Bärenkänguru (Dendrolagus ursinus)

[596] Die Kletterfertigkeit der Springbeutelthiere gipfelt im Baum- oder Bärenkänguru aus Neuguinea (Dendrolagus ursinus), einem der auffallendsten und von dem Gesammtgepräge am meisten abweichenden Mitgliede der Familie, von welchem man bis jetzt nur noch einen Verwandten kennt. Die großen und kräftigen Vorderarme, welche gegen die Hinterbeine wenig zurückstehen, sind ein sehr bezeichnendes Merkmal dieser Sippe. Die oberen Schneidezähne sind fast gleich groß; der hintere hat keine Furche; der obere Eckzahn ist verhältnismäßig stark entwickelt. Das Baumkänguru ist ein ziemlich großes Thier von 1,25 Meter Leibeslänge, wovon etwas mehr als die Hälfte auf den Schwanz gerechnet werden muß, sein Leib gedrungen und kräftig, der Kopf kurz. Der Pelz besteht aus straffen, schwarzen, an der Wurzel bräunlichen Haaren; die Ohrenspitzen, das Gesicht und die Untertheile sind braun, die Wangen gelblich, ein Ring um das Auge ist dunkler. Alle Beobachter stimmen darin überein, daß man sich keine merkwürdigere Erscheinung denken könne, als ein Baumkänguru, welches sich lustig auf den Zweigen bewegt und fast alle Kletterkünste zeigt, die in der Klasse der Säugethiere überhaupt beobachtet werden.


Baumkänguru (Dendrolagus ursinus). 1/7 natürl. Größe.
Baumkänguru (Dendrolagus ursinus). 1/7 natürl. Größe.

Mit der größten Leichtigkeit klimmt das Thier an den Baumstämmen empor, mit der Sicherheit eines Eichhorns steigt es auf- und abwärts; aber gleichwohl erscheint es so fremd da oben, daß jeder Beschauer geradezu verblüfft ist, wenn das dunkelhaarige, langgliedrige Geschöpf unversehens vom Boden auf einen Baum hinaufhüpft und dort im schwankenden Gezweige sich bewegt. Dem Aufenthalt entsprechend, äst es sich vorzugsweise von Blättern, Knospen und Schößlingen der Bäume; wahrscheinlich verzehrt es auch Früchte.

[596] In der Gefangenschaft sieht man es selten; mir ist ein einziges zu Gesicht gekommen. Dasselbe lebte im Thiergarten zu Rotterdam, war aber in einem so unpassenden Käfige eingesperrt, daß es seine Fähigkeiten nicht an den Tag legen konnte. Leider scheiterten meine Bemühungen, es zu erwerben. Mein damaliger Berufsgenosse, ein alter Thierschausteller, kannte das seltene Geschöpf selbstverständlich nicht, wußte aber doch soviel, daß er es mit einem ungewöhnlichen Känguru zu thun hatte, und ließ sich durch keine Bitte bewegen, es mir abzulassen. Rosenberg hat, wie er mir schreibt, ebensowohl das Bärenkänguru wie seinen Verwandten längere Zeit gepflegt. »Beide Arten werden rasch zahm und gewöhnen sich leicht an ihren Pfleger, bekunden auch nicht die mindeste Furcht vor Hunden. Die meinen liefen frei umher und folgten mir auf Schritt und Tritt, mit rasch sich wiederholenden Sprüngen der Hinterbeine. Das Klettern, wobei der Stamm oder Ast mit den Vorderfüßen umfaßt wurde, geschah etwas schwerfällig. Ich fütterte sie mit Pflanzenkost, namentlich mit reifen Pisangfrüchten, welche sie, auf den Hinterbeinen sitzend, nach Art der Affen, nur plumper, zum Munde brachten und verzehrten. Das Bärenkänguru kommt häufiger vor als sein Verwandter, ist allen Papuas auf Neuguinea unter dem Namen ›Niaai‹ wohlbekannt, wird von ihnen oft gefangen und gelangt auch keines wegs selten lebend nach Ternate.«


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 596-597.
Lizenz:
Kategorien: