Oeffentliche Ansprache der Bewohner Dresdens

[54] Dem Componisten von »Leyer und Schwert« und »Kampf und Sieg«, dem rastlosen Wanderkünstler war der Ruf eines Talentes der Umgestaltung, eines Mannes der neuen Zeit, der Unruhe, der ungewöhnlichen Handlungen und des eigenen Wegs bereits vorausgegangen, von dem man allerhand Sonderbares zu erwarten haben[54] werde, und man war daher auch auf sehr selbständiges Vorgehen vorbereitet. Trotz dem erregte die erste Handlung, mit der er vor die Oeffentlichkeit trat, so allgemeines Staunen, daß es wahrlich war, als strecke der Herrgott am Kunsthimmel eine Zornruthe aus, nach der alle Welt offenen Mundes emporstarren müsse. Er, der königliche Capellmeister, der Beamte eines Hofs, dessen innerstes Wesen der Oeffentlichkeit so abgeneigt war, dessen Leute so leisen Schrittes wie möglich durch die Welt gingen, wandte sich plötzlich und unerwartet mit lauter Stimme und klarem Wort durch die Presse an die Oeffentlichkeit, an das Publikum, indem er in der »Abendzeitung« nachstehenden Aufsatz, und noch dazu mit seines vollen Namens Unterschrift, drucken ließ!!:


An die Kunst liebenden Bewohner Dresdens.


Indem die Bewohner Dresdens durch die huldvolle Vorsorge und bewährte Kunstliebe ihres erhabenen Monarchen vermöge der vorsichgehenden Gründung einer deutschen Opern-Anstalt, eine schöne Bereicherung ihres Lebensgenusses erhalten sollen, scheint es dem Gedeihen der Sache zuträglich ja vielleicht nothwendig, wenn Derjenige, dem die Pflege und Leitung des Ganzen übertragen ist, die Art, Weise und Bedingung zu bezeichnen sucht, unter welchen ein solches Unternehmen ins Leben treten kann. Es tritt dem Menschenherzen das näher, was er gründen, wachsen und fortschreiten sehen kann und wird ihm das lieber und werther, was er auch in seinen Theilen und Bau beobachten lernt und was soll ihn zunächst freundlicher ansprechen als das Treiben und Wirken der Kunst, das schöne Erzeugniß des erhöhten Lebens, zu dem jeder Einzelne im Volk eine unsichtbar mitwirkende Triebfeder ist, und sich auch als solche gewiß fühlt.

Es ist daher sogar Pflicht des Verwalters des ihm anvertrauten Kunstschatzes dem Publikum zu sagen was es zu erwarten und zu hoffen habe und inwiefern man auf freundliche Aufnahme und Nachsicht von keiner Seite rechnen müsse.

Leicht und schnell sind große Erwartungen erregt, schwer ist es, vermöge der Natur der Sache selbst, nur gerechte Forderungen zu[55] befriedigen, Die Kunstformen aller übrigen Nationen haben sich von jeher bestimmter ausgesprochen als die der deutschen, in gewisser Hinsicht nämlich. Die Italiener und Franzosen haben sich eine Operngestalt geformt, in der sie sich befriedigt hin und her bewegen. Nicht so der Deutsche. Ihm ist es rein eigenthümlich das Vorzügliche aller Uebrigen, wißbegierig und nach stetem Weiterschreiten verlangend, an sich zu ziehen. Aber er greift alles tiefer, Wie bei den andern es meist auf die Sinnlust einzelner Momente abgesehen ist, will er ein in sich abgeschlossnes Kunstwerk, wo alle Theile sich zum schönen Ganzen runden und einen. Hieraus folgt, daß die Aufstellung eines schönen Ensembles die erste Nothwendigkeit ist. Hat eine Kunstdarstellung es erreicht, in ihrem Erscheinen nichts Störendes mitgebracht zu haben, so hat sie schon etwas Verdienstliches, das Gefühl der Einheit bewirkt. Dieses ist durch Eifer, Liebe zur Sache und richtige Benutzung der dabei beschäftigten Kräfte zu erreichen.

Schmuck, Glanz und Enthusiasmus werden einer Kunstanstalt nur durch ausgezeichnete hohe Talente verliehen. Diese sind in der ganzen Welt selten, bewahrt und festgehalten, wo sie sind, und nur die Zeit, und der Seegen, der jedem menschlichen Beginnen allein Gedeihen bringen kann, sind im Stande diese in der Folge zu verschaffen. Wenn daher jetzt von Eröffnung der deutschen Opern-Vorstellungen die Rede ist, so können solche nur als Versuche zur Bildung eines Kunst-Körpers einestheils betrachtet werden, anderntheils als Mittel, fremde Talente, darin erscheinend, würdigen und kennen zu lernen, und endlich als eröffnete Laufbahn zur weiteren Kunstbildung.

Was mit den schon vorhandenen Mitteln geleistet werden soll, empfiehlt Ref. der freundlich nachsichtsvollen Güte des richtenden Publikums. Durch die spätere Bereicherung des Personals wird nicht nur manches schon Gegenwärtige und Vorzügliche, Zweckmäßige an seinen Platz gestellt werden, in seinem vortheilhaftesten Lichte erscheinen, sondern überhaupt dann erst ein planmäßiger Gang in Hinsicht der Wahl der Opern und deren abwechselnde Folge sich auf Musik-Gattungen und Scenischer Tendenz beziehend, eintreten können, der dem Publikum das Beste aller Zeiten und Orte mit gleichem Eifer[56] wiederzugeben suchen soll. Um die Anschaulichkeit dieses Willens dem Kunstfreunde näher zu bringen, hoffe ich durch nachfolgende Notizen, die jedesmal dem Erscheinen einer neuen Oper vorangehen werden wenigstens mein Verlangen an den Tag zu legen, das Gute zu befördern, als meine Kräfte es erlauben, und möge mir dabei der Wunsch nicht verargt werden, dieß nicht gemißdeutet, sondern mit Liebe aufgenommen zu sehen.


Carl Maria von Weber.


Dieß war weit mehr als selbst die, welche die Neuerung und den Mann derselben mit den schwärzesten Erwartungen beobachteten, für möglich gehalten hatten. Ein königlicher Capellmeister war bisher eine Art künstlerischer Dalai Lama gewesen, ein Wesen, das in seinem Amte nur nach oben hin zu schauen, zu wirken, zu gefallen, zu sprechen hatte, bei dem man gar keine individuelle, sondern nur die inspirirte Meinung voraussetzte. Man hatte nie gesehen, daß ein Hofbeamter in seinem Dienste etwas auf denselben bezügliches mit seinem Namen hätte drucken lassen, und hier der junge Capellmeister redete zum Volke, als ob er ihm nach Ueberzeugung dienen wollte, charakterisirte ohne Hehl eine königliche Kunstanstalt und gab ein Programm der Wirksamkeit derselben, als gäbe es dabei noch andere Pflichten zu erfüllen, als höheren Befehlen zu gehorchen. Unerhört! Das Aufsehen, dem man in den »Kreisen der italienischen Oper« sehr unverhohlen eine dunkle Färbung gab, in untern nur verstohlen als ein beifälliges darzustellen wagte, war allgemein.

Weber schreibt darüber an Caroline:


»Beiliegender Aufsatz hat viel Sensation, Freude, Achtung und Furcht erweckt. Alles nothwendig in der Welt! etc.« »Die Guten fangen schon an mich zu lieben und die Bösen haben eine tüchtige Furcht vor mir, weil sie wohl wissen daß mit mir nicht zu spaßen ist. etc.«

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 54-57.
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