Weber's Clavier-Auszüge

[198] Gleich nach der Abreise des ausgezeichneten Mannes sehen wir ihn wieder mit leichter Arbeit beschäftigt und gemüthlich thätig im Laufe des Juni die Clavierauszüge zu Abu Hassan, der Jubel-Cantate,[198] Jubel-Ouverture und der Arien für den Prinzen Friedrich von Gotha, zu »Helene« und zu »Lodoiska« vollenden.

Nicht daß die Bearbeitung der Clavierauszüge seiner Orchesterwerke bei Weber eine bloße Funktion seines musikalisch-technischen Könnens gewesen wäre, denn er producirte in ihnen eigentlich Neuschöpfungen jener Werke, in denen die orchestralen Wirkungen nur in eine engere Form übersetzt dem Hörer gegeben, keine Idee, keine Contour ihm vorenthalten werden sollte.

Der geistvolle W. H. Riehl, der vielleicht von allen musikalischen Denkern das innere Wesen der Weber'schen Kammer- und Claviercomposition am tiefsten und klarsten erfaßt, durchgedacht und nachgefühlt hat und den Befund seiner, mit unerbittlichem Messer ausgeführten Sektion dieses schönen Leibes immer mit Liebe für das Werk des Genius, aber stets mit präcisen, schleierlosen Worten darlegte, schildert die Wesenheit der Weber'schen Clavierauszüge mit wenigen, aber unglaublich plastischen und treffenden Zügen. Er sagt:

»Weber begründete eine neue Art von Clavierauszügen, indem er seine Opern etc. selbst hierzu bearbeitete. Sonst hatte man auf dem Clavier nur die allgemeine Umrißzeichnung des Orchestersatzes wiederzugeben versucht, unbequeme Mittelstimmen ohne Umstände weggelassen, die Geigenfiguren in Clavierfiguren verwandelt. Der alte Clavierauszug war ein Cartonstich, Weber versuchte das Original im vollen Farbenstiche nachzubilden. Er ließ das Clavier Orchester spielen, gewann dadurch freilich manch' neuen und glänzenden Effekt, rief aber auch bei den Nachahmern eine vollständige Verwilderung der Claviertechnik hervor, von der wir erst in neuer Zeit wieder frei geworden sind. Und man kann in unsern Tagen sogar so kühn sein, zu bezweifeln, ob die Nachbildung von allerlei Orchestereffekten auf dem Claviere überhaupt von sonderlichem Nutzen gewesen und ob die bloße Cartonzeichnung, die bloßen Umrisse des Clavierauszugs nicht künstlerisch ächter, wahrer und zweckmäßiger seien?«

Zur Ergänzung dieser bedeutsamen und treffenden Anschauung des Gegenstandes ist indeß doch noch hinzuzufügen, daß Clavierauszüge er Weber'schen Form vollkommen die künstlerische Berechtigung haben,[199] wie die Farbenstiche eines Müller, Desnoyers, Rafael Morghen, deren verdienstliches Amt es ist, denen, welchen die Anschauung der Originale nicht gegönnt war und denen daher der Stich mehr leisten muß, als Erinnerungen anregen, eine Anwandlung des Gesammtgefühls bei der Anschauung des Originals zu gewähren.

Dem kaum Genesenden drohten indeß zwei Ereignisse, deren Herannahen er zwar schon aus bösen Vorzeichen geahnt hatte, die ihn, wirklich eintretend, aber dennoch schmerzlich mit neuen Seelenbewegungen bedrängten.

Es hatte bereits verlautbart, daß man hohen Orts, theils über den Zuschnitt der Kind'schen Oper und deren voraussichtliche Kosten erschrocken, theils mit Rücksicht auf die zu erwartenden fremden Gäste, theils endlich in hergebrachter Neigung zu italienischen Festvorstellungen, von der deutschen Oper bei der vorliegenden Gelegenheit ganz absehen und an ein italienisch-allegorisches Spiel denken wolle.

Weber, nach seiner redlichen Weise, wollte durchaus nicht an das Zurückziehen eines ihm definitiv gegebenen Auftrags, nicht an die Zerstörung einer Lieblingshoffnung glauben und seine Art als Componist läßt mit Sicherheit annehmen, daß, seitdem der Text der Oper in seinen Händen war, er unablässig Motive in seiner Seele aufgespeichert, diese und jene Nummer vielleicht auch schon componirt hatte. Aufgeschrieben war von der Oper zwar noch keine Note, doch war, wie erwähnt, dieß bei Weber, in dessen Notizen sich so oft lange vor Niederschrift eines Musikstückes die Bemerkung findet: dieß oder jenes »fertig gedacht«, auch eine weit spätere Funktion seiner Arbeitsthätigkeit.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 198-200.
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