Marmelzitterrochen (Torpedo marmorata)

[382] Diese Merkmale gelten auch für die Sippe der Zitterrochen im engeren Sinne (Torpedo) und insbesondere für deren bekannteste Art, den Marmelzitterrochen (Torpedo marmorata, vulgaris, trepidans, picta, diversicolor und Galvanii, Raja torpedo, Narcacion Polleni). Dieser altbekannte Fisch erreicht bei anderthalb Meter Länge eine Breite von wenig unter einem Meter sowie fünfundzwanzig bis dreißig Kilogramm Gewicht und ist oberseits braun, bräunlich und weiß gemarmelt, so daß bald die eine, bald die andere dieser Färbungen vorherrscht.


Glattroche (Raja batis) und Zitterroche (Torpedo marmorata). 1/15 natürl. Größe.
Glattroche (Raja batis) und Zitterroche (Torpedo marmorata). 1/15 natürl. Größe.

In den Schriften der Alten wird der Zitterrochen oft gedacht; nicht minder hat man ihr Bildnis auf Gefäßen dargestellt; ja, man darf behaupten, daß die alten Griechen und Römer über die Lebensweise fast ebenso genau unterrichtet waren, wie wir es heutigen Tages sind, und auch die elektrischen Organe wohl zu würdigen wußten, obgleich sie nicht im Stande waren, sie richtig zu deuten. »Diese Fisch«, sagt Geßner, »wonen allein in lättechtigten, katechtigen orten vnd pfützen deß Meers, schwimpt mit seiner breite langsam vnd träg, vnd mit den hindern zweyen fischfäckten: verbirgt sich in den grund deß Meers zur zeit deß Winters. Er gebirt linde Eyer in jm selber, schleifft dieselbigen auß noch in seinem Leib, gebirt lebendige Frucht, dann solt er die [383] Eyer gebären, möchten sie also lind nit beschirmpt im wasser werden, solche Junge fasset er alle in sich durch das Maul, so forcht oder gefahr vorhanden ist. Wiewohl die Zitterfisch von Natur im schwimmen langsam vnd träg sind, so hat doch dieselbig natur jnen ein solche kunst vnd krafft verliehen, daß sie auch die allerschnellesten fisch zu jhrer speiß vnd nahrung kriegen mögen, nemlich was sie beriert, daß solchs zu stund entschläfft, müd, lam vnd todt wirt. Aus der vrsach ligt sie auff dem grund zerthon als todt, bewegt sich nicht. Welche Fisch dann jnen nahend vnd berieren, auch sonst in den wällen, wassern vnd andern orten von jnen berührt, oder sonst vmb sie herumb schwimmen, die werden allsamen entschläfft, müd, vnbeweglich vnd todt. Sömliche krafft erzeigt sie nit allein gegen den Fischen vnd Thieren so in wassern wonen, sondern auch gegen dem Menschen, gegen den Fischern, welch sie zu zeiten in die Garn kommen, dann die krafft sol auch durch die seil vnd garn an jren Leib kommen, dermassen daß sie die angelru ten vnd garn wider jhren willen müssen fallen lassen. Solches ist den Fischern wol bewust, werden von keinem angetastet, dann so sie mit der Hand berührt werden, vorauß so sie verletzt oder truckt, so entschläfft das glied, bekompt von grosser mechtiger kälte so von solchem fisch fleußt, ein vnentpfindligkeit, vnd entschlaffen. Item das wasser so vmb sie her berühret wirdt, so sol auch gleicher weiß solcher gifft so von jrem gantzen leib fleußt, solch glied, verletzen vnd entschläffen. Item so sie mit einem langen stecken, ruten oder spieß von weitnuß berührt werden, so sol auch solch gifft dem holtz nach, vnd durch das holtz an die Hand deß Menschen kommen, so kräfftig ist es. Sömliche krafft vnd gifft haben sie allein so sie lebendig sind, dann so sie todt, werden sie ohne gefahr von menniglichen berührt vnd gessen. Als zu zeiten in abfliessung des Meers einer diser fischen blieben, sich mit springen gern hatte wider in das wasser geworffen, von einem jungen Geselln vnbehutsam mit füssen getretten ward, jhn an den sprüngen zu hindern: hat er angehaben an dem fußtritt von stund gantz erzittern, dann er vrsachet nit allein, so er angetastet wirdt, ein entschlaffen den gliedern, sondern auch ein mechtig zittern.«

Sehr erklärlich ist, daß man in der alten, wundersüchtigen Zeit bald darauf kam, so gewaltig und unerklärlich wirkende Thiere in der sogenannten Arzneikunde zu verwerthen. Dem Genusse des schlechten Fleisches wurden die großartigsten Wirkungen zugeschrieben, von den damaligen Aerzten überhaupt über die Heilkräfte dieser Fische Dinge erzählt, welche nur in den Berichten der Homöopathen und anderer Quacksalber unserer Tage gleichwerthige Seitenstücke gefunden haben.

Redi war der erste, welcher mit dem Zitterrochen genauere Versuche anstellte und die Gesetze der Wirkungen zu ergründen suchte; Réaumur, Bancroft, Humboldt, Geoffroy setzten die Beobachtungen fort und erweiterten die Kunde. Aus diesen gemeinsamen Untersuchungen geht hervor, daß das elektrische Organ einem galvanischen Becherapparate oder einer elektrischen Batterie sich vergleichen läßt. Die Wirkung ist zwar bedeutend schwächer als beim Zitteraale, aber immer noch schmerzhaft genug; erst wenn der Fisch durch wiederholte Schläge sich abgemattet hat, empfindet man beim Herausziehen aus dem Wasser nur noch ein Zittern. Die Schläge sind am heftigsten unter Wasser und um so fühlbarer, je größer die Fläche ist, welche berührt wurde. Das Thier gibt sie ganz willkürlich und läßt sich durch Reizung bewegen, viele nach einander auszutheilen; kleinere Thiere können betäubt oder selbst getödtet werden. Das elektrische Organ dient also den Zitterrochen ebensowohl, um Beute zu fangen, als größere Räuber von sich abzuwehren. Auf die von genannten Naturforschern angestellten Versuche glaube ich übrigens nicht eingehen zu müssen, da fast alles über die Wirkung einer elektrischen Batterie bekannte auch von diesen Fischen gilt und die eigenthümliche Fähigkeit bereits bei Beschreibung der Zitteraale besprochen worden ist.

Alle bekannten Zitterrochen gebären lebendige Junge, und zwar acht, zehn bis vierzehn auf einmal. Die Geschlechter begatten sich, wie bereits die Alten wußten, wirklich, indem sie sich mit dem Bauchtheile gegen einander kehren, und die Eier entwickeln sich sodann ziemlich gleichzeitig in den Eiergängen, welche zu beiden Seiten des Unterleibes etwas gekrümmt verlaufen, über der Mitte des Magens sich vereinigen, durch den Unterleib herablaufen und gegen das Ende hin mit [384] doppelten Klappen verschlossen werden. Die Alten berichteten, daß die Jungen von der Mutter bei Gefahr in das Maul genommen würden; von den neueren Beobachtern ist solches nicht bemerkt worden.

Für den menschlichen Haushalt gewähren die Zitterrochen keinen erheblichen Nutzen; es wird nicht einmal regelmäßiger Fang auf sie betrieben.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 382-385.
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