Dicke Buckelfliege (Phora incrassata)

[482] Als wunderliches Fliegenvölkchen empfehlen sich uns zum Abschiede die Arten der Gattung Phora und ihre nächsten Verwandten. Die kleinen, buckeligen Thiere rennen mit einer gewissen Wuth, einem Eifer, dessen Grund man nicht recht begreift, auf Blättern der Gebüsche, an Planken und mitunter auch an Fensterscheiben umher, fliegen wenig und ohne Ausdauer und kommen in mehr denn achtzig Arten über ganz Europa verbreitet vor. Der Kopf ist gesenkt und kurz, der Brustkasten hoch gewölbt und der Hinterleib abschüssig, wodurch eben das buckelige Ansehen des ganzen Körpers bewirkt wird. Jener trägt kurze, warzenförmige Fühler, deren große, bald nackte, bald befiederte Rückenborste sich hoch aufrichtet; die borstigen Taster stehen gleichfalls hervor. Durch verlängerte Hüften und breitgedrückte Schenkel erscheinen die Beine kräftig. Bis zur Mündung der stark verdickten zweiten Längsader trägt der Vorderrand der großen Flügel Stachelborsten. Bei genauerer Betrachtung hat man die eben genannte Ader für die dritte anzusehen, welche sich vorn öfters gabelt und zwei blaße Aeste in die Fläche sendet; von dem hinteren Aderstamme sind nur zwei vorhanden, die Analzelle fehlt stets. Die dicke Buckelfliege (Phora incrassata) ist glänzend schwarz, der Hinterleib mattgrau, sein erstes Glied am Ende weiß gerandet. Die Augen sind sehr fein behaart, die glashellen, an der Wurzel gelblichen Flügel werden nur von vier Längsadern durchzogen, deren erste (der obere Ast der dritten) mehr gerade erscheint und nicht S-förmig gebogen ist. An den pechschwarzen Beinen, deren vorderste von der Vorderhälfte der Schenkel an gelblich werden, fällt die kräftige Borstenbewehrung, besonders auch an den Hüften, bei dieser Art in die Augen. In den meisten Gegenden Deutschlands, in Schweden und Rußland kommt die Fliege den Sommer und Herbst hindurch auf Gesträuch und an Planken vor und kriecht in die[482] Bienenstöcke, um an ziemlich erwachsenen Larven in die noch nicht gedeckelten Zellen je ein Ei unter die Haut zu legen, und zwar so, daß sie die Legröhre zwischen zwei Leibesringen einführt und das Ei gleichlaufend mit der Längenaxe der Bienenlarve absetzt, das Kopfende desselben nach dem Kopfende dieser gelegen. Die Made muß im Eie schon fast vollkommen entwickelt sein, denn nach drei Stunden durchbricht sie die Eihülle und bohrt sich sofort in den Fettkörper der Bienenlarve ein, von welchem sie lebt. Sie wächst ungemein schnell; achtundvierzig Stunden nach dem Ausschlüpfen häutet sie sich zum ersten Male, und nun ist sie fein bestachelt; vierundzwanzig Stunden nach der ersten Häutung hat sie eine auffällige Dicke erlangt; nach abermals zwölf Stunden erfolgt die zweite Häutung, und das Wachsthum verdoppelt sich, so daß sie vierundzwanzig Stunden nach dieser eine Länge von noch nicht 2,5 Millimeter erlangt hat. Nach weiteren vierundzwanzig Stunden mißt sie fast 3,5 Millimeter, häutet sich zum dritten Male und ist vollkommen erwachsen, vorn zugespitzt, hinten gestutzt mit Endborsten und den beiden Luftlochträgern versehen, die des Vorderrückens treten pyramidenförmig heraus. Ungefähr zwölf Stunden nach der letzten Häutung verändert sie ihre Richtung in der Bienenlarve, welche scheinbar gesund ist, nun gleichfalls ihre Reife erlangt und sich eingesponnen hat, dreht sich ebenfalls in ihrer Zelle, dem Deckel den Hintertheil des Leibes zukehrend. Hat sich die Schmarotzerlarve umgewendet, so bohrt sie sich mitten durch das Leibesende ihres Wohnthieres, durch den Wachsdeckel, welcher die Zelle verschließt, läßt sich herabfallen und wird auf dem Boden des Stockes im Mulme zu einem Tonnenpüppchen, oder windet sich zum Flugloche hinaus und verwandelt sich in der Erde. Zwölf Tage darauf kriecht die Fliege aus, welche hinter Rindenschuppen überwintert. Diese interessanten Beobachtungen wurden von Aßmuß angestellt. Die verlassene Bienenlarve stirbt und geht in Fäulnis über. Die Phora ist somit ein gefährlicher Schmarotzer unserer Honigbienen und die Veranlassung der einen Art von sogenannten »faulbrütigen« Stöcken. Andere Buckelfliegen leben als Larven in faulenden Pflanzenstoffen, wieder andere wurden als Schmarotzer bei Schmetterlingsraupen, Käferlarven, Schnecken angetroffen, so daß die Gattung, wie in der Bildung des Flügelgeäders, so auch in der Lebensweise der verschiedenen Arten wenig Uebereinstimmendes bekundet.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 482-483.
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