Achte Ordnung: Die Knochenstöre[351] (Holostei)

Untersuchung vorweltlicher Fische und Vergleichung derselben mit den gegenwärtig lebenden haben erkennen lassen, daß einige Sippen der Jetztzeit eine Reihe der gesammten Klasse vertreten. Es ist hauptsächlich das Verdienst Johannes Müllers, die Grenzen dieser Reihe oder Unterklasse bestimmt zu haben. Allerdings hatten schon frühere Forscher die Zusammengehörigkeit der hier in Frage kommenden ausgestorbenen Arten und der jetzt lebenden Schmelzschupper festgestellt; aber erst die Ergebnisse der Zergliederung vieler hundert Fischarten, welche Johannes Müller gewann, verhalfen uns zu einem klaren Ueberblicke der zu dieser Unterabtheilung zählenden Glieder.

Versteinte Reste der Schmelzschupper finden sich in den verschiedensten Schichten der Erdrinde, zum untrüglichen Zeichen, daß diese Fische vom Beginne der Erdgeschichte an eine wesentliche Rolle gespielt haben. Bis gegen das Ende der Jurazeit vertraten sie mit den Knorpelfischen die ganze Klasse überhaupt, und erst mit Beginne der Kreidezeit gesellten sich andere Ordnungen zu den genannten, nahmen rasch an Artenzahl und Formenreichthum zu und verdrängten nach und nach die Schmelzschupper bis auf die wenigen, weit zerstreuten Arten der Jetztzeit, welche nur noch in süßen Gewässern vorkommen. Es ist ihnen ergangen wie den Vielhufern und den Panzerechsen: sie sind nach und nach ausgetilgt worden und gegenwärtig bis auf wenige Arten, welche der Mehrzahl nach auch Sippen und Familien vertreten, verschwunden. Die Ueberbliebenen scheinen wenig Aehnlichkeit, also auch nur eine lockere Zusammengehörigkeit unter einander zu haben; durch Herbeiziehung der ausgestorbenen Arten aber läßt sich, wie bei den genannten höheren Wirbelthieren, ein Bild von der Reichhaltigkeit und Geschlossenheit der gesammten Gruppe gewinnen.

Johannes Müller faßt die Merkmale der Schmelzschupper mit kurzen Worten zusammen wie folgt: »Diese Fische sind entweder mit tafelartigen oder rundlichen, schmelzbedeckten Schuppen versehen, oder sie tragen Knochenschilder, oder sie sind ganz nackt. Ihre Flossen sind oft, aber nicht immer, am Vorderrande mit einer einfachen oder doppelten Reihe von stachelartigen Tafeln oder Schindeln besetzt; ihre Schwanzflosse nimmt zuweilen in den oberen Lappen das Ende der Wirbelsäule auf, welche sich bis an die Spitze dieses Lappens fortsetzen kann. Ihre doppelten Nasenlöcher gleichen denen der Knochenfische; ihre Kiemen sind frei und liegen in einer Kie menhöhle unter einem Kiemendeckel, wie bei den Knochenfischen. Mehrere haben ein Hülfswerkzeug zum Athmen in einer Kiemendeckeldecke, mehrere auch Spritzlöcher. Sie haben viele Klappen in dem muskelkräftigen Arterienstiele. Ihre Eier werden durch Leiter aus der Bauchhöhle ausgeführt. Ihre Sehnerven gehen nicht kreuzweise über einander. Sie haben eine Schwimmblase mit einem Ausführungsgange, wie viele Knochenfische. Das Geripp ist entweder knöchern oder theilweise knorpelig. Die Bauchflossen[351] stehen weit nach hinten am Bauche. Es sind also die Schmelzschupper Fische mit vielfachen Klappen des Arterienstieles und Muskelbedeckung desselben, nicht gekreuzten Sehnerven, freien Kiemen und Kiemendeckeln und bauchständigen Bauchflossen.

Es ist augenscheinlich bewiesen«, schließt Johannes Müller, »daß diese Fische von den Knochenfischen durchaus abweichen, aber ebensowenig mit den Knorpelfischen vereinigt werden können, also eine eigene Abtheilung bilden, deren Stelle zwischen die Knochen- und Knorpelfische fällt, indem sie Merkmale von den einen wie von den anderen vereinigen, von den ersteren den Kiemendeckel, die Nase, von den letzteren die Hülfskieme, die Spritzlöcher, die Klappen, die Muskeln, die Eileiter, das Verhalten der Sehnerven.«

Nach der Beschaffenheit des Gerippes zerfallen die Schmelzschupper in zwei Hauptgruppen, welche man als Ordnungen ansieht. In der ersten dieser Abtheilungen vereinigen wir mit Johannes Müller alle diejenigen Arten, welche sich durch ihr verknöchertes Geripp so erheblich von den übrigen unterscheiden, daß frühere Forscher sie als Verwandte der Häringe und Hechte betrachten konnten; denn sie sind regelmäßig gestaltet, lang gestreckt, mit dicht an einander liegenden Schuppen bekleidet und mit allen Flossenarten versehen. Als beachtenswerth mag erwähnt sein, daß die Schwanzflosse schon bei ihnen oft unregelmäßig gebildet ist. Die Kiefer tragen in Größe und Form sehr verschiedene Zähne, und die Bezahnung erstreckt sich bei einzelnen auch auf die Knochen des Gaumengewölbes.

Die in der Vorwelt sehr reichhaltige Ordnung wird gegenwärtig durch wenige Arten vertreten. Das, was wir von der Lebensweise wissen, läßt keinen Schluß zu auf das Leben der gewesenen Arten; eine Schilderung der Gesammtheit ist demgemäß unmöglich.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 351-352.
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