Microstomum lineare

[147] Ich bilde hier ein kleines, denselben angehöriges Wesen ab, was ich vor Jahren bei Gratz entdeckt, und das mir deshalb interessant ist, weil es ein bisher nur bei seebewohnenden Turbellarien gefundenes Organ besitzt. Ich nenne es das einäugige Engmaul, Stenostomum monocelis. Die enge Mundöffnung (o) mit dem darauf folgenden engen Schlunde bei gestrecktem Körper und gewissen anderen anatomischen Eigenthümlichkeiten weist es der Gattung Stenostomum zu. Das vor dem Munde liegende helle Bläschen (s) ist ein augenartiges Organ, möglicherweise auch ein Gehörwerkzeug und war, wie gesagt, bisher nur bei einigen in der See lebenden Gattungen bekannt. Für den Specialkenner wird die vorliegende, bei Gratz lebende Form ein willkommenes Zwischenglied zur Gattung Monocelis.


Einäugiges Engmaul (Stenostomum monocelis). Stark vergrößert.
Einäugiges Engmaul (Stenostomum monocelis). Stark vergrößert.

Wir sehen ferner an unserem Thierchen ein geschlängeltes Wassergefäß (v), dessen Verzweigungen nur hier und da bei stärkerer Vergrößerung deutlich werden. Was uns aber am meisten interessirt und uns die Fortpflanzungsgeschichte der Ringelwürmer Nais, Autolytus und Myrianida ins Gedächtnis zurückruft, ist die Knospenbildung am Hinterende. Im Juni, wo ich die Thierchen anhaltend beobachtete, fand ich selten ein Einzelwesen, gewöhnlich ein »Vorderthier« als Mutter, mit einem »Hinterthier«, ihrer töchterlichen Knospe. Dabei sorgt die Mutter zugleich auf andere Weise für die Erhaltung der Art, indem in ihrem Hinterleibe ein Paket Eier (e) sichtbar ist. – Durch diese Knospenbildung zeichnet sich auch die andere nahe verwandte Gattung Microstomum aus, welche als Microstomum lineare im mittleren Deutschland und auch am Ostseestrande gefunden wird.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 147.
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