Kelch-Sternkoralle (Astroides calycularis)

[486] Einer der am genauesten untersuchten Repräsentanten dieser Abtheilung ist die im Mittelmeere an vielen Stellen äußerst gemeine Kelch-Sternkoralle, Astroides calycularis. Am bequemsten macht sich der Besucher des Dohrn'schen Aquariums in Neapel mit ihr bekannt, wo die Wände einer der großen Grotten mit diesem stockbildenden Polypen bedeckt sind. Die fleischigen Theile sind gelbroth und das weiche Vorderende der Einzelthiere kann sich ungewöhnlich hoch ausstrecken. Sie sind nur am Grunde ihrer schlanken, röhrenartig nebeneinander stehenden Kelche mit einander verbunden, ohne Zwischenmasse, und gleichen dann der auch im Mittelmeere gemeinen Rasenkoralle, so daß der Stock keine besondere Festigkeit erlangt und mit geringer Gewalt zerbröckelt[486] werden kann. Der Gesammteffekt, wenn die Sonne auf diese lebendigen Wände scheint, ist ein äußerst prachtvoller und gibt eine Ahnung von dem, was den Reisenden auf den Korallenrissen der südlichen Meere erwartet. Wer die Koralle bei Neapel an ihrem natürlichen Standpunkte aufsuchen will, muß sich um das steil abfallende Kap des Posilippo herum nach dem kleinen Eiland Nisita rudern lassen. Schon die Felsengewölbe des Kaps sind unter Wasser mit einer Fülle niederer Thiere, darunter unsere Koralle, bekleidet. In größerer Menge findet sie sich aber in dem langen, aus dem Tuffelsen gehauenen, verdeckten und halb unter Wasser stehendem Kanale, dessen Oeffnung der Landungsstelle am Posilipp gegenüber liegt. Ein anderer Lieblingsaufenthalt ist die blaue Grotte in Capri, sowie die übrigen Höhlungen, welche man bei einer Rundfahrt um die liebliche Insel besuchen kann.

Ueber das Vorkommen der Astroides-Koralle an der afrikanischen Küste berichtet Lacaze-Duthiers mit gewohnter Anschaulichkeit und Ausführlichkeit. Seine Beobachtungen über die Entwickelung der Jungen und die Entstehung des Stockes sind höchst werthvoll. Wir lassen uns daher abermals von dem französischen Naturforscher erzählen. »Als ich mit der Untersuchung des Vorkommens und des Wachsthums der Edelkoralle in Algier beauftragt war, hatte ich meine Studien im Oktober begonnen und zwar zur Sicherheit des zu meiner Verfügung stehenden Küstenwachtschiffes in Fort Genois, westlich von Bona, wo der Ankergrund gut und verhältnismäßig sicher ist.


Kelch-Sternkoralle (Astroides calycularis). Natürliche Größe.
Kelch-Sternkoralle (Astroides calycularis). Natürliche Größe.

Fast einen Monat hindurch untersuchte ich die Edelkoralle, und bei den häufigen Exkursionen längs der Küste hatte ich etwa einen Fuß unter dem Wasserspiegel Bänke eines orangerothen Polypen beobachtet, welche die Felsen bedeckten, und deren vom Meere gerollte und gebleichte Stöcke ich an den kurzen sandigen Uferstrecken hier und da in den kleineren Buchten gefunden hatte. Wiederholt hatte ich auch beim Baden Gruppen dieser schönen Thiere abgebrochen und bewundert. Obwohl ich damals und später, im April und Mai, diese Polypen-Rasen anschnitt, konnte ich nichts auf die Fortpflanzung bezügliches entdecken. Erst im Juni, als zufällig einer meiner Matrosen ein Stück von dem Gebilde abtrennte, welches ihnen allen unter dem Namen ›Polyp‹ bekannt war, und als dabei einige Thiere auseinander gerissen wurden, sah ich kleine, orangeroth gefärbte Körperchen[487] im Wasser schwimmen. Ich sah mir die Polypen näher an und überzeugte mich, daß sie in voller Fortpflanzungsthätigkeit begriffen seien.« Dies war der Ausgangspunkt der Studien von Lacaze-Duthiers über Astroides, welche er mehrere Jahre hindurch fortsetzte, und aus denen hervorging, daß die Zeit der Vermehrung zwischen April und August fällt, vorzugsweise aber auf den Juni.

Ueber die besonderen Verhältnisse des Vorkommens und Lebens unseres Polyps an jenen Küsten erfahren wir folgendes: »Gleich vielen anderen Polypen pflegt auch er sich etwas unter den Felsen anzusiedeln; das direkte Sonnenlicht vermeidet er. In Fort Genois, Bona, auf den Riffen halbwegs zwischen Bona und Fort Genois, in Lacalle, im Hafen von Algier, sieht man in geringer Tiefe an den Abhängen der Felsen schöne orangerothe Streifen mitten unter den dicht und haufenweise wachsenden Organismen, wie Korallinen, Melobesien, Schwämmen, Wurmschnec ken, Moosthieren usw., kurz, unter jener Fülle verschiedener Wesen, welche sich unter der Strandzone entwickeln, in dieser lufthaltigen Schicht den Kampf um das Dasein kämpfen und jene flächenhaften Anhäufungen bilden, welche de Quatrefages in seinen reizenden ›Erinnerungen eines Naturforschers‹ (Souvenirs d'un Naturaliste) und seiner ›Sicilianischen Reise‹ (Voyage en Sicile) geschildert hat.«


Larven von Astroides calycularis und junge festsitzende Thiere. Natürliche Größe.
Larven von Astroides calycularis und junge festsitzende Thiere. Natürliche Größe.

Wo sie am besten gedeihen und am dichtesten stehen, in einigen kleinen Buchten, entblößt sich bei jedem Zurückrollen einer Welle ein rother Streifen. Die beste Unterlage für das Ansetzen und die Ausbreitung der Polypen bilden harte Gesteine, Gneisse und Glimmerschiefer, wie sie sich bei Fort Genois und Bona finden. Ganz anders ist es bei Lacalle, wo die Küste aus einem bröcklichen Sandsteine besteht. In diesem höhlt das nimmer ruhige Meer senkrechte, schornsteinähnliche Löcher aus, oft so weit, daß ein Mensch in ihnen Platz findet. Aus diesem Material besteht auch die kleine vor Lacalle liegende Insel Maudite. Ihre Ufer sind ganz von diesen Höhlungen und Röhren durchsetzt, aber auch in denen, welche, unten geschlossen, am günstigsten zur Aufnahme der Polypen zu sein schienen, fand Lacaze-Duthiers dieselben nur sparsam und von geringerer Größe, während in den an beiden Enden offenen, durch welche das Wasser bei einigem Wogengang mit Gewalt getrieben wird, gar keine Ansiedelung von Polypen und anderen Thieren sich halten kann. Dieselbe Erscheinung kann man in den festeren vulkanischen Felsen des kleinen Hafens der Westküste von Capri, der sogenannten piccola marina, beobachten, wo die anbrausenden, sich in die Höhlungen pressenden Wogen dicke Strahlen oben hinaustreiben und thierisches Leben nicht aufkommt.

Trotz alledem gab es an der Insel Maudite noch so viele Astroides, daß im Monate Juni täglich frisches Material in die Gefäße zur Untersuchung gesetzt werden konnte und daß Lacaze-Duthiers wiederholt, mit einer Hand schwimmend, mit der anderen die in dem krystallhellen Wasser leicht erkennbaren Larven direkt in das Glas schöpfen konnte. Die auf diese Weise ohne die mindeste Verletzung und Störung gefangenen Thierchen setzten sich am schnellsten an den Wandungen des Gefäßes fest. Die einfachste Weise, die Larven zu sammeln, ist, ganze Stöcke in ein größeres Gefäß zu bringen, wo dann, indem man die einzelnen Kelche drückt oder öffnet, die Jungen [488] sehr bald und in Mengen zum Vorscheine kommen und sich mit einer kleineren Schale von der Oberfläche gleichsam abnehmen lassen. Unter Beobachtung der allen Wasserthiere untersuchenden Zoologen bekannten Vorsichtsmaßregeln, öftere tägliche Erneuerung des Wassers, Durchlüftung desselben und anderes, ließen sich in den Sommermonaten die Larven an der afrikanischen Küste trotz der Hitze mehrere Tage bis zwei Monate lebendig erhalten, und konnte ihr Uebergang in den seßhaften Zustand genau beobachtet werden. Die Jungen kriechen in der großen gekammerten Magen- und Leibeshöhle der Mutter aus dem Eie und schwimmen eine Zeit lang in den mütterlichen Räumen munter umher, bis sie entweder zufällig oder freiwillig den Ausweg durch den Mund finden oder durch Pressen und Zusammenziehungen der Mutter zur Selbständigkeit entlassen werden. Die länglichen, kleinen Würmchen gleichenden Larven haben ein etwas verdicktes Hinterende, das beim Schwimmen aber vorangeht. Am anderen Ende hat sich sehr bald nach dem Auskriechen der Mund bemerklich gemacht.


Entwickelungszustände von Astroides calycularis. Vergrößert.
Entwickelungszustände von Astroides calycularis. Vergrößert.

Sie können übrigens ihre Gestalt außerordentlich verändern und schwimmen vermittels ihres Wimperkleides sehr gewandt und lebendig. Bei einigen dauerte dieser freie Zustand, wie gesagt, über zwei Monate; die gewöhnliche Zeit, welche sie nach der gewaltsamen Geburt bis zur Fixirung im Aquarium zubrachten, betrug dreißig bis vierzig Tage. Unter den natürlichen Bedingungen scheint das Schwärmen im freien Meere dadurch abgekürzt zu werden, daß sie länger in der Leibeshöhle der Mutter zurückgehalten werden; auch übte ein einfallender starker Sirocco den Einfluß auf die Larven aus, daß sie sich zusammenzogen unter dem Anscheine von Ermattung und sich festsetzten.

Der Uebergang der wurmförmigen Larve in den Polypen geschieht wie bei den Actinien. Die Larve preßt das dicke vorausgehende Ende gegen einen harten Körper und kann sich in kürzester Zeit zu einer kuchenförmigen Scheibe zusammenziehen. Längsfurchen zeigen sich am oberen Pole, wo der Mund sich tiefer versenkt. Am Ende der Furchen sprossen die zweimal sechs Fühler hervor. Unsere drei Abbildungen, in einer Vergrößerung von vierundzwanzig, zeigen die schnell auf einander folgenden Veränderungen, mit denen das Thier eine Gestalt und Beschaffenheit angenommen hat, in der es von einer jungen Actinie kaum zu unterscheiden ist. Nur die schon begonnene Ablagerung von Kalktheilen zeigt die Zukunft an. Wir können Astroides calycularis nicht verlassen, ohne uns die Bildungsweise seines Stockes erklärt zu haben, da, was für diese Art gilt, mit geringen Abweichungen für alle übrigen stockbildenden Polypen seine Anwendung findet und uns in Stand setzt, eine der wichtigsten und mächtigsten Erscheinungen in dieser Thierklasse zu begreifen.

Man könnte sich denken, wenn man von dem fertigen Stocke auf den Vorgang seiner Entstehung schließen wollte, daß er in allen seinen Theilen zugleich als ein zusammenhängendes Ganzes gebildet [489] würde. Weit gefehlt. Die ersten Spuren des Stockes zeigen sich als kleine knotige oder längliche mikroskopische Kalkkörperchen, von den Franzosen mit einem recht passenden, diese Bildungen von anderen ähnlichen in anderen Thierklassen unterscheidenden Namen, Scleriten, benannt.


Madrepora verrucosa. A Kleiner Stock in natürlicher Größe. B einige vergrößerte Kelche, zwei vertikal durchschnitten.
Madrepora verrucosa. A Kleiner Stock in natürlicher Größe. B einige vergrößerte Kelche, zwei vertikal durchschnitten.

Sie werden bei Astroides ungefähr zu der Zeit abgelagert, in welcher die Entwickelung der Fächer und Scheidewände beginnt. Sie entstehen, wie schon oben gesagt, in der mittleren Leibesschicht. Die zuerst erscheinenden Harttheile gehören also den Scheidewänden oder Septa an, nicht, wie man doch eher vermuthen möchte, der Mauer. Diese entsteht in zweiter Linie, dann folgt das Fußblatt und zuletzt die Säule. Ueberall geschieht die Verdickung und Verkalkung durch Anhäufung einzelner Kalkkörperchen, welche einander näher rücken, sich berühren und endlich mit einander zum festen, aber immer noch veränderlichen Stocke verschmelzen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 486-490.
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