Bern

[293] Den 14. September finden wir Weber, der in Solothurn kein Concert zu Stande gebracht hatte, in Bern, von wo aus er an Gottfried auf einen vorgefundenen Brief von diesem, schreibt:


»Bern den 15. Sept. 1811.


Lieber Bruder.


Daß heiße ich einmal wieder einen Brief der sich gewaschen hat und der mir unendlich viel Stoff zu froher Laune gab, die ich weiß Gott recht nöthig habe. aber ich habe geschworen, daß dieser Brief dem Deinen nichts nachgeben sollte, und ich werde Wort halten, deßwegen fange ich heute noch an um mit der größten Gewissenhaftigkeit Punkt für Punkt zu beantworten. Vor allem aber nochmals den brüderlichsten Dank für die Freude die er mir gemacht hat. mit einer Armensündermiene lief ich sobald ich aus dem Wagen gestiegen war auf die Post und sah mit Todesangst auf die Hand des die Briefe fortirenden Secretairs, ob sie nichts für mich auf die Seite würfen, und siehe da es fiel einer und noch einer bis 4 Stück von Dir, Danzi, Bärmann, und Vater. Das war ein Jubel. nach Hause gerannt wie toll, Rock ausgezogen, sich auf's Sopha gestreckt und so recht wollüstig die Inhalte in mich gesogen. Lacht mich nicht aus, daß ich das so umständlich beschreibe, stündet Ihr so allein unter den Menschen wie ich, und hättet so lange keine Nachricht von Euren Lieben, es würde Euch eben so gehen. – Doch genug des Gepappels, jetzt zur Sache.

Du bist böse, daß ich nicht ausführlicher über die Zusammenkunft mit Beer sprach. ja, lieber Br:, ich bin mit dieser Zusammenkunft[293] gar nicht zufrieden; zuerst sah ich ihn im Conzert, da konnte man natürlich nicht viel reden, dann mußte er um 9 Uhr schon zu Bett, weil die Thore geschlossen werden und er vor dem Thore wohnte! Den andern Morgen sollte er um 6 Uhr schon bei mir seyn, ja – serviteur – er läßt mich warten wie ein Narr und um 10 Uhr bekomme ich ein Billet er komme um 11 Uhr, daraus ward wieder nichts, so daß ich ihn erst wieder im Conzert sah, wie böse ich war kannst Du denken, aber da mußte er mit seinen Eltern zum Rheinfall etc. etc. in Winterthur suchte ich ihn in der Nacht auf, er wäre sonst schwerlich gekommen, Du kennst ihn ja darin. Den andern Tag als seinem Geburtstage frühstückte ich bei ihm mit seinen Eltern, und Du siehst also aus diesem umständlichen Bericht, daß wir so gut wie nichts mit einander gesprochen haben. Von da ging seine Reise nach Straßburg und von da zurück nach Darmstadt. Seine Eltern sind sehr artige Leute, besonders die Mutter hat mir sehr gefallen. Ich hatte ihn in Schaffhausen mit Nägeli bekannt gemacht, er ist aber durch Zürich gereist ohne zu ihm zu gehen. Du, Esel, siehst Du denn meinen Edelmuth nicht ein, daß ich Dir das Conzert deswegen so beschrieb, damit Du es weiter brauchen könntest, nach Hamburg etc. Da ich Dir keine Stadtneuigkeiten schreiben kann, so will ich Dir Leibes Nachrichten erzählen. 1mo habe ich bei einem Haar die Ruhr bekommen, 2do habe ich mir einen Fuß verrenkt, 3tio haben mich die Flöhe in Solothurn ungemein geplagt und 4to befinde ich mich recht wohl. – –

Es freut mich daß Fröhlichs Singschule etwas taugt, wären auch alle neueren Werke, nur so, so wäre es schon Gewinn für die Kunst.

Mit Deiner Sonate1 geht es mir immer noch hundeschlecht; ich habe noch keine Seele aufgetrieben, die es verstünde und von der sich's schickte. weißt Du was, ich will sie der M. Z. schicken, und mich wundern, daß sie noch nicht rec: ist, will zugleich sagen, daß ich es wünsche und zugleich eine Art recension im Briefe selbst hinwerfen, und Du wirst sehen sie schnappen darnach, drucken es ab und Du[294] kommst auch wieder in's Gedächtniß, schreibe mir sogleich darüber, ich halte dies für's Beste. – –

Ah, Servus, Herr Bruder Dusch, leben Sie auch noch. Ho, ho, nur nicht gleich so groß gethan, wenn Du einmal 2 Buchstaben krazest. Gegenden soll ich Dir beschreiben???? Das fehlte mir noch, um vollends rein toll zu werden. nein, ich fühle in Gottes freier Natur, aber davon reden mag ich nicht; ein Opernsüjet hätte ich wohl, wenn ich nur dazu kommen könnte es Dir aufzuschreiben. weißt Du was, komm nach Basel. Ende dieses Monats denke ich dort zu seyn, da wollen wir es besprechen. – Ach, ich mag nicht daran denken – wer weiß, wenn wir uns wieder sehen! – –

Adieu, ich gehe zu Tisch und dann in's Bett. Morgen das Weitere. Gute Nacht, Ihr Lieben, mit den Gedanken an Euch entschlummere ich fröhlich wehmüthig. – – –

Guten Morgen. Geschlafen habe ich wie ein Raz, und nun sitze ich wieder hier um da fortzufahren, wo ich es gestern gelassen habe. Du willst eine Skizze von mir über den 1. Ton. Kerl, ich fange an zu glauben, daß Du toll bist. Kennst Du ihn nicht etwa eben so gut als ich? Doch um Dir den Willen zu thun, will ich Dir von Basel so ein Dings schicken, da siede und brate es denn wie Du willst. Warum benutzt Unk'n:2 nicht den Kanal in's Gesellschafts Blatt, Litteratur Z. etc. nach München? und was thut der Heidelberger? die Kanäle, die ich eröffne, müssen auch benutzt werden, sonst verstopfen sie sich von selbst wieder! Wenn es mir nur einigermaßen möglich ist, so gehe ich nach Aarau um die Miszellen zu erobern. Ich habe einen Brief von Hug an Zschokke!

Den 30. schrieb ich Dir zuletzt von Zürich aus. Denselben Abend besuchte ich mit Nägeli seine Singanstalt. Das ist ein höchst wunderliches Wesen. Die Leute singen wohl, aber wie? wie das Volk in allen lutherischen Kirchen, und dann die Composition wollte mir auch nicht in Kopf, sie kam mir so platt und hundsgemein vor, vielleicht verstehe ich's aber nicht, und das ist Volksgesang![295]

Den 2. September bekam ich eine sonderbare Idee zu deren Ausführung ich sogleich schritt. nämlich der ewigen Qual mit dem Arrangement eines Conzerts, daß man nicht weiß an wen man sich wenden soll, wer beliebt ist als Aushülfe, was man für Musik liebt u.s.w. will ich durch ein Noth und Hülfsbüchlein für reisende Tonkünstler, abhelfen. Dies giebt zugleich einen Beitrag zur Geschichte des jetziges Musikzustandes in Deutschland. Der ausführliche Plan davon ist schon in's Reine gebracht und wird bei dem Circulare folgen, in dem ich die Brüder um Beiträge bitte. Die Orell und Füßlische Buchhandlung in Zürich hat mir schon 1 Carolin per Bogen geboten. Dafür gebe ich es aber nicht, und übrigens schreibt sich das Werk halb von selbst, nachdem ich an einem Orte war, darf ich nur mein Tagebuch exzerpiren, wie gefällt Dir die Idee? ad vocem Plan fällt mir ein, daß ich schon so manchen für unsere Zeitung engagirt habe, aber nothwendig dazu den von mir entworfenen Plan haben muß. schicke ihn mir sogleich aber eng geschrieben.

Den 6. ging ich zu Fuß mit Liste über das Gebirg nach Luzern, wo ich den 7. ankam. Da war gar nichts zu machen. von da ging ich nach Solothurn, wo die Tagsazzung ist und kam den 9. an. Auch da war nichts für mich zu thun, nachdem ich 4 Tage in dem verfluchten Neste herumgezogen ward. Gestern als den 14. bin ich denn hierher gesegelt. Hier ist's auch nichts. Du siehst wohl ein, lieber Bruder, daß das Einem eine Schweizer Reise verleiten muß, denn das Reisen kostet ungeheures Geld in der Schweiz. Daher werde ich morgen noch eine Fußreise auf die Gletscher anstellen, mich ein paar Tage dann bei dem bayrischen Gesandten D'Ollory in Jegisdorf aufhalten, und dann über Aarau nach Basel gehen, wo ich denn doch ein Conzert zu machen hoffe. von da wieder zum Baron Hoggner und St. Gallen und zurück nach München. Die schönen Pläne Genf und Iverdün zu sehen muß ich leider fahren lassen, da meine Casse es mir nicht erlaubt, und jetzt schon ganz schiefe Gesichter schneidet. in Gottes Namen, es können nicht alle Wünsche erfüllt werden, und von den Meinigen bin ich's nur zu sehr gewohnt, daß sie es nicht werden. Du schreibst mir also nach Basel poste rest: –[296]

Da habe ich eben mein Geschreibsel wieder durchgelesen und da stieß mir eine kuriose Idee auf. Wenn es nemlich der Himmel so fügen wollte, daß wir berühmte Leute würden, nach deren Briefen man hascht nach ihrem Tode – höre, das wäre ein verfluchter Streich, wenn z.B. so ein Brief wie dieser gedruckt würde. – –!! etc. etc.«3

Auch den von Bern aus an seinen Vater geschriebenen Brief lassen wir folgen, da er Weber's ehrerbietige Liebe zu dem alten geistig immer matter werdenden Manne bekundet, der ihm in letzter Zeit durch unberufene und taktlose Einmischung in seine Angelegenheiten manche Verdrießlichkeiten bereitet und besonders beinahe seine guten Beziehungen zur Leipziger Musik-Zeitung gestört hatte, indem er folgenden von Unwahrheiten und Taktlosigkeiten wimmelnden Brief an Rochlitz richtet, der diesen indignirte und gegen Carl Maria, den er für den Veranlasser desselben hielt, verstimmte.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 293-297.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Clementine

Clementine

In ihrem ersten Roman ergreift die Autorin das Wort für die jüdische Emanzipation und setzt sich mit dem Thema arrangierter Vernunftehen auseinander. Eine damals weit verbreitete Praxis, der Fanny Lewald selber nur knapp entgehen konnte.

82 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon