1. An Töpken in Bremen.

Leipzig, am 5. April 33.

Charfreitag.


Mein lieber und freundlicher Töpken,


Wie hat mich Ihr Brief erfreut, der freilich nicht auf Adlerflügeln zu mir kam, obgleich vor vier Wochen! Ist es recht, da ich schon so lange die Frage schuldig blieb, ich auch die Antwort so lange zurückhaltet Aber Ihr Brief traf mich in meiner erzgebirgischen Heimath, mitten unter Freunden, Verwandten, Freuden und Genüssen aller Art, die der historischen Ruhe einer Antwort nachtheilig gewesen sein würden. Freilich hoffen Sie nicht zu stark auf jene; nach langer Trennung drückt man sich lieber die Hände, als daß man viel spricht – und dann fühle ich auch eine gewisse Ueberfülle an Stoff, den die Jahre nach und nach gehäuft haben.

Daß ich oft an Sie dachte, daß täglich, wenn ich recht tief in meinen Musikhimmeln sitze, ein Kopf im Hintergrunde schwebt, der Ihrem mehr als ähnlich sieht, daß ich oft den schönen festen Weg, den Sie, wie in jeder Sache, so in der Musik, unter meinen Augen einschlugen, während unserer Entfernung zu verfolgen suchte, so daß ich mir Grad und Stufe, auf der Sie jetzt stehen, ohngefähr zu bezeichnen getraute – glauben Sie mir das! freilich irrten wir, wenn wir durch eine oft eigensinnige Mechanik erlangen wollten, was nach und nach die Ruhe und Muße des spätern Alters von selber bringt – oder: wir faßten den Henkel so fest an, daß darüber bald das Gefäß verloren ging (umgekehrt ist's freilich noch schlimmer). In dieser Hinsicht und um jene Fertigkeiten in's Gleichgewicht mit den andern Kräften zu bringen, habe ich mich oft berichtigen müssen, Vieles, was ich sonst für untrüglich hielt, als hemmend und nutzlos verworfen und oft die[323] Potenzen auf entgegengesetztem Wege zu vereinigen gesucht. Denn wie in der physischen Welt heben und verdoppeln sich gleiche Kräfte, aber die stärkere ist der Tod der schwächeren und, um es auf die Kunst anwenden, nur durch harmonische Ausbildung der Fertigkeit und Fähigkeit (Schule und Talent) entsteht ein künstlerisches Rundes. Wenn ich Ihnen in dürren Worten eine Totalansicht der meinen zu geben versuche, so geschähe es mündlich freilich lebendiger, doch verweise ich Sie noch auf meine Vorstudien zu den Paganinischen Capricen, wo ich es unsystematisch genug, doch mehr als im eben gelesenen that.

Daß Sie die Papillons kennen, von denen manche in der schönen Heidelberger Umgebung und in Ihrer entstand, freut mich sehr, da es Ihnen wenigstens ein Zeichen meines Lebens sein mußte. Ihre Rezension soll mir werth sein; ist Platz im Briefe, so lege ich ihm eine Wiener bei, die mich sehr erfreut hat. Auch in der Berliner Iris finden Sie viel Freundliches über mich.

Zur Ostermesse kommen Intermezzi (zwei Hefte, längere Papillons) und ein Allegro di bravura, deren Erscheinen ich Ihnen genauer anzeige. Im ganzen verflossenen Winter nahm eine große Symphonie für's Orchester, die nun beendigt ist, meine Zeit weg; von ihr erwarte ich, ohne Eitelkeit, das Meiste für die Zukunft. Klavier spiele ich wenig noch; – erschrecken Sie nicht, – (ich bin resignirt und halte es für eine Fügung) an der rechten Hand habe ich einen lahmen gebrochenen Finger; durch eine an sich unbedeutende Beschädigung und Nachlässigkeit ist das Uebel jedoch so groß, daß ich mit der ganzen Hand kaum spielen kann. Ueber dieses, wie über meine sonstigen Lebensumstände, die sich übrigens sehr heiter gestalten, über meine Aufnahme in der Künstlerwelt, die unter keinen Verhältnissen aufmunternder sein konnte, über meine Pläne für die Zukunft, wie über mein bürgerliches Leben, das im Gegensatze zur....... (unleserlich) Weltansicht in Heidelberg zu meiner Freude nüchtern, fleißig und ordentlich geworden ist, haben Sie im nächsten Briefe allen Aufschluß zu erwarten. Ihre Briefe finden mich unter allen Bedingungen durch Wieck; der alte Lehrer ist jetzt mein ältester Freund. Ueber Clara werden Sie gelesen haben; denken Sie sich das Vollendete und ich unterschreibe es. Moscheles stutzte sehr; über unser Wiedersehn, wie über sein Spiel nächstens. Kalkbrenner kommt in drei Tagen hier an; mit Hummel steh ich in einem freundschaftlichen Briefwechsel; interessirt sie es, so[324] erhalten Sie seine Urtheile über mich, die mit Ihrem im Ganzen zusammentreffen würden. –

Wenn Ostern 1830 am nämlichen Tage wie in diesem Jahre gefallen ist, so wäre morgen der Tag, an dem uns ein Einspänner nach Frankfurt und zu Paganini trug. Aus meinem Tagebuche ziehe ich folgendes: »Die ersten Kutscher – Wolkenzüge am Himmel – die Bergstraße über Erwartung schlecht – der Melibocus – Auerbach – Benecke (ich traf ihn hier, als er eben im Postwagen nach Berlin saß), – die kleine Kellnerin – Lichtenberg's Auctions- (aus Versehen habe ich einen halben Briefbogen erwischt, bitte um Nachsicht, verspreche Besserung)

zeddel und Gelächter – Forster – Malaga – dann Schädler und Eckmayer – Vortrinken – Quarambolagen auf der Hausflur u.s.w. – Ostersonntag – Töpkens Flüche – traurige Gesichter – Darmstadt – die malerische Trauerweide im Gasthof-Hof – Aprillwetter, blaue und schwarze – die Warte vor Frankfurt – der lahme Klepper und langweiliges Danebenherlaufen – Ankunft im Schwan – Abends Paganini – Weber (ich habe nie wieder von ihm gehört – vielleicht Sie? – Entzückung – war's nicht so?) mit Weber, Hille und Ihnen im Schwan – ferne Musik und Seligkeit im Bette – Ostermontag das schöne Mädchen im Weidenbusch – Abends ›Tell von Rossini‹ – (daneben steht im Tagebuch: Töpkens gesundes Urtheil) – Hinstürzen nach dem Weidenbusch – das schöne Mädchen – Lorgnettenbombardement – Champagner – Osterdienstag – mit Töpken Flügel angesehen – Al. Schmitt – Schubert'sche Walzer – Braunfels – Wachscabinett – Abschied von Weber – vielleicht auf immer (ist bis jetzt so) Abfahrt aus Frankfurt – mein künstliches Ausweichen in den Frankfurter Winkelgassen – Darmstadt – Jetzt schreib, ich wörtlich ab: – köstliches Befinden nach einem Schoppen Wein – – – – – – der herrliche Melibocus im Abendglanzduft – Wein im Magen – der schreckliche Klepper – Verwechselung der Zügel – endliche Ankunft in Auerbach – Lottchen – – – – – – – – – – – Ostermittwoch – schlechtes Wetter – die Bergstraße blüthenschön – in Handschuchsheim die liederlichen Preußenfüchse – Ankunft in Heidelb. – Ende –«.

Seit langer Zeit wüßte ich nicht, daß mir ein Abschreiben (das meiner Compositionen ausgenommen) so viel Freude gemacht hätte, als das der vorigen Zeilen. Auch steht Ihr Bild jetzt so lebhaft vor mir,[325] daß ich diesem Brief einen zweiten, längeren nachschicken möchte, der Ihnen beiläufig sagte, wie sehr ich Sie immer geachtet und geliebt habe, – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Mit Freundschaft und Herzlichkeit sende ich Ihnen einen...... (unleserlich) Gruß. Möge Ihre Hand bald die Wolke wegnehmen, die noch über die letzten zwei Jahre hängt; vielleicht daß sie dann in Tropfen und warm niederfällt auf die Hand Ihres Freundes.


R. Schumann.


Da Platz ist, gebe ich die versprochene Rezension ganz:

Wiener musikal. Ztg. Nro. 26. 1832.


I. Theme sur le nom etc.

II. Papillons.

Es ist allerwege hübsch, wenn man auf eigenem Fuße ruht, und keiner Krücken, noch anderer Schultern zur Unterstützung benöthigt. Der uns zum ersten Male begegnende, wahrscheinlich noch jugendliche Tondichter, gehört, (»hier war ich gespannt, erschrak aber sichtlich«) zu den seltenen Erscheinungen der Zeit; er hängt an keiner Schule, schöpft aus sich selbst (»drum trink ich jetzt so wenig«), prunkt nicht mit fremden, im Schweiße des Angesichts zusammengelesenen Ideen; hat sich eine neue ideale Welt erschaffen, worin er fast muthwillig, zuweilen sogar mit origineller Bizarrerie herumschwärmt; und schon aus diesem Grunde, eben weil ihm die Phönixeigenthümlichkeit inne wohnt, der Accolade (schlagen Sie im Dictionaire nach), nicht unwerth ist. Freilich werden Manche, sonderlich jene, für welche beispielsweise Jean Vauls tiefgefühlte Lebensbilder böhmische Dörfer sind, oder welche vor Beethovens genialen Blitzstrahlen abhorresciren, als ob ihnen ein Vomitiv verabreicht würde – probabiliter, sage ich, werden diese Herren in as und es auch daran gewaltig Aergerniß nehmen, ob der Kühnheit des obscuren Neophyten das Naslein rümpfen, und erklecklich Aufsehen davon machen: vielleicht wohl gar über das: »wie es ist« und »wie es sein sollte« einige Bücher Papier consumiren und ein Viertelhundert Federn abstumpfen; – immerhin! – was einmal der Oeffentlichkeit übergeben wird, fällt auch dem allgemeinen Urtheile anheim: ein belehrendes verschmäht nur der Eigendünkel, während es der nach Höherem strebende dankbar empfängt, aber treu bleibt seinem Genius, der ihn nicht leicht auf eine Irrbahn verleitet –

Ueber die Sache selbst nur wenig Worte, da auch deren viele kaum zureichen dürften. Nro. I. ist ein Motiv auf fünf Tönen: a, b,[326] e, g, g, basirt; (Sind Sie nicht über die Gräfin Pauline erschrocken, deren Vater ich allein bin; ich hatte zu dieser Mystification Gründe, die ich Ihnen später mittheilen will); Nro. II. besteht aus sechs Einleitungstakten, und zwölf theils kürzeren, theils längeren rhapsodischen Sätzen in wechselnden Tonarten, Zeitmaßen und Rhythmen; meist schäckernd, flatterhaft und kokettirend; ein Spiegelbild der Schmetterlingsnatur. – (Die Papillons sollen bei weitem etwas anderes sein; im nächsten Brief erhalten Sie den Schlüssel zum Verständniß derselben.) – Nichts ist leicht zu spielen; der Vortrag erheischt Charakteristik; das Ganze will, zur Erreichung des beabsichtigten Totaleindrucks sorgfältig studirt und geübt werden. Die dem Namen nach wenigstens neue Verlagshandlung introducirt sich hier auf eine sehr anständige Weise.

76.


Beim Abschreiben dieser Rezension bin ich fast eingeschlafen, was die Handschrift hinlänglich beweist. Vergelten Sie mir dies große Opfer durch eine schnelle Antwort, ist es Ihnen anders möglich. Wir haben es bequemer, die Briefe nicht zu frankiren. Schreiben Sie mir auch von Ihren musikalischen Studien; an diesen werde ich immer viel Theil nehmen, was ich Ihnen nicht zu versichern brauche. Ich glaube Ihnen die Paganinischen Capricen nach Pflicht und Gewissen als vorzügliche Uebungen (höhere) empfehlen zu können und erwarte Ihr Urtheil darüber. Die obige verhüllende 76 ist, was ich später erfahren habe, der Dichter Grillparzer in Wien. –


Meine Adresse ist: in Riedels Garten (oder durch Wieck)

Adieu, lieber, bester Freund!

Quelle:
Wasielewski, Wilhelm Joseph von: Robert Schumann. Bonn 31880, S. 321-327.
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