Meeradler (Myliobatis aquila)

[389] In allen Meeren des heißen und der gemäßigten Gürtel, somit auch in der Nordsee, lebt der Adlerrochen oder Meeradler (Myliobatis aquila, Raja und Pastinaca aquila, Aquila marina), ein Fisch von einem bis anderthalb Meter Breite und acht bis zwölf Kilogramm Gewicht, welcher jedoch zuweilen eine riesige Größe und ein Gewicht von zwei- bis dreihundert Kilogramm erreichen soll. Die Färbung seines Leibes ist oben dunkelbraun, an den Seiten etwas heller, unten schmutzigweiß; die großen vorspringenden Augen haben eine graugrüne Regenbogenhaut und einen schwarzen Stern.

Risso sagt, der Adlerrochen komme regelmäßig bei Nizza vor und werde öfters erbeutet; Sonnini fand ihn an den egyptischen Küsten; die britischen Forscher erhielten ihn von Fischern, welche ihn unmittelbar an den Küsten Großbritanniens gefangen hatten. Couch bekam auch Eier mit so weit entwickelten Jungen, daß er diese zu bestimmen im Stande war. In der Lebensweise scheint sich der Fisch wenig von dem Stechrochen zu unterscheiden, soll jedoch ein rascherer und besserer Schwimmer sein als jener. Die Wunden, welche er mit seinem Stachel beizubringen weiß, werden ebenfalls sehr gefürchtet; ja, es ist in Italien gesetzlich verboten, einen dieser Fische mit seinem Stachel auf den Markt zu bringen. Sein Fleisch wird nur von dem gemeinen Manne gegessen, die Leber hingegen als Leckerbissen auf die Tafel der Schwelger gebracht.


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»Da ist der Teufel! Großer Lärm unter den Schiffsleuten! Alle griffen zu den Waffen und man sah nichts als Spieße, Harpunen und Flinten. Ich selbst lief herbei und sah einen großen Fisch wie ein Rochen, außer daß er zwei Hörner hatte wie ein Ochse. Er war immer von einem weißen Fische begleitet, welcher von Zeit zu Zeit aufs Plänkeln ausging und sich dann wieder unter ihm versteckte. Zwischen seinen Hörnern trug er einen kleinen grauen Fisch, den man des Teufels Lotsen nannte, weil er ihn leitet und kneipt, wenn er Fische bemerkt; auf diese stürzt dann der Teufel mit der Schnelligkeit eines Pfeiles.«

[389] So erzählt ein Schriftsteller, welcher zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts nach Siam reiste und 1685 seine Reisebeschreibung herausgab. Nach ihm sprechen andere Reisende und Forscher von denselben Teufeln, ausführlich unter anderen auch Levaillant, welcher unter dem zehnten Grade nördlicher Breite drei von ihnen beobachtete. Auch diese waren von Lotsenfischen umgeben und jedem saß auf dem Horne vor dem Kopfe ein weißer, armdicker, langer Fisch, welcher ihn zu leiten schien. Es gelang, den kleinsten Teufel zu fangen, und man fand, daß es ein Rochen war von neun Meter Breite und, ausschließlich des sechzig Centimeter langen Schwanzes, sieben Meter Länge. Das Maul war so weit, daß er leicht einen Menschen verschlucken konnte, der Rücken braun, der Bauch weiß. Das Gewicht schätzte man auf eintausend Kilogramm.

Man könnte versucht sein, diese Erzählungen mit Mißtrauen aufzunehmen, wären nicht neuerdings wiederholt ähnliche Riesen beobachtet und gefangen worden. Bei New York tödtete man einen Rochen, welcher fast die Größe eines Walfisches und ungefähr fünftausend Kilogramm an Gewicht hatte. Sein Leib war fünf, sein Schwanz einen Meter lang; die Breite von einer Brustflosse zur anderen betrug sechs Meter. Die Kräfte von zwei Gespann Ochsen, zwei Pferden und zweiundzwanzig Menschen reichten kaum hin, um das Ungethüm ans Land zu ziehen. Neuerdings beschrieb ein Amerikaner, Elliot, sehr ausführlich eine von ihm veranstaltete Jagd auf diesen Seeteufel, erzählt, daß derselbe im Meerbusen von Mejiko, wenn auch nicht gerade häufig, so doch regelmäßig vorkomme, außerordentlich rasch und zierlich schwimme, sich in merkwürdigen, sprungartigen Bewegungen durch das Wasser wälze, oft eine und die andere seiner Flossen über die Oberfläche desselben erhebend, gelegentlich sich in einer Ankerkette verwickele, das Schiff losreiße und dann, gereizt durch den sich an ihm festhängenden Anker, mit dämonischer Kraft hin- und herschleife. »Zuweilen, wenn auch nicht oft«, sagt er, »kann man sich dem riesigen Fische nähern, während er in seichtem Wasser seiner Nahrung, Garneelen und kleinen Fischen, nachgeht; immer aber hat man sich dann vorzusehen, weil seine Bewegungen außerordentlich schnell, wie die eines Vogels.« Der Mann beschreibt sehr ausführlich, wie er Jagd gemacht und nach vieler Mühe endlich einen dieser Fische gespießt, nach langem Kampfe getödtet, wirklich ans Land geschleift und gemessen habe: die Breite von einer Flossenspitze bis zur anderen betrug gegen sechs Meter.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 389-390.
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