Die Kritik der Zeit über den »Freischütz«

[322] Mit diesem tiefinnerlichen und echten Enthusiasmus hielt die Kritik nicht Schritt. Besonders die Musikkenner und gelehrten Musiker vom Fach erschöpften sich in den widersprechendsten Urtheilen, die alle Tonarten, vom enthusiastischsten und unbedingtesten Lobe, bis zu dem schroffsten und abweisendsten Tadel, durchliefen.

Der Altmeister Zelter schreibt an Göthe:


»etc. Eine neue Oper, ›der Freischütz‹, von Maria von Weber, geht reißend ab. Ein einfältiger Jägerbursch (der Held des Stückes) läßt sich von Schwarzkünstlern, die eben so einfältig sind, verführen, vermittelst mitternächtlicher Zauberkocherei, sogenannte Freikugeln zu gießen, und durch den besten Schuß seine eigene schon mit ihm versprochene Braut zu gewinnen, die er endlich mit solcher Kugel – erschießt? – bewahre! Auch diese trifft er nicht. Das Mädchen fällt nur vom Knalle und läßt sich Knall und Fall heirathen. Ob nun der Treffer das Letztere besser kann ist nicht angegeben.

Die Musik findet großen Beifall und ist in der That so gut, daß das Publikum den vielen Kohlen- und Pulverdampf nicht unerträglich findet.

Von eigentlicher Leidenschaft habe vor allem Gebläse wenig gemerkt. Die Kinder und Weiber sind toll und voll davon. Teufel schwarz, Jugend weiß, Theater belebt, Orchester in Bewegung, und daß der Componist kein Spinozist ist, magst du daraus abnehmen, daß er ein so kolossales Nichts aus eben benanntem Nihilo erschaffen hat. etc.«


Tieck nannte s. Z. den »Freischütz« das »unmusikalischste Getöse, das je über die Bühne getobt ist.«

Ludwig Spohr schrieb ein Jahr später:


»Da ich das Compositionstalent Weber's bis dahin nicht sehr hoch hatte stellen können, so war ich begreiflicherweise nicht wenig[322] gespannt, diese Oper kennen zu lernen, um zu ergründen, wodurch sie in den beiden Hauptstädten Deutschlands einen so enthusiastischen Beifall gefunden habe etc. Die nähere Bekanntschaft mit der Oper löste mir das Räthsel des ungeheuern Erfolgs freilich nicht, es sei denn, daß ich ihn durch die Gabe Weber's, für den großen Haufen schreiben zu können, erklärt finden wollte.«


Es würde zu weit führen, wenn wir auf die Kundgebungen der Kritik speciell eingehen wollten. Nur das, was ihre Stimme im Allgemeinen äußerte, sei hier in Umrissen erwähnt.

Sie erkennt an, daß seit »Figaro's Hochzeit« (einige Besprechungen setzten hinzu »Fanchon« und »Donauweibchen«!) kein musikalisches Werk so allgemein angesprochen, so glänzendes Glück gemacht habe, daß seit Mozart's Zeiten, außer »Fidelio« kein so bedeutendes musikalisch-dramatisches Werk geschaffen worden sei; sie rühmt die kaustische und doch einschmeichelnde Kraft der Melodie, die unwiderstehlich in's Herz geht, das Scherzen Weber's mit den Regeln der Kunst, ohne sie zu verletzen; die Gewandtheit im Behandeln der Harmonien und deren Neuheit, Keckheit, ja Uebermuth; die Originalität der Instrumentaleffekte und die meisterhafte Führung der Mittelstimmen, die, vom gewöhnlichen Kunstgebrauche abweichend, immer charakteristisch hervortreten, ohne dem Gesange Eintrag zu thun; den Hauch des blühendsten Genius, der das Ganze durchweht. Sie erkennt an, daß mit der Oper eine neue Aera der dramatischen Musik in Deutschland anbreche, daß sie allein Weber in die Reihe der ersten Operncomponisten aller Zeiten stelle, daß von Anfang bis zu Ende großer Fleiß, großer Sinn, lebendigste Schöpferkraft und stets wachsame Besonnenheit das Ganze durchwehe, daß sie wie der Ausfluß eines hochbegeisterten, genialen Gemüths, das nur den günstigen Augenblick erwartet habe, seine ganze Fülle von Schönheit und Reiz auszuströmen, erscheine. Die Kritik erkennt das Talent, mit dem der Componist aus den Schauern der Geisterwelt zu den lieblichsten Empfindungen des Lebens führt, die Volksfreude schildert, Charaktere zeichnet und festhält, ohne je die Schönhejtslinien zu überschreiten, die Schlichtheit seines Humors,[323] seinen unübertrefflichen Ausdruck satanischen Triumphes neben dem der göttlichsten und reinsten Liebe, der echten Weiblichkeit und dem himmlischen Schwung seiner Andacht.

Dieser compakten Masse von Anerkennung fügt sie aber auch ihre Zweifel an, die, bei der Ungewohntheit der ganzen Erscheinung und bei der Grundlage aller musikalischen Kritik überhaupt, nicht ausbleiben konnten und die seitdem theils der Zeitgeschmack gelöst, theils Gewohnheit unbeschwerlich gemacht hat, theils endlich, von der Partei absichtlich erhoben, längst ihre Kraft verloren haben.

Sie wendet z.B. Bedenken gegen die Form der Ouverture, die sie »sachregisterhaft« nennt, ein, vermißt in der Durchführung die Klarheit, findet die klassische Ruhe dem Effekt geopfert, das Originelle in's Bizarre ausartend, die Charakteristik bis an die Grenze der Karrikatur geführt, den »epigrammatischen« Ton in Aennchen's Individualisirung eine musikalische Unmöglichkeit, die Wolfschluchtmusik »keine Musik mehr«, und von mehreren, besonders von Altmeistern und tiefen Kennern beeinflußten Seiten her, wurde man so wenig müde, darauf hinzudeuten, daß die Oper denn doch einen großen Theil ihres Erfolgs dem Teufelsspuk und Feuerwerk verdanke, daß Weber selbst später an Lichtenstein schreibt:


»Glaube es wohl, daß sich Widersacher finden; ist auch natürlich, der Teufelsspuk macht mich selbst oft irre und wenn nicht ehrenwerthe Männer mir mit Zufriedenheit die Hand drückten, so dächte ich selbst Musje Samiel mache die Sache allein.«


Hatten dem, für den Aerger durch Kritiken mehr zugänglichen Weber, als seiner Wesenheit nach glaublich scheinen möchte, solche Aeußerungen, die ihn an der Berechtigung seiner originalsten Bestrebungen zweifelhaft zu machen geeignet waren, manche bittere Stunde bereitet, so geschah dieß in noch höherem Maße durch eine, aus E. T. A. Hoffmann's Feder geflossene Besprechung der Oper in der Bossischen Zeitung, die fast genau am Tage von Weber's Abreise von Berlin erschien und doppelt und dreifach bitter wirkte, weil sie erstens von einem ehemaligen Freunde herrührte, der ohne Veranlassung von Weber's Seite,[324] nur vom größern Glanze der andern Partei gelockt, zu dieser übergegangen war und dann, weil man Weber darin des künstlerischen Vergehens, von dem er sich am freiesten von Allen wußte, nämlich des Plagiats an Spontini, zieh. Das Ganze, geistvoll und von einem Kenner ersten Rangs geschrieben, war sehr glücklich im Tone wohlwollender Bewunderung gehalten, der die Pfeile um so widerhakiger festsitzen ließ.

Hoffmann läßt in dieser Besprechung den »Freischütz« wie die Blüthe jener »Pack- und Schüttel-Periode der Kunst« entstehen, die, in Opposition gegen die »zuckerbreiige Karfunkel-Periode der Neo-Romantiker«, das Publikum mit Satan, Hölle und Fratzen intim befreundet und ihm »Galgen und Rad als Toiletten-Spielwerk« in die Hand drückte, die »nicht ergreifen und rühren, sondern rütteln und das Haar sträuben wollte«. Er behauptet, daß die Oper »zur rechten Stunde in dieser Periode, eine Stunde später schon zu spät gekommen wäre«. Er tadelt mit Recht den unfaßbaren Gang der Handlung, nennt die Charaktere in stereotype Formen gegossen, rügt Reminiscenzen an Klingemann's »Faust« und findet endlich, daß durch die gesammte Musik »die dumpfe, schwüle Gewitterluft des Gedichts« wehe, »die dem Ganzen das Gepräge gegeben habe, das er lieber der Schicksals- und Criminal-Geschichten-Tragödie überlassen gesehen hätte«. Das gute Princip siegt für ihn am Schlusse der Ouverture, wie an dem der ganzen Oper in – »Spontini'schen Motiven«. Den Brillant der Oper nennt er das Lied Caspar's: »Hier im ird'schen Jammerthal«. Im zweiten Akte findet er »nur ein vollendetes Musikstück«: die große Scene der Agathe, und will für die Wolfsschlucht, den »Gipfel der Oper«, dem Decorateur und Maschinisten den »gefühltesten Dank aller weichen Seelen« vindicirt wissen. In der Introduktion zum dritten Akte findet er, daß, im Anklingen des Jagdchors aus dem ersten Akte, der »böse Geist« aus Neckerei die »Vestalin« mit eingeflochten habe. Der Schluß der Oper (in dem das »Spontini'sche Motiv« im Chore: »Wer rein ist an Thaten« wieder auftaucht) ist ihm so »entsetzlich breit und lang«, daß durch Schuld des Dichters die Wirkung der Musik mit verloren geht. – –[325]

Es würde weit führen und ermüden, wenn wir hier schildern wollten, wie Weber während der zwölf Tage, die er nach der Aufführung des »Freischütz«, dessen zweite und dritte Darstellung, am 20. und 22. Juni, er, beglückt durch den unverminderten Enthusiasmus der Aufnahme, mit ansah, in Berlin noch zu brachte, nach dem Ausdrucke eines Blattes »der Gott des Tages«, der Gegenstand glänzender Huldigungen im Salon der Frau von Varnhagen, bei Brühl und Radziwill war, wie selbst der geistvolle Kronprinz ihm seine Bewunderung mit Händeschütteln und enthusiastischer Rede aussprach, der Kreis der Freunde ihn mit Stolz umgab; aber es ist bemerkenswerth, in welchem Contraste diese so intensiven und so allgemeinen Kundgebungen der Bewunderung und Verehrung mit den Thatsachen standen, als den Bewohnern Berlins Gelegenheit geboten wurde, die Dankbarkeit gegen den Meister praktisch erkennen zu geben.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 322-326.
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