Ueber: Die Tondichtungsweise des Herrn
Concertmeisters Fesca in Karlsruhe,
nebst einigen Bemerkungen über
Kritikenwesen überhaupt.

[197] (23. Juli 1818.)


Wenn ich damit anfange, mich selbst gewissermaßen anzuklagen, so scheint mir dies die zweckmäßigste Einleitung zu dem zu sein, was ich mir vorzutragen erlauben will. Ich spreche dadurch aus, was dem größten Theile meiner Kunstbrüder gewiß oft schon eben so begegnet[197] ist, und was, öffentlich erörtert, vielleicht mancher vorschnell gesagten Meinung eine andere Richtung giebt, die dann, wenn auch nicht laut bekannt, doch hoffentlich im Stillen beherzigt wird.

Es sind beinahe zwei Jahre, daß ich, angezogen von dem jetzt überhaupt immer seltner werdenden Streben nach innerer Vollendung in den Werken des Herrn Fesca, die ausführliche Anzeige seiner Quartette und Quintette übernahm, mit all' der Liebe und Luft, die diese schönen Gebilde verdienen, und, erfreut durch die Tendenz meines Unternehmens, die musikalische Welt auf wahrhaft würdige und schöne Kunsterscheinungen aufmerksam machen, und dadurch nützen zu dürfen.

Wer mit mir die Oberflächlichkeit haßt, die seit geraumer Zeit in manchen kritischen Sprüchen heimisch geworden ist, und nicht Anmaßung genug in sich fühlt, ohne geführte Beweise Fluch oder Segen über das zu beurtheilende Werk auszusprechen, der wird auch wissen, daß eine solche Arbeit nicht in wenigen Stunden und Tagen vollbracht ist, sondern die innigste Vertrautheit mit dem Objekte so bestimmt und vollendet voraussetzt, daß alsdann auch durch die Beurtheilung ein möglichst eben so lebendiges Bild des Werkes sich in der Seele des Lesers forme, daß sie ein treuer Geistesspiegel desselben seien. Je schwerer und seltener dieses immer zu erlangen ist durch die Beschränktheit des Raumes, der Beispiele und anderer nun einmal in der Natur einer Zeitschrift liegenden Hindernisse, je mehr Fleiß und Zeitaufwand hat eine Arbeit der Art das Recht zu fordern. Wie Vielen von uns ist aber das glückliche Loos beschieden, blos immer das, was ihnen der Geist als das Nothwendige und Nützliche zeigt, auszuführen, und ihm seine Kraft und Zeit widmen zu dürfen? Mir wenigstens wurde dies höchst selten vergönnt. Berufsgeschäfte anderer Art füllten meine Zeit, oder zersplitterten sie auf eine für solche Geistesarbeiten untaugliche Weise. Am Ende geht es einem dann damit, wie mit seinen besten Freunden. Bei gewöhnlichen Leuten kommt man mit einem Vorrath von einmal hergebrachten Kunst- und Lebens-Redensarten bald durch, und hat sie zur Genüge versorgt. Nicht so bei denen, die man lieber und fester[198] im Herzen trägt. Diesen etwas halb zu geben, widerstrebt dem liebenden Gefühle, und können wir ihnen nicht so ganz unsre Kraft widmen, als wir es wohl möchten, so befällt uns das drückende Gefühl, etwas vorenthalten zu haben, das sie mit Recht fordern konnten. Es entsteht eine Kluft, eine die Sache fast verleidende Aengstlichkeit, und das Ende ist, daß man, gedrängt dazu, die Arbeit lieber aufgiebt, als sie unter der Höhe wieder zu geben, die man einmal für sie in sich festgestellt hatte.

Das ist freilich nicht gut, das ist nicht recht; aber es ist so, und wer sich ganz rein weiß, der hebe den ersten Stein.

Kaum kenne ich einen der jetzt lebenden Componisten, der nicht mehr oder weniger mit den Anzeigen seiner Werke (selbst nur der Zahl nach) unzufrieden wäre. Die Meisten mögen Recht haben. Hat aber eine Redaktion nicht auch Recht, über die Componisten und Kritiker zu klagen, wenn sie beweisen kann, daß sie es nicht an Aufforderungen, Aufträgen und Bitten aller Art habe fehlen lassen.

Wenn nun vollbürtige und gewiegte Männer selbst nicht immer in die Schranken treten können und wollen; ist es denn ein Wunder, daß der Troß oder der Einzelne, Zudringliche oft den Platz erhält, und sich brüstet im Richteramte und Großdünkel, wenn er so ungewaschen über alles herfahren kann? Das ist denn nun schmerzlich für den wahren Kunstfreund, wenn er sieht, daß das heilige Amt, Wahrheit zu verkünden, und jedem Jünger und Meister sein Inneres zu enthüllen, in unwürdigen Händen ist, und dadurch am meisten Uebles stiftet, daß die der Kritik so nothwendige Achtung und Beachtung verschwindet. Aber wird braven Männern nicht auch oft dieses Geschäft verbittert? Der Pygmäen, die das anch' io sono pittore gar zu gern sich anmaßen wollen, sind zu viele. Kömmt ein Urtheil über sie, das ihrer geträumten Größe nicht huldigt, so haben sie zu Einwendungen, Gegenreden und Spitzfindigkeiten immer Raum und Luft und verleiden so endlich dem redlichen Manne, der alle seine Zeit noch nicht allein diesem Kunstzweige, oder wenigstens nicht solchen Kunstallotrien widmen kann, das ganze Geschäft. Diese Männlein sind es, die auch gar zu gern wissen wollen, wer sich an sie gewagt habe,[199] um wiederum nach ihrem Zwerg-Maßstabe beurtheilen zu können, ob sie ihn auch für voll annehmen sollen. Es ist gewiß, daß sich viel für und gegen den Gebrauch der Anonymität sagen läßt, und daß die vorwaltenden Umstände darüber entscheiden.

Wenn ich z.B. es mir zum Grundsatze gemacht habe, stets meinen Namen zu unterzeichnen, so geschieht das theils, weil ich als Selbstproducent mir nicht das unbedingte Richteramt über meine Mitbrüder anzumaßen wage, sondern nur als ein seine Ueberzeugung aussprechendes Individuum erscheinen will, und andern Theils auch aus eigenthümlichen Verhältnissen, die mich vielleicht sogar Rücksicht nehmen lassen auf das Gekläff einer Menge von Schwachen, die im Beurtheiler nur immer den zu sehen glauben, der das Recht hat, schadenfroh unter verhüllendem Mantel sein Müthchen kühlen, oder Gnade und Protektion angedeihen lassen zu dürfen.

Im Ganzen halte ich sehr viel von dem Nutzen und Wirkung der Anonymität, und man frage sich selbst nur ehrlich, ob ein so gegebenes Urtheil, vorausgesetzt, daß es alle Eigenschaften eines dergleichen rechtlichen habe, das heißt: daß es mit Gründlichkeit und Wohlwollen ausgesprochen sei – nicht vielmehr als Repräsentant der Volksstimme, oder, mit andern Worten, der reinen, rücksichtlosen Wahrheit – erscheine und einwirke, als das mit einem Namen bezeichnete, bei dem wir uns selten von den dabei sich unwillkürlich mit eindrängenden individuellen Neben-Ideen rein halten können, und besonders beim Tadel gar zu geneigt sind, in der Person selbst etwas zur Entschuldigung unsrer Fehler aufzusuchen. Das Lob läßt man sich wohl schon eher gefallen.

Aus Allem diesem geht nun wohl das Resultat her vor, daß man, die Sache praktisch angesehen, in Ruhe abwarten möge, was Schicksal und Zufall verfügen, daß die Componisten nicht unwillig werden sollen, wenn nicht alle Federn sich eilends für sie in Bewegung setzen, daß die Redaktionen und besonders die Herausgeber der kritischen Blätter sorgfältiger der Kunst-Entwickelung in der Zeit folgen, und den wenigen Männern, die mit Liebe und Einsicht sich[200] der Kritik widmen, ihr herbes Geschäft auf jede Art zu erleichtern und angenehmer zu machen suchen sollen, und daß auch die Kritiker mit besonnener Auswahl und mit mehr Berücksichtigung des auf das Fortschreiten in der Kunst Einwirkenden und mit wohlwollender Strenge (der Strenge des liebenden Freundes oder Vaters) zu Werke gehen mögen.

Uebrigens waltet zu Aller Trost die unsichtbare Nemesis über allen Werken, und ungegründetes Lobpreisen rettet so wenig die Eintagsfliege vorm Tode und der Vergessenheit, als verspritzter Gifteifer das wahrhaft innere Leben ertödten kann.

Jedes Werk trägt den Keim seines Lebens und Todes in sich, und die Zeit ist der wahre Probierstein des Guten und Schlechten. Diese Ansicht und Hoffnung ist mir doppelt wichtig geworden, seitdem ich an mir selbst erfahren habe, daß man den besten, reinsten Willen und Eifer zur Beförderung einer Sache haben und doch sehr lange Zeit durch das seltsamste Zusammenwirken sich häufender Umstände nicht dazu gelangen kann, werkredethätig für sie aufzutreten. Vor Kurzem noch zu beschränkt an Zeit, um die ausführliche Recension der Quartetten des Herrn Fesca zu vollenden, habe ich die mir erbetene Partitur zurückgegeben, um dieses Geschäft wenigstens andern Händen vertrauen zu können. Es scheint mir aber eine angenehme Pflicht, durch das Aussprechen der Bemerkungen, die sich mir beim Durchgehen derselben aufdrängten, Herrn Fesca wenigstens einen Beweis meiner hohen Achtung für alles Schöne und Gute an den Tag zu legen.

Der Zweig der Kunst, dessen Pflege Herr Fesca sich mit Vorliebe geweiht zu haben scheint (Quartetten etc.), bezeugt schon durch seine Wahl, daß Hr. F. einer von den Wenigen unserer, sich oft dem Oberflächlichen nähernden, Kunstzeit ist, denen es noch Ernst ist mit dem Studium der innersten Wesenheit der Kunst. In dieser Gattung ist es vor allem andern nicht zureichend, durch einige Schmeichelideen und Glanz-Passagen genügen zu wollen. Die Genießenden dieser gediegenen Kost sind schon durchaus an Wahrhaftes und Gewürztes gewöhnt, ja verwöhnt vielleicht durch die Größe und Höhe, auf[201] welche diese Musikart durch Mozart und Haydn gestellt worden ist. Wer also nicht augenblicklich bei seinem Erscheinen auch wieder in Vergessenheit zurück sinken will, muß schon wahrhaft Gediegenes, Gedachtes und Gefühltes geben. Es soll damit keinesweges gesagt sein, als ob andere Musikgattungen nicht desselben eben so sehr in ihrer Wesenheit bedürften, aber im Quartett, diesem musikalischen Consommé, ist das Aussprechen jeder musikalischen Idee auf ihre wesentlich nothwendigsten Bestandtheile, die vier Stimmen, beschränkt, wo sie nur durch ihren innern Gehalt für sich Interesse gewinnen kann; da hingegen bei der Symphonie u.s.w. durch den Reiz der Mannichfaltigkeit einer wohlberechneten Instrumentirung etc. Mittel zu Gebote stehen, einer an sich oft ziemlich bedeutungsleeren Melodie Schmuck und Wirkung zu verleihen. Im Quartett kann der Lärm nicht für Kraft gelten, und die Unbeholfenheit eines Componisten in Verzweigung der Mittelstimmen, melodiöser Führung derselben und Verbindung selbstständiger Melodien im Fortweben des Ganzen liegt hier sogleich klar und hell am Tage. Das rein Vierstimmige ist das Denkende in der Tonkunst.

Herr Fesca ist ganz Herr und Meister über das, was er auszusprechen unternimmt. Mozart und Haydn waren ihm Vorbilder im edlen Sinne, wie es dem wahren Künstler ziemt, und wie überhaupt nur alles Fortschreiten in der Kunst sich erzeugt durch den äußern Anstoß, der Funken weckt und giebt. Sein Styl und die Wahl seiner Melodien sprechen Weichheit und einen gewissen zarten Schmelz der Empfindung aus, der, keinesweges der Kraft ermangelnd, ihnen einen eigenthümlichen Reiz verleiht. Er kann sehr heiter, ja witzig werden, aber ein gewisser Ernst ist wenigstens dann in der weitern Ausführung unverkennbar. Er ist sorgfältig und reichwürzend, beinahe wie Spohr, ohne sich in dessen oft erhabene Schwermüthigkeit zu verlieren. Er modulirt oft scharf und schnell, fast wie Beethoven, aber er fühlt zu weich, um es gleich diesem zu wagen, uns unerwartet mit kühner Riesenfaust zu packen und blitzschnell über einem Abgrunde schwebend zu halten. Seine Arbeiten bezeichnet eine gewisse verständige Besonnenheit, die, mit Tiefe des Gefühles[202] gepaart, Trockenheit vermeidet, und eine ungemein schöne Haltung des Charakters des Ganzen sowohl als der es konstruirenden einzelnen Theile zur Folge hat. Er entwickelt seine Ideen klar und mannichfaltig, die vier Stimmen sind selbstständig, und wenn hin und wieder er den Vorredner (die erste Violine) etwas glänzend behandelt, so geschieht das keinesweges auf eine so überwiegende Weise, daß die andern Stimmen nur zu dienenden herabsänken.

Herr Fesca hat meines Wissens bis jetzt nur Quartetten und eine oft rühmlichst erwähnte Symphonie (die ich aber nicht kenne) geschrieben. Es ist mir sehr begreiflich, daß er aus Vorliebe sich in diesem Kreise bewegt, der mir so ganz charakteristisch seine Gefühlsweise zu bezeichnen scheint. Aber es mag doch wohl nicht gut sein, sich so fast ausschließlich einer Gattung hinzugeben. Es kann mit der Zeit, ja, es muß fast zur Manier führen.

Der Genius ist universell, wer ihn besitzt, kann ihm zum Schöpfer jeder Gattung machen, äußere Eindrücke und Anstöße leiten die eine oder die andere Bahn, und es ist gewiß, daß die ersten Schritte auf einer neu erwählten mit Unsicherheit, wenigstens mit der Aengstlichkeit geschehen, die sie einem Künstler ohne Beharrlichkeit bald verleiden kann, weil er auf der andern schon so heimisch und leicht gewandelt ist, alle ihre Tiefen und Klippen kennend. Der Geist bewegt sich jedoch nach gelindem Zwange bald eben so leicht in der neuen Form, und bringt, selbst bei der Rückkehr zur alten, neue Blumen und Blüthen mit herüber. Besonders Gesang-Composition sollte doch kein Componist hintansetzen. Sie trägt die dramatische Wahrheit ins Leben, und von ihr zu den andern ist nur ein Schritt, von den andern zu ihr sind wohl mehrere. Es ist als ob die Natur sich dann immer an dem etwas rächen wollte, der nicht zuerst dem von ihr gegebenen Urinstrumente huldigte.

Wenn der Quartett-Styl gleichsam mehr dem geselligen, häuslich ernsten Kreise angehört, so führt jener mehr in die Welt der größern Ansichten, der weiter geöffneten Bilder. Unwillkürlich kann das bloße Bearbeiten der Quartett-Gattung durch die ihr eigene komplicirte Gedrängtheit zur Miniaturmalerei verführen, und von[203] da ist es dann sehr nahe bis zur ängstlichen Künstelei und Kleinigkeitskrämerei.

Ich bin zu sehr von dem ausgezeichneten Talente und den wahrhaft zu ehrenden Kenntnissen des Herrn Fesca überzeugt, als daß ich ihm nicht den Wunsch aussprechen sollte, sich auch darin zu versuchen.

Es giebt ein edles, bescheidenes Mißtrauen der eignen Kraft, welches mir ganz in der Wesenheit des Herrn Fesca wahrscheinlich dünkt; wer aber so ausgestattet und eines solchen Fleißes und einer solchen Beharrlichkeit sich bewußt sein darf, wie er, hat nichts zu scheuen, und geht dadurch einer Vielseitigkeit entgegen, die heilsam vor ihrem Gegensatze schützt.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 3, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 197-204.
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