Riesenhai (Selache maxima)

[375] In den Tiefen der hochnordischen Meere lebt ein Haifisch, welcher an Größe alle übrigen bekannten übertrifft und demgemäß den Namen Riesenhai mit vollstem Rechte führt. Er vertritt eine eigene Sippe (Selache), deren Merkmale in der kurzen, stumpfen Schnauze, den kleinen Spritzlöchern, den sehr großen, fast den Hals umschließenden Kiemenspalten und den kleinen, im Verhältnisse zur Größe kleinsten, schmalkegelförmigen, etwas nach innen gekrümmten Zähnen sowie den mit vielen Spitzen bedeckten Hautschuppen zu suchen sind. An Länge soll der Riesenhai (Selache maxima, Squalus maximus, peregrinus, isodus, elephas und cetaceus, Cetorhinus homianus und Gunneri, Polyprosopus macer und Rashleighanus) zwölf Meter, an Gewicht bis achttausend Kilogramm erreichen können. Die Färbung spielt auf bräunlichschwarzem Grunde ins Blaue, die der Unterseite ist weißlich.

Vom Nördlichen Eismeere aus erscheint dieser Hai zuweilen in der Nordsee und im Atlantischen Weltmeere, namentlich wenn westliche Winde längere Zeit angehalten haben. Man hat ihn an den Küsten von Wales, Cornwall, Devonshire, Dorsetshire und Sussex öfters beobachtet, auch wiederholt an den französischen Küsten gefangen. Im Jahre 1787 wurde bei St. Malo einer erlegt, welcher elf Meter lang war und acht Meter im Umfange hielt; im Jahre 1802 erbeutete man einen, welcher vorher sechsunddreißig Stunden mit einem Walfische gekämpft hatte, bei Boulogne. Im Eismeere soll er sich in den großen Tiefen aufhalten und hier nach Art der Wale allerlei kleinem Seegethiere, insbesondere Medusen, nachstellen, nach Rinck übrigens auch dem Aase todter Walfische nachgehen und leicht an der Angel gefangen werden. Gunner, ein norwegischer Bischof, erzählt einiges über seine Lebensweise und ist bis jetzt noch nicht widerlegt worden. Seiner Behauptung zufolge zeigt der Riesenhai nichts von der Wildheit anderer Verwandten, ist vielmehr ein vollkommen unschädlicher Fisch und bekundet erstaunliche Trägheit, Gleichgültigkeit und Dummheit. Ein Boot kann ihn verfolgen, ohne daß er sich beeilt, demselben zu entgehen; ja, er läßt dasselbe so nahe an sich herankommen, daß man ihm einen Wurfspieß zuschleudern kann, soll sogar, wenn er, sich behaglich sonnend, an der Oberfläche des Wassers umhertreibt, sich berühren lassen. Erst wenn er den Wurfspieß im Leibe fühlt, wirft er seinen Schwanz in die Höhe und taucht mit aller Gewalt unter. Nimmt er wahr, daß seine Bemühungen, zu entkommen, fruchtlos sind, so schwimmt er mit erstaunlicher Schnelligkeit fort und legt dabei eine derartige Kraft an den Tag, daß er Schiffe von siebzig Tonnen selbst gegen den Wind fortbewegt. Zuweilen macht er den Fischern zwanzig bis vierundzwanzig Stunden lang zu schaffen, ehe sie ihn überwinden können. Man jagt ihn nur wegen seiner Leber, welche, wie Gunner versichert, ein Gewicht von eintausend Kilogramm erreichen soll und einen trefflichen Thran liefert. Das Fleisch ist lederartig und von unangenehmem Geschmacke, wird jedoch trotzdem im Norden manchmal gegessen oder doch, in Streifen geschnitten, getrocknet und als Köder zum Fange anderer Fische verwendet.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 375.
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