Eishai (Laemargus borealis)

[379] Vertreter dieser Gruppe ist der Eishai (Laemargus borealis und brevipinna, Squalus borealis, norvegicus und microcephalus, Scymnus borealis, glacialis, micropterus, brevipinna, microcephalus und Gunneri, Leiodon echinatum), ein Fisch von vier bis sechs Meter Länge und gleichmäßig aschgrauer Färbung, welcher das Nördliche Eismeer bewohnt, hier auf hoher See oder in großen Tiefen sich aufhält und nur an die Küsten kommt, wenn er eine Beute verfolgt oder seinerseits gejagt wird.

Nach den übereinstimmenden Berichten gibt er keinem seiner Familienverwandten an Kühnheit, Muth und Gefräßigkeit etwas nach. Er frißt, laut Fabricius, alles, was ihm vorkommt, Fische der verschiedensten Art, insbesondere Plattfische, Kabeljaus und Verwandte, junge Rochen und Delfine, Wale und, wie leicht begreiflich, auch Menschen. »Dieser Hai«, sagt Scoresby, »ist einer der Feinde des Wales. Er quält und beißt ihn, während er lebt, und frißt von seinem Fleische, wenn er todt ist. Mit seinem mächtigen Gebisse reißt er aus dem Leibe des riesenhaften Säugers halbkugelige Stücke von mehr als Menschenkopfgröße, eines nach dem anderen, bis er seinen Magen gefüllt hat. Beim Zerlegen des gefangenen Walfisches wetteifert er mit dem Menschen: während dieser den Riesen oben zerfleischt, beißt jener ihm ein Stück nach dem anderen aus dem Leibe heraus.« Scoresby erzählt, daß die Walfischfänger bei ihrer Beschäftigung oft von dem Rücken des Wales herab ins Wasser fallen, ohne von den massenhaft versammelten Haien belästigt zu werden; Fabricius hingegen gibt an, daß er die kleinen, mit Robbenfellen überzogenen Nachen der Grönländer mit seinem weiten Maule niederdrücken und den darauf Sitzenden die Beine abbeißen soll, weshalb ihn die Fischer fliehen, sobald sie ihn sehen. Seine Raubsucht ist so groß, daß er die eigene Art nicht verschont. Ein Lappländer verlor, wie Leems berichtet, einen an seinen Kahn gebundenen Eishai, ohne es zu merken, fing bald darauf einen größeren und fand in dessen Magen den verlorenen wieder. Gunner theilt mit, daß man in dem Magen eines dieser Fische ein Renthier ohne Hörner, in einem anderen eine Robbe gefunden hat.

Die Grönländer behaupten, daß er sehr gut höre und sogleich aus der Tiefe heraufkomme, wenn Menschen mit einander sprechen, schweigen also, wenn sie in seine Nachbarschaft kommen. Scoresby gibt gerade das Gegentheil an. »Die Matrosen«, sagt er, »bilden sich ein, der Eishai sei blind, weil er sich um die Menschen nicht im geringsten bekümmert, und so viel ist richtig, daß er sich kaum rührt, wenn er einen Messer- oder Lanzenstich empfangen hat. Er ist merkwürdig gleichgültig gegen Schmerz: einer, dessen Leib mit einem Messer durchstoßen war, entfloh, kehrte aber nach einer Weile wieder zurück zu dem selben Walfische, von dessen Rücken aus er seine Wunde erhalten hatte. Das kleine Herz schlägt höchstens sechs- bis achtmal in der Minute, aber auch noch stundenlang, nachdem es aus dem Leibe herausgenommen. Ganz ebenso gibt der übrige Leib, und wäre er auch in verschiedene Stücke getheilt, während einer ähnlichen Zeit unverkennbare Lebenszeichen von sich. Es hält demgemäß ungemein schwer, den Eishai zu tödten, und es bleibt gefährlich, den zähnestarrenden Rachen des vom Leibe getrennten Hauptes noch geraume Zeit nach der Hinrichtung zu untersuchen.«

Der Fang dieses so freßwüthigen Thieres ist leicht. Man bindet, laut Fabricius, einen Sack mit faulem Fleische oder einen Robbenkopf an einen Haken und schleppt ihn hinter dem Schiffe her; der Eishai umschwimmt den Köder, kostet ihn, läßt ihn aber wieder fahren. Zieht man ihn zurück, so erwacht beim Anscheine des Verlustes seine Begierde; er fährt plötzlich darauf los und verschlingt ihn. Ein wahres Vergnügen ist es nun, die Sprünge zu sehen, welche er macht, [379] um los zu kommen. Zuerst sucht er die Kette abzureißen; ist dies vergeblich, so stürzt er sich wüthend auf sie und zerreißt sich endlich selbst den Magen mit dem Haken. Nachdem sich »die Matrosen hinlänglich an seiner Qual ergötzt haben«, ziehen sie ihn in die Höhe, werfen ihm einen Strick um den Leib und hauen ihm, noch ehe er auf das Verdeck gebracht wird, Kopf und Schwanz ab, weil er mit letzterem, auch geköpft, noch gefährlich um sich schlägt. Merkwürdig ist, daß dieses freche Thier vor dem Pottwale sich überaus fürchtet, dem Strande zuschwimmt, ja sogar wirklich strandet und zu Grunde geht, daß er es nicht einmal wagen soll, sich einem todten Pottwale zu nähern, während er doch dessen Verwandte gierig verschlingt.

Grönländer und Isländer erklären sein Fleisch als das eßbarste aller Haie und genießen es frisch oder gedörrt, auch wohl nachdem sie es eine Zeitlang faulen ließen. Aus der Leber bereitet man einen Thran, welchen man hauptsächlich zum Schmieren, seltener zum Beleuchten benutzt. Mit der rauhen Haut polirt man die Zeltstangen oder fertigt sich aus ihr Schuhe und Pferdegeschirr.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 379-380.
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