Ueber: »Andine«,

[121] nach dem Mährchen gleichen Namens von Fr. de la Motte Fouqué selbst bearbeitet, mit Musik von C.T.A. Hoffmann, zuerst auf dem Königl. Theater zu Berlin erschienen.


(Prag 25. December 1816.)


Als ich den Vorsatz faßte, etwas über dieses schöne Werk öffentlich zu sagen, wandelten unwillkürlich Anzeigen, Recensionen, oder wie man es immer nennen will, gleichen Zweckes, vor meinem Innern vorüber, indem sich mir zugleich vergegenwärtigte, wie ungemein schwierig es sei, ein bestimmtes Bild des beurtheilten Gegenstandes durch sie zu erhalten, oder etwas dem Eindrucke Aehnliches, dessen das Werk selbst fähig ist. Es schien mir dabei immer entweder auf die gewöhnlichen Gesellschaftsurtheile hinaus zu lausen, wo ohne weitere Beweisführung es eine Partie gut, die andere schlecht findet, die gemäßigte es weder verwirft noch erhebt, und alles nur Gewicht und Glaubwürdigkeit durch die Persönlichkeit des Beurtheilers, und des ihm wieder partiell geschenkten Vertrauens erhält; oder es scheint in die Einzelnheiten des musikalischen Baues in technischer Hinsicht sich einlassend, bei den großen Werken, die nicht sogleich in Jedermanns Hände kommen können, in kleine Theilchen aufgelöst zu zerstieben.

Die größten Wirkungen und Schönheiten gehen nur aus der Art ihrer Auf- und Zusammenstellung hervor, verlieren meist immer,[121] einzeln herausgehoben, ihre ganze Eigenthümlichkeit, ja, zeugen oft scheinbar wider sich selbst, indem sie, so allein betrachtet, fast bedeutungslos werden. Ihr wahres organisch-verbundenes Zusammenleben mit dem Uebrigen vermag doch auch die lebendigste Beschreibung nicht ganz fühlbar zu machen.

Es versteht sich von selbst, daß diese Meinung auch vielfältiger Beschränkung unterliegt, und namentlich bei schon allgemein verbreiteten Kunstwerken, deren Bau und Wesen zu zergliedern nur heilbringend für die Belehrungsuchenden sein kann; in vorliegendem Falle aber, wo blos Zweck ist, das Publikum auf ein Werk aufmerksam zu machen, in dem man die geistige Region anzudeuten sucht, in der es sich bewegt, und die Gestalt, die der Componist ihm verliehen hat, in bezeichnenden Umrissen darstellen will, erscheint es mir nothwendig, erst auseinander zu setzen, wie der Beurtheiler selbst sehe, glaube und denke, woraus dann leicht das Resultat für Jeden zu ziehen, in wiefern er seinen hieraus entspringenden Urtheilen beipflichten könne.

In dieser Hinsicht glaube ich das folgende Bruchstück aus einer größern Arbeit von mir, noch der eigentlichen Anzeige der Oper, voranschicken zu müssen, indem es auch überdies die Gestaltung der Oper Undine größtentheils ausspricht.


Urtheile, in aller Art sehr widersprechend, aus eben berührten Gründen erzeugt, hatte ich über die Oper Undine hören müssen. Ich suchte so viel als möglich einer gänzlichen Unbefangenheit theilhaft zu werden, wenn ich gleich mich der Erwartung von etwas Bedeutendem nicht erwehren konnte, zu welchem ich mich, den Schriften Herrn Hoffmann's gemäß, vollkommen berechtigt fühlen konnte.

Wer mit diesem Phantasie-Gluthstrome und tiefem Gemüthe so Mozart's Geist erfühlen konnte (wie im ersten Theile der Phantasie-Stücke in Callot's Manier), in dem Aufsatze über den Don Juan geschehen ist, der kann nichts unbedingt Mittelmäßiges leisten,[122] höchstens die Gränze drängen, ja wohl umbiegen, aber nicht leer in ihr wandeln.

Die Bearbeitung erscheint Ref. als ein dramatisirtes Mährchen, in dem wohl mancher innere Zusammenhang bestimmter und klarer hätte verdeutlicht werden können. Herr von Fouqué kannte das Mährchen gar zu gut, und da ist denn gewiß eine Art von Selbsttäuschung, die auch die andern wissend glaubt, möglich. Doch ist es keineswegs unverständlich, wie Viele behaupten wollen.

Desto deutlicher, klarer und in bestimmten Farben und Umrissen hat der Componist die Oper in's Leben treten lassen. Sie ist wirklich ein Guß, und Ref. erinnert sich bei oftmaligem Anhören keiner einzigen Stelle, die ihn nur einen Augenblick dem magischen Bilderkreise, den der Tondichter in seiner Seele hervorrief, entrückt hätte. Ja, er faßt so gewaltig vom Anfange bis zu Ende das Interesse für die musikalische Entwickelung, daß man nach dem ersten Anhören wirklich das Ganze erfaßt hat, und das Einzelne in wahrer Kunstunschuld und Bescheidenheit verschwindet. Mit einer seltenen Entsagung, deren Größe nur derjenige ganz zu würdigen versteht, der weiß, was es heißt, die Glorie des momentanen Beifalls zu opfern, hat Herr Hoffmann es verschmähet, einzelne Tonstücke auf Unkosten der übrigen zu bereichern, welches so leicht ist, wenn man die Aufmerksamkeit auf sie lenkt, durch breitere Ausführung und Ausspinnen, als es ihnen eigentlich als Glied des Körpers zukömmt. Unaufhaltsam schreitet er fort, von dem sichtbaren Streben geleitet, nur immer wahr zu sein, und das dramatische Leben zu erhöhen, statt es in seinem raschen Gange aufzuhalten oder zu fesseln.

So verschieden und treffend bezeichnet die mannigfaltigen Charaktere der handelnden Personen erscheinen, so umgiebt sie, oder ergiebt sich vielmehr aus Allem jenes gespensterhafte, fabelnde Leben, dessen süße Schauer-Erregungen das Mährchenhafte sind.

Am mächtigsten springt Kühleborn hervor (Ref. setzt die Bekanntschaft mit dem Mährchen von Fouqué voraus) durch Melodieen-Wahl und Instrumentation, die ihm stets treu bleibt, und seine unheimliche Nähe verkündet. Da er, wo nicht als das Schicksal[123] selbst, doch als dessen nächster Mittelsvollstrecker erscheint, so ist dieß auch sehr wichtig.

Nächst ihm das liebliche Wellenkind Undine, deren Tonwellen bald lieblich und freundlich gaukeln und kräuseln, oder auch mächtig gebietend ihre Herrscherkraft künden. Höchst gelungen und ihren ganzen Charakter umfassend, dünkt Ref. die Arie im 2. Akte, die so ungemein lieblich und geistvoll behandelt ist, daß sie als ein kleiner Vorgeschmack des Ganzen dienen kann, und daher bald allgemein gesungen sein wird.

Der feurig wogende, schwankende, jedem Liebeszuge sich hinneigende Huldebrand, und der fromme, einfache Geistliche mit seiner ernsten Choral-Melodie, sind dann am bedeutendsten. Mehr in den Hintergrund treten Berthalda, Fischer und Fischerinnen, Herzog und Herzogin.

Die Chöre der Landleute athmen ein heiteres, reges Leben, das sich in einigen Stücken zu einer ungemein wohlthuenden Frische und Luft erhebt und entfaltet, im Gegensatze zu den schauerlichen Chören der Wasser- und Erd-Geister, in gedrängten, seltsamen Fortschreitungen.

Am gelungensten und wirklich groß gedacht erscheint Ref. der Schluß der Oper, wo der Componist noch als Krone und Schlußstein auch alle Harmoniefülle rein achtstimmig im Doppelchor ausbreitet, und die Worte: »Gute Nacht aller Erdensorg' und Pracht«, mit einer herzlich andächtigen und im Gefühle der tiefen Bedeutung, mit gewisser Größe und süßer Wehmuth erfüllten Melodie ausgesprochen sind, wodurch der eigentlich tragische Schluß doch eine so herrliche Beruhigung zurückläßt. Ouverture und Schluß geben sich hier, das Werk umschließend, die Hände.

Erstere erregt und eröffnet die Wunderwelt ruhig beginnend im wachsenden Drängen, dann feurig einherstürmend, und dann gleich unmittelbar, ohne gänzlich abzuschließen, in die Handlung eingreifend. – Letzterer beruhigt und befriedigt vollkommen.

Das ganze Werk ist eines der geistvollsten, das uns die neuere Zeit geschenkt hat. Es ist das schöne Resultat der vollkommensten[124] Vertrautheit und Erfassung des Gegenstandes, vollbracht durch tief überlegtesten Ideengang, Berechnung der Wirkungen des Kunst-Materials, zum Werke der schönen Kunst gestempelt durch schöne und innig gedachte Melodieen.

Es spricht sich hierdurch von selbst aus, daß große Instrumental-Effekte, Harmoniekenntniß und oft neue Zusammenstellungen, richtige Deklamation etc. darin enthalten sind, als die nothwendig jedem wahren Meister zu Gebote stehen müssenden Mittel, ohne deren geläufige Handhabung keine Freiheit der Geistesbewegung denkbar ist.

Um nun aber gleich für die Folge etwas zu tadeln, denn: »Lob und Tadel muß ja sein,« so will Ref. einige Wünsche nicht bergen, obwohl er eben in Undine nichts anders haben möchte, da alles, wie es einmal da steht, unbedingt so, und nicht anders, nothwendig ist, und man eigentlich wohl abwarten sollte, ob in einem andern Werke dasselbe sich offenbare. Aber man kann einem Componisten doch wohl ungefähr auch in einem Werke ablauschen, was seine Lieblingswendungen sind, vor denen ehrliche Freunde immer warnen sollen, als am Ende Manier erzeugend.

So ist Ref. aufgefallen die Vorliebe

1. für kleine, kurze Figuren, denen es sowohl leicht an Mannigfaltigkeit fehlt, als sie leicht die Cantilena verdrängen und verdunkeln, die dann heraustreten zu machen große Kenntniß und Sorgfalt von Seiten des Dirigenten voraussetzt.

2. Die Vorliebe für Violoncelle und Bratschen, für verminderte Septimen-Accorde, und oft zu schnell abgebrochene Schlüsse, die wenigstens beim ersten Anhören etwas Störendes haben, und wenn auch nicht unrichtig, doch oft ungenügend sind, und gewisse Bewegungen in den Mittelstimmen, die, wegen ihrer öftern Benutzung von Cherubini, sehr den Haufen geneigt machen, Aehnlichkeiten erspähen zu wollen.

Die Aufführung ist in Hinsicht der Garderobe und Dekoration prächtig, rücksichtlich des Gesanges und Spieles gelungen zu nennen.

Das fortwährend gedrängtvolle Haus beweist den Antheil, den das Publikum stets gleich, ja immer mehr und mehr, an der Oper[125] nimmt. Die Uebelgesinnten wollen der Dekoration viel zuschreiben; wenn aber Ref. bemerkt, daß in andern Stücken, wo dieses der Fall ist, die Leute nur diesen Moment ablauern, und dann wieder gehen, hier aber mit stets gleicher Aufmerksamkeit vom Anfange bis zum Ende bleiben, so beweist dies schon hinlänglich für das Interesse, das ihnen die Sache selbst einflößt.

Rauschenden Beifall könnte der Componist fast allen Musikstücken durch wenig vermehrte Schlußtakte verschaffen, da hingegen sich hier alles immer raschhandelnd vorwärts drängt.

Möge Herr Hoffmann der Welt bald wieder etwas so Gediegenes, als diese Oper ist, schenken, und sein vielseitiger Geist, der als Schriftsteller ihm in kurzer Zeit Ruhm verschaffte, und als Geschäftsmann (Königl. Preuß. Kammer-Gerichts-Rath in Berlin) die Achtung seiner Collegen sichert, auch in diesem Kunstzweige thätig wirken und schaffen.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 3, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 121-126.
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