Der neue Wagen vor der Polizeischranke

[86] Beim Fahren ist mir nie ein Unglück passiert, mein Leben lang. Ich habe nie die Vorsicht auf meinem Wagen und die Rücksicht auf meine Mitmenschen außer acht gelassen. Die vielen Chauffeure, die durch meine Schule gingen, wissen davon ein Liedlein zu singen. Wen immer ich am Schnellfahren ertappte, der mußte zur Strafe wieder 14 Tage am Schraubstock arbeiten.

Ich war daher sehr überrascht, als ich vom Bezirksamt Mannheim schon in den ersten Erfinderjahren eine Vorladung bekam. Die hatten mir meine Fahrer eingebrockt. Sie machten sich nämlich ein besonderes Vergnügen daraus, in schneidigstem Tempo an Polizisten vorüberzusausen. Die Folge war eine polizeiliche Anzeige beim Bezirksamt, auf Grund deren man mich vor das Forum zitierte.

»Überhaupt«, sagte der Amtmann Bierbaum, »wissen Sie nicht, daß das Fahren mit elementarer Kraft nach einem Landtagsbeschluß bei uns in Baden verboten ist?«[86]

Das war nun freilich für einen, der mit dem Motorwagen Zukunft und Welt erstürmen will, ein Weghindernis von der Anmut eines Drahtverhaus. Sofort ging ich daran, mit allen Waffen Ciceros gegen dieses Drahtverhau anzukämpfen. Und siehe da, der Mann an der Schranke ließ sich durch Vernunftgründe überzeugen, zog die Barriere hoch und gab den Amtsbezirk Mannheim zur Durchfahrt frei. Darüber hinaus aber mußte ich die Genehmigung des Ministeriums einholen. Die Genehmigung kam, aber sie hätte sich in praxi auswirken müssen wie eine Nichtgenehmigung. Sechs Kilometer Fahrgeschwindigkeit innerhalb und zwölf Kilometer außerhalb der Stadt!

Da dieses salomonische Urteil naturgemäß durch keinerlei Sachkenntnis getrübt war, versuchte ich noch einmal mit den Waffen der Vernunftgründe zu fechten. Ich lud die Herren zu mir nach Mannheim ein, um sie von der Betriebssicherheit und Ungefährlichkeit meiner Wagen überzeugen zu können. Richtig, sie nahmen an und teilten mir den Zug mit, mit dem sie in Mannheim einzutreffen gedachten. Fahrmeister Tum gab ich den Auftrag, die Herren an der Bahn mit der »Benzinchaise« abzuholen. Selbstverständlich schärfte ich ihm ein, mit den »gefährlichen« Herren keinesfalls schneller als sechs Kilometer die Stunde zu fahren.

Die Herren kamen an, stiegen ein und freuten sich zunächst wie die Schneekönige über das behaglich-langsame Dahinfahren des pferdelosen Wagens. Mit der Zeit kommt ihnen das Tumsche Tempo doch etwas langweilig vor. Und als gar ein Milchfuhrmann mit seinem abgerackerten Gaul Miene macht, den Kraftwagen zu überholen, ruft einer der Ministerialräte dem guten Tum zu: »He, Sie! Können Sie denn[87] nicht schneller fahren?« »Können tu ich's schon«, sagte der Mann am Steuer, »aber ich darf nicht, es ist polizeilich verboten.« »Ei was, fahren Sie mal zu, sonst fährt uns ja jede Milchkutsch vor.«

Damit wurde der Bann gebrochen, und die Freizügigkeit des Motorwagens war in der Folge weder gebunden an die Grenzsteine des heimischen Amtsbezirks noch an die engherzigen Geschwindigkeitsvorschriften einer veralteten Kutscherepoche.

Quelle:
Benz, Carl Friedrich: Lebensfahrt eines deutschen Erfinders. Die Erfindung des Automobils, Erinnerungen eines Achtzigjährigen. Leipzig 1936, S. 86-88.
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