Arie Hüon's, D dur, für Braham componirt

[669] Bei den Proben ergab es sich auch, daß die erste große Arie Hüons für Braham zu hoch lag, dieselbe mußte also wegbleiben. Da aber der erste Tenor eine große Arie nicht missen konnte, so entschloß sich Weber zur Nachcomposition einer solchen, die an jener Stelle eingelegt wurde. Planché lieferte dazu den Text in einer unglaublich kühlen, charakterlosen und außer aller Beziehung zur Handlung stehenden Schilderung eines Cavalerie-Angriffes der Christenritterschaft. Die Composition (Arie D dur), an die Weber mit Widerwillen ging, wurde am 5. April entworfen und am 6. vollendet. Sie ist, obwohl mit allem Glanz Weber'scher musikalischer Diktion ausgestattet, unstreitig das schwächste Stück der Oper. Weber schreibt darüber am 29. März:

»etc. Eine Historie muß ich dir doch erzählen, die mir nun noch mehr Arbeit giebt, als sonst der Fall gewesen wäre. Durch die Scenen[669] im Freischütz sind die Leute ganz toll geworden und die Sänger faseln von Nichts als Recitativen, Andante's, Allegro's etc. Dieß ist denn auch Braham in den Kopf gefahren und er bettelt um eine große Scene statt seiner ersten Arie, die allerdings auch nicht für ihn geschrieben und etwas hoch ist. Erst war mir der Gedanke ganz fatal, und ich wollte nichts davon hören. Endlich versprach ich, wenn die Oper fertig sei und mir so viel Zeit übrig bliebe, wolle ich's thun. Nun habe ich also diese große Scene, ein Schlachtengemälde und was weiß ich alles, vor mir liegen, und gehe mit dem größten Widerwillen daran. Was ist aber zu thun? Braham kennt sein Publikum, ist der Abgott desselben. Ich muß dem Erfolg überhaupt zu Liebe ein Stück Arbeit mehr nicht scheuen, – also – frisch hinein gebissen in den sauren Apfel. Und die erste Arie hab' ich so lieb. Für Deutschland lasse ich alles wie es ist. Denn ich hasse die Arie im Voraus, die ich – hoffentlich heute noch – machen werde. So! nun habe ich dir auch meine Leiden geklagt, wahrlich, das einzige, was ich hier habe, und was am Ende auch nicht so arg ist, da die Aufführung sich so verschiebt. etc.«

Die Arie entzückte Braham, weil sie ihm gestattete, Alles was schön an seinen Mitteln war, in vollstem Maße zu entwickeln. »Sie ist auch nach Ihrem Maß und Ihrem Leisten gemacht!« sagte Weber.

Miß Paton klagte ihr Leidwesen, daß sie ihm im Finale des ersten Aktes das: »Eil', edler Held, befreie dir die Braut«, nicht zu Dank singen könne, immer schüttelte er wieder den Kopf in seiner bedeutungsvollen Weise dabei. »Sie können es gleich«, sagte er, »lesen Sie nur einmal den Text recht ordentlich, ohne an die Noten zu denken.« »Sie haben Recht,« rief Miß Paton aus, nachdem sie es gethan, »ich hatte nie recht darüber nachgedacht, was die Worte sagten, die ich sang.« Und nun ging es trefflich.

In einer der ersten Proben mit Orchester und den Chören lehnte Weber, den Tag gerade sehr unwohl und erschöpft, an der Balustrade, welche Orchester und Bühne trennte, kaum fähig zu sprechen. Miß Gowneel, welche das Meermädchen sang, war ängstlich, saß ungünstig hinter der Coulisse, man hörte sie nicht gut und die Begleitung wollte[670] nicht klappen. Verdrießlich rief Fawcett, der Regisseur, aus: Lassen wir das weg! Das wird nicht gehen! Man hört Nichts! Lassen wir es aus! – »Auslassen? Das auslassen?!!« rief Weber plötzlich ganz vernehmlich aus dem Orchester heraus. »Warum soll das nicht gehen? Lassen Sie sehen!« Und, schwach und elend wie er war, voltigirte er doch mit einem Satze über die Balustrade, setzte sich aus Dirigentenpult, ließ Miß Gowneel mehrmals den Platz wechseln, das Orchester discret begleiten und stand erst auf, als man einem vollkommenen Vortrage des Meermädchenliedes erfreut gelauscht hatte.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 669-671.
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