Der »Freischütz« in London, 22. Juli 1824

[660] Am 22. Juli 1824 war der »Freischütz« auf dem Theater royal »English Opera house« (Fleet street) unter ungemein gespannten Erwartungen, mit Text von Logan, erschienen und hatte einen Succeß gehabt, wie er in England bei einem Werke, dem so viel Ruf vorausging, vielleicht erwartet werden konnte, aber in seinen Folgen doch alle Erwartung hinter sich ließ, obwohl er fast allenthalben verstümmelt oder verunglimpft, mit schwachem Orchester und schwankend in der Verführung, gegeben wurde. Der berühmte Tenorist Braham, der später den Hüon so wacker verlebendigte, hatte bei der ersten Vorstellung z.B. die Geschmacklosigkeit, als Rudolf (Max) das alte deutsche Lied »Gute Nacht« und eine englische Polacca einzulegen. Miß Stephens1, die bei der zweiten Vorstellung die Agnes (Agathe) sang, scheute sich sogar nicht, das bekannte »War's vielleicht um eins, war's vielleicht um zwei!« im zweiten Akte statt des wegbleibenden Duetts vorzutragen. Auch das Duett zwischen Agathe und Max wurde nach einer andern Composition gesungen. Trotzdem verbreitete sich die Oper reißend schnell selbst auf alle Theater dritten und vierten Ranges, jedes derselben that davon und dazu, was ihm beliebte und was für recht kräftiges Gewürz gehalten wurde. Die Tollheit der Umgestaltung erreichte ihren Gipfel in der von Bishop. einem von den Engländern sehr werth gehaltenen, ja später Weber sogar zum Rival gegebenen Componisten, für das Drury-Lane-Theater veranstalteten Bearbeitung, die von der ursprünglichen Fabel, die Namen selbst eingeschlossen, fast Nichts übrig ließ, aber am 10. Nov. 1824 doch mit großem Beifall angehört wurde.

Am 14. Oct. schon war dieser Bühne das Covent-Garden-Theater mit einer dritten Gestaltung vorausgegangen, in der sogar neue Figuren, unter anderm eine Nixe aus dem schottischen Hochlande und ein Gastwirth etc., erschienen. In Lyceum sprach man den »Jungfernkranz« und das Duett der beiden Mädchen u.s.w.[660]

Trotz alledem behielten die Melodien ihre zauberische, volkdurchdringende Kraft, die nur auf der Bühne gesehene Teufelei zog die Massen in's Theater und eine wahre Freischützmanie, derber, fanatischer und pietätloser, als der deutsche Volks-Enthusiasmus für die Oper, überströmte England. Fast alle Musik, welche erschien, bezog sich auf den »Freischütz«. Variationen auf Themas aus demselben für alle Instrumente, von Harfe und Posaune an bis zur Maultrommel, tauchten auf. Vom Oratorien-Concert bis zum Leierkasten füllten sich die Repertoire mit Stücken aus der Oper, der unmusikalischste Bürger des unmusikalischsten Volks pfiff Töne den Melodien des »Freischütz« ähnlich, und als lautes Zeugniß für die unsterbliche Popularität desselben erschien endlich eine Travestie aus der Feder des pseudonymen Humoristen Septimius Globus, mit genialen Zeichnungen von Cruisshank, weit geistvoller und charakteristischer und für die englische Auffassung des Werks lehrreicher als alle Bearbeitungen des »Freischütz« für Londoner Bühnen. Begreiflich waren demgemäß die Versuche der Theaterunternehmer, andre Werke Weber's zu verwerthen, und das Drury-Lane-Theater brachte, nicht ohne Erfolg, am 4. April 1825 den »Abu Hassan«, das Lyceum später die »Preciosa«. Die Wogen dieser Frenesie gingen am höchsten zur Zeit, als Kemble den »Oberon« bei Weber bestellte, die Reaktion dagegen begann schon sich anzudeuten, als Weber in England erschien und bei dem raschen Wechsel der Modeerscheinungen in der Weltstadt, war es für Kenner von deren Volksleben unschwer, den Zeitpunkt als nahe bevorstehend zu bezeichnen, wo der angeschwollene Sturzbach des Fanatismus für Weber's Werke und ihn selbst in das Bett des gewöhnlichen kühlen Interesses zurückkehren werde.

Unzweifelhaft ist, daß Weber, wenn er nur sechs Monate früher nach London gekommen wäre, die Stadt als reicher Mann verlassen haben würde, während er jetzt mit tiefem Schmerze den Schluß der ihm gehörenden Periode mit erleben und sehen mußte, daß jener Strom des Enthusiasmus für ihn nicht mehr rasch genug floß, um so viel Gold für ihn mit sich führen zu können, als er hoffte.

Nichtsdestoweniger ist es natürlich, daß sein und seiner neuen[661] Oper Erscheinen in London von ungemeinem und allgemeinem Aufsehen begleitet und die Kundgebungen von enthusiastischer Huldigung für ihn sehr reich, ja vielleicht reicher, als sie je einem Künstler vor ihm zu Theil geworden waren, sein mußten.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 660-662.
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