Ansichten bei Composition der Wohlbrück'schen Kantate: »Kampf und Sieg«.

[94] (Prag 26. Januar 1816.)


Für meine Freunde niedergeschrieben!


Als ich in den letzten Tagen des Juli 1815 zu München mit Wohlbrück den Entschluß faßte, obige Kantate zu schreiben, so waren wir Beide so erglüht und erfüllt von den großen Weltereignissen der letzten Zeit, daß wir glaubten, diesen Stufengang der seltensten, wechselndsten Gefühle, als die gewiß damals allgemein herrschenden in künftiger Zeit dem Hörer wieder vor die Seele führen, ihn gleichsam[94] jene vergangene Epoche in gedrängtem Ueberblicke nochmals durchleben lassen zu können.

Daß diese Ansicht eine in Manchem von dem gewöhnlichen Kantaten-Zuschnitte abweichende Form geben mußte, war natürlich, und es war blos das Schwierige der Aufgabe, daß jenes uns vor Augen schwebende Bild auch eben so klar dem unbefangenen Hörer, der, durch nichts als den Titel aufmerksam gemacht, den Saal betritt, dargestellt werde.

Eine mehr als gewöhnliche Annäherung an das Dramatische war das Erste, was sich als Hinderniß dem Componisten in den Weg warf, obwohl eben diese Annäherung – die bei der Verbindung der durch vorgehende Thatsachen erweckten und sogleich ausgesprochenen Gefühle unvermeidlich geworden war – der Sache wahres Leben einhauchen mußte, und nur die Schwierigkeit, die oft kontrastirenden und sich selbst in den Gefühlen widerstrebenden Theile, ohne das theatralische Hülfsmittel des Auges, deutlich gesondert zu vereinigen, schien ihm die größte.

In wie weit ich dies erreichte, muß der Erfolg und das Urtheil der Kenner einst bezeichnen.

Um dem raschen Fortschreiten keinen Einhalt zu thun, wurde aller Schmuck einzelner ausgeführter Gesangstücke, wie in andern Kantaten, als Arien etc., verschmäht, und als störend verworfen. Ehe ich an die Ausführung des Einzelnen ging, entwarf ich mir den großen Plan des Tongemäldes durch Bestimmung seiner Hauptfarben in deren einzelnen Theilen; nämlich: ich schrieb mir genau die Folge der Tonarten vor, von deren auf einander folgenden Wirkung ich mir Erfolg versprach, ich wog streng den Gebrauch der Instrumentation ab, zumal da ich mir zugleich die Gränze eines gewöhnlichen stark besetzten Orchesters vorgeschrieben hatte, theils, um es allgemein leichter ausführbar zu machen, theils, um nicht durch einen, mir der edlen Kunst unwürdig scheinenden Aufwand kleinlicher Hülfs- und Knallmittel, ihrer alleinigen Kraft zu wenig zutrauen wollend zu scheinen, zumal da ich nicht das Kanonen- und Kartätschenfeuer, noch das Geheul der Sterbenden schildern wollte. – Die Gefühle der[95] menschlichen Natur bei einer so großen Begebenheit, durch Melodieen, die, als jeder Nation rein angehörig, in aller Mund und Ohren sind, die einzelnen Völker so treffend und schnell verständlich als möglich zu bezeichnen, war nächstdem mein Haupt-Augenmerk.

Ich gehe nun zu dem Detail über, dessen Zergliederung alles oben Gesagte in gehöriges Licht stellen wird.

Euch, meine Freunde, die Ihr mich kennt, ist wohl die Bemerkung überflüssig, daß – wenn ich öfters die Worte: groß, edel, etc. bei Bezeichnung meiner Melodieen brauchte, ich damit nur den Willen, sie so zu geben, andeuten wollte. Gott sei Dank, noch stehe ich hoffentlich im Vorwärtsschreiten, denn noch vor Kurzem habe ich an einem Gemüthsmesser in der musikalischen Zeitung (den Aufsatz über die Unzufriedenheit des Künstlers – Nr. 35. 1815 –) gefunden, daß ich noch in gehörig vollkommenem Maße unzufrieden mit mir bin.


Der Geist der musikalischen Einleitung ist (D moll) – (und außer dem Quintett, blos 4 Hörner, Fagott und Pauken,) abgerissen – stürmisch – klagend – auffahrend, in einzelnen Accenten; erhebt sich gegen das Ende zu hoher Kraft und verschwindet wieder gleichsam in unwillig verschlossenes Pochen. Sie enthält auch Vorgefühl und Ahnungen der Dinge, die da künftig kommen müssen (z.B. die Stelle: »nun enger und enger umdrängt der Dränger«), worauf der volle Chor (auch D moll) »reißt wieder sich die Zwietrachtlos«, eintritt, in voriger Stimmung erhalten.

Beruhigend spricht dann der Glaube (B dur mit Clarinett- und Fagott-Melodie) als Baß-Recitativ: »Völker, verzaget nicht«, hieran schließt sich das Terzett (von Discant, Tenor und Baß, G dur): »Brüderlich, Hand in Hand«, mit obligaten Violoncellen. Ein stürmisch eintretendes Ritornell, das immer langsamer und gesammelter kräftig wird, leitet den Krieger-Chor (C dur) ein.[96]

Bei den Worten: »Horch! das war Freundes Jubelklang etc.« ist gleichsam im Vorbeifluge der Oesterreichische Grenadier–Marsch eingeflochten, und mächtig und kräftig schließt der Chor mit den Worten: »die Hyder in den Staub gedrückt, – in den Staub!« – NB ohne Trompeten und Pauken.

Nun kommen zwei dumpfe Paukenwirbel auf den Ton E, dann ein übermüthiger Marsch des Feindes aus A dur, von Piccoli, Oboi, Corni und Fagotti, kreischend instrumentirt vorgetragen, dessen bekannten Rhythmus 6/8 vorher eine Trommel durch acht Takte angiebt. In diesen Marsch nun dasGebet der Krieger zu verweben, war die Aufgabe, welche ich so zu lösen glaubte, daß ich das Gebet in langen Accenten, und anders musikalisch fallenden Einschnitten, an die des Marsches, als von einander unabhängig, nun jedes für sich beständig machte.

Der Marsch verliert sich, und näher rücken nun die unheimlichen Vorboten von etwas Unheilgebährendem in einzelnen Signalen, bis endlich (D moll) die Schlacht hereinbricht, und bis zu einem gewissen Ersterben forttobt, worauf das übermüthige : ah, ça ira (D dur) mit blasenden Instrumenten frech eintritt. Dazwischen der Ausruf der Krieger: »der Feinde Spott?« nach welchem das ganze Orchester das ça ira ergreifend mit höllischem Jubel in gemeiner Trompeten-Freude endet.

Pause. Dann einzelne Horn-Stöße in Es und hoch B, wozu ich die ächt preußischen Jäger-Signale, als: »Feind entdeckt, Avantgarde vor – Masse formirt – Angriff etc.« benutzt habe; dazu die Krieger blos deklamirend beinah: – »Ha, welch ein Klang etc.« die Singstimmen allein, und die Melodie aus meiner Composition von Lüzows wilde Jagd, von Körner, gewählt, bei den Worten: »O Himmelslust in Todesdrang, das ist Freundes muthiger Schlachtengesang.« Jetzt stürzt (in Es dur und zum ersten Male mit 3 Posaunen) die erneute Schlacht herein. Kaum haben die Krieger die ersten vier Zeilen: »den Kampf erneut« gesungen, so, tritt schon das freche, sich Sieger wähnende ça ira wieder ein, wird aber augenblicklich von den auf es einstürzenden[97] Accorden des ganzen übrigen Orchesters erdrückt, in immer kürzern Abschnitten, bis es endlich ganz erliegt, und die Musik fort modulirt in seltsamen Weisen, daß der Zuhörer nirgends das Unbestimmte festhalten kann, bis endlich in E dur mit dem Schlage der zum ersten Male eintretenden türkischen Musik, das: »Hurrah!« fürchterlich erklingt, nach den Worten: » setzt an den zersprengten flüchtigen Troß den letzten Hauch von Mann und Roß!« sich wiederholt, und endlich alle Blasinstrumente, Trompeten und Posaunen das erhabene: »God save the King« anstimmen, während das Saiten-Orchester, Trommel etc. die Schlacht fortraset, und endlich verlöscht.

Die Rhythmen und Instrumental-Figuren verbinden sich hier so seltsam, daß der unmittelbare Uebergang vom raschen C-Takte zum 3/4 unmerklich ist, da im letztern die Viertel dasselbe Gewicht bekommen, das vorher ein ganzer Takt hatte, und die Zweiunddreißigstel-Noten so geschwind wie die vorigen Achtel sind.

So glaubte ich, die wahre Größe eines edeln deutschen und englischen Volkes im Gefühle des Sieges, der die Seele dankend zuerst zum Himmel emporreißt – im Gegensatze zu der teuflisch frechen Freude des Feindes wahrhaft bezeichnet zu haben.

In (C dur, drei Violoncell's und Posaunen) feierlich einfachen Accorden tritt nun der Glaube auf im Recitativ: »Söhne des Ruhms,« bis er mit den Worten schließt: »preisen Euch als der Jahrhunderte Glanz.« – Nun nimmt der Diskant die Worte auf: »wo ewiger Friede ist« – der Tenor: »wo keine Thräne fließt« – der Baß: »sich jede Wunde schließt.« – Alle drei: »dort! in der Unsterblichkeit etc.« mit Recitativ Schluß zu Dreien, bei: – »lohnt Euch der Kranz

Dann sagt der volle Chor unisono in F dur: Das »Wort des Herren ist Felsengrund

Hierauf eine einfach edle Melodie von Clarinett und Fagott, die dann drei Solostimmen auffassen: »wo auch nur zwei im festen Bund etc.«

Nun Ritornell voll frischen Muthes in D moll, und die Worte: [98] »die Ihr des Unterdrückers Macht« bis: »Preis't, Völker, Gottes Namen« als Diskant-Recitativ behandelt.

Hierauf der volle Chor ohne Instrumente, mit einer choralähnlichen Melodie, zu den Worten: »Herr Gott, Dich loben wir!« die später das Fugenthema wird, und stets mit dem ganzen Schlusse verwebt ist. Dann die gesammte Pracht des Orchesters in D dur: und nun jubelnd, aber ehrfurchtsvoll: » Herr Gott, Dich loben wir.« Die übrigen Worte, betend behandelt, mit schmeichelnder Violin–Melodie begleitet: – »gieb und erhalte den Frieden der Welt etc.« von vier Solostimmen vorgetragen, bis endlich die Fuge hereinbricht, deren Thema, nach mancherlei Gestaltungen, zuletzt mit dem Gesange der vier Solostimmen zu:

»Gieb und erhalte den Frieden der Welt etc.«

sich vereint, und in Jubel und Dank schließt.

So, meine theuern Freunde, habe ich Rechenschaft gegeben, wie mein Kopf und mein Herz handelte, und mit was für Gemüthsfarben ich zu malen suchte. Wie das aber geschehen, ist das Geschenk von oben, und nur die Welt kann es richten.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 3, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 94-99.
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