[52] Aber der Genius des Knaben, dem nur auf kurze Zeit durch äußere Einflüsse die Flügel gebunden worden waren, rüttelte mächtig an seinen Banden! Ein ganzes Jahr lang hatte er geduldig Steine geätzt und Pressen gezeichnet und gedreht, jetzt begann der gewaltsam von seinen Bahnen abgelenkte Geist sich seiner wahren Zwecke instinktiv wieder bewußt zu werden, die gravirten Noten begannen wieder zu klingen, durch das Girren des Grabstichels und das Knarren der Maschinen klang es gar verlockend draußen aus der schönen Welt der Kunst herein, die Erinnerung an das Mahnen der höheren Stimme aus dem brennenden Schranke war verblaßt, und als der Knabe den Händedruck seiner Meister Valesi und Kalcher in München wieder fühlte – hatte ihn auch die Kunst wieder! – Nach dreimonatlichem Aufenthalte in München wurde nun zwar die Uebersiedelung nach Freiberg bewirkt, und sogar die Errichtung einer[52] Officin für lithographischen Notendruck in Freiberg durch den »Major« von Weber öffentlich angezeigt (Allg. Musikzeitung III.,p. 69), aber in wie ganz andern Formen sollte sie geschehen. Die Reise wurde, vielleicht halb und halb nothgedrungen, zur Kunstreise, und Carl Maria spielte mit Beifall in Erfurt, Gotha und Leipzig zur Michaelismesse in Concerten. Im August hatten die Weber's in Freiberg die am 24. August dahin übergesiedelte Ritter Steinsberg'sche Theatertruppe wieder getroffen und der Direktor hatte wahrscheinlich, nothgedrängt, den jungen Musiker nun direkt aufgefordert, sein »Stummes Waldmädchen« für seine Gesellschaft zu componiren, da er, Steinsberg, etwas großsprecherisch, beim Antritte seiner Theaterunternehmung in Freiberg, das Publikum daselbst durch Erzählung von Original-Luft- und Trauerspielen, Balletten und Opern, die er vorführen wolle, nach Neuem und Außerordentlichem lüstern gemacht hatte. Der lange niedergehaltene spiritus familiaris des Weber'schen Blutes, die Bühnenleidenschaft, war dadurch in Carl Maria ohne Zweifel erwacht und hatte auch den alten Herrn, der bis dahin sauer auf das neue Kunsttreiben des Sohnes geblickt hatte, mit entzündet, die alte Lieblingsidee vom Musikwunderkinde erwachte, auch dem Knaben schien es noch Zeit zu sein, als jugendlicher Operncomponist die Welt in Staunen zu setzen, kurz; die Oper war, halb auf der Reise, halb in Freiberg geschrieben, im Oktober 1800 fertig. Carl Maria sagt selbst in seiner mehrerwähnten autobiographischen Skizze, daß er, verleitet von Wunderanekdoten von großen Meistern, den zweiten Akt des Werkes in zehn Tagen niedergeschrieben habe.

Es ist nicht gut erklärlich, warum diese Oper, deren Text vom Ritter Steinsberg geschrieben und die für dessen Gesellschaft componirt war, nicht auch zuerst von dieser gegeben worden ist.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 1, Leipzig: Ernst Keil, 1864, S. 52-53.
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