Gemeine Auster (Ostrea edulis)

[397] Nächst der See-Perlenmuschel hat kein anderes Muschelthier eine solche nationalökonomische Bedeutung, setzt so viele Hände in Bewegung und bringt solche Summen in Umlauf, als die Auster (Ostrea). Es gibt Austern in allen Meeren, alle folgenden näheren Mittheilungen werden sich aber nur auf die gemeine Auster (Ostrea edulis) der europäischen Küsten beziehen. Wer je der Auster seine Aufmerksamkeit geschenkt, wird mehrere bezeichnende Eigenschaften des Gehäuses bemerkt haben. Die Schalen sind unregelmäßig und ungleich, indem, wie bei Pecten und Spondylus, die eine dicker und mehr vertieft ist und die andere wie ein bloßer Deckel dazu erscheint. Zu so vielen anderen äußerlich schöngeglätteten Schalen bilden sie durch ihre unregelmäßig blätterige Struktur und schilferige Oberfläche einen rechten Gegensatz; auch ist ihr Inneres sehr unregelmäßig, indem sich mit Wasser gefüllte Räume finden und überhaupt die ganze Schalensubstanz poröser, durchdringbarer ist, als bei den meisten Muscheln. Hiermit hängt wohl die Eigenschaft der Auster zusammen, mit ihrer dickeren Schale leicht an den verschiedensten Gegenständen anzuwachsen, indem dieses Anwachsen nicht vom Rande, sondern von der Fläche aus geschieht und nur so erklärt werden kann, daß die Schale vermittels einer sie durchdringenden und mit dem Kalke sich innig mischenden, vom Thiere ausgeschiedenen Substanz an die Unterlage angeleimt und angekittet wird. In dem Maße, als die Muschel wächst, schwitzt im Umkreise des angekitteten Schalenstückes neue Klebmaterie aus. Auch die Schloßgegend hat mehrere bemerkenswerthe Eigenthümlichkeiten. Die anfangs gleichen Wirbel werden mit dem zunehmenden Alter sehr ungleich, indem derjenige der oberen Schale in der Entwickelung zurückbleibt. Zähne sind gar nicht vorhanden und das Ligament ist, wie bei manchen anderen Muscheln, ein inneres; es liegt nach innen vom Rande in zwei Gruben der Schalen, von denen gleichfalls nur die untere erheblich wächst. Das Klaffen ist dadurch möglich, daß die Spitze des Deckels über den Unterrand der gegenüberliegenden Grube als seiner Drehlinie hinweg in jene hineingezogen wird.

Das Oeffnen der Auster, um sie zur Tafel zu bringen, geschieht bekanntlich mittels eines zwischen die Schalen eingebrachten Spatels, den man längs der inneren glatten Deckelfläche bis zum Schließmuskel (e) vorschiebt, um diesen abzulösen. Sobald er durchschnitten, klafft das Gehäuse, und es macht keine besondere Schwierigkeit, das Ligament abzureißen.

Wir haben nun das Austerthier in seiner selbstgefertigten Schüssel liegen und wissen, wenn wir nicht schon an zweimuskeligen Muscheln gut orientirt sind, anfangs uns nur sehr schwer zurecht zu finden. Indessen, da der Mantel (b) ganz gespalten ist, und nur am Rücken (d) die beiden Blätter in einander übergehen, so ist damit für die Erkenntnis von unten und oben, vorn [397] und hinten, ein Anfang gemacht, und wir entdecken beim Zurückschlagen des vorderen Zipfels (a) den tief verborgenen Mund. Der empfindliche und zusammenziehbare Mantel wird gewöhnlich so weit zurückgezogen, daß unter ihm die Kiemenblätter (c) hervortreten. Eine wesentliche Abweichung der Auster von den anderen Muscheln besteht in der gänzlichen Verkümmerung des Fußes, welche eintritt, sobald die jungen Thiere sich festgesetzt haben. Damit steht im Zusammenhange, daß auch der oben an den Fuß sich anschließende Körpertheil, den man den Rumpf nennen könnte, nicht so wie gewöhnlich zur Entwickelung gelangt. Dies betrifft vornehmlich die Fortpflanzungsdrüse. Ostrea gehört mit Cyclas und allen Pecten-Arten (mit Ausnahme des Pecten varius unserer Küsten) zu den wenigen hermaphroditischen Muscheln. Der im Thierreiche sonst so stark ausgeprägte Gegensatz der Geschlechter und der tief innerlichen physiologischen Geschlechtsthätigkeit ist bei ihr, wie bei manchen Schnecken, in dem Maße unentwickelt, daß die die Drüse zusammensetzenden, Eier-und Samenfädchen erzeugenden Blindsäckchen ganz durch einander liegen und sogar ein und dasselbe Drüsensäckchen halb männlich und halb weiblich sein kann. Es scheint jedoch, daß bei manchen Individuen das eine oder das andere Geschlecht bis zu einer fast gänzlichen Unterdrückung des anderen vorwalten kann, ein Fingerzeig, daß in der Natur die Trennung der Geschlechter nicht geschaffen wurde, sondern der natürlichen Züchtung und Varietätenbildung überlassen blieb.


Auster, geöffnet durch Hinwegnahme der Deckelschale. Natürliche Größe.
Auster, geöffnet durch Hinwegnahme der Deckelschale. Natürliche Größe.

Die Doppelgeschlechtigkeit der Auster tritt jedoch, wenigstens nach den Beobachtungen von Möbius, nie in der Weise auf, daß zu gleicher Zeit im selben Individuum Eier und Same vorhanden sind, also eine Selbstbefruchtung stattfinden könnte, sondern erst nach der Eierträchtigkeit entwickelt sich der Same. In anderen Individuen sah Möbius sich im Frühlinge die männlichen Geschlechtsprodukte ohne vorhergegangene Eibildung entwickeln. Die Zahl der von einer Auster jährlich producirten Eier ist eine enorme, wenn wir uns auch nur mit einer der niedrigsten Berechnungen begnügen. Leeuwenhoeck meinte, daß eine alte Auster zehn Millionen Junge enthalte; ein anderer Gewährsmann, der berühmte Neapolitaner Poli, veranschlagt sie nur auf 1,200,000, eine Nachkommenschaft, hinreichend, um ausgewachsen zwölftausend Fässer zu füllen. Allein auch mit dieser Schätzung sind wir noch weit ab von den thatsächlichen Verhältnissen. Aus dem Berichte, welchen Professor Möbius in Kiel über die Zustände der Austernproduktion und Austernzucht im Jahre 1870 dem preußischen Minister für die [398] landwirtschaftlichen Angelegenheiten abstattete, entnehmen wir, daß ältere Austern zwar über eine Million Junge zeugen, jüngere dreijährige aber viel weniger. Was aber noch wichtiger, die Zahl der trächtigen Austern auf den Bänken erreicht, wenigstens an den englischen und schleswigschen Küsten, höchstens dreißig Procent, oft kaum zehn Procent der Gesammtzahl.

»Angenommen«, sagt Möbius, »es laichten in einem Sommer nur zehn Procent der Austern einer Bank, auf welcher hunderttausend Austern lagern, und jede laichende Auster brächte nur tausend Junge hervor, so producirten die zehn Procent Mutteraustern zusammen doch schon zehn Millionen Junge. Wenn alle diese auf der Mutterbank oder in deren Nähe Platz nähmen, so müßten sich von nun an zehn Millionen Austern in dieselbe Menge Nahrung theilen, die vorher hunderttausend Austern zur Verfügung stand. Eine jede der kleinen würde zwar viel weniger Nahrung einziehen, als eine erwachsene, aber ihrer großen Zahl wegen würden sie sich sowohl gegenseitig, wie auch den erwachsenen Austern eine sehr starke Konkurrenz machen, selbst in dem großen Meere.« Die weitere Verfolgung dieser Betrachtung lehrt, daß durch die Ernährungsverhältnisse eine ziemlich enge Grenze der Vermehrung der Austern auf einer gegebenen Meeresstrecke bestimmt ist, und daß bei Zunahme der Menge der Individuen die einzelnen leiden und an Werth verlieren. Die Entwickelung, über deren Einzelheiten wir auffallenderweise noch keine genaueren Nachweise besitzen, geschieht innerhalb der Mantelhöhle des alten Thieres, welche die Jungen erst dann verlassen, wenn ihre Schale soweit ausgebildet ist, daß sie sogleich sich ankitten können. Schon nach einigen Monaten sollen sie wieder fortpflanzungsfähig sein, was wohl stark zu bezweifeln, aber erst nach einigen Jahren erreichen sie die nach ihren Standorten und der Rasse sehr verschiedene volle Größe. Man wird nämlich nicht fehl greifen, wenn man alle an den europäischen Küsten lebenden Austern, welche im Austernhandel eine Rolle spielen, als eine einzige Art ansieht, mögen sie nun auf Felsen oder auf lockeren Bänken angesiedelt sein, groß oder klein, dickschalig oder dünnschalig, mehr oder weniger blätterig. Die Anatomie der Thiere weist keine einzige irgendwie berücksichtigungswerthe Verschiedenheit nach und die angedeuteten Abweichungen sind vollständig aus den verschiedenen Graden des Kalk- und Salzgehaltes der Meere, überhaupt aus den lokalen Einflüssen abzuleiten.

Wir haben nun diese Verhältnisse, das Vorkommen der Auster und ihre geographische Verbreitung an den europäischen Küsten, näher ins Auge zu fassen. Es ist nicht gut möglich, die künstlich angelegten Bänke und Zuchten dabei gänzlich unberücksichtigt zu lassen, obgleich wir erst weiter unten über die in neuerer Zeit so großes Aufsehen machende Austernpflege specieller berichten wollen. Gehen wir vom Adriatischen Meere aus, in welchem die Auster überall wenigstens vereinzelt, an verschiedenen Stellen massenhaft, das heißt in Bänken lebt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das letztere Verhältnis das natürlichere ist, obschon man von den vereinzelt angesiedelten Austern durchaus nicht das Gegentheil sagen kann. Im äußersten, sehr flachen Winkel der Bucht von Muggia in Triest siedeln sich die Austern auf den in den Schlamm gesteckten Pfählen an, wogegen sie auf dem sehr weichen Schlammgrunde dieser bei den Zoologen hoch in Ehren stehenden Bai nicht fortkommen. Seit Jahrhunderten hegt man sie auch in den Kanälen und Bassins des Arsenales in Venedig. Wir sehen das Thier also auf der östlichen und der westlichen Seite des großen Golfes von Venedig unter sehr verschiedenen Bedingungen gedeihen, dort, bei Muggia, in einem durch keinerlei oder nicht nennenswerthen Zufluß von süßem Wasser gemischten Salzwasser, hier in der Lagune. Man darf jedoch nicht glauben, daß das Arsenalwasser, in welchem die Austern ohne besondere Pflege ihr ganzes Leben zubringen, sehr brackig sei; es steht durch die großen Mündungen des Lido in so naher Verbindung mit dem offenen Meere, daß infolge der regelmäßig eindringenden Flut sein Salzgehalt nicht sehr herabgedrückt werden dürfte. Sehr schöne große Austern habe ich im Becken von Sebenico von felsigem Grunde aus ungefähr funfzehn Faden Tiefe mit dem Schleppnetze aufgezogen, jedoch nicht so nahe der Kerka, daß eine merkliche Versüßung des Wassers eingetreten wäre. Die Lage dieser kleinen, von den [399] dortigen Fischern nur gelegentlich ausgebeuteten Bank ist aber insofern lehrreich, als auch sie zeigt, daß entweder Flutströmungen oder, wie es dort der Fall ist, unterseeische Strömungen, welche dem hülflosen Thiere Nahrung zuführen, zuträglich und nothwendig sind. Aus einer Vergleichung der Triester und dieser Lokalität geht auch schon hervor, daß die Auster bei sehr verschiedenen Wohntiefen, und zwar etwa von der mittleren Strandmarke an bis funfzehn Faden, in anderen Fällen bis zwanzig Faden und noch tiefer ihre volle Lebensthätigkeit entfalten kann, ein physiologischer Zug, der für die praktische Austernzucht von der allergrößten Bedeutung ist. Weiter unten finden sich auf der italienischen Seite schon im Alterthume berühmte Austernlager in der Nähe von Brindisi (Brundusium) und im Golfe von Tarent. Ich finde keine Nachrichten über die Beschaffenheit derselben; nach einem flüchtigen Besuche des Hafens von Brindisi und seiner Umgebungen will es mir scheinen, als mangele dort der Felsengrund und müßten die Austernansiedelungen auf loserem Boden statthaben. Von da zieht sich die Auster durch den ganzen östlichen und westlichen Theil des Mittelmeeres, ohne sich, wie es scheint, massenhaft anzusammeln; sie ist auch ins Schwarze Meer eingedrungen und da und dort einzeln an der Südküste der Krim angesiedelt, ein Beweis ihrer großen Akkommodationsfähigkeit.

Natürlich beherbergt auch der westliche Theil des Mittelmeeres die Auster überall da, wo Strömungs-und Bodenverhältnisse es gestatten, jedoch haben sich nirgends sehr bedeutende Bänke gebildet. Und wie man schon im Alterthume den seit der Erhebung des Monte Nuovo 1538 verödeten Lucriner See von Tarent aus mit Austern füllte, so jetzt den Lago di Fusaro; wie denn auch zu den Zuchtversuchen an der südfranzösischen Küste die Austern aus dem Atlantischen Meere aushelfen mußten. Sowohl an den französischen, wie an den britischen Küsten, der Nordsee und des Atlantischen Oceans finden sich zahlreiche natürliche Austernbänke, und an der norwegischen Küste reicht die Auster bis zum fünfundsechzigsten Grade hinauf. Sie kommt im südlichen Norwegen an manchen Strecken in solchen Mengen vor, daß sie mit Brod und Butter als selbstverständlicher Nachtisch à discretion aufgetragen wird. Als ich nach einer Seefahrt von den Färöerinseln nach dem an der norwegischen Südküste gelegenen Städtchen Kragerö im dortigen Gasthause meine erste Mahlzeit hielt, machte ich diese angenehme gastronomische Entdeckung.

Zu einem sehr verbreiteten Mißverständnisse hat der Ausdruck »Holsteinische« oder »Flensburger« Austern Veranlassung gegeben. Diesen Namen führen die Austern, welche vorzugsweise in Norddeutschland bis Leipzig, Magdeburg und Berlin und weiter südlich, ferner längs der ganzen Ostseeküste bis Petersburg versandt und verzehrt werden, und deren Heimat man gewöhnlich an die holsteinische Ostseeküste verlegt. In der ganzen Ostsee lebt jetzt – früher war es anders, wie wir sehen werden – keine Auster. Die sogenannten Flensburger Austern stammen alle von der Westküste, der Strecke von Husum bis Tondern gegenüber zwischen den Inseln Sylt, Föhr usw., wo tiefe Wasserrinnen den flachen Meeresboden durchziehen. Während der Ebbe werden meilenweite Strecken des Bodens bloßgelegt, während der Flut ragen nur jene Inseln hervor. Man nennt dieses Gebiet die Watten. »Die Austernbänke liegen an den Abhängen der tiefen Rinnthäler des Wattenmeeres, in welchen die Hauptströme des Flut- und Ebbewassers mit einer Geschwindigkeit von vier bis sechs Fuß in der Sekunde laufen, also ungefähr ebenso schnell, wie der Rhein vor Bonn vorbeifließt. Der Grund ist ziemlich fest und besteht aus Sand, kleinen, selten größeren Steinen und Muschelschalen. Die meisten Bänke haben bei Ebbe, wenn die Watten in ihrer Nähe trocken liegen, noch fünf bis sechs Fuß Wasser über sich. Tiefer als zwanzig bis dreißig Fuß kommen im Wattenmeere keine Austernbänke vor. Der Salzgehalt beträgt etwas über drei Procent. Auf den besten Bänken leben neben den Austern gewisse Thiere, von welchen ich (Möbius) als charakteristisch nur die Seehand (Alcyonium digitatum), den Dreikantenwurm (Serpula triquetra) und den grünen Seeigel (Echinus miliaris) nennen will. Wo viele Miesmuscheln (Mytilus edulis), Seepocken (Balanus crenatus) und Sandwürmer (Sabellaria anglica) auftreten, da gedeihen die Austern weniger gut, ja sie verschwinden, wo diese Thiere die Oberherrschaft gewinnen, gänzlich.« [400] (Möbius.) Noch schlimmer ist die Versandung und Verschlickung der Bänke, wie z.B. eine Bank bei der Insel Amrum von Jahr zu Jahr mehr unter dem überlaufenden Sande begraben worden ist.

Von hohem Interesse ist die erst vor kurzem stattgefundene natürliche Ansiedelung der Auster im Limfjord. In einer der wichtigsten Untersuchungen über die Lebensbedingungen dieses Thieres, die wir dem Altmeister der deutschen Naturwissenschaft, E. von Baer, verdanken, heißt es darüber: »Der Limfjord ist bekanntlich das lang gewundene, in seiner westlichen Hälfte vielfach getheilte und in Buchten auslaufende Gewässer, das den nördlichen Theil von Jütland in seiner ganzen Breite durchzieht und im Westen nur durch einen schmalen Uferwall von der Nordsee getrennt ist oder vielmehr getrennt war. Im Jahre 1825 wurde nämlich der erwähnte Uferwall durchbrochen, und dieser Durchbruch hat sich erhalten. Er ist auf den neueren Karten unter dem Namen des Agger-Kanales sichtbar. Schon früher, z.B. in den Jahren 1720 und 1760, hatten sich Durchbrüche gebildet, aber bald wieder geschlossen. Vor dem neuen und bleibenden Durchbruche hat das Wasser im Limfjord, wenigstens im westlichen Abschnitte desselben, für süßes Wasser gegolten; über den östlichen Theil sagt der Etatsrath Eschricht (der berühmte Kopenhagener Physiolog, welcher das Projekt, im Limfjord Austernbänke anzulegen, zu prüfen hatte) nichts, doch läßt sich vermuthen, daß bei der offenen Verbindung mit dem Kattegat hier schon früher brackiges Wasser war. Durch die neue Kommunikation mit der Nordsee und den Wechsel von Flut und Ebbe in derselben, der zweimal täglich Seewasser eintreibt und ebenso oft das im Fjord diluirte Seewasser wieder abfließen läßt, ist der Limfjord jetzt ein Salzwasserbecken geworden. Es sind Seefische und Austern eingewandert. Austern hat man zuerst im Jahre 1851 bemerkt, und zwar im Saling-Sund, im westlichen Drittheile des Limfjords, in großer Menge und schon völlig ausgewachsen. Ihre Einwanderung als schwimmende Brut muß also schon viel früher erfolgt sein. Professor Eschricht vermuthet, daß sie zuerst im westlichen Abschnitte, Nissum-Bredning, sich angesiedelt hatten, und daß von diesem aus, nachdem sie ausgewachsen waren, neue Brut sich weiter verbreitet hat. Jetzt finden sie sich in vielen Seitenbuchten und Kanälen der westlichen Hälfte fast überall, wo der Boden für das Gedeihen der Auster passend ist. Auch im östlichen Abschnitte des Limfjords, bei Aalborg, hat man Austern bemerkt, jedoch nur ganz junge. Man sieht also ganz deutlich, daß sie allmählich sich mehr nach Osten verbreiten. In der westlichen Hälfte des Limfjords sind sie schon in solcher Menge, daß sie zu hunderttausenden gefangen werden. Wann sie zuerst einwanderten, läßt sich jetzt nicht bestimmt angeben, da man sie längere Zeit nicht bemerkt hatte. Indessen, da die im Saling-Sund bemerkten wenigstens fünf Jahre alt waren, und diese nicht die ersten Einwanderer sein konnten, sondern wenigstens die zweite, vielleicht die dritte Generation der Eingewanderten waren, so sieht man, daß bald nach der Eröffnung des Agger-Kanales und nachdem das Wasser den nöthigen Salzgehalt gewonnen hatte, auch Austern hierher sich verbreiteten«. Der große Naturforscher gibt diese Mitteilung in einem Gutachten über ein Projekt, in der Ostsee, und zwar auf russischem Seegrunde, Austern zu züchten, und es kam ihm darauf an, zu zeigen, wie weit durch die natürlichen Verhältnisse den Austern das Heimischwerden in der Ostsee gestattet sei. Wir folgen ihm also noch weiter. »Auf der Westküste von Jütland kommen allerdings auch Austern vor, aber nicht in reichen Bänken, wie es scheint. Dagegen finden sich an der Ostseite der schmalen Halbinsel oder Landzunge Skagen wieder ausgedehnte Bänke, von der äußersten Spitze dieser Landzunge bis Hirtsholm in drei Gruppen oder Hauptbänke getheilt. Die letzten regelmäßig ausgebeuteten Bänke sind an der Insel Läsoe und sollen sich von dort gegen die Insel Anholt hinziehen, ohne, wie es scheint, dieselbe zu erreichen. Weiter nach Süden findet man allerdings auch noch Austern, allein sie sind mehr vereinzelt und, wie es scheint, von schlechterer Qualität.« Schon in den Belten finden sich die Bedingungen für die Verbreitung der Austern nicht mehr, noch weniger in der Ostsee.

Der Hauptgrund, warum die Auster nicht mehr in der Ostsee fortkommt, liegt offenbar in dem zu geringen Salzgehalte dieses wenigstens in seinen nördlichen und östlichen Theilen schon fast [401] zu einem süßen Binnensee gewordenen Gewässers. »Die Ostsee«, sagt E. von Baer in seinem Gutachten weiter, »steht durch drei Meerengen mit dem Kattegat in Verbindung, von denen besonders die mittlere, der Große Belt, weit genug geöffnet ist. Da die Auster hermaphroditisch ist, jedes Individuum also zeugungsfähig wird und eine sehr große Menge Eier hervorbringt, bis zu einer Million und mehr, aus denen die ausgekrochenen Embryonen, durch den Wellenschlag verbreitet, sich ansetzen und gedeihen, wo sie passende Verhältnisse finden, so muß wohl ein Hindernis bestehen, welches die Verbreitung bis in die Ostsee nicht erlaubt hat. Es ist jetzt sogar der südliche Theil des Kattegats ohne Austern, wenigstens ohne brauchbare; in der nördlichen Hälfte des Kattegats sind sie schon besser, und diese Bänke werden ausgebeutet. Jenseit der Spitze Skagen, wo das Verbindungsglied des Kattegats mit der Nordsee, nämlich das Skagerrak, beginnt, sind sie noch besser; im nördlichen Theile von Bohus-Län, der an das Skagerrak stößt, sollen die Austern schon sehr gut sein. Aber noch besser und größer als an der Südküste Norwegens sind sie an der Westküste dieses Landes und Schleswigs, sowie überhaupt in der ganzen Nordsee. Da in umgekehrter Ordnung der Salzgehalt des Seewassers von der Nordsee durch das Skagerrak in das Kattegat und innerhalb des letzteren von Norden nach Süden abnimmt, noch mehr in der Ostsee, und zwar um so mehr, je mehr man von den drei Ausmündungen dieses Wasserbeckens sich entfernt, so daß die letzten Enden des Finnischen wie des Bottnischen Meerbusens völlig trinkbares Wasser enthalten, so springt in die Augen, daß mit Abnahme des Salzgehaltes die Austern verkümmern und deshalb ganz aufhören, bevor sie die Kommunikationsmeerengen erreichen.« Da nun unterhalb Anholt gegen die Belte zu der Salzgehalt so weit herabsinkt wie an der Südküste der Krim, wo, wie oben erwähnt wurde, die Auster verkümmert, so ist das Minimum von Salzgehalt, welches die Auster zu ihrer Existenz bedarf, etwa 17 per Mille. Am fettesten und schmackhaftesten wird sie bei 20 bis 30 per Mille, daher man, abgesehen von den mittelmeerischen, auch an den Küsten des Atlantischen Oceans und der Nordsee die beliebtesten Austern an Stellen findet, wo der Salzgehalt des Meeres entweder durch einen größeren Fluß, der ins offene Meer geht, oder durch kleinere Flüsse, die sich in eine Bucht ergießen, gemildert wird: so die Austern von Havre, im Cancale-Busen, bei der Insel Ré, bei Rochelle, an den Küsten der Grafschaft Kent, im Bereiche des Themsewassers, bei Colchester, Ostende. Daß in dem gemilderten Wasser die Austern selbst sich besser befinden, soll damit nicht behauptet werden. Die Austern an der Westküste von Norwegen, wo so wenig Zufluß von süßem Wasser ist, werden als besonders groß beschrieben, finden also sehr gutes Gedeihen, aber sie scheinen keinen Ruf bei den Gastronomen erhalten zu haben, da sie im Großhandel keine Rolle spielen. Die späteren Römer, die der Gastronomie so sehr huldigten, daß eine Mißachtung derselben als Mangel an Urbanität galt, holten sich die Austern aus den verschiedensten Weltgegenden und setzten sie in die Lukrinische Bucht, die damals wohl weniger ausgefüllt war, als jetzt, oder in andere, künstlich ausgegrabene Behälter, deren es in der späteren Zeit viele gab. An und für sich galten die britannischen Austern für sehr gut; Plinius erklärte aber die circaeischen für die besten. Andere scheinen sie von anderen Gegenden vorgezogen zu haben, und Juvenal versichert, daß ein Feinschmecker auf den ersten Biß erkennen konnte, von wo die Auster kam. Lassen wir die vielen Aeußerungen der Alten über die Feinschmeckerei und Schlemmerei in Bezug auf die Austern ganz bei Seite, so bleibt immer beachtenswerth, daß Plinius, der sich auf solche Dinge verstand, die Austern aus der offenen See für klein und schlecht erklärt und für gute Austern den Zufluß von süßem Wasser für nöthig hält.

Wir sind aus der Naturgeschichte der Auster schon in das Austern-Essen und Pflege und Zucht der Austern hineingekommen, ein Kapitel, worüber gerade im letzten Jahrzehnte so unendlich viel sowohl in wissenschaftlichen wie in populären Werken und Zeitschriften geschrieben wurde. König Jakob von England soll oft, wenn er sich Austern gut schmecken ließ, gesagt haben, es müsse ein muthiger Mann gewesen sein, der zuerst eine Auster gegessen habe. Keineswegs. Zu den Austern und vielen anderen auch nicht appetitlicher aussehenden Meeresfrüchten griff der Mensch, [402] als er kaum schon diesen Namen verdiente und das Aussehen des Eßbaren ihm gewiß den geringsten Kummer machte. Den Beweis, daß schon vor Jahrtausenden die Auster ein wichtiges Nahrungsmittel eines die Küsten bewohnenden Theiles der Ureinwohner Europas gebildet, liefern die sogenannten »Küchenreste«, welche in ungeheueren Anhäufungen längs der Ostküste Jütlands und an den dänischen Inseln bis zu den Eingängen der Ostsee hin sich befinden und von den dänischen Gelehrten mit großem Scharfsinne untersucht worden sind. Sie geben zugleich, beiläufig gesagt, einen der sichersten Belege dafür, daß wenigstens der ganze südliche Theil des Kattegats, in welchem die Auster jetzt wegen des geringen Salzgehaltes nicht mehr fortkommt, damals, als dem Gedeihen der Auster sehr zuträglich, viel salzreicher gewesen sein muß, ein Umstand, der mit anderen zu höchst interessanten Schlüssen über die damalige Gestaltung Schwedens und vielleicht auch Finnlands geleitet hat. Ich kenne keine bessere Skizze über den einstigen Austernverbrauch und die Austernzucht, als die, welche E. von Baer in der obigen Abhandlung gegeben, und da dieselbe in einer nur wenig Lesern zugänglichen Zeitschrift enthalten ist, nehmen wir sie auf. »Die Versuche, die man neuerlich in Frankreich gemacht hat, erschöpfte Austernbänke zu reinigen, oder in anderen Gegenden den Austern bessere Ansatzpunkte zu verschaffen, scheinen auf viele den Eindruck gemacht zu haben, als ob die Austernpflege – so wollen wir überhaupt die Sorge für das Gedeihen der Austern benennen – eine neue Kunst wäre, und eine weitere Ausbildung der Methode der künstlichen Befruchtung der Fische. Es ist daher wohl nicht überflüssig, mit einigen Worten zu bemerken, daß die gewöhnliche Austernzucht oder Austernpflege ungemein alt ist, sehr allgemein angewendet wurde und noch wird, nicht etwa so, wie die künstliche Fischzucht, die fast vor einem Jahrhunderte begann und an einigen Orten, z.B. in Bayern, zwar fortgesetzt wurde, aber in so kleinem Maßstabe und mit so wenig Aufsehen, daß die neueren Versuche in Frankreich längere Zeit als erste und nicht erhörte vom großen Publikum angestaunt wurden, während die künstliche Befruchtung an Fröschen seit einem Jahrhunderte vielleicht von jedem Naturforscher, der die Entwickelung dieser Thiere beobachten wollte, und in neuerer Zeit auch die Befruchtung der Fischeier nicht selten von Naturforschern vorgenommen war.« Wenn unser Gewährsmann nun aber meint, eine künstliche Befruchtung sei bei den Austern gar nicht erforderlich und könnte nur zerstörend wirken, da die Austern hermaphroditisch seien, so erinnern wir an die schon oben gemachte Bemerkung, daß Same und Eier sich nicht gleichzeitig in demselben Thiere entwickeln, eine Selbstbefruchtung also schon deshalb nicht stattfinden kann. Gleichwohl ist eine künstliche Befruchtung weder nothwendig, noch dürfte sie im großen durchführbar sein.

»Die Austernpflege ist aber schon zwei Jahrtausende alt. Plinius sagt sehr bestimmt, daß Sergius Orata, ein Mann, der vor dem Marsischen Kriege, also wohl ein Jahrhundert vor Christo lebte, die ersten Austernbassins angelegt habe, und zwar in großem Maßstabe, um sich zu bereichern. Sie wurden bald ganz allgemein, da die späteren Römer den Tafelfreuden sehr ergeben waren und die See-Austern an den Küsten Italiens, wie wir oben berichteten, weniger schmackhaft sind als Austern aus einem mehr gemilderten Wasser. Es wäre möglich, daß die Austernzucht noch älter ist; denn schon in den Werken des Aristoteles wird einer Versetzung von Austern erwähnt, wie einer bekannten Erfahrung, doch ohne darauf Gewicht zu legen und nur im Vorbeigehen. Dagegen war in der Zeit der römischen Kaiser die Austernzucht ein wichtiger und vielbesprochener Gegenstand der Oekonomie.

Seit den Zeiten der Römer ist die Austernzucht wahrscheinlich nie verloren gegangen, obgleich wir aus dem Mittelalter wenige Nachrichten darüber haben. Das kommt eben daher, daß die Naturwissenschaften sehr vernachlässigt wurden, und man nur etwa von großen Jagdthieren gelegentlich sprach. Die Schriftsteller waren zum großen Theile Geistliche, welche außer den Schicksalen der Kirche auch die Thaten der Fürsten oder einbrechender Feinde beschrieben. Aber die Mönche waren dabei sehr eifrige Verpflanzer von Thieren, welche zur Fastenzeit als Nahrung dienen konnten. Das hat man ihnen in neuester Zeit in Bezug auf die größeren Landschnecken und [403] auf viele Fische, z.B. Karpfen, nachgewiesen. Auch das sogenannte, ›Säen der Austern‹, oder das Ansetzen junger Brut an Stellen, wo sie vorher fehlten, muß nicht aufgehört haben, denn Pontoppidan berichtet, es gehe in Dänemark die Sage, die Austernbänke an der Westküste Schleswigs seien im Jahre 1040 künstlich bepflanzt. Obgleich diese Sage wohl nicht begründet sein mag, denn die Austern konnten sich ganz natürlich hierher verbreiten, da wir mit Sicherheit wissen, daß in viel älterer Zeit Austern an den dänischen Küsten waren, so lehrt doch die Sage, daß dem Volke die Vorstellung von künstlicher Austernverpflanzung keineswegs fremd war. Im Hellespont und um Konstantinopel, ›säete‹ man nach den Berichten mehrerer Reisenden des vorigen Jahrhunderts Austern. Die Türken haben diese Sitte sicher nicht eingeführt. Sie wird also wohl noch von der Zeit der Byzantiner sich erhalten haben. Auch sagt Petrus Gyllius, ein Schriftsteller des sechzehnten Jahrhunderts, der eine ausführliche Beschreibung des Bosporus thracicus herausgegeben hat, daß man dort seit unbekannten Zeiten Austern pflanze. – Daß die Austernzucht im Westen nie ganz aufgehört habe, geht aus einem Gesetze hervor, das im Jahre 1375 unter Eduard III. gegeben wurde, und welches verbot, Austernbrut zu einer anderen Zeit zu sammeln und zu versetzen, als im Mai. Zu jeder anderen Zeit durfte man nur solche Austern ablösen, die groß genug waren, daß ein Schilling in den Schalen klappern konnte.

Man fand daher, als die naturhistorische Literatur wieder erweckt wurde und besonders, als man anfing, nicht allein die alten Schriftsteller zu kopiren, sondern auch die Vorkommnisse in der eigenen Umgebung zu beschreiben, daß fast überall, wo Austern gedeihen, und ihr Fang einen Gegenstand des Gewerbes bildet, man auch mehr oder weniger Sorgfalt auf Verpflanzung, Hegung und Erziehung verwendete. Am meisten geschah das, wie es scheint, in England, wenigstens lassen sich aus England am meisten Nachrichten darüber sammeln. Die stark anwachsende Hauptstadt, in welcher sich aus allen Meeren die Geldmittel sammelten und der Luxus sich entwickelte, hatte bald den Austern einen so guten Absatz verschafft, daß man darauf bedacht war, in der Nähe immer einen gehörigen Vorrath zu haben, sie aus weiter Ferne brachte und zur Seite der Themsemündungen künstliche Bänke von ihnen anlegte. Da es sich nun fand, daß bei einer Milderung des Seewassers durch mäßigen Zutritt von Flußwasser die Austern bei den Kennern noch beliebter wurden, so wird diese Art halbkünstlicher Austernzucht, deren Ursprung man nicht sicher anzugeben weiß, obgleich die Austernfischer von Kent und Sussex behaupten, daß ihre Vorfahren um das Jahr 1700 diese Bänke angelegt haben, jetzt in sehr großem Maßstäbe betrieben. Man bringt die Austern aus dem Süden und aus dem Norden in die Nähe der Mündungen der Themse und des Medway, um sie auf den künstlichen Bänken einige Zeit zu mästen. Allein aus dem Meerbusen, an welchem Edinburg liegt, aus dem Firth of Forth, bringt man jetzt, wie Johnston berichtet, dreißig Ladungen, jede zu dreihundertundzwanzig Fässern und jedes Faß mit zwölfhundert verkäuflichen Austern, also 11,520,000 Stück, in diese künstlichen Fütterungsanstalten. Wie viele mögen von den Inseln Guernsey und Jersey kommen, wo der Fang am ergiebigsten ist. Forbes meint, der Bedarf für London komme größtentheils von diesen künstlichen Betten. Um zu erfahren, wie groß die jährliche Zufuhr nach London sei, stellte er Erkundigungen an; die Abschätzungen fielen ziemlich übereinstimmend auf das Quantum von 130,000 Bushels (über achtzigtausend Berliner Scheffel), wovon etwa ein Viertel weiter ins Land und außer London verschickt und Dreiviertel von den Bewohnern Londons verzehrt wird.«

Wir ergänzen diese Mittheilungen durch den Bericht von Möbius über Whitstable, »den klassischen Austernplatz an dem südlichen Ufer der Themsemündung«. Wir erfahren, daß die Austernfischer noch jetzt eine Art von Gilde mit über vierhundert Mitgliedern bilden. »Ein Sandriff, das von der Küste ausläuft und 11/2 Meile lang ist, schützt die Austern gründe gegen den Ostwind. Diese haben bei Niedrigwasser vier bis sechs Fuß Tiefe, so daß nur bei außergewöhnlich niedrigen Ebben die Bänke trocken laufen. Das Wasser war trübe und seine Dichte betrug am 7. Mai 1868: 1,0024 bei elf Grad Réaumur, was einem Salzgehalte von 3,14 Procent entspricht. [404] Um die Austerngründe gut zu erhalten und zu verbessern, versorgt man sie häufig mit leeren Austernschalen, die hauptsächlich von London zurückgeliefert werden.

Die Whitstabler beziehen Austern von natürlichen Bänken in der Nordsee, im englischen Kanale, an den irischen Küsten, und legen sie auf ihre Gründe, um sie wohlschmeckender zu machen. Die Natives werden in der Regel im Sommer als junge 1 bis 11/2 Zoll große Austern (brood) hauptsächlich von den natürlichen Bänken im Themsebusen zwischen Norgate und Harwich geholt, wo jedermann frei fischen darf. Die meisten liefert die mit dem Namen Blackwater bezeichnete kleine Bucht zwischen Colchester und Maldon. Austern aus der Nordsee und bei Helgoland bekommen keinen so feinen Geschmack und haben einen viel geringeren Werth als die echten Natives. Den Anfang und Schluß des Fischens von Marktaustern bestimmt in Whitstable jedes Jahr die aus zwölf Mitgliedern bestehende Jury der Kompagnie. Gewöhnlich dauert es vom 3. August bis 9. Mai. In der Zeit, wo für den Markt nicht gefischt wird, sind die Fischer damit beschäftigt, den Grund von Mud, von Pflanzen und von feindlichen Thieren zu reinigen und die größeren Austern auf besondere Stellen für den Verkauf in der bevorstehenden Saison zu versetzen. Diese Arbeiten unterbrechen sie nur in der Zeit, in der sich die Austernbrut niedersetzt. Dies geschieht im Juni oder Juli und zwar wahrscheinlich je nach der Wärme des Wassers etwas früher oder später.

Der Austernhandel ist in Whitstable sehr ausgebreitet. Die dortigen Austerngründe sind nicht allein Zucht- und Maststätten, sondern auch große Depots für Austern aller Qualitäten und Preise. In Whitstable selbst hatte 1869 eine gute Native-Auster 11/4 bis 11/2 Pence Werth. In den Jahren 1852 bis 1862 war der Preis für das Bushel (vierzehnhundert bis funfzehnhundert Stück) niemals höher als 2 Pfund Sterling 2 Schilling; 1863 bis 1864 stieg er auf 4 Pfund Sterling 10 Schilling, und 1868 bis 1869 mußte man 8 Pfund Sterling dafür bezahlen.« (Möbius.)

»Noch weniger«, sagt von Baer weiter, »war in Frankreich das Anlegen von Austernbänken unbekannt vor Coste (welcher in neuerer Zeit die meiste Anregung zur Fisch- und Austernzucht gegeben). Bory de St. Vincent hielt im Jahre 1845 in der Pariser Akademie einen Vortrag über die Nothwendigkeit, neue Bänke anzulegen. Er versicherte, daß er selbst unerschöpfliche Bänke angelegt habe. Vor ihm hatte ein Herr Carbonnel ein Patent erhalten für eine neue und einfache Methode, Austernbänke an der französischen Küste anzulegen. Er soll dieses Patent einer Gesellschaft für einhunderttausend Francs verkauft haben. Die Parks waren lange vorher in Gebrauch.«

Die Austernparks erfüllen einen doppelten Zweck: sie sind Mastställe und Magazine. Einen Weltruf behaupten seit vielen Jahren die von Ostende, Marennes unweit Rochefort und Cancale im Norden Frankreichs. Die Austern, welche in den Pensionen von Ostende ihre höhere Erziehung erhalten sollen, kommen sämmtlich von den englischen Küsten. Die gemauerten oder gezimmerten, am Boden mit Bretern belegten Räume, in welchen sie sorgfältig überwacht werden, hängen durch Schleusen mit dem Meere zusammen und werden alle vierundzwanzig Stunden gereinigt. Etwa funfzehn Millionen Austern gelangen jährlich aus den drei Parks von Ostende auf den Markt. Die Parks von Marennes und Latremblade mit ihren berühmten grünen Zöglingen werden »Claires« genannt und nur zur Zeit der Springfluten, bei Neu-und Vollmond, mit frischem Wasser versehen. Nach den Angaben von Clavé in der »Revue des Deux Mondes«, denen wir folgen, wechselt ihr Flächeninhalt zwischen zweihundertundfunfzig bis dreihundert Quadratmeter, und sie sind gegen das Meer durch einen Damm geschützt, der mit einer Schleuse zur Regulirung der Wasserhöhe versehen ist. Man läßt zuerst das Wasser längere Zeit in den Abtheilungen, damit der Boden sich gehörig mit Salz sättige. Dann, nachdem das Wasser abgeflossen und alle sich angesetzt habenden Tange und Algen entfernt sind, wird der Boden wie eine Tenne geschlagen, aber mit erhöhter Mitte, wo die Austern liegen. Nun kommen die Austern hinein, welche von den benachbarten Bänken eingesammelt werden. Das geschieht vom September an. Sie werden aber nicht unmittelbar in die Claires versetzt, sondern erst in eine Art von Sammellokalen,[405] die sich dadurch von den Claires unterscheiden, daß sie dem täglichen Flutwechsel unterliegen. Schon von hier aus werden die größten und schönsten Austern unmittelbar in den Handel gebracht, während die jüngeren und noch nicht fetten zur Mästung in die Claires wandern, wo, wie gesagt, nur zweimal des Monates das Wasser gewechselt wird. Ihre Abwartung verlangt von Tag zu Tag die größte Sorgfalt. Die Austernzüchter, denen mehrere Claires zur Disposition stehen, versetzen ihre Zöglinge aus einer Claire in die andere, um die entleerten zu reinigen. Wo dies nicht geschehen kann, werden die Austern einzeln aus ihren Behältern genommen und vom Schlamme befreit. Die im Alter von zwölf bis vierzehn Monaten in die Claires gekommenen Austern sind nach zwei Jahren reif, um den Delikatessenhändlern und deren Gästen sich vorzustellen. Sie haben in Marennes während dieser Zeit auch eine grüne Farbe angenommen, die ihnen bei Feinschmeckern besonderen Ruf und Beliebtheit verschafft hat. Man ist noch nicht vollständig im Reinen darüber, woher diese Färbung stamme; am wahrscheinlichsten daher, daß bei dem längeren ruhigen Verweilen des Wassers in den Claires diese sich sehr rasch mit grünen mikroskopischen Pflänzchen und Thierchen füllen, welche als Nahrung der Austern ihren Farbstoff auf letztere übertragen. Das ist jedoch nicht so zu verstehen, als ob der grüne Stoff als das Chlorophyll der Algen, Diatomeen und Infusorien sich direkt in der Auster ablagere, sondern er geht aus der assimilirten Nahrung, also aus den Blutbestandtheilen, hervor.

Der Verbrauch der Austern, welcher sich z.B. in Paris auf fünfundsiebzig Millionen jährlich beläuft, würde an sich kaum eine merkliche Verringerung der Bänke herbeiführen können. Wenn nichtsdestoweniger sowohl an den französischen Küsten als anderwärts, z.B. an der Westküste Holsteins, ein Eingehen der Austernbänke und eine sehr auffallende Verminderung des Nachwuchses bemerkt wurde, so haben hierzu eine Reihe von Ursachen beigetragen. Die Auster hat sehr viele natürliche Feinde; sie schmeckt nicht bloß den Menschen, sondern aus fast allen Thierklassen stellen sich zahlreiche Gourmands auf den Austernbänken ein. Zahllose Fische schnappen die allerdings noch viel zahlloseren jungen Austern auf; Krebse passen auf den Augenblick, wo die arme Auster ihren Deckel lüftet, um an dem süßen Fleische sich zu laben; die Seesterne wissen sie auszusaugen; mehrere Schnecken, namentlich Murex tarentinus, Murex erinaceus, Purpura lapillus und Nassa reticulata, bohren mit dem Rüssel sehr geschickt Löcher in die Schalen und gehen auf diese Weise ihrer Beute zu Leibe. An anderen Stellen haben sich die Miesmuscheln in solchen Mengen auf den Austerbänken angesiedelt, daß letztere dadurch gleichsam erstickt werden; und neuerdings ist noch ein anderes Thier, welches die Franzosen Maërle nennen, wahrscheinlich ein Röhrenwurm aus der Gattung Sabellaria, als Zerstörer des kostbaren Schalenthieres aufgetreten. Doch alle diese Feinde, gewiß auch der Maërle, haben so lange schon auf Unkosten der Austern existirt, als diese selbst. Wenn sie nicht das ihrige in dem Vernichtungskriege gegen die Austern gethan, wenn nicht Milliarden von jungen, eben ausgeschlüpften Austern vom Wogenschwalle erfaßt und erdrückt oder vom Sande und Schlamme erstickt würden, so würden die Meere längst zu bloßen vollgefüllten Austernbassins geworden sein. Den größten, wirklich empfindlichen Schaden haben die Austernbänke offenbar durch die durch Menschenhände hervorgebrachte Erschöpfung gelitten und durch die Folgen eines unzweckmäßigen, mit großen Zerstörungen verbundenen Einsammelns. Wo die Bänke nicht so seicht liegen, daß man zur Ebbe die Austern mit der Hand »pflücken« kann, bedient man sich eines Netzes mit einem schweren eisernen Rahmen, dessen eine am Boden schleppende Kante mit Zähnen, gleich einer Egge, bewehrt ist. Segel und Ruder der kleinen, aber doch mit fünf bis sechs Leuten bemannten Boote werden so gestellt, daß das Fahrzeug nur ganz langsam vorwärts kommt, und das Schleppnetz, das am Seile nachgezogen wird, sich gemächlich und tief einwühlen kann. Dadurch werden förmlich tiefe Löcher und Furchen in die Bänke gerissen, und der größte Nachtheil entsteht nun, indem diese Vertiefungen in kurzer Zeit mit Schlamm ausgefüllt werden, welcher nicht nur eine fernere Ansiedelung an diesen Stellen unmöglich macht, sondern auch die umliegenden, von dem Schleppnetze verschont gebliebenen Thiere tödtet.

[406] Wenn es gelänge, dachte Professor Coste in Paris, nur einen Theil von den unzählbaren Millionen junger Austern, welche vom Oceane verschlungen werden, ehe sie sich zu dem einen Zwecke ihres Daseins, gegessen zu werden, auch nur vorbereiten können, dadurch für dieses höhere Ziel zu retten, daß man ihr Festsetzen erleichtert, befördert und behütet, so würde man die Auster in Bälde zu einem der gemeinsten und wohlfeilsten Lebensmittel machen können. Im Lukriner See wurden die Austern schon vor ein paar tausend Jahren durch Einlegen von Faschinen mit Erfolg zum Ansetzen eingeladen; dieselbe Bedeutung hat das Pflanzen von Pfählen und Aesten für Austern und Miesmuscheln; die künstliche Austernzucht, welche Coste seit 1855 in Frankreich einführte, ist also nichts als die erweiterte zweckmäßige Pflege, welche sich schon der jungen, noch den meisten Gefahren ausgesetzten Thiere annimmt. Der Erfolg konnte in einer Beziehung kaum zweifelhaft sein. Die versenkten Faschinen, auf welche man theils mit Brut erfüllte Austern gelegt hatte, und die man theils dadurch zu bevölkern suchte, daß man die mikroskopische Brut über ihnen auf dem Meere »aussäete«, bedeckten sich sehr bald mit der gesuchten Waare. Es zeigte sich aber auch ebenso schnell, daß die Feinde der Austernbänke, namentlich der feine Schlamm, die der Beobachtung und täglichen Reinigung entzogenen Faschinen mit ihren Ansiedlern zu zerstören drohten. Auch war der Ansatz ein so massenhafter und stand in so gar keinem Verhältnisse zum Zuwachse der gleich ihnen tiefer liegenden und sich selbst überlassenen Bänke, daß höchst wahrscheinlich gerade in dieser Fülle der Keim des Siechthumes und des Unterganges lag. Höchst wahrscheinlich, wir dürfen sagen sicher, fehlte es diesen vielen Millionen von jungen Austern an der gehörigen Nahrung. Kurz, es ergab sich nach einigen Jahren kostbaren Experimentirens, daß auf diesem Wege, durch Versenkung von Faschinen in größere Tiefen, der Austernkalamität nicht abgeholfen werden könne. Diese Versuche waren in der Bai von Saint Brieuc angestellt worden. Seitdem hat man sich auf die Brutparks in der Bai von Arcachon beschränkt, welche im Bereiche der Ebbe liegen und wo man die Ueberwachung vollständig in Händen hat. Man bietet der Austernbrut theils Faschinen, theils ungehobelte Breter, theils Breter, an denen man Muschelschalen mit einer Mörtelschicht befestigt, oder auch eigens geformte Hohlziegel zum Ansetzen, und hat nur die Vorsicht zu beobachten, alle diese Gegenstände nicht früher in die Parks zu thun, als bis die Stunde des Wochenbettes für die schon darin befindlichen alten Austern unmittelbar bevorsteht. Uebergibt man die Ziegel, Breter usw. schon früher dem Wasser, so bedecken sie sich schnell mit Algen, und die Austernbrut kann nicht an ihnen haften.

Das Resultat war für einige Jahre, daß alle diese Objekte bei jeder Brutsaison vollständig mit jungen Austern bedeckt wurden, und daß sie nach einem Jahre, in welchem sie einen Durchmesser von etwas über zwei Centimeter erreicht, von ihrer Wiege abgelöst werden konnten, um ihre weitere Erziehung in den Mastställen zu erhalten. Man zählte um 1864 in den Parks von Arcachon fünfunddreißig Millionen Austern jeder Größe, welche, das Tausend zu vierzig Franken gerechnet, ein Kapital von 1,400,000 Franken repräsentirten. Auch berechnete man, daß der jährliche Ertrag sich auf sechs Millionen Austern und auf 240,000 Franken belaufen würde. Allein der hinkende Bote kam nach. Eine Reihe nachweisbarer thierischer Feinde, vor allen die Stachelschnecke (Murex erinaceus), sowie klimatische Ursachen decimirten die Austern, und Möbius fand 1869 nur noch 150,000 Mutteraustern und gegen sechs Millionen Junge von zwei bis drei Centimeter Größe auf den kaiserlichen Parks. Wie die Austern von Arcachon sich unter dem Septennat befinden, weiß ich leider nicht sicher; wohlfeiler sind sie nicht geworden.

Wie Hüningen für die Süßwasser-Fischzucht, so sollte Arcachon die Musteranstalt für die Produktion der eßbaren Seethiere sein, und was die Austern betrifft, so fanden sich auch bald viele Unternehmer, welche die französische Regierung um Koncessionen zur Anlage von Zucht- und Mastparks angingen. Es hat damit in Frankreich eine eigene Bewandtnis. Das ganze Meeresgestade, welches bei der Ebbe bloßgelegt wird, also der einzige Ufergürtel, welcher sich für die Austernzuchten eignet, ist Staatseigenthum, und ferner werden alle Personen, welche sich mit [407] irgend einer Gattung von Seefischerei beschäftigen, in die Konskriptionslisten der Marine eingetragen. Wer also in Frankreich Austern züchten will, muß erstens ein Mann von bewährter Gesinnung sein und zweitens gewärtig, daß er von seinen Austern weg zum Flottendienste einberufen wird. Es hat sich gezeigt, daß die von Konskriptionspflichtigen und bloßen Spekulanten unternommenen Austernzuchten den gewünschten Erfolg nicht hatten, indem diese Leute theils kein wirkliches Interesse an der Sache hatten, theils ohne sonderliche Mühe in kurzer Zeit viel Geld zu machen hofften. Aber nur solche Fischer und Küstenbewohner eignen sich zu Austernzüchtern, welche jahraus jahrein täglich ihren ganzen Fleiß den Austern widmen, solche, welche einen Lebensberuf daraus machen und die Koncession nicht durch irgend welchen Gesinnungswechsel zu verlieren fürchten müssen, also arbeitsame und freie Menschen. Derartige unwiderrufliche Erlaubnisse zur Austernzucht sind den Bewohnern der kleinen Insel Ré gegeben. Ueber den Fortgang und das Gedeihen der Austernzucht bei Ré hörte man nun geradezu Entgegengesetztes. Ein dortiger Pfarrer schrieb 1865, daß das, was darüber berichtet worden sei, unendlich mehr einem Romane und einem zum Vergnügen ersonnenen Ammenmärchen gleiche, als den Thatsachen, wie sie sich zugetragen haben. Die Wahrheit sei, daß die neuen Versuche in der Austernzucht an den dortigen Küsten durchaus nicht alle gut ausgefallen seien, und daß es eine Unwahrheit sei, wenn man behaupte, die Bewohner der Insel Ré verdankten ihnen ein bis dahin unbekanntes Wohlergehen. »Wenn schon diejenigen selten sind«, sagt er, »welche einen vollkommenen Erfolg bei diesem Geschäfte erzielt haben, so sind diejenigen noch viel seltener, welche gegründete Erwartungen auf einigen Nutzen für die Zukunft hegen, weil die besten Austernzüchter einem raschen Ruine entgegen gehen.«

Im wesentlichen stimmt mit diesem Urtheile eines Einheimischen der einige Jahre später abgefaßte Bericht unseres Freundes Möbius überein. Die Produktion war von 1863 an in stetiger Abnahme und die rationellen Austernzüchter hatten die Ueberzeugung gewonnen, daß die übermäßige Befischung der Bänke die Ursache des Verfalles der Austernzucht sei, und daß eine Aufzucht der Millionen junger Austern vom Eie an in den Parks nicht möglich sei.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 397-408.
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