Menschlicher Grubenkopf (Bothriocephalus latus)

[172] Das Register derjenigen Bandwürmer, deren Leben mit der Existenz unserer Hausthiere und unseres eigenen Leibes verkettet ist, muß noch, mit Uebergehung einzelner minder wichtigen und weniger bekannten Formen, durch eine einer anderen Gattung und Familie angehörige Art, den Grubenkopf (Bothriocephalus latus), vervollständigt werden. Die Grubenköpfe, insofern sie sich von den Tänien scheiden, haben einen abgeplatteten Kopf, der jederseits mit einer länglichen, tiefen Sauggrube versehen ist. Die meisten Arten leben geschlechtsreif in kaltblütigen Thieren, namentlich in Fischen, einzelne in Vögeln und Säugethieren, und die wichtigste ist natürlich die den Menschen heimsuchende. Kein anderer menschlicher Bandwurm erreicht die Länge des Bothriocephalus latus, nämlich fünf bis acht Meter, mit drei- bis viertausend kurzen und breiten Gliedern. Der Kopf ist keulenförmig, einen Millimeter lang und einen halben Millimeter breit. »Der Verbreitungsbezirk des Grubenkopfes ist weit enger als der der Taenia solium. Außerhalb Europas ist unser Wurm mit Sicherheit noch niemals beobachtet worden, und auch in Europa sind es nur gewisse Länder und Gegenden, die von ihm heimgesucht werden. Obenan unter diesen Lokalitäten stehen die Kantone der westlichen Schweiz mit den angrenzenden französischen Distrikten – in Genf soll fast ein Viertheil aller Einwohner am Bothriocephalus leiden – die nordwestlichen und nördlichen Provinzen Rußlands, Schweden und Polen.


a Kopf und reife Glieder des menschlichen Grubenkopfes in natürl. Größe. b Kopf desselben vergrößert.
a Kopf und reife Glieder des menschlichen Grubenkopfes in natürl. Größe. b Kopf desselben vergrößert.

In Holland und Belgien wird der Bothriocephalus gleichfalls gefunden, aber im ganzen, wie es scheint, seltener als in den ersterwähnten Ländern. Auch unser deutsches Vaterland beherbergt denselben in einzelnen Distrikten, namentlich in Ostpreußen und Pommern.

Schon seit lange hat man die Beobachtung gemacht, daß sich die Bothriocephalus-Gegenden und Orte durchweg durch Wasserreichthum auszeichnen. Es sind entweder Küstenstriche, die den Bothriocephalus beherbergen, wie die Ostseeprovinzen und die Länder des Bottnischen und Finnischen Meerbusens, oder es sind die Niederungen größerer Seen und Flüsse; begreiflich, daß man diesen Umstand vielfach mit der Anwesenheit unseres Bandwurmes in Beziehung zu setzen versuchte. Es sollte die Fischnahrung sein, die als ursächliches oder doch wenigstens als begünstigendes Moment der Entwickelung des Bothriocephalus bedinge. Man trug nicht einmal Bedenken, die schuldigen Fische namhaft zu machen, und bezichtigte geradezu die wohlschmeckendsten, die Lachse und Forellen, des heimlichen Schmuggels mit Bothriocephalus-Keimen. Doch ist es bis jetzt noch immer ungewiß, ob man mit dieser Vermuthung das Richtige getroffen hat.« (Leuckart.)

Leider kennt man von der Entwickelungsgeschichte des Grubenkopfes bis jetzt nur ein Bruchstück. Die Entwickelung der Eier geht erst vor sich, nachdem sie monatelang im Wasser gelegen. Man sieht durch die Eischale hindurch den uns von den Tänien her bekannten sechshakigen Embryo. Allein beim Ausschlüpfen, das durch Abheben eines besonderen Deckelchens des Eies geschieht, schlüpft nicht, wie dort, eine nackte, sondern mit einem Kleide langer Flimmern bedeckte Larve hervor, welche vier bis sechs Tage hindurch sich langsam im Wasser bewegt und dann ihren Flimmermantel abstreift. Da über die weiteren Schicksale der Larven die Gelehrten selbst noch sehr uneins sind, wollen wir ihre Vermuthungen und Ansichten hier übergehen. Im Darmkanale des Menschen hält der Grubenkopf bis zwanzig Jahre aus; im allgemeinen aber ist die Frist eine weit kürzere, auch kann er wegen seiner schwächeren Befestigung leichter abgetrieben werden.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 172-173.
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