86. An Debrois v. Bruyck.

[433] Düsseldorf, den 8. Mai 1853.


Geehrtester Herr,


Die Antwort auf Ihren lieben Brief hat sich etwas verzögert. Ich war in Erwartung der Zusendung von »Schön Hedwig« und da sie eben eingetroffen, säume ich nicht, sie beizulegen mit der Bitte, das zweite Exemplar Hrn. Dr. Hebbel mit hochachtungsvollem Gruß zu übergeben. Es ist eine Art der Composition, wie wohl noch nicht existirt, und so sind wir immer vor Allen den Dichtern zu Dank verbunden, die, neue Wege der Kunst zu versuchen, uns so oft anregen.

Haben Sie auch vielen Dank für alles Theilnahmvolle, was Ihr letzter Brief sonst enthält. Ich wünschte, daß Sie auch meine größeren Orchesterkompositionen zu hören Gelegenheit hätten. Denn wenn ich auch, wie ich wohl sagen kann, in kleineren Formen mit demselben Ernst schaffe, wie in größeren, so giebt es doch noch ein ganz anderes Zusammennehmen der Kräfte, wenn man es mit Massen zu thun hat.

Was Sie mir über Wagner schreiben, hat mich zu hören sehr interessirt. Er ist, wenn ich mich kurz ausdrücken soll, kein guter Musiker; es fehlt ihm Sinn für Form und Wohlklang. Aber Sie dürfen ihn nicht nach Clavierauszügen beurtheilen. Sie würden sich an vielen Stellen seiner Opern, hörten Sie sie von der Bühne, gewiß einer tiefen Erregung nicht erwehren können. Und ist es nicht das klare Sonnenlicht, das der Genius ausstrahlt, so ist es doch oft ein geheimnißvoller Zauber, der sich unserer Sinne bemächtigt. Aber, wie gesagt, die Musik, abgezogen von der Darstellung, ist gering, oft geradezu dilettantisch, gehaltlos und widerwärtig, und es ist leider ein Beweis verdorbener Kunstbildung, wenn man im Angesicht so vieler dramatischer Meisterwerke, wie die Deutschen aufzuweisen haben, diese neben jenen[433] herabzusetzen wagt. Doch genug davon. Die Zukunft wird auch über dieses richten.

Sehr freuen sollte es mich, von Ihren neuen Compositionen bald etwas kennen zu lernen. Vergessen Sie nicht, mir bald davon mitzutheilen. Bestrebungen Jüngerer zu folgen, ist mir immer eine große Freude. So, wenn Sie vielleicht etwas von ihm kennen sollten, denen von Th. Kirchner, den ich schon als achtjährigen Burschen kannte und der viel verhieß. Er hat vor Kurzem zwei Hefte Clavierstücke (auch viele Lieder) erscheinen lassen, die mir zu den genialsten der jüngeren Componisten zu gehören scheinen. – Nun genug für heute. Es beginnt eine Woche schwerer Arbeit für mich – die Musikfestwoche; es ist aber viel Freude dabei.

Leben Sie wohl und schreiben mir bald wieder.


R. Schumann.

Quelle:
Wasielewski, Wilhelm Joseph von: Robert Schumann. Bonn 31880, S. 433-434.
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