Weber's musikalisches Gedächtniß

[271] Ein kleines Ereigniß, das über seine Bedeutung hinaus und mehr als dieß sonst bei dergleichen Intimitäten der Theater- und Orchester-Leitung der Fall zu sein pflegt, bei Hofe und im Publikum bekannt wurde, diente Weber in überraschender Weise in der öffentlichen Meinung, weil Kunststücke der Masse stets mehr zu imponiren pflegen als Kunstwerke.. Die Hauptakteure bei dem in Rede stehenden Effekte waren Weber's Liebe zu Mozart und sein starkes musikalisches Gedächtniß. Eine italienische Opernaufführung war unmöglich geworden, eine andere nicht gleich einzuschieben. Man rief nach Weber[271] und der deutschen Oper und dieser erklärte, es wagen zu können, Mozart's »Zauberflöte« ohne Probe aufzuführen.

Kurz vor Beginn der Oper zeigte es sich, daß, durch einen Fehler des Calkanten, die Partitur für den Dirigenten in Weber's Wohnung liegen geblieben war. Die Mitglieder des Orchesters waren entsetzt! Jeden Augenblick konnte der Hof erscheinen und es wäre ein schwer zu vergessendes Vergehen in den Augen Friedrich August's gewesen, der die Höflichkeit der Fürsten, die Pünktlichkeit, mit solcher Strenge an seinem Hofe geübt wissen wollte, wenn dann nicht sofort die Oper begonnen hätte. Der Schreck flüsterte sich vom Orchester in's Publikum, und auch Caroline sah von ihrem Platze aus mit Besorgniß das Dirigentenpult leer bleiben. Weber trat in's Orchester, schüttelte den Kopf, als er das Unheil erfuhr, lachte aber zum Staunen der Musiker, sandte ruhig nach der Partitur und blickte dann, indem er nach seiner Art die Brille auf die Stirn schob, freundlich lächelnd und nickend nach der Loge hin, aus der ihm Carolinens bleiches Gesicht anschaute.

Der Hof trat ein, das Pult war noch leer – Weber aber erhob den Taktstock und – dirigirte den ersten Akt der Oper makellos mit gewohntem Feuer aus dem Kopfe, indem er sich noch den Scherz machte, an den betreffenden Stellen pantomimisch das Blattumwenden anzudeuten. Mozart's Oper war ihm eben bis in ihre äußersten Aeußerlichkeiten in Fleisch und Blut übergegangen.

Die mit der Technik der Musik vertrauten Mitglieder der königlichen Familie überhäuften ihn wegen dieses Pröbchens von starkem »Gedächtniß des Herzens« mit schmeichelhaften Aeußerungen.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 271-272.
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