Smaragdeidechse (Lacerta viridis)

[164] Unter den in Deutschland lebenden Arten steht, infolge ihrer Größe und Schönheit, die Smaragd- oder Grüneidechse, Gruenz der Tiroler (Lacerta viridis, bilineata, strigata, bistriata, chloronota, serpa, exigua, maculata, elegans, gracilis, smaragdina, versicolor und sylvicola, Seps viridis, Podarcis cyanolema), oben an. Sie erreicht hierorts vierzig, im Süden bis fünfundsechzig Centimeter an Länge, wovon nur ein Drittel auf Kopf und Leib zu rechnen, und erscheint, des langen Schwanzes halber, sehr schlank, ist aber in Wahrheit kräftig gebaut. Die Beschilderung des Kopfes zeichnet sich dadurch aus, daß die zwei vorderen von den vier Zügelschildern gerade über einander liegen, der Hinterhauptschild dreieckig und sehr klein ist und die Schläfengegend mit unregelmäßigen Schildern und Schuppen gedeckt wird, die des Leibes, daß die Bauchschilder in acht Längsreihen liegen und die Schilder des Halskragens gezähnelt sind. Im Zwischenkiefer stehen neun bis zehn, im Oberkiefer jederseits neunzehn bis zwanzig, im Unterkiefer dagegen dreiundzwanzig bis vierundzwanzig, am Gaumen endlich jederseits acht größere und einige kleinere Zähne. Die Färbung des Männchens, welches sich vom Weibchen durch längeren und höheren Kopf, gewölbtere Schwanzwurzel, stärkere Hinterbeine und meist auch durch bedeutendere Größe unterscheidet, ist ein lebhaftes, oft schimmerndes Grün in verschiedenen Abstufungen, von Bläulich- durch Smaragd- bis zu Seladongrün, welches auf der Unterseite in Grünlichgelb übergeht. Perlweiße und ebenso schwarze Punkte, erstere am Kopfe manchmal zu Perlflecken vergrößert, schmücken die Oberseite, wogegen die Unterseite, mit Ausnahme der oft blau gefärbten Kehle und Unterkiefer, stets einfarbig ist. Das Weibchen gleicht nicht selten dem Männchen bis auf die blaue Kehle, trägt aber in der Regel ein mehr oder weniger ins Braune spielendes, mit weißlichen, schwarzgesäumten Fleckenlängsreihen geziertes Kleid. Junge Thiere haben vorherrschend lederbraune Färbung. Beide Geschlechter ändern, je nach Alter und Heimat, nicht unwesentlich ab, und die aus dem Süden, insbesondere aus Dalmatien, stammenden Stücke sind immer schöner gefärbt als die im Norden lebenden.

[164] Als die eigentliche Heimat der Smaragdeidechse haben wir die Länder im Osten und Norden des Mittelmeeres anzusehen. Sie ist häufig in Portugal, nicht selten in Spanien, dringt in Frankreich bis Paris vor, findet sich in Italien, mit Ausnahme der Insel Sardinien, in der Süd- und Westschweiz, im südlichen Tirol, zählt auf der Balkanhalbinsel zu den gemeinsten Arten und erlangt hier auch leiblich ihre größte Entwickelung, bewohnt ebenso die Donauländer, Südrußland, die Krim, Kaukasien und Kleinasien, Syrien und Palästina und tritt endlich vereinzelt in Oesterreich und Deutschland auf, so im Donauthale von Wien bis Passau, in Mähren, Böhmen und anderseits in der Rheinpfalz, im Elsterthale bei Zeitz, bei Oderberg und auf den Rüdersdorfer Kalkbergen in der Mark Brandenburg, bei Danzig und auf der Insel Rügen; es ist jedoch keineswegs ausgeschlossen, daß man ihr auch noch in anderen Gegenden unseres Vaterlandes begegnen dürfte.


Smaragdeidechse (Lacerta viridis). 2/3 natürl. Größe.
Smaragdeidechse (Lacerta viridis). 2/3 natürl. Größe.

Zu ihren Aufenthaltsorten dienen ihr, vorausgesetzt, daß der Untergrund aus Kalk oder Buntsandstein besteht, die verschiedensten Oertlichkeiten, gleichviel, ob es sich um Ebenen, Hügelgelände oder Gebirge handelt. Vom Meeresgestade an bis zu tausend Meter unbedingter Höhe, im Eggenthale noch höher, hat man sie in jeder Höhenschicht wahrgenommen. Wo sie häufig ist, begegnet man ihr überall: so, laut Gredler, in Tirol an Felsen oder steinigen, von der Sonne durchglühten Stellen längs der Straßen, Feldwege und Flußufer, in Vorbergen und Gebüschen, spärlicher in der Ebene oder in Weinbergen, so, nach Bedriaga, in Italien auf Kalkbergen, welche hier und da mit niederem Gestrüppe bewachsen sind, so, laut Erber, in dem felsigen Dalmatien an allen Orten. »In einer Gruppe von Gesträuchern«, sagt Bedriaga, »hat ein Pärchen von Smaragdeidechsen sein Versteck. Die Thiere sonnen sich stets in einer gewissen Entfernung von ihrem Schlupfwinkel, damit auch nicht der geringste Schatten, durch das Gesträuch verursacht, auf [165] sie falle; sie liegen auf irgend einem Steine ihrer ganzen Länge nach, und ihre grelle Färbung sticht in auffallender Weise vom Felsen ab.« Recht gern besteigt die Smaragdeidechse auch Sträucher, um sich zu sonnen, ebenso Bäume, um größere Sicherheit zu genießen.

Ihre Bewegungen sind wundervoll, ebenso schnell als gewandt, ebenso zierlich als anmuthig. »Dem Blitze vergleichbar, kreuzt sie die Wege«, singt Dante von ihr; »beim Sprunge«, sagt Leydig, »schießt sie, mit gestrecktem Schwanze, pfeilähnlich, in geradester Richtung über ganze Flächen, und oft noch über das Ziel hinaus«. Verfolgt man sie, so sucht sie, laut Erber, auf Bäumen Zuflucht. Beunruhigt man sie auch hier noch, so entrinnt sie oft durch ungeheuere Sätze auf den Boden herab, und verkriecht sich unter Steinen oder in Erdlöchern. »Welche Wichtigkeit für die eilige, geradlinige Bewegung der lange Schwanz hat«, bemerkt Leydig, »kann uns klar werden, wenn wir zufällig Thieren begegnen, welche am Schwanze verstümmelt sind. Solche, obgleich sich in die Flucht stürzend, können nicht die pfeilschnellen Bewegungen gewinnen, sondern suchen durch einfachen Lauf, unter zahlreichen, raschen Schlängelungen des Leibes, zu entkommen.«

Alle übrigen Begabungen der Smaragdeidechse stehen hinter denen ihrer Artgenossen nicht zurück. Sie ist ebenso scheu als lebhaft, ebenso klug als beweglich. Hat man, laut Leydig, ein altes, meist für sich einsam lebendes Männchen mehrmals hinter einander aufgesucht, ohne seiner habhaft werden zu können, so lenkt das sich sonnende Thier immer um so früher seinem Schlupfwinkel zu, je öfter man in seine Nähe kommt. Und was das beachtenswertheste: die Smaragdeidechse unterscheidet und beurtheilt gar wohl einen schwer belasteten Landmann und läßt ihn, ohne ihre Lage zu ändern, an sich vorübergehen, während sie bei ansichtigwerden des Städters schon aus weiter Ferne sich zurückzieht. Im Käfige gibt sie fast tagtäglich Beweise ihres Verstandes: sie zählt unbedingt zu den klügsten Arten ihres Geschlechtes. Nur wenn sie, wiederholt gejagt, endlich unter einem locker liegenden Steine Zuflucht sucht und dieser aufgehoben wird, ergibt sie sich, ohne ferner zu flüchten, in ihr Schicksal; ebenso bleibt sie zuweilen, wenn man nach ihr schlug, ohne sie zu treffen, erschrocken sitzen und läßt dann leicht sich ergreifen. Doch wehrt sie jetzt sich durch Beißen, welches freilich dem Finger niemals gefährlich werden kann. Anders verhält es sich, wenn sie mit Artgenossen in Streit geräth. Gesellig, wie alle Eidechsen, lebt sie zwar mit ihresgleichen für gewöhnlich in leidlichem Frieden, macht jedoch schwächeren Arten gegenüber ihr Uebergewicht geltend und verfährt zuweilen wohl ebenso auch gegen jüngere Thiere ihres eigenen Geschlechtes.

Ihre gewöhnliche Nahrung besteht aus Kerbthieren, deren Larven, Schnecken und Würmern; doch bedroht auch sie Eier und Nestjunge der Vögel oder verzehrt ebenso kleinere Eidechsen ohne Bedenken, thut letzteres mindestens, wie Simons erfahren mußte, in der Gefangenschaft. Unter dem kleinen Geflügel kann sie während der Brutzeit in bedenklicher Weise hausen; denn ihre Kletterkünste kommen ihr beim Nestplündern sehr zu statten, und ihre Stärke ist immerhin so bedeutend, daß die kleinen Vögel ihr gegenüber waffenlos sind. Die Araber Syriens und Palästinas, welche sie und ihre Räubereien beobachtet haben, glauben und behaupten, daß die Vögel, welche Schlangenhaut in die Wände ihrer Nester verweben, dies nur aus dem Grunde thun, um sie, deren Todfeindin die Schlange ist, vom Neste abzuschrecken. Um eine so große Beute, wie eine Zaun- oder Mauereidechse, verschlingen zu können, packt sie dieselbe, laut Simons, in der Mitte des Leibes, zieht sie, kauend, mehrere Male vom Kopfe bis zum Schwanze durch das Maul, quetscht sie zusammen und verschlingt sie, ohne loszulassen, mit einer für Eidechsen überraschenden Leichtigkeit. Wie gefräßig sie ist, erfuhr Erber, welcher ihr, wie allen von ihm gepflegten Kriechthieren, die zur Ernährung bestimmten Kerbthiere zuzählte: eine einzige Smaragdeidechse verzehrte vom Februar bis zum November über dreitausend Stück größere Kerfe, darunter allein zweitausendundvierzig Mehlwürmer.

Südlich der Alpen zieht sich die Smaragdeidechse im November, in Deutschland fast einen Monat früher, zum Winterschlafe zurück; im Süden Griechenlands und Spaniens bleibt sie in manchen [166] Wintern beinahe immer in Thätigkeit. Bei uns zu Lande schläft sie bis zum April; in Südtirol zeigt sie sich schon im März. Im Mai oder Juni beginnen die jetzt im vollsten Farbenschmucke, im Hochzeitskleide, prangenden Männchen erbitterte Kämpfe mit gleich ihnen paarungslustigen Nebenbuhlern, und nicht selten büßt dabei ein oder das andere, zuweilen auch jeder der verbissenen Kämpen, seine Hauptzierde, den Schwanz, ein. Um die genannte Zeit geschieht die Paarung; einen Monat später, in der Schweiz oder in Deutschland nicht vor dem Juli, legt das Weibchen fünf bis acht bohnengroße, fast kugelrunde Eier von schmutzig weißer Farbe an einem passenden Orte ab, ungefähr wiederum einen Monat später, also im August, schlüpfen die Jungen aus und treiben es bald ebenso wie die Alten.

Von allen den oben genannten Feinden hat die Smaragdeidechse viel, von strengen Wintern und naßkalten Sommern noch mehr zu leiden. Charpentier erzählt, daß sie vor dem harten Winter von 1829 auf 1830 bei Bex sehr häufig war, nachher aber längere Zeit nur noch selten gesehen wurde, weil unzweifelhaft der größte Theil des Bestandes in den nicht genügend tiefen Löchern durch eindringenden Frost sein Ende gefunden hatte.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 164-167.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Feldblumen

Feldblumen

Der junge Wiener Maler Albrecht schreibt im Sommer 1834 neunzehn Briefe an seinen Freund Titus, die er mit den Namen von Feldblumen überschreibt und darin überschwänglich von seiner Liebe zu Angela schwärmt. Bis er diese in den Armen eines anderen findet.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon