nichts als das Unterpfand des poetischen Berufs sind, fanden sich im höchsten Grade bei Mozart vereinigt, und zwar aus dem Grunde, weil nie Jemand so sehr Dichter war wie er. Wir müssen aber einen Zug beifügen, der ihm allein eigen ist und der selbst die abstracte Idee oder das Ideal übertrifft, das man sich gewöhnlich von dem Charakter von Seinesgleichen entwirft. So gleichgiltig man gewöhnlich die poetischen Gemüther gegen ihre positiven [75] Interessen hält, so gibt es doch eines, welches sie immer und zwar in hohem Grade beschäftigt. So sehr sie nur für die Zukunft zu leben scheinen, so sieht man sie doch auch mit eifrigem Streben den Ruhm in der Gegenwart aufsuchen, und dieser Wunsch ist stets als eines der edelsten Attribute ihrer Künstler- und Dichternatur angesehen worden. Ueberdieß führt in allen Ständen und in dem des Musikers mehr, als in irgend einem andern, der Ruhm, das heißt der Beifall der Mehrzahl, zum Wohlstande; und da der Wohlstand die Folge des Ruhmes ist, so ist es wahrscheinlich, daß die eifrigsten Gäste des Olymps sich stets gutwillig darein ergeben werden, der Sache zu Liebe seine Wirkung hinzunehmen. Bei Mozart war es aber gerade umgekehrt. Er hätte recht gern die Wirkung angenommen, aber die Sache widerte ihn an; es war dieß aber nicht sowohl der Ruhm bei seinen Zeitgenossen, sondern die Mittel, mit denen derselbe erworben wird; was am Ende auf Eins herauskommt, denn wer den Zweck will, muß auch die Mittel dazu wollen. Hofmeister, sein Verleger, ließ sich in seiner kaufmännischen Correspondenz mit den Worten gegen ihn vernehmen: »Schreib' populärer, sonst kann ich Nichts mehr von Dir drucken und bezahlen.« Worauf ihm Mozart erwiderte: »Nun, so verdien' ich Nichts mehr und hungere, und scher' mich doch den Teufel darum!«

Wir kennen noch einen andern Musiker, der die Popularität verachtete und nur zur Befriedigung seines Gewissens arbeitete; aber dieser Musiker, der große Bach, konnte, ohne seinen Interessen zu schaden, der Mode Trotz bieten. Er hatte eine ruhige, sichere, ehrenvolle Anstellung, die ihm hinreichend eintrug, um sich und seine zwanzig Kinder zu ernähren. Unabhängig in dieser Hinsicht von dem Publicum, entzog ihn auch die Gattung seiner Arbeiten der Competenz gewöhnlicher Richter. Mozart hing aber [76] ganz von dem Publicum ab, das ihm seinen täglichen Lebensunterhalt reichte; er arbeitete für das Theater. Dem Publicum zu gefallen oder nicht, war für ihn die Frage Hamlet's: to be or not to be (Sein oder Nicht-sein), und da er seine Opern in der Absicht schrieb, daß sie gegeben und gehört würden, so begriff er wohl, daß er dem Geschmacke seiner Richter gehorchen oder zu sein aufhören müsse. Unglücklicherweise trug das Naturell, oder wenn man will, das Gewissen des Künstlers über die Dringlichkeit der Lage den Sieg davon. Mozart strengte seinen Genius an, so wenig als möglich zu gefallen, was ihm auch vollkommen gelang.

Was hätte er nicht darum gegeben, wenn er sich der verhaßten Sklaverei hätte entziehen können, in welche ihn seine ungewisse Lage versetzte. Lange Zeit bemühte er sich um eine erste Capellmeisterstelle an irgend einem deutschen Hofe. Mit gesicherten Existenzmitteln und dem Commandostabe in der Hand, hätte seinem Publicum die Gesetze vorgeschrieben, statt daß dieses ihm welche auferlegte, und er hätte ihm das Schöne auferlegt, gleichwie Andere, welche den Ton angeben, ihm Mittelmäßiges auferlegen. Ist es nicht sehr merkwürdig zu sehen, auf welche Art er sich benahm, um an das Ziel seiner Wünsche zu gelangen. In München besucht er den Intendanten Grafen v. Seau und sagt zu ihm: »Es geht Ihnen hier wirklich ein rechter Compositeur ab; ich glaube daher Ihnen einen Dienst zu erweisen, wenn ich Ihnen den meinigen anbiete.« In Wien beglückwünscht ihn ein Monarch, der die Musik liebt und sich für einen Kenner hält, über den Erfolg der Entführung; doch setzt er hinzu: »Gewaltig viel Noten, lieber Mozart.« »Gerade so viel, Ew. Majestät, als nöthig ist.« In Berlin fragt ihn der König, was er von seiner Capelle halte, die eine enorme Summe kostete und auf [77] welche Se. Majestät ebensowohl, weil dieselbe Geschmack daran fand, als aus Eigenliebe, sehr viel hielt. »Es sind sehr viele Künstler darin, das ist wahr; aber wenn sie beisammen sind, könnten sie es besser machen.« Unser armer Mozart fand weder in München, noch in Wien, noch in Berlin eine Anstellung. Dabei glaube man aber ja nicht, daß er, wenn er so sprach, sich anstellte, aufrichtiger zu sein, als es sich gehörte. Es war kein Schatten von Verstellung in ihm. Wenn er sich so aussprach, so meinte er Nichts zu sagen, was nicht ganz passend, ganz am rechten Orte wäre und was ihm nicht im Geiste Derer nützen müßte, die ihn hörten. Er sagte immer die Wahrheit, aus demselben Grunde, aus welchem die Kinder sie sagen, weil sie den Nutzen der Verstellung und Unwahrheit nicht kennen.

Bei so weniger Rücksicht auf den Geschmack des Publicums und einer so gar nicht hofmäßigen Sprache an den Höfen der Fürsten hätte Mozart wenigstens eine dritte Macht für sich gewinnen sollen, von welcher vorzugsweise das Glück seiner Werke für das Theater abhing; wir meinen damit die italienischen Sänger. Ach, diese große und despotische Macht brachte er aber gerade am meisten gegen sich auf. Die jetzt noch bestehenden Ursachen des Widerwillens dieser Sänger gegen Mozart's Musik sind zu allgemein bekannt, als daß es nöthig wäre, sie auseinander zu setzen. Es wird genug sein, wenn man sagt, daß diese Musik ihnen zum großen Theile die Mittel raubte, denen sie gewöhnlich ihren Erfolg verdankten, und dagegen Kenntnisse in der Musik und dramatische Talente von ihnen verlangte, die man selten bei ihnen traf. Es geschah auch deßhalb, was Mozart wohl hätte voraussehen sollen. Die Künstler behandelten ihn in ihrem Unwillen als Feind und Rebellen, sie thaten ihr Möglichstes ihn [78] da zu verderben, wo sie ihn zu singen genöthigt waren, nämlich in Wien; in Italien aber, wo sie die unumschränkten Herren waren, hätten sie es nicht geduldet, daß man ihnen diese verhaßte Musik zumuthe, die überdem ebensosehr der Nationalgeschmack abwies. Aus diesen Gründen geschah es, daß Mozart trotz seines großen Ruhms und seiner frühzeitigen Triumphe in Mailand doch nie eine Bestellung von einer italienischen Direction erhielt, seitdem die Manier des Componisten des Mitridate nach und nach in die des Figaro und Don Giovanni ausgeartet war.

Da die Sachen einmal so standen, so wäre Mozart nur um so mehr freie Zeit übrig geblieben, für das lyrische Theater seiner Nation zu schreiben, dessen Gründer er in gewisser Art gewesen war. Die Entführung hatte in Deutschland Glück gemacht, und die einheimischen Künstler hatten nicht dieselben Gründe wie ihre italienischen Mitbrüder, Mozart's Opern zu hassen. Sie waren bei Weitem weniger Virtuosen und verstanden die Musik besser; welcher Ursache soll man also das Vergessen zuschreiben, in welchem Deutschland den einzigen nationalen dramatischen Componisten schmachten ließ, den es außer Dittersdorf gab5? Es ließe sich mehr als ein Grund dafür auffinden; ich will mich aber auf den beschränken, der mir als der entscheidendste erscheint. Die deutsche Oper bestand damals nur in dem Zustande des Embryo. Keiner der eingeborenen großen Meister vor Mozart hatte es für gut gefunden, für das einheimische Theater zu arbeiten. Die Opern Händel's, Gluck's, Hasse's und Graun's[79] waren auf italienische Texte componirt worden; mehrere auf französische und englische Texte. Andererseits befand sich die Theorie des musikalischen Drama's bei den Deutschen noch in der Einfalt der Kindheit; die Textmacher suchten den Gesang gewissermaßen zu entschuldigen; sie ordneten nämlich den Gang der Handlung so an, daß der Sänger zu singen aufgefordert wurde, oder daß er in sich selbst eine Veranlassung fand, dieß zu thun, ohne daß die Wahrscheinlichkeit darunter Noth litt. Daraus entstand eine Komödie mit kleinen Arien (Operette), die ihrer Gattung nach noch unter dem Vaudeville stand. Dann gab es noch Feen-Opern, ganz gemeine Possen, die meistens einer Volkssage entnommen, mit nationalen Liedern und Tänzen ausgestattet wurden, und die man die Wiener Art hieß. Gleich den gut Componisten weihten die guten Sänger des Landes ihre Talente ebenfalls nur der italienischen Oper. Es war also ganz natürlich, daß die wahren Musikfreunde kein anderes Schauspiel als diese kannten. Die nationale Oper, oder was diese vertreten sollte, überließ man dem Volke. Auf solche Stücke folgte die Entführung, eine Musik, welche abwechselnd melodisch, glänzend, pathetisch und komisch, aber von einer originellen und gelehrten Komik ist. Im Ganzen war das Werk leichter zu verstehen als Idomeneo und einige der nachfolgenden Opern Mozart's. Nichtsdestoweniger wich sie so unendlich weit von Allem ab, was die einheimischen Besucher der Oper bis dahin gekannt und geliebt hatten, daß viele Jahre darüber hingehen mußten, bis der Geschmack der Menge sich bis auf den Standpunct des Compositionssystems zu heben vermochte. Ehemals glaubte man im Vaterlande eines Bach und Mozart, daß die gute Melodie die sei, welche Jedermann bei'm Herausgehen aus dem Theater mit sich nimmt und singt. Forkel meint dagegen, daß diese Melodieen immer [80] von der gemeinsten Gattung seien. Nach meiner Ansicht leiden aber diese beiden Regeln zu viele Ausnahmen, als daß sie, die eine wie die andere, als allgemeines Princip aufgestellt werden könnten. Marlborough ist eine sehr triviale Melodie, God save the King hingegen gar nicht, und doch sind beide in gleichem Grade populär. Mochte es sein, wie es wollte, die Arien des Belmonte, der Constanze und des Osmin, gehörten nicht unter die, welche Jedermann singen kann. Die Kenner erhoben ohne Zweifel das Werk sehr, aber die Theaterdirectoren waren wahrscheinlich anderer Ansicht, nachdem sie ihre Cassiere zu Rath gezogen hatten, für sie die untrüglichsten Kritiker.

Es scheint ausgemacht, daß der Geschmack für geringfügige Dinge damals im deutschen Publicum vorherrschte. Der ehrbare Dilettant vom Comptoir und aus dem Laden liebte es auf der Bühne die Ariettchen wieder zu hören, welche ihm seine Tochter mit Begleitung der zwei Accorde, die sie auf ihrer Guitarre oder auf ihrem Spinett mit vier Octaven spielen gelernt hatte, vortrug, und er liebte es weiter, seinem Hannchen oder Gretchen Etwas aus dem Theater nach Hause bringen zu können, wodurch deren Liedervorrath vermehrt wurde. Es war dieß auch die gute alte Zeit, in welcher Jeder mit Entzücken Gellert und Salomon Geßner las. Die Musik aus einer gewissen Zeit ist ein nicht weniger getreuer Spiegel, als die Literatur aus derselben. Geßner und ByronHiller und Beethoven – liegt zwischen diesen nicht der ganze Abgrund, welcher die jetzige Welt von der unserer Väter trennt?

Der außerordentliche Beifall der Zauberflöte beweis't durchaus nicht, daß der Geschmack des Publicums von 1782 bis 1791 viel sich verändert hätte. Wir haben es schon in der Biographie [81] gesehen, und werden es noch mehr sehen, wenn wir an die Analyse dieser Oper gekommen sein werden, daß die Ehre des Zulaufs weit mehr Schikaneder als Mozart zukam.

Auf diese Weise deckt sich den Nachforschungen des Biographen die von der Vorsehung ausersehene Verkettung von Umständen auf, welche den größten dramatischen Componisten verhinderte, sich ganz der Laufbahn für das Theater zu widmen, welche aus Nothwendigkeit einen universalen Menschen aus ihm machte und den Weg zum Wohlstande und zu Ehrenstellen dem fleißigsten unter den Musikern versperrte, damit er immer mit demselben Eifer arbeite, durch den doppelten Stachel der Noth und des Genius angetrieben.

Wir bedauern, nicht genau den Ertrag des jährlichen Einkommens Mozart's zu wissen, dessen merkwürdige Eingangsart man oben gesehen hat. In Ermanglung genauer Angaben müssen wir einige zerstreute Details zusammenbringen, die sich in Herrn v. Nissen's Sammelwerke vorfinden, aus welchen man schließen könnte, daß unser Heros ein ziemlich anständiges Einkommen hatte, das aber freilich in Händen, die Jedermann sich öffneten, stets ungenügend war. So erfahren wir, daß ihn seine Wohnung in Wien 800 Gulden kostete, also gerade den Betrag der Pension, die er von Kaiser Joseph, in seiner Eigenschaft als Titular-Capellmeister, ausbezahlt erhielt. Während der schönen Jahreszeit miethete er ein kleines Landhaus, und alle Morgen war er gewöhnt, einen Spazierritt zu machen. Von Natur aus schon gastfrei, übte Mozart seine Gastfreundschaft gerade wie ein großer Herr, indem er an seinem Tische Schmarotzer und Spaßmacher fütterte. So qualificirt wenigstens Frau v. Nissen die täglichen Gäste des Hauses, die sie geradezu Blutegel nennt. Die Tisch- und Zechbrüder gefallen einer Hausfrau nie sehr. Endlich befand[82] sich in Mozart's Budget ein Artikel geheimer Ausgaben, deren Geheimniß aber schlecht bewahrt war. »Mozart vertraute seiner Frau Alles an, selbst die kleinen Untreuen, die er sich zu Schulden kommen ließ; man konnte ihm aber darüber nicht gram werden: er war so gut.« Und Frau Mozart war ebenfalls so gut, werden alle meine Leser im Chorus ausrufen.

Alle diese edelmännischen Gewohnheiten beweisen, daß Mozart zu leben gehabt hätte, wenn er vernünftiger gelebt hätte. Mit Ordnung und Sparsamkeit, mit der geringsten Kenntniß der weltlichen Angelegenheiten, wäre er, der unermüdliche und rasche Arbeiter, wenn auch nicht gerade zu Reichthum, aber wenigstens zu Wohlhabenheit gelangt. Freilich, wäre er unabhängiger gewesen, so hätte seinen Eifer zur Arbeit sein nicht weniger großer Eifer im Aufsuchen von Genüssen überwogen; er hätte mit Auswahl, er hätte weniger componirt, doch wer weiß, ob er immer mit diesem Feuer und dieser Beweglichkeit der Einbildungskraft componirt hätte, welche der Wechsel einer beengten, unruhigen Existenz, bei der die Einnahmen immer von der Hand in den Mund gingen, ganz gewiß zu unterhalten beitragen mußte. Ein gewisser unsicherer Zustand in den Lebensverhältnissen scheint der Natur des Genius zuzusagen. Ging die Fluch seiner Finanzen hoch, hatte er den Preis einer guten Bestellung eingenommen, hatte ihm ein Concert, in welchem ihm das Publicum nicht ausblieb, etwas Erkleckliches eingetragen, so war er immer zu einem neuen Meisterwerke aufgelegt, dessen Inauguration alle seine Freunde, alle Künstler und Liebhaber anzuwohnen eingeladen wurden. È aperto a tutti quanti, viva la libertà. Er sagte dann: S'io spendo i miei denari, mi voglio divertir. (Wenn ich mein Geld ausgebe, will ich mich auch unterhalten.) Was diesen Punct anbetrifft, so ließ es Niemand [83] daran fehlen, denke ich, weder er, noch seine Freunde, noch seine vornehmen Beschützer, die Musikfreunde aus der großen Welt. Gutes Essen und Trinken, italienische, deutsche Sängerinnen, Musik von Mozart, von Mozart und den ersten Virtuosen Wien's vorgetragen. Nenn er dann auf diese Weise dem Publicum alles Geld wieder ersetzt hatte, das er von ihm durch die Musikalienhandlungen, im Theater, in den Akademieen auf Subscription und durch die Bezahlung der Marken am Ende des Monats erhalten hatte, dann sing die babylonische Trostlosigkeit bei ihm wieder an, dann mußte unser Amphytrion von allen Seiten entlehnen, versetzen, was versetzbar war, und eben dieselben Freunde zum Auffinden von Geld ausschicken, welche zu ihrem Leidwesen es auf's Neue wieder ihm aufzehren helfen mußten. Diese Wechsel zwischen der guten und schlechten Lage waren entfernt nicht von gleicher Dauer. Das Geld wird nie so schnell verdient, als ausgegeben, wenigstens nicht so schnell wie die Börse unseres Heros, welche keinen bessern Boden als das Faß der Danaiden hatte, und die klingende Münze durchlaufen ließ, statt sie festzuhalten. Warum ist er nicht so alt geworden, um Robert der Teufel noch sehen zu können? Wie hätte er den Versen in der Sicilienne Beifall geklatscht. Ja das Gold ist nur Chimaire, d'rum versteht's zu brauchen fein. Ein Mann, der in der Praxis die Moral des Herrn Scribe so gut anzuwenden verstand, mußte besser wie ein Anderer erkennen, wie schwer es ist, eine Chimaire zu entbehren, welche die erste Bewegkraft der runden Maschine ist.

Ich habe in einem musikalischen Blatte einen Artikel über ein Institut gelesen, welches Verein der Musikfreunde zu Wien heißt. Diese Art von Conservatorium, in welchem mehr als 200 Schüler Unterricht genießen, besitzt eine Sammlung von[84] Notenmanuscripten, kostbaren Büchern und Autographen von fast allen einheimischen Musikern. »Ich betrachtete mir,« sagt der Verfasser des Artikels, »mit einem Gefühle von Verehrung und Pietät diese Reliquien der großen Künstler; doch konnte ich nicht umhin, zu lachen, als ich in dem ersten geschriebenen Blatte von Mozart, das mir in die Hände fiel, einen Brief an einen seiner Freunde erkannte, in welchem er sich bitter darüber beklagt, daß er kein Geld habe und diesen bittet, ihm schleunigst mit welchem auszuhelfen,« Wer hätte aber auch darüber nicht gelacht?

War endlich unser Heros wieder auf die eine oder die andere Art bei Casse, so sing das Leben wieder von vorne an. Er glich darin in Mangel an Voraussicht und kindischer Sorglosigkeit dem Wilden, der Morgens sein Bett verkauft und Abends darüber weint. Es ist übrigens eine ebenso traurige wie spaßhafte Sache, mit anzusehen, wie seine Freunde, die Künstler und Andere diesen kindlichen Charakter mißbrauchten. Ich will zwei darauf bezügliche Anekdoten mittheilen, welche man uns für echt verbürgt6. Folgende ist die erste.

Ein gewisser polnischer Graf befand sich in einer der musikalischen Soiréen, welche gewöhnlich Sonntags bei Mozart stattfanden. Er schien von dem neuen Quintett für Clavier und Blasinstrumente, das man diesen Tag spielte, ganz bezaubert zu sein. Nachdem er dem Componisten und Virtuosen seine ganze Bewunderung ausgedrückt hatte, bat der Musikfreund ihn, ihm ein Flötentrio in demselben Style zu componiren. Mozart versprach, sich, sobald er Muße fände, damit zu beschäftigen. Den folgenden Tag erhielt er von Seiten des Grafen ein in den[85] schmeichelhaftesten Ausdrücken abgefaßtes Billet, dem 150 Ducaten beigeschlossen waren, als Beweis feiner Erkenntlichkeit für das bei ihm genossene Vergnügen. Es war sehr schwer, bei Mozart den Freigebigen zu spielen, und so sandte er dem polnischen Edelmanne als Dankbezeugung von seiner Seite die Originalpartitur, welche noch nicht publicirt worden war, von dem Quintett, das seinen Beifall erhalten hatte. Das hieß an Höflichkeit nickt im Rückstande bleiben. Einige Zeit darauf verließ der Pole Wien, und als er nach Verlauf eines Jahres wieder kam, erkundigte er sich nach dem Flötentrio, das er bestellt hatte. »Entschuldigen Sie, Herr Graf, aber ich habe mich noch nicht aufgelegt gefühlt, etwas eines Kenners, wie Sie, Würdiges zu schreiben.« – »In diesem Falle werden Sie dann sich aufgelegt finden, mein lieber Mozart, mir meine 150 Ducaten zurückzugeben.« Mozart zahlte ihm, ohne ein Wort zu verlieren, das Geld heraus. Von dem Quintett war nicht weiter mehr die Rede; aber bald darauf erschien das Werk bei Artaria, als ein Quartett für Clavier, Violine, Bratsche und Baß arrangirt. Der Componist hatte durchaus keinen Antheil an dieser Veröffentlichung. Es war dieß ein neuer Beweis der Erkenntlichkeit und Bewunderung von Seiten des edlen Grafen.

Folgende ist die andere Anekdote. Mozart hatte einmal, ich weiß nicht aus welcher Veranlassung, 50 Ducaten vom Kaiser erhalten. Der Clarinettist Stadler, einer seiner Vertrauten, und nicht mit dem Abte Maximilian Stadler zu verwechseln, erhielt von dieser guten Neuigkeit Wind. Er geht sogleich zu Mozart mit Thränen in den Augen, und sagt ihm, daß er verloren sei, wenn nicht ein edelmüthiger Freund ihm 50 Ducaten, nicht mehr nicht weniger, vorschieße. Mozart hatte selbst, wie immer, ein sehr dringendes Bedürfniß mit diesem Gelde zu decken; [86] aber der arme Stadler schien so ganz in Verzweiflung zu sein. »Hier hast Du zwei goldene Repetiruhren; versetze sie, bringe mir die Quittung und vergiß nicht, sie zu rechter Zeit wieder einzulösen.« Der Termin kommt heran; Stadler hat aber keinen Kreuzer und Mozart hätte nicht gern seine Uhren verloren, die Geschenke waren, und ihn an glückliche Tage erinnerten. »Was ist zu machen?« »Nichts ist einfacher, mein trefflicher Wohlthäter. Du brauchst mir nur die 50 Ducaten sammt den Interessen zu geben, und ich bringe dir die Uhren im Augenblicke.« – »Es sei.« Und Stadler lief damit so schnell, daß die 50 Ducaten unterwegs verloren gingen, und nie in die Hände des Wucherers gelangten. Was that aber Mozart? Er ließ seinen intimen Freund herunterlaufen und dann? ... Dann gab er ihm ein Clarinett-Concert aus A-dur (Numer 144 des thematischen Katalogs), sammt dem nöthigen Gelde zur Reise nach Prag und Empfehlungsschreiben, die ihm eine gute Stelle verschafften; denn dieser Stadler hatte Talent, ein so großer Taugenichts er sonst war.

Uebrigens schien Mozart an diese Gaunerstreiche gewöhnt zu sein und sich völlig darein ergeben zu haben. Diese Dinge kamen ihm zu oft vor, als daß er sich viel dadurch hätte beunruhigen lassen. So oft er einen Streich dieser Art erfuhr, einen Raub an Geld oder Musik, rief er aus: Der Lump! und hernach dachte er nicht mehr daran. Es gab vielleicht nie einen Menschen, welchen der Haß weniger beherrscht hätte. Es fehlte ihm aber nicht allein der Zorn gegen Freunde von Stadler's Schlage, sondern er vergalt nicht einmal den Leuten, welche ihm übel wollten und ihm notorisch alles mögliche Böse thaten. Mozart rühmte sich dessen nicht, daß er ihnen verzieh'. Das wäre eine große moralische Anstrengung gewesen, und die Anstrengungen [87] des Genius waren die einzigen, deren er fähig war. Er beschäftigte sich nicht mit seinen Feinden, ihre Anschläge und Ränke waren ihm ganz gleichgültig und das war Alles. Salieri erhielt sehr häufig Besuche von Mozart, der ihn immer mit freundlicher Miene anredete und in seiner gewohnten gemüthlichen Weise zu ihm sagte: »Papa, wollen Sie mir nicht irgend eine alte Partitur aus der kaiserlichen Bibliothek holen lassen.« Man brachte die Partitur, und Mozart ließ sich in einer Ecke des Gemaches nieder, wo er sich stundenlang in seiner Lectüre vergaß, wie wenn er zu Hause gewesen wäre in seinem Schlafrocke, neben seiner Frau, und nicht in dem Cabinete einer officiellen Person, eines Generaldirectors der Musik, seines erklärten Feindes. Ein Augenzeuge, ein Schüler Salieri's, hat diese Thatsache in der Leipziger musikalischen Zeitung veröffentlicht.

Je weniger böse Leidenschaften in dem Herzen unserer Heros Wurzel zu fassen vermochten, um so reicher war dasselbe an wohlwollenden, zärtlichen und liebevollen Gefühlen. Diese überwogen bei ihm dergestalt, oder vielmehr es fehlte ihm das nöthige Gegengewicht gänzlich, weil er nicht einmal den Unwillen und die Verachtung kannte, den ein Schurke einem rechtschaffenen Manne einflößen muß. Das Beispiel Stadler's und so vieler Anderer beweist, daß bei Mozart, selbst in der Freundschaft, die Zuneigung die Achtung überlebte. Einen Menschen von sich zu entfernen wegen seiner Niederträchtigkeit, eine Arbeit oder eine Hilfeleistung in Geld zu verweigern, welche man von ihm verlangte, hätte ihn mehr gekostet, als eine elende Handlung zu vergessen, die Feder zu ergreifen oder die Hand in die Börse zu stecken. Bei dieser Handlungsweise gab er aber nur einer Neigung nach, wir wiederholen es nochmals, und gehorchte nie einem Princip. Mit so vieler Schwäche mußten seine besten Eigenschaften eine unaufhörliche [88] Quelle von häuslichen Widerwärtigkeiten und Verlegenheiten werden, was auch nicht ausblieb. Seine Wittwe weihte uns einigermaßen darin ein. Ich begreife den Kummer der Hausmutter; ich würdige die Aufrichtigkeit des historischen Zeugen; allein welche Frau würde einem stets liebevollen Gatten nicht verzeihen, wie sie den ihrigen beschreibt. Unter den vielen Beweisen seiner außerordentlichen Zuneigung, welche Herr von Nissen, ohne große Anstrengung, zu sammeln im Stande war, will ich nur einen anführen. Wenn Mozart seine Spazierritte machte, was während der schönen Jahreszeit alle Tage um fünf Uhr Morgens der Fall war, so verließ er das Haus nie, ohne an dem Bette seiner noch schlafenden Frau ein Papier zu hinterlassen, das in einer Art von Vorschrift, nachdem er ihr vor Allem ein frohes Erwachen gewünscht, ausführlich das enthielt, was seine theure Constanze bis zu seiner Rückkehr, die er ganz genau bestimmte, vermeiden solle, was ihre Gesundheit und gute Laune gefährden könnte. Hätte der zärtlichste Liebhaber mehr thun können? Ich spreche hier nicht von den Liebhabern, die ihr Leben unter Schreiben hinbringen, sondern von einem, der gegen das Brief schreiben einen so erklärten Widerwillen wie Mozart hatte. Für ihn gab es kein Opfer, sobald es sich um einen Drang des Herzens handelte. Diese überfließende Zärtlichkeit erstreckte sich bis über die Thiere. Man hat Mozart über den Tod eines Canarienvogels weinen und diesem ein Denkmal mit einer Grabschrift nach seiner Art errichten sehen.

Einige dieser Umstände erscheinen gewöhnlich und kleinlich, vielleicht gar lächerlich. In meinen Augen haben sie aber einen unschätzbaren Werth. Und wenn es sich auch nur um unsere nächsten Vorgesetzen oder unsere Nachbarn handelt, so würden solche Charakterzüge schon die Aufmerksamkeit verdienen, indem sie [89] einen absoluten Contrast gegen den vorherrschenden moralischen Typus des menschlichen, und vor Allem aber des männlichen Geschlechtes, den Egoismus bilden. Ueberdieß handelt es sich um Mozart, in welchem der Musiker sich am Reinsten im Menschen abspiegelt. Man erinnere sich nur an Belmonte, Ottavio, Sarastro, an so viele Vocal- und Instrumental-Melodieen, welche eine so unendliche Zärtlichkeit, eine so begeisterte Ergebenheit und jenes himmlische Wohlwollen athmen, welches das ganze Menschengeschlecht in einem Gefühle gemeinschaftlicher Bruderliebe umfassen möchte; lauter Eigenschaften, welche ich nie in demselben Grade in den Compositionen irgend eines andern Meisters gefühlt habe. Was sind diese Gesänge Anderes, als das offene Geständniß eines Mannes, der der ergebene Diener aller Derer war, die einen Dienst von ihm verlangten, der nie aufhörte, für seine Frau der zärtlichste Liebhaber zu sein, der in dem Cabinete seines Todfeindes las und studirte, der einen Canarienvogel beweinte und nur in Musik zu sprechen verstand. Die Wohnung Sarastro's, diese heilige Halle, in der man die Rache nicht kennt, war diese nicht die Seele Mozart's?

Die psychologische Skizze, welche wir soeben gegeben haben, zeigt uns übrigens Nichts, als das äußere moralische Temperament, wenn ich mich so ausdrücken darf, oder den sichtbaren Menschen. Einige der Eigenschaften Mozart's, ich spreche von den weniger guten, waren, wie wir gesehen haben, nichts als eine unvermeidliche Reaction des Physischen auf das Moralische; andere, wie die Freigebigkeit und die Gewohnheit, die Wahrheit selbst dann zu sagen, wenn Höflichkeit und Klugheit es verboten, lösen sich bei Prüfung derselben in reine Negationen auf, die Folgen einer völligen Gleichgültigkeit gegen die Interessen, welche die Welt uns bietet. Diese Außenseite des Charakters Mozart's zeigt uns [90] auf diese Weise das glücklichste und liebenswürdigste Naturell, das man sich denken kann; ein edles und gutes, aber kein großes und tugendhaftes Wesen, denn die Tugend ist ein stegreicher Kampf gegen uns selbst, und Mozart wurde Das, was er war, nur dadurch, daß er immer seiner Natur nachgab. Es war aber noch ein anderer Mensch in ihm, der dem ersten entgegen zu stehen schien, und zwar gerade aus dem Grunde, weil er nur ein und dasselbe Wesen mit ihm ausmachte. Der Künstler war auf den Bürger gegossen oder umgekehrt, gerade wie eine Denkmünze auf ihren Prägstock, so daß Alles, was sich auf diesem hohl zeigt, auf jener erhaben zum Vorschein kommt. Man verzeihe mir diese bizarre Vergleichung, welche aber meinen Gedanken völlig darstellt. Das Verhältniß zwischen Dem, was man die reale und die ideale Welt nennt, fand sich in unserem Heros umgekehrt vor. Die Kunst war seine wirkliche Welt, sein ernstliches und reales Leben; die positive Welt dagegen ein Schatten, der ihn zweilen unterhielt, ohne ihn aber je viel zu beschäftigen. Aber auch in dieser suchte er nur die poetische Seite auf, die Liebe, Freundschaft und den Genuß. In Folge davon mußten alle seine moralischen und intellectuellen Kräfte, welche er in seiner Eigenschaft als Bürger einer idealen Welt entwickelte, durch ein Nichtvorhandensein oder eine Negation, die mit eben dieser Kraft im Verhältnisse standen, im Laufe des täglichen Lebens sich kundgeben. Je mehr er also Berechnung und Logik auf eine Composition verwandte, um so weniger blieb ihm für sein Hauswesen übrig; je tiefer er die Geheimnisse des menschlichen Herzens in ihrer musikalischen Analogie ergründet hatte, um so leichter täuschte man ihn über das Prosaischste, was es auf der Welt gibt, über die Geldinteressen. Ebenso ließen seine unerhörten und beharrlichen Anstrengungen, sein unerschütterlicher Wille in Verfolgung des Ziels, das er sich [91] als Künstler gesteckt hatte, ihm nicht mehr Willenskraft und Energie übrig, als die seiner Neigungen, wenn es sich darum handelte, sociale Pflichten zu erfüllen. Augenscheinlich hatte sein anderes Ich kaum Gelegenheit, sich in ihm zu erkennen zu geben, weder in seinen Gesprächen, welche nicht mehr werth waren, als der gesprochene Dialog in der Oper, noch in seinen Handlungen, die auf die enge Sphäre eines Industriellen beschränkt waren, der mühsam von seiner Arbeit lebt. Mozart konnte zuweilen sein Inneres zeigen, ohne daß er es wollte. Die sentimentale Sprache widerte ihn an, wie viele Menschen, welche ein tiefes Gefühl haben. Er liebte es nicht, von seinen Gefühlen zu sprechen, und er bemühte sich, dieselben unter einer barschen vertraulichen Sprache zu verbergen. Es geschah nur selten, in Augenblicken der Exaltation, daß man ihn eine tiefgefühlte Ansicht, wenn auch in schlecht gewählten Worten über Dinge aussprechen hörte, welche sich an die ernstesten Seiten des menschlichen Daseins und dessen Bestimmung knüpfen. Dann erleuchteten einige plötzliche Schlaglichter das verborgenste Innere des Individuums. Aber Ergießungen dieser Art waren unwillkürlich. Man könnte sogar sagen, daß, wenn sich Mozart auf diese Weise hatte gehen lassen, er eine gewisse Scham empfand; er verfiel sehr schnell wieder in seine drollige und possenhafte Sprache, füllte sein Glas, und dann war es nicht mehr möglich, ein vernünftiges Wort weiter aus ihm herauszubringen, wie Herr Rochliß sich ausdrückt. Scheint es nicht, als ob Mozart gefühlt hätte, daß er an der musikalischen Improvisation oder an dem linirten Papiere, die allein würdig waren, vertraute Mittheilungen über derlei Dinge zu empfangen, einen Diebstahl begehe? In diesen und zwar in ihnen allein darf man den wahren Menschen, die ernsten Handlungen seines Lebens, seine Gewalt, seine Größe und [92] seine Tugenden suchen. Ja, ich scheue mich nicht, die Arbeiten Mozart's den tugendhaftesten Handlungen, sowohl nach dem Moralischen Princip, das sie hervorgerufen hat, als hinsichtlich der Opfer aller Art, die sie gekostet haben, und der Resultate, die sie für immer für seine Mitmenschen gehabt und haben werden, gleich zu stellen. Wie viele Menschen haben Mozart gesegnet und segnen ihn noch, als den wohlthätigen Genius, dem sie einige ihrer edelsten Genüsse, sowie die Erinnerungen an die süßeste Vergangenheit verdanken, oder als den unsterblichen Zauberer, der in ihrer Seele einen Hauch der Poesie neu erweckt, wenn die Poesie schon von allen Seiten todt ist!

Nachdem wir die allgemeinen Beziehungen zwischen dem Berufe Mozart's und seinem Geschicke, seinem Charakter und der Harmonie seiner Werke unter sich festgestellt haben, wollen wir es versuchen, dieselben Übereinstimmungen zwischen den hervorragendsten Phasen seines Lebens, den speciellen Zügen seiner Individualität und seiner Werke, die wir nach ihren Gattungen prüfen werden, wieder aufzufinden.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 5-93.
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