Zunge (Solea vulgaris)

[191] Die Zunge (Solea vulgaris, Pleuronectes solea), ein höchstens sechzig Centimeter langer, bis vier Kilogramm schwerer Flachfisch, ist auf der Außenseite und an den Spitzen der Brustflossen schwarz, auf der Blindseite bräunlich. Die Rückenflosse spannen vierundachtzig, die Brustflosse sieben, die Bauchflosse fünf, die Afterflosse siebenundsechzig, die Schwanzflosse siebzehn Strahlen.

Vom Mittel- bis zum Eismeere fehlt die Zunge keiner Küste des westlichen Europa. In der Nordsee tritt sie sehr häufig auf, dringt auch in die hier mündenden Flüsse ein; in der Ostsee dagegen kommt sie nicht weiter als bis Kiel vor, erreicht hier auch nicht entfernt die Größe wie dort.

In besonders reicher Anzahl an Arten und Einzelwesen bewohnen die Flachfische namentlich die Meere des gemäßigten Gürtels, ohne jedoch in denen des heißen Gürtels zu fehlen. Nach Norden hin nimmt die Artenzahl rasch ab: in den britischen Gewässern werden, laut Yarrell, sechzehn Arten, im Kattegat nur noch dreizehn, an der Küste von Norwegen zehn, bei Island fünf, bei Grönland drei Arten gefunden. Ueber die fremdländischen Flachfische wissen wir noch viel zu wenig, als daß wir uns eines auch nur annähernd richtigen Ueberblickes rühmen könnten. Es soll deshalb [191] nur so viel bemerkt sein, daß die gestaltende Kraft der niederen Breiten auch innerhalb unserer Familie sich bemerklich macht, daß namentlich die Farbenvertheilung bei vielen der betreffenden Arten eine ganz andere, dem bunteren Grunde des Meeres vollkommen entsprechende ist. So zum Beispiel beherbergen die indischen und chinesischen Gewässer, welche überhaupt erstaunlich reich an eigenthümlich gestalteten und farbenprächtigen Fischen sind, eine Zunge, welche treffend Zebrazunge (Synaptura Zebra) genannt wird, weil sie längs der ganzen Augenseite querüber abwechselnd mit dunklen und lichten Bändern, welche sich auch über die bei ihr mit der Schwanzflosse verschmolzene Rücken- und Afterflosse fortsetzen, gestreift ist.

Mit Ausnahme des Heiligenbuttes lieben alle vorstehend beschriebenen Flachfische seichte, am liebsten sandige oder doch nicht schlickige, das heißt mit weichem, tiefem Schlamme bedeckte Stellen des Meeres. Mehrere Arten, insbesondere der Flunder und die Zunge, halten sich gern an Flußmündungen auf; ersterer unternimmt sogar zuweilen, den Strömen entgegengehend, Reisen bis weit in das Innere der Länder. In den englischen Flüssen, in der unteren Elbe und Weser, auch im Rheine bis zur holländischen Grenze, kommen Flunder regelmäßig vor; man hat sie aber auch schon zu wiederholten Malen in dem oberen Laufe derselben Flüsse, in der Elbe beispielsweise noch oberhalb Magdeburgs, im Rheine noch in der Nähe von Mainz und ebenso in der Mosel und im Maine gefangen. So träge nämlich die Flachfische zu sein scheinen, so gern wandern sie. Bei der außerordentlichen Häufigkeit der meisten Arten achtet man hierauf weniger, als es die Sache verdient. Von dem Heiligenbutte, einem für die Nordländer sehr wichtigen Nährfische, weiß man schon seit langem, daß er sich während des Winters mehr in der Tiefe aufhält und gegen das Frühjahr hin in die Buchten zieht. So erscheint er im Süden und Westen Islands mit dem Kabeljaue im März, wird im April häufiger und verweilt während des ganzen Sommers in der Nähe des Landes; im Norden der Insel hingegen kommt er erst im Mai, im Osten nicht vor dem Juli an; auch bei den Faröern und in Norwegen besucht er erst im Mai und Juni die nahe dem Lande gelegenen Gründe und verschwindet, wenn die rauhe Jahreszeit eintritt; in der Ostsee dagegen, insbesondere in der Kieler Bucht, fängt man ihn in größerer Anzahl nur in den Monaten Oktober, November und December. Ebenso wie er erscheinen und verschwinden alle übrigen Flachfische, auf welche man genauer geachtet hat. So wissen die Fischer, daß der Steinbutt in der südlichen Nordsee gegen Ende des März, in den nördlicher gelegenen Theilen desselben Meeres etwas später aus der Tiefe zu den Sandbänken aufsteigt und mit Eintritt der heißen Witterung wieder nach der Tiefe zurückzieht. Ebenso ist bekannt, daß der Glattbutt auf den Watten an der Elbküste vom April, an denen der Wesermündung vom Mai bis zum Juni, im Greifswalder Bodden dagegen vom Mai bis zum August am häufigsten auftritt. Erfahrene Fischer haben ferner erkundet, daß der Goldbutt, welcher in Bezug auf seine Wanderungen ebensowohl Winter- und Sommerbutt wie Scholle und Maischolle genannt wird, nicht allein zu gewissen Zeiten auf wohl überwachten Fangplätzen sich einstellt und wieder entfernt, sondern auch während seines Aufenthaltes auf höher gelegenen Sandbänken noch besondere Streifzüge unternimmt. Ich will unentschieden lassen, ob eine dem Fischmeister Hinkelmann von einem alten Schiffer gegebene Mittheilung vollkommen richtig ist, nach welcher der Seemann einmal einen ganzen Tag über Züge von Butten gesehen haben will, welche so dicht schwammen, daß man den Grund des klaren Seewassers nicht mehr zu erkennen vermochte; wohl aber halte ich die Beobachtungen der Fischer über das regelmäßige Erscheinen und Verschwinden des Goldbuttes für zutreffend und habe keine Ursache, an einer anderweitigen Angabe des eben genannten Fischmeisters zu zweifeln, daß der Butt auch im Sommer von einer Stelle zur anderen »fliege« oder ziehe, derart, daß man heute da nur wenige fängt, wo er gestern alle Netze füllte. Um bestimmtes zu geben, will ich, auf Wittmacks Zusammenstellung verschiedener Berichte mich stützend, sagen, daß der Goldbutt bei Büsum als sogenannte Wattscholle im November und December häufiger vorkommt, als sogenannte Seescholle aber erst im Sommer sich einstellt, ebenso wie er in der Flensburger Föhrde im Februar und März, in der Kieler Bucht [192] vom Mai bis zum August, bei Stralsund vom Februar bis April seinen Aufenthalt nimmt, obwohl er einzeln auch in anderen Monaten des Jahres gefangen wird. Hinkelmanns Erfahrungen zufolge trifft der Winterbutt in den Ostseebuchten bei Flensburg alljährlich im November ein und verweilt hier nunmehr bis zum Sommer, um welche Zeit er allgemach wieder verschwindet, also wohl nach tieferen Stellen der See zurückkehrt. Ebenso wie er kommt und geht der Flunder, ebenso die Zunge. Inwiefern die Fortpflanzung auf diese Wanderungen Einfluß hat, wissen wir noch nicht; es läßt sich ebensowohl annehmen, daß die Ortsveränderung bloß geschieht, um ein an Nahrung reicheres Gebiet auszunutzen.

In den Sitten und Gewohnheiten, insbesondere in der Art und Weise, sich zu bewegen, ähneln sich die Flachfische durchaus; man hat wenigstens bis jetzt noch nichts beobachtet, welches dieser Behauptung widerspräche. Sie liegen auf dem Grunde ihres Aufenthaltsortes, bis auf die Augen mehr oder weniger im Sande versteckt und, mit Ausnahme der Augen, bewegungslos, bis eine Beute sie hervorlockt oder ein Raubfisch sie vertreibt. Das Eingraben geschieht mit einer merkwürdigen Schnelligkeit durch wellenförmige Bewegungen ihrer Rücken- und Afterflossen, wodurch sehr bald ein flaches Loch ausgegraben und gleichzeitig die Rücken- und Bauchseite leicht mit Sand bedeckt wird. Eine einzige kräftige Bewegung genügt dann, die Sanddecke abzuschütteln und den Leib in die Höhe zu heben, worauf der Flachfisch unter fortgesetzten wellenförmigen Bewegungen seiner beiden Hauptflossen und der kräftigen Schwanzflosse weiter schwimmt, so, daß die Blindseite nach unten, die Rückenseite nach oben gerichtet ist. Wenn er eine jähe Bewegung ausführen will, tritt die Schwanzflosse ebenfalls in Wirksamkeit, und er schießt dann, getrieben von den kräftigen Schlägen dieses hauptsächlichsten Bewegungswerkzeuges und geleitet durch After- und Rückenflosse, sehr rasch durch das Wasser. Alle gefangenen Flachfische, welche ich beobachten konnte, bewegten sich stets in dieser Weise, also eigentlich seitlich. Yarrell behauptet, daß auch zuweilen das entgegengesetzte vorkomme, ein Flachfisch nämlich sich plötzlich drehe, mit der Breitseite senkrecht in das Wasserstelle und nun wie ein Blitz die Wellen durchschneide, sodann wiederum sich wende und auf den Boden herabsinke. Ob eine derartige Wendung bei jeder sehr beschleunigten Bewegung geschieht oder nur zufällig vorkommt, will ich unentschieden lassen; so viel scheint mir gewiß, daß der Flachfisch nicht in der von Yarrell angegebenen Weise schwimmen muß, sondern ebenso gut auch in seiner gewöhnlichen Lage das Wasser zu zertheilen vermag. Bei sehr langsamem Schwimmen nimmt der ganze Leib an dem wellenförmigen Spiele der Rücken- und Afterflosse theil; bei großer Eile sieht man nur die Schwanzflosse arbeiten.

Wirklich unterhaltend ist es, eine im Sande halb vergrabene Scholle zu beobachten. Ihre meist verschieden großen, sehr lebhaft gefärbten Augen, denen man einen Ausdruck von Klugheit und Verschmitztheit zusprechen möchte, werden abweichend von denen anderer Fische ohne Unterlaß bewegt. Sie können nämlich nicht bloß willkürlich gedreht, sondern auch wie die der Frösche emporgehoben oder herausgedrückt und wieder in ihre Höhlen zurückgezogen werden, spielen somit in den verschiedensten Richtungen, weil unter den verschiedensten Winkeln zur Oberfläche des Körpers. Ein förmliches Lid, die sehr entwickelte Nickhaut, trägt zu ihrem Schutze wesentlich bei. Diese lebhaft gefärbten Augen sind, streng genommen, das einzige, welches man von dem im Sande verborgenen Flachfische wahrnimmt. Die Färbung der Augenseite schmiegt sich dem Grunde und Boden des Gewässers genau in demselben Grade an wie das Haarkleid des Hasen dem Acker oder das Gefieder des Schneehuhnes dem Alpengelände, und wie bei dem letzteren wechselt die Färbung nach Zeit und Oertlichkeit, nur mit dem Unterschiede, daß der Wechsel nicht bloß zweimal im Jahre, sondern bei jeder Ortsveränderung eintritt. Alles, was wir dem Chamäleon andichten, finden wir bei den Flachfischen verwirklicht. Legt sich einer beispielsweise auf sandigen Grund, so währt es gar nicht lange, und Färbung und Zeichnung entsprechen diesem Grunde: die gelbliche Farbe tritt hervor, die dunklere verschwindet. Bringt man denselben Fisch, wie es in kleineren Behältern oft genug geschieht, auf anderen Grund, beispielsweise auf grauen Granitkies, so geht die Färbung [193] der Augenseite sehr bald in dieselbe über, welche dieser Grund hat: die früher gelblich erscheinende Scholle, Butte oder Zunge wird grau. Das jeder Art eigene Gepräge der Farbenvertheilung und Mischung verwischt sich dabei nicht, aber es ändert sich doch bedeutend um, und der Beobachter kommt ganz gewiß zu der Ueberzeugung, daß bei diesen Fischen auf die Färbung wenig Gewicht gelegt werden darf. Den Fischern ist es wohl bekannt, daß in diesem Theile des Meeres, der Färbung des Bodens stets entsprechend, eine und dieselbe Art der Flachfische dunkel, in jenem licht gefärbt ist. So nennt man in Großbritannien diejenigen Goldbutten, welche man auf dem sogenannten Diamantgrunde an der Sussexküste fängt, Diamantschollen, weil sie sich durch die Reinheit ihrer braunen Färbung und den Glanz ihrer Flecke vor allen anderen auszeichnen und im Einklange mit der Bodendecke des betreffenden Grundes eine so gleichmäßige Färbung und Zeichnung bekommen, daß man, wäre die Veränderlichkeit der Farbe nicht bekannt, versucht sein könnte, eine eigene Art oder Spielart in ihnen zu sehen.

In dieser absonderlichen Begabung, das Kleid den Verhältnissen anzupassen, erklärt sich wohl am besten die unverhältnismäßige Häufigkeit der Flachfische. Sie sind nicht fruchtbarer als andere Fische, ja, die Anzahl ihrer Eier kann sich mit der vieler Verwandten nicht messen; von den Jungen aber entgehen viel mehr, als es im allgemeinen die Regel sein dürfte, den räuberischen Nachstellungen und erlangen somit diejenige Größe, welche sie befähigt, sich selbst zu schützen. Denn auch die Flachfische sind Räuber, die großen Arten unter ihnen, welche sich selbst an Fische von der Größe des Kabeljaues wagen, sehr kühne, die kleineren, welche sich mit Krebsen verschiedener Art, Muscheln und Würmern genügen lassen, wenigstens äußerst gefräßige Raubfische. In der Mordlust und Raubgier kommen sich die großen wie die kleinen gleich. Sie verfolgen jede Beute, welche sie bewältigen zu können glauben, und scheuen sich auch nicht, schwächere der eigenen Art anzufallen: unter den norwegischen Fischern gilt es als ausgemacht, daß die Verletzungen der flachen Seiten und der Schwanzgegend, welche man so oft bei ihnen bemerkt, von den größeren derselben Art herrühren. Selbst die schlimmsten Feinde der Familie, Seewölfe und Rochen, finden in den großen Arten Vergelter und Rächer; der Heiligenbutt namentlich gilt als ein Verfolger der fast in derselben Weise wie er lebenden Rochen.

Die Fortpflanzung der Flachfische fällt in verschiedene Monate, im allgemeinen aber in die beste Jahreszeit, in den Frühling und Vorsommer nämlich. Für den Heilbutt werden die Monate Mai bis Juli, für Stein- und Glattbutt März bis Mai, für Goldbutt und Flunder Januar bis Juni, für die Seezunge Mai bis Juli angegeben. Um besagte Zeit nehmen die Eierstöcke der Roggener den größten Theil der Leibeshöhle ein, und die Hoden der Milchner strotzen von Samen. Der Laich wird auf demselben Grunde abgelegt, welcher unseren Fischen zeitweilig zum Aufenthaltsorte dient, vorzugsweise also auf sandigem Boden, außerdem zwischen Seegräsern und anderen Meerespflanzen, auch wohl auf länger stehenden Fischnetzen. Die Jungen bemerkt man ausgangs des Sommers, insbesondere während der Ebbe, weil sie, wie ihre Eltern, oft zu faul sind, mit eintretender Ebbe die seichteren Mee resstellen zu verlassen und tieferes Wasser aufzusuchen, vielmehr in den Sand gewühlt die Rückkehr der Flut abwarten. Etwas zierlicheres von einem Thierchen als solch jungen Flachfisch kann man sich kaum denken. Abgesehen von der Größe, ist er in jeder Beziehung, in Färbung, Zeichnung und Lebensweise, Sitten und Gewohnheiten der Alte, scheinbar aber viel schöner, beweglicher und deshalb anmuthiger. Wie kaum ein anderer Seefisch eignet er sich für die Gefangenschaft; denn er verlangt nicht einmal Seewasser, sondern gewöhnt sich leicht an das Wasser unserer Süßwasserteiche oder Flüsse und hält hier, falls es ihm nur nicht an Nahrung fehlt, vortrefflich aus. Liebhabern empfehle ich gerade diese Fische, also unsere Schollen, Butten und Zungen, auf das angelegentlichste.

Groß ist die Bedeutung der Flachfische für den menschlichen Haushalt. Alle Arten haben ein schmackhaftes, mehrere von ihnen ein vorzügliches Fleisch, welches noch besonders dadurch für eine ausgedehnte Benutzung sich eignet, daß es sich tagelang hält, dementsprechend auf weite Strecken [194] versandt werden kann. An den meisten Seeküsten ißt man nur die frische gefangenen Flachfische; im hohen Norden aber, wo die Ernte des Sommers zur Nahrung für den Winter dienen muß, bereitet man wenigstens die größeren Stücke für längere Aufbewahrung zu, indem man sie in Streifen schneidet und entweder einsalzt, oder an der Luft wie Stockfische trocknet, oder endlich räuchert. Besonders geschätzt sind Goldbutt, Kliesche und Steinbutt, aber auch die übrigen werden nirgends gering geachtet. Auf den Fischmarkt von London führen jährlich allein die Holländer, welche sich vorzugsweise mit dem Fange abgeben, für achtzigtausend Pfund Sterling Steinbutten, die Dänen für funfzehntausend Pfund Sterling ein, derer nicht zu gedenken, welche die britischen Fischer erbeuten, da höchstens ein Viertheil des Bedarfes der Weltstadt von den Holländern geliefert wird. Jene Summe von achtzigtausend Pfund Sterling bezieht sich übrigens nur auf die von den holländischen Fischern unmittelbar nach England gebrachten Steinbutten, nicht aber auch auf diejenigen, welche die Niederländer schon auf hoher See an englische Fischer verkaufen, um der Nichtbriten aufgelegten Steuer zu entgehen. Wie viele Steinbutten in Holland selbst, in Deutschland, Frankreich und Jütland verbraucht werden, läßt sich nicht bestimmen; doch darf man wohl annehmen, daß der Gesammtwerth dieses Theiles der Fischerei ebenfalls gegen drei Millionen Mark betragen mag, da das Kilogramm dieses Fisches gegenwärtig schon an der See bis zwei Mark werthet. Noch höher dürfte der Werth anderer Flachfische, beispielsweise der Goldbutten, Flundern und Zungen, sein, so billig man dieselben auch auf allen Fischmärkten der Küstenstädte verkauft. Hier berechnet man in der Regel nur die Zunge nach Gewicht und verlangt dann eine bis anderthalbe Mark für das Kilogramm, wogegen man Goldbutt und Flunder nach der Stückzahl verhandelt und für das Schock des ersteren im frischen Zustande eine bis vier, für das Schock der letzteren eine bis zwei Mark zu fordern pflegt. Zuweilen fängt man Flachfische in unglaublicher Anzahl. So kamen, laut Yarrell, eines Tages so viele Goldbutten auf den Londoner Fischmarkt, daß hunderte von Scheffeln unverkauft blieben. Erhebliche Mengen von ihnen wurden zu einem Penny das Dutzend losgeschlagen, obgleich die einzelnen Stücke nicht unter anderthalb Kilogramm wogen, somit also für zehn Pfennige unseres Geldes gegen zwanzig Kilogramm Fische verkauft. Demungeachtet gelang es nicht, den reichen Fang entsprechend zu verwerthen; es fanden sich, selbst als man funfzig Fische für vierzig Pfennige ausbot, keine Käufer mehr, bis endlich der Lord-Mayor den Befehl gab, die übrig bleibenden unter die Armen zu vertheilen. An Schollen werden, nach Yarrell, jährlich etwa sechsundachtzigtausend Scheffel auf den Markt zu Billingsgate geliefert. Auch der Fang der Heilbutten gibt zuweilen einen außerordentlichen Ertrag, weil man mit einer einzigen Langschnur manchmal drei, vier oder fünf dieser großen Fische herauszieht.

Mit den englischen, holländischen und dänischen Fischern können sich die deutschen, was den Ertrag ihrer Arbeit anlangt, noch immer nicht messen. Der Heilbutt kommt für unsere Küsten kaum in Betracht; vom Steinbutt werden alljährlich nur gegen drei-, vom Goldbutt und Flunder je gegen zwanzig-, von der Zunge gegen zehntausend Kilogramm nach dem Binnenlande versendet. Am fettesten ist das Fleisch im Spätsommer, am schlechtesten, hier und da sogar ungenießbar, im Spätherbste; gleichwohl werden gerade zu dieser Zeit viele Flachfische gefangen.

Der Fang auf Flachfische wird in sehr verschiedener Weise betrieben, je nach Oertlichkeit, Häufigkeit und auch nach Art der Fische. An die Jagd der Wilden erinnert das hier und da gebräuchliche Verfahren, während der Ebbe mit bloßen Füßen die mit Wasser angefüllten Lachen des Strandes zu durchwaden, die erfühlten Fische mit dem Fuße niederzutreten und dann einzusammeln. An günstigen Stellen der Küste wird auf diesem einfachen Wege oft reiche Beute gewonnen. Ergiebiger ist eine andere Fangart, das Schollenstechen. Sie beruht darin, daß der Fischer vom Boote aus bei stillem Meere den überfluteten Grund absucht und die erspäheten Flachfische mit einer Lanze anspießt oder auf sie ein mit Blei beschwertes, vielspitziges Werkzeug schleudert, welches er dann mit dem Fische an einer Leine wieder heraufzieht. Auf ebenem Grunde wendet man ein besonders gebautes Schleppnetz, in tiefem Wasser die Angel oder die Grundleine an.

[195] Vielfache Beobachtungen und Versuche, welche man anstellt, haben ergeben, daß sich Flachfische im süßen Wasser trefflich halten. Sie lebend zu versenden, verursacht nicht die geringsten Schwierigkeiten; denn ihre Lebenszähigkeit ist außerordentlich groß. Siebolds Meinung, daß sich wenigstens der Flunder wohl bei uns in Teichen und Seen erziehen lassen werde, hat gewiß sehr viel für sich; ich theile nicht einmal das von gedachtem Forscher ausgesprochene Bedenken: der gefräßige Fisch werde in unseren Süßgewässern nicht genug Nahrung finden, da die in England angestellten Versuche äußerst günstig ausgefallen sind, die versetzten Fische also doch wohl anstatt der Muscheln und Würmer des Meeres anderweitig genügende Nahrung gefunden haben müssen. M'Culloch berichtet von Zungen, welche man mehrere Jahre lang in einem Gartenteiche gehalten hatte, und behauptet, daß sie hier noch einmal so groß und fetter wurden als in der See. Ein anderer Fischer hat, nach Yarrell, über ein Jahrzehnt Zungen ins Süßwasser übergeführt; sie blieben in den Flüssen, gediehen vorzüglich, nahmen bedeutend zu an Gewicht und pflanzten sich fort. Die Angelegenheit verdient also gewiß die Berücksichtigung verständiger Fischzüchter.

In engerem Gewahrsame halten sich die Flachfische so leicht wie irgend ein anderer ihrer Klassenverwandten, gewöhnen sich sehr bald an die Enge des Beckens, wählen sich einen bestimmten Stand, lernen, wie ich wenigstens annehme, ihren Pfleger und selbst die Futterzeit kennen und scheuen sich nicht, diesem die ihnen vorgehaltene Nahrung aus der Hand zu nehmen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 191-197.
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