Ueber: Baaden-Baaden.

[19] (1. August 1810.)


Ich stieg aus dem Wagen, als ein Freund von mir eben in seinen steigen wollte. »Wohin?« rief ich ihm zu. »Nach Baaden« war die Antwort, und fort ging's. Ich besuche einen alten Bekannten, und finde ihn im Einpacken. »Sie verreisen?« »Ja« »Wohin?« »Nach Baaden.« Auf der Straße eilte mir höchst geschäftig ein And'rer in die Arme, und rufte: »ach, daß Sie jetzt ankommen, da ich auf's Schnellste fort muß, um noch Platz zu bekommen, Sie können nicht glauben, wie voll es ist, und man schreibt mir sehr dringend, keine Zeit zu verlieren.« – »Ja, wo denn, von was sprechen Sie denn?« – »Mein Gott, wie könnte man von etwas anderm sprechen, als von Baaden. Leben Sie wohl, ich eile.« – Fort war er.

Wenn denn die ganzen Welt nach Baaden geht, dachte ich, so kannst du ja auch deinen Wanderstab dahin richten. Das schöne Geselligkeitsleben eines besuchten Bades, so manche ehemals froh durchlebten Stunden schwebten mir vor, und voll der Hoffnung, dieß alles in Baaden in hohem Grade wieder erneut zu genießen, überließ ich mich den sorgenden Händen der Postillone, die mich auch glücklich in Baaden am Baaden'schen Hofe absetzen.

Menschen fand ich genug, so viele, daß nirgends mehr unterzukommen war, daß manche Nacht 15 bis 20 Personen sich mit einem einfachen Strohlager begnügen mußten, bis andere Abgehende Platz machten, oder ein gefälliger Freund sein Lager mit ihm theilte; doch erhöhen solche kleine Ungemächlichkeiten den Werth eines so errungenen Genusses, und doppelt hofft man sich dann im fröhlichen Gewirre des anderen Tages zu entschädigen. Aber leider fand ich darin meine Erwartung nicht befriedigt, denn das gesellige offene Wesen, das jeden Tisch-Nachbar zum alten Bekannten stempelt, und so reizend über die gewöhnlichen steifen Verhältnisse des Lebens erhebt, habe ich sehr vermißt. Die Anzahl der Badegäste ist so groß, daß sie sich in kleinere[19] Theile theilen muß, die nun wieder eine Art von geschlossenem Wesen bilden, zwischen denen sich der neu Angekommene ganz allein sieht, und nur nach längerer Zeit anschließen kann. Jedermann habe ich auch darüber klagen hören, aber eben so wenig habe ich jemand bemerkt, der etwas gethan hätte. Das Hauptübel besteht nun wohl darin, daß kein eigentlicher Vereinigungs-Punkt der Gesellschaft vorhanden ist (wo alle Bäder, die eine Brunnenkur nothwendig machen, den Vorzug haben, die Gäste unwillkührlich zusammen zu führen und zu vereinen). Das Promenade-Haus ist der einzige Sammelplatz, der wahrhaftig nichts anderes Anziehendes hat, als etwa einen rouge et noir-Tisch für Spiellustige, ein Paar Zeitungsblätter für Politiker, und daher auch wenig besucht ist; und dann das neu errichtete Casino im Baadischen Hofe, welches mit einem äußerst schönen, freundlichen Lokale einige der gelesensten Zeitschriften vereinigt, und wo man alle Abende einen gewählten angenehmen Zirkel findet, der sich hoffentlich immer vergrößern und erweitern muß, je mehr das Bedürfniß der gegenseitigen Unterhaltung die Badegäste dort vereinen wird. Die Entfernung dieser beiden Häuser von einander ist das einzige Unangenehme, und verhindert größtentheils mit das bedeutende Emporkommen. Doch kann es nicht fehlen, daß das Casino mit jedem Tage besuchter und interessanter werden muß. An sonstigen Unterhaltungen fehlt es nun auch nicht. Es ist die Schauspieler-Gesellschaft des Herrn Dengler aus Freiburg hier, die sich alle Mühe giebt, die Zuschauer zufrieden zu stellen, und wirklich sind auch einige recht brave Mitglieder dabei, die, wenn nur nicht die Wuth hier existirte, bei 31/2 Mann im Orchester, Don Juan, Opferfest, Lodoiska etc. geben zu wollen, recht artigen Genuß verschaffen könnten. Denn, um sich in solchen Opern, auf diese Art gegeben, zu ergötzen, müssen sie um Vieles schlechter, als von der Dengler'schen Gesellschaft gegeben werden. Uebrigens gehe ich immer mit einer gewissen Angst vor Feuer oder Wasser hinein, denn unbegreiflich ist es, wie die Stadt so wenig gethan, und ihren Besuchern ein so aus ein Paar Bretern dünn zusammengeheftetes Häuschen hinstellen konnte, dessen Stiegen dem freundlichen Sonnenlichte den Eingang verstatten, und[20] dessen einzige vorhandene Thüre bei vorkommender Feuersgefahr den Ausgang erschweren möchte. Da indessen das Fundament des Theaterchens sehr auf die Dauer berechnet scheint, so tröste ich mich immer mit der Hoffnung, daß es solider gebaut werden wird.

Dem Tanzlustigen öffnet sich nun vollends ein weites Feld, wenn auch mitunter auf engen Sälen, denn Bälle sind alle Mittwoch und Sonntag in der Sonne und in dem Salon, und außerdem noch andere; ja sogar einen Maskenball hatten wir, Concerte etc. fehlen auch nicht, nur fand leider, und unbegreiflicherweise, noch kein Deklamatorium Statt.

Zum Troste aller Freunde ihres Leibes kann ich auch noch versichern, daß man durchaus gut ißt und trinkt, daß die Gasthöfe bequem, wohlfeil und gut bedient sind. Die vorzüglichsten sind der Baadische Hof, der Salon, die Sonne etc. In allen diesen ist der Tisch gleich gut, aber weit erhebt sich der Baadische Hof in Hinsicht des Lokals über die andern. Der schöne hohe Speisesaal, der sein Licht von oben erhält, die schönen steinernen Bäder, da die in den andern Häusern nur von Holz, der geschmackvolle Casino oder Conversations-Saal, wird ihn von Jahr zu Jahr besuchter machen, und auch haben die Gäste künftig Hoffnung, da gewiß unterkommen zu können, da außer den schon vorhandenen 80 Zimmern noch 60 dazu gebaut werden.

Alles dieses überwiegt unendlich, und wird Baaden immer zum ersten Range der Bäder und zu einem ewig besuchten Orte machen. Die einzig schöne Natur, die Baaden umgiebt, (ich kenne manches Bad, aber noch nirgends habe ich so mannichfaltige Gegenden um einen Ort vereinigt gefunden), freundliche und erhabene Aussichten, Berge und Felsen und liebliche Ebenen, auf der andern Seite die Nähe des herrlichen Murchthals etc., alles dieses sind unvergängliche Schönheiten, haben Baaden schon den Römern werth gemacht, und werden es auch jetzt und ewig den Galliern, Germanen theuer erhalten. Häufig theilt sich daher auch die Gesellschaft in kleine Landpartien, und befriedigt und erfreut kehrt jeder von da zurück, indem er in[21] seine Heimath dann das Andenken und den Wunsch, es wieder zu sehen, mit sich nimmt.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 3, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 19-22.
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