[455] Viel zahlreicher, durch zarte Farben auffälliger, sind die größeren charakteristischen Formen der nach ihrer Gestalt benannten Schirm- oder Scheibenquallen. Ich erinnere mich eines köstlichen fast windstillen Tages, wo ich auf einem Kauffahrer in der Nähe der südnorwegischen Küste an tausenden und abertausenden der gelblichen und gelbröthlichen Cyaneen und Chrysaoren vorbei trieb. Die westlichen Ostseehäfen werden bei anhaltenden nördlichen Winden oft mit ganzen Bänken der blauen Meduse (Medusa aurita) angefüllt, und wenn ich auch ähnliche massenhafte Anhäufungen im Mittelländischen und Adriatischen Meere nicht erfahren, so habe ich selten da und dort eine Ausfahrt gemacht, ohne vielen oder wenigstens einigen der prächtigen Wurzelmäuler (Rhizostoma) zu begegnen. An schönen Frühlingstagen sieht man sie auch fast regelmäßig unmittelbar am Strande, wo denn diese und jene der großen lebendigen und röthlichblauen Halbkugeln scheitert und bald zu einem Nichts sich auflöst. Denn alle Quallen haben ein so wasserreiches Körpergewebe, daß, wenn man mäßig große scheibenförmige Exemplare auf Fließpapier legt, sie bis auf eine ihre Umrisse wiedergebende Zeichnung, einen der natürlichsten Naturselbstdrucke, verdunsten.


 Chrysaora ocellata. Natürliche Größe.
Chrysaora ocellata. Natürliche Größe.

Die größeren einen halben Zoll bis über einen halben Fuß im Durchmesser habenden Medusen sind denn auch die allen Küstenbewohnern sehr bekannten Repräsentanten dieser Coelenteraten-Gruppe. In ihnen hat sie die höchste Entwickelung erreicht. Den größten Theil des Körpers bildet der nach oben abgerundete Schirm, dessen Rand gewöhnlich mit vier bis acht und mehr augenartigen, gefärbten Punkten, mit einem guirlandenförmigen Besatze oder einer zusammenhängenden aus- und einstülpbaren Schwimmhaut sowie mit dehnbaren Fäden versehen ist. In der Mitte der Unterseite der Scheibe ist der Mund, bei einigen Formen am Ende eines hervortretenden Stieles, und fast immer von einigen dickeren Fangarmen mit gefalteten Rändern umstellt. Aus dem Magen verlaufen Kanäle oder sackförmige Räume nach dem Umkreise der Scheibe, wo sie in einen Ringkanal einmünden. Letzterer ist nicht selten mit Oeffnungen versehen. Die Uebereinstimmung dieses Magengefäß-Apparates mit der Einrichtung bei den Rippenquallen ist klar. Die Fortpflanzungswerkzeuge liegen entweder in besonderen [455] Taschen um den Magen herum oder in bloßen Erweiterungen jener Gefäße. So ausgerüstet, ausgerüstet namentlich auch über die ganze Körperoberfläche mit unzähligen mikroskopischen Nesselkapseln, schweben die Thiere in dem Elemente, welches die meisten Arten an specifischem Gewichte um ein Minimum übertreffen.

Ueber die Bewegungen der Schirmquallen hat uns neuerdings Eimer ausführliche Beobachtungen mitgetheilt. »Man hat meines Wissens«, sagt er, »bis jetzt allgemein bei den Zusammenziehungen des Me dusenschirmes nur an willkürliche Bewegungen gedacht, hervorgerufen durch die Kontraktionen seiner Muskulatur, dienstbar in erster Linie der Ortsveränderung und zugleich der Athmung und Cirkulation.


Wurzelmundqualle (Rhizostoma Cuvieri). Kleines Exemplar.
Wurzelmundqualle (Rhizostoma Cuvieri). Kleines Exemplar.

An der vollgültigen Richtigkeit dieser Auffassung dürften schon die folgenden Thatsachen Zweifel erregen, welche uns die Beobachtung des lebenden unverletzten Thieres an die Hand gibt.

Die Kontraktionen der Scheibe der unverletzten Aurelia (Medusa) aurita finden bei Tage beständig statt und, wie es scheint, ebenso bei Nacht. So oft ich wenigstens zur Nachtzeit meine Thiere besuchte, traf ich ihren Schirm in Thätigkeit.

Auch wenn die Thiere sich nicht von der Stelle bewegen, dauert diese Thätigkeit fort. Sie kann unterbrochen werden, aber nur auf kurze Zeit. Geschieht dies, so steigt das Thier unter regungsloser Haltung langsam nach oben, bis es unmittelbar unter der Oberfläche des Wassers angelangt ist, wo es gerne einige Augenblicke unbeweglich verweilt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 455-456.
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