Berathungen mit Tieck und Förster über den Euryanthentext

[461] In den ersten Wochen des Jahres 1823, mit der seit dem October 1822 in den Hintergrund gedrängten Arbeit an »Euryanthe« in neuer Lebendigkeit beschäftigt, legte sich Weber alle Mängel des Textes mit frischer Objectivität vor Augen. Der Entwickelung des dritten Aktes gegenüber, fand er sich rathloser denn jemals. Er conferirte mit Tieck und Carl Förster darüber.

Eine neue Form der Einführung der Hörer in medias res kam durch Weber selbst in Frage. Bei der Ouverture sollte sich die Bühne öffnen und als lebendes Bild die Geschichten zeigen, auf die sich die unverständliche Entwickelung bezieht. Davon, als einem zu gewaltsamen Mittel, ward abgerathen.

Tieck drang auf Wiederherstellung der alten Fabel in ihrer ganzen Naivetät und wies auf Vorgänge dramatischer Meisterwerke hin, wo die Verwickelung auf noch gewagteren Pointen beruht und die doch ohne Anstoß die Bühne überschritten haben. So Shakespeare's »Cymbelin«, Rojas' »Garcia del Castañar« etc. Alle Mitwirkung bei Umgestaltung des Opus lehnte er aber ab. Er gerieth auch mit Weber über dessen, bei Produktion dieser Oper verfolgtes Princip der gleichberechtigten Zusammenwirkung der Künste, dasselbe peremtorisch negirend, in so lebhafte Differenz, daß das Gespräch darüber für immer abgebrochen werden mußte.

Förster schreibt in seinem Tagebuche:


»2. Febr. 1823.


Des Nachmittags brachte Freund Weber die Oper Euryanthe von der Chezy, mit deren Composition er beschäftigt ist. Er bat mich, den dritten Akt, und vor Allem den Schluß zu verändern. Er las mir das Ganze in seiner jetzigen Gestalt (die arme Chezy hat den Text neunmal verändert) vor. Die ersten Akte sind vortrefflich, voll schöner Stellen, kräftiger Lieder, und vieler Charakteristik. Der letzte Akt bedarf jedoch der Nachhülfe und Weber hat Manches selbst mit geschickter Hand anders geordnet und verbessert. Es war ein großer[461] Genuß, ihn nach der Lesung so einsichtsvoll über das Stück sprechen zu hören und über die Arbeit des Componisten, die Weise, wie er dabei verfährt. etc.«


Indeß wies auch Förster, der auch nicht der Mann zu sachgemäßer Gestaltung eines dramatischen Werks war, die undankbare Arbeit von der Hand, und die Angelegenheit des dritten Aktes der »Euryanthe« wurde durch die Conferenzen nicht viel gefördert. Es ist das Schicksal dieser Oper gewesen, daß an ihr, bis zur Stunde vor der Aufführung, umgestaltet und geändert worden ist.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 461-462.
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