Marsch zum Fest der »Royal Society of Musicians«

[695] Nicht unerwähnt darf eine Einladung Weber's zu einem Jahresfeste der in den Argyle Rooms hausenden »Royal Society of Musicians« bleiben, da es Ritus war, daß die geladenen Gäste für die festliche Gelegenheit einen Festmarsch eigends componiren mußten. Winter, Haydn, Spohr hatten dergleichen geliefert. Weber, der gerade in jenen Tagen in ein neues Verschlimmerungsstadium seiner Krankheit getreten war, indem sich eine im höchsten Grade urmattende Diarrhöe bei ihm eingestellt hatte, fand sich außer Stande, Würdiges zu schaffen. Schon höchst aufgeregt durch diesen Gedanken fiel dem Schlaflosen in der Nacht vom 5. Mai das Thema eines Marsches ein, der sich in den », Six pièces faciles à quatre mains« (Op. 3, 1809) findet und den er hier ganz unbekannt wußte; einige andere Ideen schlossen sich daran und so entstand der schöne Marsch, der als Op. 8 der nachgelassenen Werke veröffentlicht worden ist und in einem ritterlich brillanten Eingange, einem lieblichen Zwischensätze und einem zärtlichen Trio ein reizendes Tonbild gestaltet, bei dem sich unwillkürlich vor dem innern Auge ein heimkehrender Kriegerzug, von Frauen und Jungfrauen begrüßt, und den Gruß edel männlich erwiedernd, entwickelt. Entkräftet im Lehnstuhl liegend, diktirte er Fürstenau den zweiten und dritten Theil dieses Marsches nebst dem Nöthigen, was dieser zur Instrumentation in seinem Sinne bedurfte.

Der Marsch kam mit der Ouverture zum »Beherrscher der Geister« am 13. Mai bei dem Feste zur Aufführung. Die Ouverture erregte in diesem Kreise, als so rein durchgebildetes musikalisches Kunstwerk, die größte Aufmerksamkeit, während Weber zu gleicher Zeit, und dadurch[695] am Erscheinen in jenem Kreise behindert, noch einmal auf vielfaches Verlangen, mit Ueberwindung, in den »Oratorien« die zwölf Freischützstücke und die Jubelouverture dirigirte.

Vom 20. Mai ab ging Weber schweren Herzens, wie Jeder, der einen letzten Trumpf ausgiebt, auf den die Hoffnung des ganzen Spiels gesetzt ist, an die Vorbereitungen zu seinem Concerte. Wenn auch dieser Pfeiler am Bau seiner bis auf ein so kümmerliches Maß zusammengeschmolzenen Hoffnungen auf Erwerb sich unsicher begründet zeigte – dann war Mühe und der Rest Leben fast umsonst aufgeopfert.

Aber es konnte fast nicht fehlen, konnte ja nicht trügen, sein guter Geist ihn nicht so verlassen!

Ein gutes Vorzeichen hob seine Hoffnungen. Als der oben erwähnte Mr. Ward erfuhr, daß Miß Stephens, die er hoch verehrte, bei dem Concert mitwirken werde, drückte er Weber den Wunsch aus, daß diese treffliche Künstlerin eine neue Composition von ihm in dem Concert singen möge und bestellte förmlich eine Arie für sie bei Weber gegen ein Honorar von 25 Guineen, auf diese Weise auch in zarter Art Weber's Mitwirken bei seiner Abendgesellschaft honorirend. Miß Stephens selbst wählte als Text die Verse aus Thomas Moore's »Lalla Rookh«: »From Chindara's warbling fount I come«,

Die Aufgabe quälte den Meister! Zwei Mal schreibt er: »Mich wegen der Stephens Lied gequält!«, und: »Mich wieder wegen dem dem Lied gezwickt!«

Am 18. Mai war der Tag, wo sein treuer Genius den großen Künstler zum letzten Male mit seinem himmlischen Flügelschlage umsäuselte und die schon mit kühlem Schweiß bedeckte Stirn küßte! –

Die zitternden Hände vermochten von dem schönen Sange nichts weiter mehr, als die Singstimme zu notiren, die Weber auch noch mit der Sängerin einstudirte. Die Begleitung hat er im Concerte selbst aus dem Kopfe gespielt. Moscheles hat sie später trefflich ergänzt.

Weber hatte für sein Concert seine »Jubelcantate« vorbereiten lassen. Dieß Werk erhielt jetzt einen dritten Text und einen dritten Titel. Den englischen Text der erst »Jubel-«, dann »Erndtecantate« genannten Composition bearbeitete Hampden Napier sehr geschickt und[696] gab ihr den Namen »The festival of peace«. Die Corradori-Allan und die Cawse, Braham und Phillips hatten die Soli übernommen. Mit gewohnter Sorgfalt leitete der Meister, obwohl nur durch einen Dollmetscher sprechend und im Lehnstuhl sitzend, das Studium des Werkes, und blos einmal erhob er seine Stimme vernehmlich. als der Chor in dem schönen Gebete der Cantate, in gut englischer Weise, die Kehlen dröhnend brauchte. Er rief: »Halt! halt! Nicht so! Würden Sie denn in Gegenwart Gottes so schreien?«

Moscheles, Hawes, Fawcett, Smart, Fürstenau übernahmen, da Weber selbst hierzu völlig unfähig war, die Besorgungen für das Concert.

Außer den Genannten hatten Loder, Lindley, Dance, Moralt, Wodarch, Wagstaff, Anderson, Powell, Sharp, Schöuchen, Grießbach, Stobwasser, Kowlins, Miß Paton, Kiesewetter und Sapio freudig ihre Mitwirkung zugesagt, Cramer und Mori übernahmen die Leitung des Concerts.

Nichtsdestoweniger stand von Anfang an das Concert wie ein Gespenst vor seiner Seele. Er schreibt an Caroline:


»Nun habe ich nur noch ein hartes Ding, mein Concert. Ach Gott, dazu bin ich gar nicht mehr geschaffen. Man wird mir helfen – von allen Seiten-gewiß – aber doch – – Nun es muß auch überstanden sein und dann wohl nie wieder. –«


Und später:


»Die Concert-Anstalten fangen schon an mich in Bewegung zu setzen und obwohl Smart fast alles mögliche besorgt und thut, so bleibt mir doch genug Plage übrig, besonders mit Einladung der Sänger etc. Ach Gott und ich bin das gar nicht mehr gewohnt, bin viel zu faul, Etwas für mich zu thun. Es geht aber nicht anders, und es ist wohl das letzte Mal, daß ich Concert gebe.«


Am 19. Mai endlich:


»Heut über acht Tage ist mein Concert. Ich kann sagen, daß mir ordentlich das Herz schlägt, wenn ich daran denke. Ich bin so gespannt auf den Erfolg – es sind die beiden letzten und Hauptdrucker. Dieß Concert und Benefiz – wenn ich bedenke was sie mich[697] kosten – und wenn sie dann nicht so ausfielen, wie ich bescheidentlich berechtigt bin zu erwarten – es wäre sehr hart.

Doch man muß den Muth nicht sinken lassen und auf den vertrauen, der uns so oft seine unendliche Gnade bewiesen.

Du wirst dich wundern, mein theures Leben, mich so ernst in dieser Sache gestimmt zu sehen, wenn du aber bedenkst, daß Geld zu erwerben der einzige Zweck meiner Reise nach London war, daß die Erreichung dieses Zwecks mit manchen nicht unbedeutenden Opfern und Anstrengungen verknüpft war, so wirst du begreiflich finden, wie ich jetzt etwas so wichtig halten kann, was in meinem ganzen Leben sonst nur für mich eine sehr untergeordnete Rolle gespielt hat. Nun in Kurzem werde ich im Klaren sein und wissen, ob ich mich freuen kann oder grämen soll. Bete, daß dem alten Vater seine Wünsche, die nur für Euch berechnet sind, in Erfüllung gehen und er recht glücklich und heiter sein kann.«


Leider sollten seine Hoffnungen bitter getäuscht werden.

Auf den 26. Mai, den Tag des Concerts, fielen die Rennen in Epsom, am Vormittage hatte der Sänger Begrez beim Herzoge von St. Albans ein Concert gegeben, bei dem die ganze Aristokratie, die Weber nicht der Sitte gemäß speciell eingeladen hatte, versammelt gewesen war (und das Begrez 400 Liv. Sterl. eintrug); furchtbarer Regen strömte vom Himmel und, was das Schlimmste war, die Ladies patronesses der »Philharmonischen Gesellschaft«, denen der todtkranke Meister keinen Besuch gemacht hatte, hatten keine Hand gerührt, um das Concert »fashionable« zu machen.

Der Saal in Argyle Rooms blieb fast halb leer. Weber's Freunde, welche wußten, welchen Werth er auf das Gelingen des Concerts legte, waren entsetzt und erwarteten bange sein Eintreten. Als er, auf den Arm Smart's gestützt, hereinwankte und den Saal überblickte, verzog ein tief schmerzliches, bitteres Lächeln seine sonst so ruhigen Dulderzüge.

Was frommte nun die treffliche Ausführung der Cantate »Festival of peace« mit den herrlichsten Leistungen der Corradori, Cawse,[698] Braham's und Phillip's, Kiesewetter's unbeschreiblich zierlich vorgetragene Violinphantasie, die feurige, makellose Vorführung der Oberon-Ouverture unter Mori's Leitung, der prächtige Vortrag der Scene und Arie aus »Athalia«: »Misera me!« durch die Paton und der seelenvolle Gesang der Stephens in dem neuen Moore'schen Liede, das der Meister selbst begleitete?

Es waren seine letzten Töne! Die klang- und wonnereiche Hand hat nie die Tasten eines Instruments mehr berührt! – –

Was frommte Fürstenau's treffliches Spiel, Sapio's köstlicher Vortrag der Arie: »Durch die Wälder, durch die Auen«, und der Pomp der Euryanthen-Ouverture?

Was frommte der enthusiastische Beifall, den das schwach versammelte Publikum der Meisterleistung jeder Nummer zollte? – – Der große Trumpf war ausgespielt und verloren! – Nach dem letzten Ton der Euryanthen-Ouverture ergriff Weber Fürstenau's Arm, verließ, auf ihn gestützt, den Saal und sank im Foyer wie zerknickt, athemlos und außer sich, auf ein Sopha. Zu den Musikern, Meistern und Freunden, die sich hier theilnehmend um ihn sammelten, sagte er, Göschen die Hand reichend, mit matter Stimme: »Was sagen Sie dazu? Das ist Weber in London! –«

Sein bis dahin so starkes, hoffnungsreiches Herz war gebrochen. Er litt schweigend, aber schwer. –

Mit Mühe ward er in den Wagen gebracht. Zu Haus trugen ihn die Freunde die Treppe empor, derDr. Kind legte ihm Senfteig um die Beine und mit Besorgniß ward die Nacht verbracht.

Den andern Tag fühlte er sich besser. Er hielt den Gedanken an das Benefiz aufrecht und schreibt, voll Selbstbeherrschung, an Caroline:


»etc. Die Finanz-Affairen gehen nicht gut die letzte Zeit. Mein Concert den 26. war als Concert das Brillanteste, Orchester, Chöre, alles das Beste, Alle hatten sich beeifert mir zu dienen. Beifall über alle Maßen enthusiastisch, in der Cantate ein Chor da capo[699] gerufen – aber die Einnahme, die ich bis jetzt nicht ganz weiß1, war sehr mittelmäßig und wirst mich sehr in meinen Planen zurück. Mein Benefiz ist künftigen Montag den 5. Juni. Die erste Vorstellung des ganz nach dem Original hergestellten Freischütz. Wer weiß ob er dann noch so gefällt, die ersten Eindrücke bestimmen Alles, nun die erste Vorstellung ist gewiß voll. Dann muß ich freilich noch 5 Mal umsonst dirigiren. etc.«


Bis dahin hatte Weber's Handschrift, trotz seiner körperlichen Schwäche, ihre volle Klarheit bewahrt. Dieser Brief an Caroline zeigt zuerst den krankhaften Verfall derselben. Sie ist zittrig und unbestimmt. Er merkt dieß selbst, indem er schreibt:


»Das Schreiben wird mir etwas sauer, weil meine Hände so zittern.«

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 695-700.
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