Keitschel (Ophiocephalus striatus)

[159] Eine zweite Art, der Keitschel (Ophiocephalus striatus, Wrahl und Chena), übertrifft den Verwandten an Größe und unterscheidet sich durch die beträchtlichere, bis fünfundvierzig und bezüglich sechsundzwanzig ansteigende Anzahl der Strahlen in der Rücken- und Afterflosse. Seine Länge beträgt einen Meter und darüber. Die Färbung der Oberseite ist ein düsteres Grünlichgrau, die der unteren ein gelbliches Weiß; die Zeichnung besteht ebenfalls aus ununterbrochenen Streifen, welche auch auf den Flossen als Punkte und Flecke sich fortsetzen. Das Verbreitungsgebiet scheint noch größer zu sein als das des Verwandten, da man ihn in Koromandel, Bengalen, Pegu und Celebes, hier noch sechshundert Meter über dem Meere, gefunden hat.

In der Zeitschrift der asiatischen Gesellschaft von Bengalen erschien im Jahre 1839 von einem Augenzeugen die Beschreibung eines Fisches, welcher von den Eingeborenen Butans im äußersten [159] Südwesten des Himalaya Boratschung, von den dortigen Europäern Grundfisch genannt wird. Nach Angabe der Butanesen soll dieser Fisch nicht in Flüssen, sondern auf vollkommen trockenen Plätzen, in der Mitte grasiger Dickichte, zuweilen zwei und mehr englische Meilen vom Wasser entfernt, gefunden werden. Hier suchen die Eingeborenen nach Höhlungen im Boden, beginnen, wenn sie solche gefunden, zu graben und fahren damit fort, bis sie auf Wasser und bald darauf auf den Boratschung, und zwar in der Regel auf ein Pärchen dieses Fisches, gelangen. Zieht man den gefangenen aus der Höhle hervor, und wirft man ihn auf den Boden, so bewegt er sich schlängelnd mit merkwürdiger Schnelligkeit.

Einige Jahre später berichtigte Campbell diese Angabe infolge eigener Untersuchung. Nach dem Befunde dieses Beobachters bewohnt der Boratschung allerdings Höhlen, aber nur solche, welche in die Uferwand eines langsam fließenden Stromes oder Sees eingegraben wurden, gewöhnlich so, daß der Eingang mehrere Centimeter unter der Oberfläche des Wassers liegt, der Fisch also im Stande ist, von seiner Höhle aus ohne weiteres das Wasser zu erreichen. Im übrigen bestätigt Campbell, daß man gewöhnlich zwei dieser Fische zusammenfindet, und zwar zusammengeringelt wie Schlangen. Die Höhlen sollen übrigens nicht von dem Boratschung selbst herrühren, sondern von gewissen Landkrabben ausgegraben und von jenem in Besitz genommen worden sein.

Aller Wahrscheinlichkeit nach ist der Boratschung ein Schlangenkopf; auf einen solchen nur passen die Angaben. Und nicht undenkbar erscheint der Bericht der Butanesen, daß sich ihr Boratschung auch fern vom Wasser in Höhlungen findet; denn man hat die Schlangenköpfe mehr als einmal auf trockenem Lande beobachtet, den Schlangen gleich von einem Gewässer zum anderen kriechend. Möglicherweise waren jene trockenen Stellen während der Regenzeit überschwemmt, und dem Boratschung blieb nichts übrig, als in den Höhlungen, welche früher in das Wasser ausgemündet haben können, den Eintritt der neuen Regenzeit abzuwarten; jedenfalls ist er vollkommen befähigt, lange Zeit auf trockenem Lande auszuhalten. Das Volk, welches ihn auf seinen Wanderungen antrifft, glaubt, er sei vom Himmel gefallen, und die indischen Gaukler lassen ihn auf dem Boden umherkriechen, um den Städtern einen wunderbaren Anblick zu verschaffen. Laut Buchanan übersteigt seine Lebenszähigkeit alle Begriffe. Er kriecht noch umher, nachdem man ihm die Eingeweide ausgerissen hat; einzelne Stücke bewegen sich halbe Stunden lang. Auf den Märkten, wo er seines weißen, wenn auch nicht besonders schmackhaften, so doch leichtverdaulichen Fleisches halber zum Verkaufe ausgestellt wird, schneiden die Händler dem Kauflustigen ein Stück des Leibes ab, und die Käufer verlangen, daß der Fisch, von welchem sie Fleisch entnehmen wollen, sich noch bewege; denn der letzte, vollständig abgestorbene Rest findet keine Abnehmer mehr. Die Europäer verschmähen ein Gericht Schlangenköpfe, weil sie sich mit dem Fleische eines Fisches, welcher in so auffallender Weise an Schlangen erinnert, nicht befreunden zu können glauben.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 159-160.
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