Finale des zweiten Aktes (Nr. 15), E dur

[639] Es bekundet sich die Macht dieses Dranges auch in der Haft. mit der er seinem siechen Körper die Kräfte zur Arbeit daran abrang. Schlaflos, mit Husten und Beklemmung gepeinigt, quälte er täglich seine enge Brust gebeugt am Schreibtische. Und was er schrieb, kam nicht aus ihm, es quoll hernieder aus Bereichen, in denen ewige Frische und Gesundheit blüht, denn wer wird bei dem Finale des zweiten Aktes, das am 7. Jan. im Entwurfe vollendet wurde, an das Schaffen eines Todtkranken denken können? Weber wußte so gut als irgend ein Componist, daß bei einer dreiaktigen Oper die Wirkung des zweiten, Finale für die Aufnahme des Ganzen entscheidend sei.

Wie er im zweiten Finale des »Freischütz« die Schilderung des, für diese Oper charakteristischen, abenteuerlich Grauenhaften, zur höchsten Potenz gesteigert hat, so giebt er an dieser Stelle im »Oberon« das höchstvollendete, zartest gemalte, mit aller Kunst seiner Kenntniß der instrumentalen Wirkungen und psychologischen Bewegungen staffirte Bild des Lebens der holden Naturgeister, in dessen Vordergrunde sich die concreten Gestalten der Oper bewegen. Das Lied der Meermädchen, der fünfstimmige Gesang während des Tanzes beim Fest der Elfen, umgeben uns mit allen Zaubern eines holden Traums voll bunter Abendwölkchen, Nachtigallengirren und leisem, fernen Brandungsrauschen. Sie sind, wir sagen es ohne Scheu, das Originellste, Schönste und Vollendetste, was ein Meister in dieser Art geschaffen hat.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 639.
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