Gemeine Sepie (Sepia officinalis)

[204] Eine der wichtigsten und in vielen populären und elementaren Werken am häufigsten genannten Gattungen der zehnfüßigen Cephalopoden ist die Sepia (Sepia), mit deren Namen man auch den Dintensaft und die daraus gewonnene Malerfarbe bezeichnet, und deren kalkiger Rückenschulp wenigstens von allen Apothekern, welche eine Prüfung bestehen, als os sepiae (Sepienknochen) gekannt sein muß. Die Sepien haben einen ovalen, verlängerten, etwas platten Körper, der ringsum von einer Flosse umsäumt ist. Am weitesten verbreitet und häufigsten, namentlich im ganzen Mittelmeere, ist die gemeine Sepia (Sepia officinalis). Ihre Arme sind mittelmäßig lang, nur die Greifarme sind länger als der Körper, ihr napftragendes Ende lanzenförmig. Der platte, ovale Rückenknochen ist mit dem abgerundeten, gleichmäßig geschärften Ende nach dem Kopfe gerichtet; am anderen Ende befindet sich ein Ausschnitt, in welchen von der Mittellinie aus ein Dorn hineinragt. Man unterscheidet leicht die drei Lagen des Schulpes. Nach außen ist eine feste, dünne Kalkschicht mit chagrinirter, feinhöckeriger Oberfläche. Die mittlere Schicht ist ein dünnes Hornblatt; das größte Volumen nehmen sehr zahlreiche schief nach oben gerichtete Kalkblättchen ein, welche sich unter einander verbinden und die dritte Schicht bilden. Es sind dies Blättchen, welche man zu Zahnpulver zerreibt, und die beim Glätten und Poliren wirken.

Im Zustande der Ruhe herrscht auf der ganzen Rückenfläche eine rosagelbliche irisirende Färbung vor, mit weißen Flecken in der Mittellinie. Der Kopf ist etwas farbiger, die Augenkugeln bläulich, die Arme grünlich, ebenfalls mit weißen Flecken in bestimmter Anordnung und Menge nach den verschiedenen Armpaaren. Die Flossen, welche als unmittelbare Fortsetzungen der Rückenhaut erscheinen, sind durchsichtig violett gefärbt und bedeckt mit kleinen undurchsichtigen weißen Flecken. Die Männchen sind an einer weißen Linie am äußeren Rande der hintern zwei Drittel der Flossen kenntlich. Neben dieser gewöhnlichen Färbung kommen andere ähnliche Kombinationen vor. Mitunter bedeckt sich auch die ganze Rückenfläche mit sehr ausgeprägten kegelförmigen Höckern, die sich regelmäßig in Längsreihen und parallel den Seitenwänden stellen. Wenn aber das Thier erregt ist, so starrt der Rücken von unregelmäßigen Höckern von schöner, dunkel kastanienbrauner Farbe und kupferröthlichem Metallglanz. Vom Kopfe aber und längs der Arme, deren sonst weiße Flecken ebenfalls kupferröthlich sich färben, geht dann ein grünlicher Glanz aus, während die Augenkugeln in rosenrothen, blauen und grünen Silberreflexen erglänzen. Die Flosse verändert sich wenig, während die Bauchseite stark irisirt und mehr oder weniger lebhafte wolkige Flocken über sie fliegen. Beginnt die Erregung nachzulassen, so verschwinden die Höcker auf dem Rumpfe, indeß die um die Augen noch bleiben. Auch der Kopf behält seine Flecken, aber eine große Anzahl Farbzellen ziehen sich auf dem Körper zusammen, kleine weiße Flecke erscheinen in der Mittellinie, und die Mantelränder bedecken sich mit unregelmäßigen, etwas höckerigen weißlichen Streifen.

Nimmt man die Sepia aus dem Wasser, so erscheint der Rücken gewöhnlich braungestreift. Nach und nach ziehen sich die Farbzellen zusammen. Die Haut nimmt einen gelblichen Ton an und entfärbt sich unmerklich. Auch die Unterseite verliert den irisirenden und metallischen Glanz, welcher sie schmückt, und wenn das Spiel der Farbzellen aufgehört hat, wird sie fahlweiß. Die bei allen Cephalopoden sehr veränderlichen Augen werden ganz besonders bei den Sepien von den verschiedenen Erregungszuständen afficirt. Das Sepienauge sieht höchst sonderbar aus. Die Pupille ist sehr schmal und wie ein griechisches ω geschwungen. Der Augengrund ist dunkelschwarz. Von oben her ist der Augapfel von einem mit Farbzellen versehenen und bis auf den Mitteltheil der Pupille herabhängenden Hautlappen bedeckt, den man ein oberes Augenlied nennen kann. Das untere Lied ist schmäler und weißlich. Wenn das Thier aufgeregt ist und während der [204] Begattungszeit erweitert sich die Pupille außerordentlich und wird rund, die Lieder aber ziehen sich stark zusammen.


a Männchen, b Weibchen der gemeinen Sepia (Sepia officinalis), daneben rechts c der Rückenschulp. Kleinere Exemplare.
a Männchen, b Weibchen der gemeinen Sepia (Sepia officinalis), daneben rechts c der Rückenschulp. Kleinere Exemplare.

Unsere Sepia, in mittlerer Größe 15 Centimeter lang, hält sich immer in der Nähe des Gestades auf, am liebsten auf schlammigem und sandigem Grunde, wo man sie jahraus, jahrein [205] findet und in großen Schleppnetzen fängt. Ein sehr beliebter und amüsanter Fang im Frühjahre ist der durch ein Lockthier, ein Weibchen, das man an eine Schnur gebunden hat, oder durch eine Holzfigur von Gestalt einer Sepia, woran einige Stückchen Spiegelglas befestigt sind. Das Weibchen, das man an dem breiteren Körper und dem Mangel der weißen Linie auf dem Rande der Flossen erkennt, wird am Hinterende mit einem Angelhaken durchbohrt; man läßt dann die Schnur so weit aus, daß das Thier sich frei bewegen und schwimmen kann, behält es jedoch immer im Auge. Die Angel scheint ihm keine Schmerzen zu verursachen und wird mehrere Wochen hinter einander ertragen. Die Sepia schwimmt nun und bewegt sich mit Hülfe ihrer unteren Arme vorwärts, die sie, bei horizontaler Körperstellung, vom Kopfe herabhängen läßt und wie zwei mächtige Ruder benutzt. Durch die in fortwährender undulirender Bewegung begriffenen Flossen erhält sie sich im Gleichgewichte, und zu demselben Zwecke dienen auch die sechs oberen Arme, die fest aneinander gedrückt und horizontal ausgestreckt werden. Während der Vorwärtsbewegung ist der Kopf zum Theile in die Körperhöhle zurückgezogen. Der mittlere Theil des freien Mantelrandes wird fest an den Trichtergrund angelegt und das Wasser nur seitlich zu den Kiemen eingelassen. Die Greifarme sind in ihren Scheiden versteckt. Will sie rückwärts schwimmen, so geschieht es mit Hülfe des Trichters, wie bei den anderen Kopffüßern, und sind dabei die Arme in ein Bündel zusammengelegt. Wenn das an der Angelschnur befindliche Sepienweibchen an einem in seiner Höhlung kauernden oder frei schwimmenden Männchen vorbeikommt, stürzt sich dieses wie ein Pfeil auf jenes los und umklammert es mit den Armen. Der Fischer zieht nun das Paar vorsichtig zu sich heran, bemächtigt sich ihrer unter Wasser mit Hülfe eines Käschers und setzt das Weibchen erneuten stürmischen Anträgen aus. Am ergiebigsten ist diese Jagd bei Mondschein. Ganz ähnlich ist der Fang mit der Holzfigur und den Spiegelstücken; man zieht die Puppe hinter dem Boote her, und die Sepien stürzen sich darauf los und hängen sich daran.

Außer Wasser stirbt die Sepie sehr schnell. Wenn man sie anfaßt, läßt sie ein sehr vernehmliches Zähneknirschen hören, auch bläst sie außer Wasser sehr heftig Luft durch den Trichter. Die Saugnäpfe wirken sehr kräftig und haften noch nach dem Tode, auch wenn das Spiel der Farbzellen schon aufgehört hat. In einem engeren Gefäße halten sie nicht lange aus; wenn die im Wasser enthaltene Luft nicht mehr das Athembedürfnis befriedigt, sondern sie massenhaft ihre Dinte ab, offenbar infolge von Lähmungen, und sterben schnell, wenn man nicht das Wasser wechselt.

Derselbe Beobachter, welcher das oben von dem Octopus in den Bassins von Arcachon bei Bordeaux Mitgetheilte erzählt hat, gibt auch einige interessante Mittheilungen über die dort gefangen gehaltenen Sepien. Wir lassen sie, obwohl einige Wiederholungen vorkommen, doch ziemlich vollständig folgen, da Verany's Mittheilungen dadurch wesentlich ergänzt werden. Die ersten für das Aquarium gefischten Sepien setzte man in die großen Bassins. Sie zeigten sich sehr furchtsam, hüllten sich in Dintenwolken und verbargen sich unter schwimmende Gegenstände, wo sie in horizontaler Stellung und mit dem Bauche fast den Boden berührend, unbeweglich verharrten. Nach einigen Tagen der Ruhe wurden sie in einen Kasten des Aquariums versetzt, wo sie sich einzugewöhnen schienen.

Die gewöhnliche Haltung der Sepia ist die wagerechte, wobei der Körper in vollständigem Gleichgewichte ist. Die wellenförmigen Bewegungen der Flossen halten das Thier frei im Wasser. Ich habe jedoch auch oft gesehen, daß es nicht einmal dieser schwachen Ruderbewegungen zu der freien wagerechten Stellung bedarf. Die aneinandergelegten Arme bilden eine Art dreikantiger Pyramide, deren obere Kante von den beiden ersten Armpaaren gebildet wird. Die vierten Arme, welche am längsten und breitesten sind, bilden mit ihrem äußeren Rande die beiden anderen Kanten. Die Innenwände der vierten Arme berühren sich; ihre freien Enden ragen über die übrigen Arme hinaus und rollen sich lose zusammen. Diese Vereinigung der Arme zu einer Art von hinten nach vorn gesenkter Pyramide verleiht den Sepien ein eigenthümliches Aussehen. Wer sie sieht, erstaunt über die Aehnlichkeit ihres Kopfes mit dem eines Elefanten. Die drei oberen Armpaare stellen den Rüssel vor und das untere Ende der vierten Arme ähnelt vollständig dem Unterkiefer.

[206] Bei dieser Stellung treten die Greifarme gar nicht hervor. Sie befinden sich in der von den Armen gebildeten Höhlung zwischen der Basis des dritten und vierten Paares rundlich eingezogen und eingerollt. Man sieht sie vom Bauche her auf Augenblicke, wenn die Sepia die vierten Arme herabhängen läßt; alsdann erscheinen sie als zwei weißliche Höcker. In der Ruhelage, von der man durch die vorhergehenden Zeilen eine Vorstellung erhalten, werden mitunter die obersten Arme auseinander gespreizt und wie zwei Fühler senkrecht erhoben; mitunter auch läßt das Thier die vierten Arme auf den Boden herabhängen, um sie wenige Augenblicke darauf in die frühere Lage zu bringen.

Was Fischer über die Bewegungen der Sepia mittheilt, stimmt mit der Beschreibung Verany's nicht vollständig überein. Er unterscheidet eine langsamere und eine beschleunigte Bewegung. Die erstere geht ebenso leicht vorwärts wie rückwärts von Statten. Geht das Thier vorwärts, so bleibt der Körper wagerecht und die zusammengelegten Arme in der geneigten Stellung. Nur werden ihre Enden durch den Widerstand des Wassers etwas gebogen. Bei der Rückwärtsbewegung hebt sich die Armpyramide mehr in die Axe des Körpers. Die Schwingungen der Flossen, welche bei dieser gemäßigten Bewegung allein thätig sind, beginnen vorn, wenn das Thier rückwärts schwimmen will, und umgekehrt. Die Bewegung beschleunigt sich nun auffallend, sobald das Thier in Furcht oder Aufregung geräth; dann geht es stoßweise rückwärts. Bevor es so fortschießt, breitet es die Arme aus und legt sie plötzlich wieder aneinander. Die Flossen aber verhalten sich ruhig und werden nach dem Bauche eingeschlagen. Das sich fortschnellende Thier durchmißt mit einem Sprunge einen beträchtlichen Raum; während des Sprunges breiten sich die Arme wieder aus und ihr abermaliges Schließen hat einen neuen Stoß zur Folge. Den Trichter will der Beobachter von Arcachon nur als Hülfswerkzeug bei dieser schnelleren Bewegung nach rückwärts angesehen wissen, und er soll nur bei dem schnellsten Tempo besonders wirksam sein. Was ich gesehen, stimmt mit diesem Berichte überein.

Der Gebrauch der Greifarme, sagt Fischer weiter, war mir ganz unbekannt, bis ich die Genugthuung hatte, sie eines Morgens in Bewegung zu sehen. Eine Abtheilung des Aquariums umschloß seit ungefähr einem Monate eine mittelgroße Sepia, die während dieser ganzen Zeit nichts gefressen hatte. Man that einen lebenden Fisch, einen Caranx, von bedeutender Größe zu ihr hinein, der ohne Argwohn umherschwamm und sich dem Schlupfwinkel der Sepia näherte. Kaum hatte sie ihn wahrgenommen, als sie mit einer erstaunlichen Schnelligkeit und Geschicklichkeit die Greifarme entfaltete, ausstreckte, den Fisch ergriff und an ihren Mund zog. Die Greifarme zogen sich sogleich wieder zurück und verschwanden, die übrigen Arme aber legten sich fest um den Kopf und das Vorderende des unglücklichen Fisches. Die beiden oberen Paare lagen auf dem Rücken, die beiden unteren unter dem Bauche des Opfers, an welchem die Saugnäpfe sich anhefteten.

Der auf diese Weise umschlungene Fisch konnte sich nicht bewegen. Die Sepia aber, die sich nun ihrer Beute versichert hatte, ließ sie nicht wieder los und schleppte sie trotz des verhältnismäßig sehr großen Gewichtes nach allen Richtungen, leicht einherschwimmend und ohne sich auf dem Grunde oder auf den Felsblöcken auszuruhen. Der Fisch wurde horizontal gehalten, und nach einer Stunde ließ ihn die Sepia fallen. Der Schädel war geöffnet und das Gehirn sowie ein Theil der Rückenmuskeln gefressen.

Die Sepien, welche in die großen Bassins des Aquariums in Neapel, gewöhnlich in Gesellschaft von Seesternen, gebracht werden, gewöhnen sich sehr schnell an ihre neue Umgebung. Ihren Unmuth bethätigen sie durch reichlichen Dintenerguß nur, wenn sie vom Wärter, der dem Publikum das interessante Schauspiel bereitet, unsanft mit einem Stabe berührt werden. Bewegung lieben sie nicht, da sie ebensowenig wie die Octopoden nach Beute umherstreifen, sondern auf dieselbe lauern. Wenn sie nicht frei und, oft Viertelstunden hindurch, unbeweglich im Wasser stehen, so liegen sie auf dem Grunde, entweder schlafend mit geschlossenen Augen, oder im Halbschlafe blinzelnd oder auch bei mehr in die Höhe gezogenem oberen Augenliede spähend. Ist ihnen Sand oder feinerer[207] Kies zur Unterlage gegeben, so bedecken sie sich ganz nach Art der auf den Fang lauernden Schollen und Rochen, indem sie mit den Flossen Steinchen auf ihren Rücken schaufeln. Dabei passen sie ihre Färbung, grünliche und graue Flecken bildend, so ausgezeichnet der Umgebung an, daß Mensch und Thier getäuscht werden und sie nicht oder erst dann wahrnehmen, wenn die Sepia plötzlich auf die Beute losfährt.

Außer der gemeinen Sepia kommen im Mittelmeere noch zwei Arten vor, zarter und schöner gefärbt, welche sich beide in Gesellschaft der Eledonen auf schlammigem Grunde zu finden pflegen, gelegentlich auf den Markt kommen und wegen ihres zarten Fleisches sehr geschätzt sind. Sie heißen Sepia elegans und S. biserialis. Die erstere hat eine durchscheinende Haut, durch welche man im Leben die Rückenschale sieht. Der hervorstehende Stachel derselben am Hinterende ist das beste Kennzeichen. Sie erreicht, die Greifarme nicht inbegriffen, eine Länge von 13 Centimeter. Die andere wird 8 Centimeter lang und wegen ein Paar Reihen weißer Flecke auf dem Rücken als die »doppelreihige« bezeichnet.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 204-208.
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