Große Messe Nr I. Es dur

[151] Webers Genius hatte in seinem innersten Wesen eben so wenig eigentliche Tendenz für die geistliche, als für Kammermusik. Das Grundelement seiner schöpferischen Begabung, das fortreißende Feuer, der rhythmische Schwung, die Kraft sich die Stimmungen, die das Tonwerk verlangte, gleichsam aus dem Hörer heraus unwiderstehlich zu schaffen, die ihn recht eigentlich zum dramatischen Componisten stempelten, konnten da nur zur sekundären Geltung gelangen, wo es darauf ankam, auf Grund vorausgesetzter Stimmungen, in ruhiger, abstrakt-musikalischer Contemplation ein Kunstwerk aufzubauen.

Weber war ein zu seiner und kritischer Kopf, um dieß nicht selbst zu erkennen, und dem zu Folge dem zu dramatisch ausgreifenden Hypogryphen mit geschickter Hand den Zügel fühlen zu lassen, wenn er an die Composition von Werken ging, die außerhalb seiner eigentlichsten Sphäre lagen. Er ist daher einerseits nie in Verstöße gegen den guten und passenden Geschmack, und gegen den Geist der Stücke, andererseits eben so wenig in banale Phrase, oder das bequeme, freundliche Melodiengeplauder gefallen, durch das sich seine Vorgänger im Amte, besonders Seidelmann und Schuster, häufig die Composition ihrer Kirchenwerke so leicht machten. Aber, während man sich der Lieblichkeit seiner Kammermusikwerke, der kraftvollen Schönheit seiner geistlichen Compositionen hingiebt, beschleicht den Hörer doch unwillkürlich oft ein Gefühl, wie fast bedauerndes Erwägen, ob diese Fülle reizender und charakteristischer Melodik, dieser Farbenglanz der harmonischen Behandlung, diese reichen, stark bewegenden Themata, die, trotz aller fleißigen Selbstbeschränkung, allenthalben auftreten, nicht lieber, und am Ende doch auch platzgemäßer, im musikalischen Drama und in dramatischen Cantaten zur Verwendung gekommen sein würden?

Weber schuf die große Messe in Es mit Mühe. Es war den Sächsischen Capellmeistern, nicht contraktmäßig, aber von Alters her durch Herkommen., zur Pflicht gemacht worden, öfter eine Messe zu schreiben, die dann Eigenthum der Katholischen Hofkirche blieb und[152] zu deren Veröffentlichung nur ausnahmsweise Erlaubniß ertheilt wurde.

In gewissen Kreisen pflegte man die Berufstreue der Capellmeister nach der Zahl der Messen, die sie geliefert hatten, arithmetisch festzustellen. Auch Weber sollte seiner Zeit die Bitterkeit der Facits dieser Pflicht- und Treue-Berechnungen erfahren.

Dieß war Weber nicht unbekannt, und gerade Angesichts der Kränkungen, unter denen er im Augenblicke zu leiden hatte, war ihm doppelt daran gelegen, in jeder Form zu beweisen, daß ihm jeder Zweig seiner Pflichten gleich fest aus Herz gewachsen sei. Mit Aufopferung seiner Gesundheit arbeitete er Tag und Nacht an der Messe. Je neuer die Richtung des Werkes seiner Praxis, je heterogener die Gattung der musikalischen Darlebung seinem Talente war, mit um so aufreibenderer Energie hielt er durch Reflexion den Standpunkt fest, während er seiner Schöpferkraft das Werk selbst abrang.

Um so bewundernswürdiger ist es, daß es ihm gelang, eine Messe zu schaffen, von der der gründliche und feinblickende Benelli schreiben konnte:


»Ich kenne unter den zahlreichen Messen ausgezeichneter Meister unsrer Tage kaum einige, in welchen so ausdrucksvolle Melodien, mit so eigenthümlicher und trefflicher Harmonie, so feierlicher kirchlicher Andacht, mit solchem Glanze der neuen Tonkunst, so viel bedachtsamer Ernst mit solcher feurigen Genialität verbunden wären, und auch nicht eine, welche diese, in diesen vereinigten Punkten und im Ganzen genommen, überträfen. Zwar haben unterrichtete Kunstfreunde in einigen Sätzen des Werkes, viel Künstlichkeit bemerken wollen, ich muß aber gestehen, daß ich diese Meinung keineswegs theile etc.«


Das »Kyrie« dieser Messe, ein im andächtigen Kirchenstyle geschriebenes, originelles Adagio in Es dur, das im »Christo« in ein Andante in As, vom Tenor mit Chor vorgetragen, übergeht, und mit der Melodie das erste Tempo schließt, wurde binnen 2 Tagen, am 4. und 5. Januar, niedergeschrieben. Dann folgte der kunstreichste[153] und gelehrteste Theil der Messe das »Credo« in As dur, das mit einem prachtvollen Tema di canto fermo im Unisono aller Stimmen beginnt und sich in einem dreifachen, geistvoll gearbeiteten Canon fortspinnt. Wenn die Harmonie in den Verarbeitungen der Canons geschwebt hat, kehrt sie zum Epilog des Canto fermo zurück, was bei jedem Eintritte, durch Originalität der Erfindung und Majestät des Ausdrucks ungemein wirkt. Dieser schöne Abschnitt wurde am 8. Januar vollendet.

An das »Sanktus«, das in C dur für 8 reale Stimmen geschrieben, ganz eigenthümlich erfunden und selbst für die allgemeinste Empfänglichkeit von tiefen Eindrücken ist, schließt sich das »Osanna« mit einer vierstimmigen Fuge. Am 16. Januar wurden beide Sätze vollendet.

Das »Gloria in Excelsis«, ein majestätisch in C dur geschriebener Rhythmus, wurde am 21., gerade am Tage, wo Weber die schmerzliche Ordre erhielt, die Orchesterordnung unangetastet zu lassen, niedergeschrieben.

Das »Benediktus«, das süßeste Sopransolo, das sich jemals mit himmlischer Liebe an das Menschenherz schmeichelte, mit Clarinetten, Hörnern, Fagotten und Oboes begleitet, wurde Tags darauf componirt.

Welche Freiheit der Seelenthätigkeit!

Mit der originellen Composition des Offertorium, das für fünf wesentliche Stimmen geschrieben ist, von denen 4 im Chore eine andächtige Melodie in einfachen Accorden austönen, während die fünfte hohe Stimme, mit schönem, reich colorirtem Gesange, wie eine Lerche über dem Sonntagsgeläut eines Dörfchens, darüber schwebt, beschloß Weber die ihn bis zur körperlichen Krankheit aufregende Arbeit an der großen Messe, die am 8. März zum ersten Male, in Gegenwart der gerade in Dresden befindlichen Conradin Kreutzer und Amadeus Wendt aufgeführt wurde. (Mit letzterm blieb Weber stets in angenehm künstlerischem Verkehr, obwohl nicht selten ihre Ansichten sehr wesentlich von einander abwichen, und Wendt Webern sogar einen »Melodienvergeuder, Musikverschwender etc.« nannte. »Wenn ich's nur dazu habe,« rief Weber lachend aus, als er es hörte.) Der[154] warme Beifall dieser ausgezeichneten Männer mußte Weber dafür schadlos halten, daß er die mit Composition der Messe angestrebten äußern Zwecke nicht erreichte, der Hof die Kirche bei der Aufführung nicht besuchte, und das Ganze spurlos vorüber zu gehen schien.

Die allgemeine öffentliche Aufmerksamkeit, die das Werk jedoch erregte, zog auch den Blick des musikalisch trefflich gebildeten Prinzen Anton auf sich, der es veranlaßte, daß die Messe am 24. März vor dem Hofe und einem die Kirche lautlos und gedrängt füllenden Auditorium wiederholt wurde. Worauf der König Weber, den oben erwähnten verhängnißvollen »Begütigungsring« schickte. Weber schreibt über das Ganze an Lichtenstein am 14. Mai:


»etc. – In diesem Gewirre drängte mich noch die Nothwendigkeit, dem Könige eine Messe zu schreiben. Eine Arbeit, die ich begonnen, erfüllt von der Größe meines Gegenstandes und im Bestreben in dieser Gattung nichts Gewöhnliches oder Mittelmäßiges zu liefern. Anhaltende Anstrengung ließen mich diese Arbeit am 1. März vollenden, die am 8. zum ersten Male und am 24. zum zweiten Male gegeben wurde. Die allgemeine Theilnahme und Sensation, die sie erregte, war mir ein schöner Lohn. – etc.«

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 151-155.
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