Karolinische Fangschrecke (Mantis carolina)

[543] Daß ein Weibchen nicht bloß einen Packen fertige, ließ sich nach dem Vorgange anderer Kerfe, welche gehäufte Eier legen, vermuthen und ist von Zimmermann an der carolinischen Fangschrecke (Mantis carolina) in Nordamerika unmittelbar beobachtet worden. Der Genannte erhielt die Fangschrecke am 2. Oktober, setzte sie in ein großes Glas und fütterte sie; am folgenden Tage legte sie Eier, starb aber nicht, wie er erwartet hatte, sondern verzehrte nach wie vor täglich einige Dutzend Fliegen, zuweilen auch mächtige Heuschrecken, dann einige junge Frösche und sogar eine Eidechse, welche dreimal so lang als sie selbst war. Was sie einmal beim Fressen verlassen hatte, nahm sie nicht wieder an, weil es kein Leben mehr besaß. Bald schwoll der Hinterleib bedeutend an und am 24. Oktober legte sie zum zweiten Male, aber ein weit kleineres Bündel. Nach Beendigung dieses Geschäfts, welches mehrere Stunden in Anspruch genommen hatte, fing sie abermals zu schmausen an, was ihr an lebenden Wesen vorgeworfen wurde. Wiederum schwoll der Leib an und ließ einen dritten Eierpacken erwarten. Wie es schien, verzögerten und verhinderten die kalten Novembernächte das Ereignis, und ohne daß ein solches eingetreten war, starb die Fangschrecke am 27. November. Am 26. Mai krochen die Eier des ersten und schon am 29. die des zweiten, drei Wochen später gelegten Bündels aus. Diese Beobachtung theilte Zimmermann damals brieflich an Burmeister mit und schickte die Belegstücke dazu ein, welche noch bei den reichen Schätzen des königlichen zoologischen Museums zu Halle aufbewahrt sind. Die Eipacken kommen der Kugelform näher als andere, welche ich gesehen habe. Nach der Ueberwinterung kriechen die Thierchen aus ihrer Wiege, in der Weise, wie die Abbildung zeigt, und häuten sich zum ersten Male schon, während sie die Eischale verlassen. Vor mehreren Jahren brachte mir ein Freund ein Eierbündel genau von der abgebildeten Beschaffenheit aus Spanien mit. Als Ende Juni, anfangs Juli eine Anzahl Gottesanbeterinnen zum Vorscheine kamen, war ich um so überraschter, als ich nicht im entferntesten an die Lebensfähigkeit der Eier gedacht hatte. Mit den Jungen ging es mir, wie weiland Rösel: sie bissen sich unter einander, wollten aber die kleinen Fliegen, welche ich für sie herbeischaffte, ebensowenig ergreifen, wie andere nach eigener Auswahl, als ich sie frei auf der Fensterbrüstung umherlaufen ließ, und starben nach wenigen Tagen, nachdem sie durch ihre possirlichen Stellungen, ihre Munterkeit, ihr Furcht und Keckheit zugleich verrathendes Wesen belustigt hatten. Es gelang Pagenstecher, die seinigen wenigstens bis zum August mit Blattläusen zu ernähren und einige fernere Häutungen zu beobachten. Etwa vierzehn Tage nach dem Ausschlüpfen erfolgt die zweite, im Verlaufe gleicher Zeit die dritte Häutung, und so mögen sie deren sieben zu bestehen haben, indem sich mit jeder folgenden die Fühlerglieder vermehren und [543] allmählich die Flügelscheiden sichtbar werden sowie gleichzeitig damit die Nebenaugen. Die Fußglieder kommen gleich anfangs in ihrer Fünfzahl vor. In Jahresfrist vollenden mithin die Fangschrecken ihren Lebenslauf.

Zahlreiche Arten, welche im wesentlichen denselben Bau haben, aber am Kopfe einen nach vorn gerichteten dolchartigen, auch zweispitzigen Fortsatz und am Ende der Schenkel einen nach hinten gerichteten Hautlappen führen, sind unter dem Gattungsnamen Vates von Mantis abgeschieden worden, und wieder andere, bei denen sich die männlichen Fühler durch eine Doppelreihe von Kammzähnen auszeichnen, bilden die Gattung Empusa, welche mit einer Art (Empusa pauperata) auch im südlichen Europa vertreten ist.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 543-544.
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