Die ersten Käufer aus Deutschland, Ungarn und Böhmen

[107] Nachdem das Benzinautomobil seinen Bekanntenkreis erweitert und seinen ersten großen Erfolg, die »Große Goldene Medaille« der Münchner Ausstellung von 1888 errungen hatte, war zu erwarten, daß das Interesse für den neuen Wagen auch in den Abnehmer- und Fachkreisen Deutschlands Wurzeln schlagen werde.

Und richtig! Endlich kommt einmal einer aus Deutschland, der einen Wagen kaufen will. Meine Kompagnons reiben sich die Hände und freuen sich über den glückverheißenden Anfang. Der Kauf wird abgeschlossen. Aber schon nach einigen Tagen erklärt der Vater des Käufers den Kauf für ungültig, da sein Sohn in letzter Zeit nicht mehr normal gewesen sei und für sein Tun und Lassen nicht verantwortlich gemacht werden könne. Und in der Tat, der erste Käufer wanderte ins Irrenhaus, noch ehe der Wagen in seinen Besitz kam. »Ein böses Omen«, dachte ich. Meine guten Freunde aber fingen an, sich als Propheten in empfehlende Erinnerung zu bringen und verhießen lustig allen Käufern eines Benzinwagens ein ähnliches Schicksal.

Ein anderer Käufer!

Der bildete sich ein, ein Todeskandidat zu sein. »Bevor ich sterben muß«, sagte er sich, »möchte ich noch das Höchste, was das Leben bietet, genießen.« Dieses Höchste aber erblickte er im Lenken und Fahren des Motorwagens. Er kam, kaufte sich die letzte Lebensfreude und bezahlte dafür fast sein ganzes Vermögen. Wozu auch ein Vermögen? Seine Tage waren ja doch gezählt! Und so fuhr er denn drauflos.[107] Er fuhr und fuhr – und ist selbst dem Tode vorgefahren. Der Tod holte ihn nicht ein. Der Käufer konnte noch weiß Gott wie lange sein Leben und seine »letzte Lebensfreude« genießen. Und den Fehler in der Spekulation, mit seinen Lebenshoffnungen gar zu voreilig auch seine Lebensgüter über Bord geworfen zu haben, hatte er hinterher bald verschmerzt.

Daß unter den ersten Käufern auch eine Lehrerin war, daran erinnere ich mich immer noch mit großer Freude. Weither aus dem Ungarlande war sie gekommen, um das Mannheimer Wunder mit eigenen Augen schauen zu können. Ihre Begeisterung war groß; leider stand ihre Finanzkraft zu ihrer Begeisterung nicht im rechten Verhältnis. Aber begeisterte Frauen wissen immer Rat. Sie verstand es, ihre Begeisterung auf einen Kollegen zu übertragen, so daß auch er seine ganze Barschaft für den Wagen opferte. Es war ein Wagen aus dem Jahr 1888. Mein Sohn Eugen fuhr mit ihm zunächst »per Bahn« bis Wien. Von dort an mußte der »Selbstfahrer« aber selber fahren. Der Weg ins Ungarland war nichts anderes als eine einzige »Via triumphalis«. Ein Sturm der Freude begrüßte den Wagen beim Einzug in Sommerein bei Preßburg. Ehrenpforten und Triumphbögen waren errichtet. Bekränzte Festjungfrauen brachten ihm ihre Huldigungen dar, und aus dem Motorwagen war unter dem Jubel der Bevölkerung bald ein Blumenwagen geworden.

Ob die beiden Käufer auf ihrem gemeinsamen Wagen später auch einem gemeinsamen Lebensglück entgegengefahren sind, habe ich nie in Erfahrung bringen können.

Ein Käufer, dem die Liebe zum Motorwagen im Blute[108] lag und der heute selbst eine Automobilfabrik besitzt, war Baron von Liebig aus Reichenberg in Böhmen, einer der mutigsten Pioniere des Kraftwagenwesens. Mein Viktoriawagen und der Baron – das waren Freunde, die einander verstanden und aufeinander abgestimmt waren wie zwei Stimmgabeln. Auf großen und weiten Reisen von 1200 Kilometer Länge haben diese beiden Freunde ihren Viktoriaruf hinausgeknattert in die aufhorchende Welt und trugen damit sehr viel dazu bei, den Kraftwagen bekannt zu machen. Wenn der Baron zu uns kam und über seine Reiseerlebnisse berichtete – einmal hat er sogar ein ganzes Buch über seine Reise nach Gondorf an der Mosel geschrieben und das Buch mir gewidmet –, dann freute sich das ganze Haus. Hatte er aber gar noch seinen Fabrikarzt bei sich und seinen Hauskaplan – diesen Mann mit seinem unversiegbaren goldenen Humor –, dann beherrschte laute und feuchte Fröhlichkeit die Stunde.

Bewundernswerten Weitblick bewies ein württembergischer Posthalter. Er hatte von meinem Wagen gehört und wollte damals schon die Poesie des Postwagens ersetzen durch das Motorgelärm des Autoomnibus. Das berühmte Schwabenalter hatte er wohl hinter sich. Als er nämlich nach Mannheim kam und ihm ein Wagen vorgeführt wurde, meinte er: »Ah! so ischt dös Ding! Ich hab gemeint, man braucht nur auf einen Knopf zu drücken, dann laufts.« – Ein Menschenalter ist der wackere Schwabe mit seinen Wünschen der Zeit vorausgeeilt; denn es waren noch Jahrzehnte technischer Entwicklung nötig, bis das lästige »Andrehen« ersetzt wurde durch den elektrischen Anlasser, d.h. durch den gewünschten elektrischen Knopf.[109]

Der Kauf kam nicht zustande. Der fehlende elektrische Knopf hatte die Poesie der Postkutsche noch einmal gerettet.

Auch aus München stellte sich bald ein Käufer ein. Mein Associé, der viel im Ausland herumgekommen war und über ein beneidenswertes Maß von Menschenkenntnis verfügte, teilte mir das mit den Worten mit: »Ein vornehmer Münchener war heute morgen bei mir; er will einen Wagen kaufen.« Mittags kam denn auch der vornehme Münchener zu mir und entpuppte sich gar bald als der frühere Portier eines großen Münchener Hotels. Er hatte sich in seinem Beruf ein so stattliches Vermögen erworben, daß er sich als wohlhabender Mann ins Privatleben zurückziehen konnte. Nachdem er glücklicher Besitzer eines »Comfortable« war, veranstaltete der passionierte Selbstfahrer alle möglichen und unmöglichen Touren. Als er einmal seelenvergnügt den Berg hinunterfuhr, verlor er in der Eile das Steuer. Der Wagen wurde der Straße untreu und sauste – man sollte es kaum glauben – durch ein großes Ladenfenster direkt in einen Kaufladen hinein. Der Ankömmling sowohl wie der Kaufmann sollen bei der gegenseitigen Vorstellung etwas verdutzte Gesichter gemacht haben.

Überhaupt hatte der gelungene Münchener Kauz beim Vorstellen nicht immer Glück. Als er uns wieder einmal in Mannheim besuchte, war gerade Prälat Bischof aus Speyer mit seinem Comfortable auch da. Bei der Vorstellung sagte der Münchener mit etwas breiter Dialektfärbung: »Hab dia Ehre.« Darauf erwidert teilnehmend der hochwürdige Herr: »Ei, was! Sie haben Diarrhöe? Das tut mir aber leid.«[110]

Man wird das eigenartige Mißverständnis nicht für möglich halten. Die lustige Episode hat sich aber wörtlich in Rede und Gegenrede so abgespielt – zur allgemeinen Erheiterung der Vorstellenden und Vorgestellten.

Quelle:
Benz, Carl Friedrich: Lebensfahrt eines deutschen Erfinders. Die Erfindung des Automobils, Erinnerungen eines Achtzigjährigen. Leipzig 1936, S. 107-111.
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