Im Feuerschein der Dorfschmiede

Wenn ich als achtzigjähriger Mann von den weißen Firnhöhen des Lebens hinunterschaue ins Land der Kindheit, dann ist es mir, als müßte ich wieder heim – ins Jugendland. Blaue Berge tauchen auf in verschwimmender Ferne, ein Tal, durch das ich in herzhafter Ferienfreude weiß Gott wie oft gewandert, wird im Vordergrund ganz deutlich sichtbar. Ein trauliches Tal, mit Wiesen im Grunde und dem schäumenden Bache.

Tannen klettern an den Hängen empor, und oben träumt zwischen Sonnenglanz und Waldesschatten ein Dörflein so einsam, wie eben nur Schwarzwalddörfer einsam träumen können.

Pfaffenroth heißt das liebe Nest. Es ist die Heimat meiner Väter. Hier oben in diesem grünen Erdenwinkel regierten meine Groß- und Urgroßväter.

Fürsten waren meine Vorfahren allerdings keine – nichts als schlichte Bauernsöhne ihrer wälderischen Heimaterde. Aber sie regierten doch – als Bürgermeister ganze Generationen hindurch.

Von meinem Großvater weiß ich zum Beispiel, daß er als[11] Schulze des Dörfleins Schicksale 27 Jahre lang in guten und bösen Tagen in Händen hielt. Wer ihn amtlich aufsuchen mußte, kam immer vor die rechte Schmiede. Denn er war der Mann, der das Lied der Technik vom Amboß seiner Werkstätte aus hell und laut hinausklingen ließ in die Stille des Dorffriedens. Wenn er den großen Hammer schwang, daß die Funken sprühten, dann mußte das glühende Eisen sich formen und biegen nach seinem Willen.

Heute noch steht die Dorfschmiede, in der mein Großvater Michael Benz (geb. 1778, gest. 1843) schon im Zeitalter Napoleons sich die Sorgen vom Herzen herunterhämmerte.

Diese Dorfschmiede bestand aber auch schon jahrhundertelang vor Napoleons Zeiten, in ihr hatte mein Stammbaum seinen Wurzelboden.

Wer einen Blick auf seine Ahnenreihe wirft, wird in der Regel überrascht sein, wie die Vorfahren in buntem Wechsel gekommen und gegangen sind. Bauern und Handwerker, Lehrer und Kaufleute, Apotheker und Doktoren lösen im Laufe vieler Generationen einander ab. Das ist bei mir ganz anders.

Ich sehe meine Vorfahren in einer langen Linie hintereinander gereiht; alle haben das Schurzfell vorgebunden und den Hammer in der Hand – alle sind Schmiede bis herab zum Großvater und Vater. Wenn ich mir das heute alles überlege, dann wird es mir klar, warum ich vor Freude in meinem Leben immer in die Hände klatschen mußte beim Singen des Liedes: »Wenn ich an meinem Amboß stehe.« Meine Vorfahren, die alle in irgendeiner Gehirnzelle, in irgendeinem Blutstropfen oder in irgendeiner Herzfaser in[12] mir weiterleben, wollen eben offenbar bei dem Liede alle mitsingen und aus mir herausjauchzen. Und daher mußten die freudeklatschenden Hände noch die Rolle von schwingenden Stimmbändern übernehmen. –

Mein Großvater hatte zwei Söhne und eine Tochter. Der ältere, 1809 geborene Sohn hieß Hans Georg, der jüngere Anton. Beide sind des Hauses Tradition treu geblieben und wurden Schmiede. Während aber der »Schulze-Toni« im Ort blieb und auf dem Amboß der Urahnen seines Glückes Schmied zu werden versuchte, nahm Hansjörg das Felleisen und zog in die Welt. –

Quelle:
Benz, Carl Friedrich: Lebensfahrt eines deutschen Erfinders. Die Erfindung des Automobils, Erinnerungen eines Achtzigjährigen. Leipzig 1936, S. 11-13.
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