Reise nach Wien 16. Sept. 1823

[484] Mit der Partitur der »Euryanthe«, an der indeß die, erst in Wien dazu zu componirende Ouverture noch fehlte, im Wagen, und einem großen Risse auf der Nase, den ihm sein artiges Söhnchen noch zum Abschiede gekratzt hatte, und begleitet von seinem treuen Schüler, Julius Benedikt, verließ Weber am 10. Sept. 1823 Dresden, um in Wien eine der bedeutungsvollsten, ja vielleicht die inhaltschwerste Periode seines Künstlerdaseins zu durchleben. Die Macht des Einflusses, den sie auf ihn geübt, giebt sich zwar schon im »Oberon« kund, würde sich aber in voller Bedeutung gezeigt haben, wenn ihm ein längeres Schaffen beschieden gewesen wäre.

Durch Prag reisend, verhandelte er dort die noch nicht ganz geborene »Euryanthe« an den Direktor Holbein, der ihm 10 Dukaten mehr sandte, als er verlangt hatte. »Rara avis in Terra!« rief Weber, heitern Muths weiter fahrend, aus.

Am 21. Sept., Nachmittags, kam er in Wien an und stieg in der »Ungarischen Krone« ab. Er hatte eine Empfindung, als er den Fuß auf das Wiener Pflaster setzte, als betrete er ein Feld, wo es eine Schlacht auf Leben und Tod zu schlagen gelte. Es ist keine Fabel vom Stern der guten und der bösen Stunde. Mit hellleuchtenden oder düster qualmenden Fackeln ziehen die Geister der Tage vor uns her. Dieselbe That, die uns unter dem gestrigen Gestirne groß und reich gemacht haben würde, macht uns beim Scheine des heute düster glühenden elend und arm. Weber fühlte sich mehr als jemals unter dem Einflusse seines Sterns! Er erschien ihm als ein Schiva, ein verneinendes Princip, ein Wermuthpresser, dem wahrscheinlich wieder einmal ein Tribut von Verdruß, Zorn und Schmerz gebracht werden müsse, ehe der holde Geist, der ihn nach oben und zu Ruhm und Frieden leitete, sein freundlich Regiment antreten könnte.[484]

Nun wohl! Niemals hat Weber's »Stern« senkrechter in seinem Zenith gestanden, als zur Zeit, als er seine »Euryanthe« nach Wien brachte.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 484-485.
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