Ohrenfledermaus (Plecotus auritus)

[316] Die Ohrenfledermaus, langohrige Fledermaus, das Groß- oder Langohr (Plecotus auritus, Vespertilio auritus, V. cornutus, V. otus, V. brevimanus), erreicht bei einer Flugweite von 24 Centim. eine Länge von nur 8,4 Centim., wovon über 4 Centim. auf den Schwanz gerechnet werden müssen; das Ohr, welches außer allem Verhältnis zur Leibeslänge steht, mißt 3,3 Centim. Lange Haare besetzen das Gesicht bis an den Hinterrand der Nasenlöcher und rings um die Augen; weißliche Barthaare hängen an den Seiten bis über den oberen Lippenrand abwärts; der übrige Pelz ist ziemlich lang, in der Färbung veränderlich, oberseits graubraun, auf der Unterseite etwas heller, bei jungen Thieren dunkler als bei alten. Die einzelnen Haare sind in der Wurzelhälfte schwärzlich, in der Endhälfte heller gefärbt. Alle Flughäute sind dünn und zart, glatt und nur in der nächsten Umgebung des Körpers spärlich und äußerst sein behaart und von lichtgraubrauner Färbung. Das besonders auffallende Ohr, welches der Rumpflänge etwa gleichkommt, hat 22 bis 24 Querfalten und biegt sich in regelmäßige Rundung nach hinten. Der Ohrdeckel erreicht nicht ganz die Mitte der Ohrlänge, ist nach der Spitze hin verschmälert und merklich nach außen gebogen, und wie das Ohr selbst äußerst zart und dünnhäutig.

Die Ohrenfledermaus findet sich in ganz Europa, mit Ausnahme derjenigen Länder, welche über den 60. Grad nördlicher Breite hinausliegen. Außerdem hat man sie in Nordafrika, Westasien und Ostindien beobachtet. Sie ist nirgends selten, im nördlichen und im mittleren Deutschland sogar eine der gewöhnlichen Arten, lebt aber stets einzeln, nicht in großen Gesellschaften beisammen. Ueberall hält sie sich in nicht allzu großer Entfernung von menschlichen Wohnungen [316] auf, schläft im Sommer auch ebenso oft hinter Fensterläden wie in hohlen Bäumen und kommt im Winter ebenso gern in Keller und andere Gewölbe wie in Kalkhöhlen und Stollen. In der Stadt will sie, laut Altum, stets freie, mit Baumwuchs und Gesträuch bestandene Plätze haben und erscheint dem entsprechend fast ausschließlich in Zimmern, welche an Gärten stoßen. In den Berggegenden, am Harz und in den Alpen z.B., geht sie nicht über den Waldgürtel hinauf. Im Sommer sieht man sie an lichten Stellen im Walde, über Waldwege, Baumgärten und Alleen am häufigsten fliegen. Selten erhebt sie sich in eine Höhe von funfzehn Meter, in der Regel fliegt sie weit niedriger, meist mit etwas flatterndem und nicht eben schnellem Flügelschlage, obgleich sie einiger Mannigfaltigkeit in der Bewegung fähig ist. »Sie flattert«, sagt Altum, »gern um Obstbäume, ähnlich wie nach Nahrung suchende Schwärmer um blütenreiche Stauden, indem sie oftmals, um Spinnen und kleine Motten zu erhaschen, einen Augenblick, wie um sich zu setzen, im Flatterfluge anhält, um gleich darauf ein ähnliches Spiel zu wiederholen.«


Ohrenfledermaus (Plecotus auritus). Natürl. Größe.
Ohrenfledermaus (Plecotus auritus). Natürl. Größe.

Im Fluge krümmt sie gewöhnlich das riesenmäßige, wegen seiner zahlreichen Querfalten leicht bewegliche weiche Ohr nach außen und bogig abwärts, so daß dann bloß die spitzen, langen Ohrdeckel vorwärts in die Höhe stehen. Wenn sie hängt, schlägt sie meist die Ohren unter die Arme zurück. Bei ihrem [317] Winterschlafe hängt sie, laut Koch, meist frei, seltener in Ritzen eingeklemmt, in der Regel nahe dem Eingange ihrer Herberge sich an, da sie ziemlich viel Kälte zu vertragen scheint. Koch hat sie auf dem Dillenburger Schlosse selbst in Gemäuern gefunden, welche in der Nähe ihrer Anhaftstellen bereits seit Wochen mit dicken Eiszapfen bekleidet waren. Trotzdem zieht sie schon sehr früh, meist bereits im Oktober, in ihre Schlupfwinkel sich zurück und dehnt ihren Winterschlaf bis gegen den März aus. Ende Juni's oder anfangs Juli bringt sie ihre Jungen zur Welt. Die Nahrung besteht wohl nur aus Kerbthieren, welche sie im Fluge fängt und, einer Beobachtung Altums zufolge, vielleicht auch von den Blättern abliest, so sehr dies gegen die sonstige Erfahrung zu streiten scheint.

Wie die meisten übrigen Fledermäuse wird sie von Schmarotzern verschiedener Art arg geplagt, außerdem vom Marder und Iltis, einzelnen Tagraubvögeln und den Eulen, dann und wann auch von Katzen bedroht. Den schleichenden Raubsäugethieren fällt sie namentlich während des Tages, den Eulen nachts bei ihren Ausflügen zum Opfer, da sie von den kleineren gewandten Nachtraubvögeln ohne besondere Mühe im Fluge ergriffen wird.

Die Ohrenfledermaus hält die Gefangenschaft länger als die meisten ihrer Verwandten aus, kann in ihr sogar, obgleich nur bei sorgsamster Pflege, mehrere Monate oder Jahre ausdauern. Wegen dieser Eigenschaft wählt man sie gewöhnlich, wenn man Beobachtungen angefangenen Fledermäusen überhaupt anstellen will. Man kann sie in gewissem Grade zähmen; denn sie lernt ihren Herrn, wenn auch in beschränktem Maßstabe, kennen. Faber besaß eine mehrere Wochen lang und beobachtete sie sehr genau. Sie war äußerst munter, namentlich in der Abenddämmerung, flog übrigens auch häufig bei Tage, war dagegen in den Mitternachtsstunden ruhig. In der Stube flog sie mit der größten Leichtigkeit anhaltend umher, meist mit stillgehaltenen Flügeln, konnte dieselben jedoch auch im Fluge zusammenziehen und wieder ausbreiten. Wenn sie Gegenständen ausweichen mußte, machte sie einen Bogen, schwirrte hurtig auf dem Boden hin und hob ohne Schwierigkeit sich in die Luft. An den Wänden kletterte sie mit Hülfe des Daumens sehr geschickt auf und nieder. Bei dem geringsten Geräusche bewegte und spitzte sie die Ohren, wie Pferde es thun, oder krümmte sie wie Widderhörner, wenn das Geräusch fortdauerte oder stark war. In der Ruhe legte sie die Ohren stets zurück. Sie drehte oft den Kopf, leckte sich mit der Zunge und witterte mit der Nase. Wie alle Fledermäuse wurde sie viel von Schmarotzern geplagt und kratzte sich oft an der Seite des Kopfes mit den Nägeln. Bei kalter Witterung saß sie still. Sobald die Sonne auf sie schien, wurde sie munter und lief in ihrem Käfige hin und her. Der Geruch, welchen sie von sich gab, war weniger unangenehm als der anderer Arten. Ihre Gefräßigkeit war sehr groß, auch in der Gefangenschaft. Wenn man Stubenfliegen zu ihr setzte, machte sie augenblicklich Jagd darauf; zu einer einzigen ihrer Mahlzeiten bedurfte sie aber sechszig bis siebenzig dieser Kerfe. Sie verdaute fast ebenso schnell wie sie fraß, und füllte, während sie noch mit der Mahlzeit beschäftigt war, den Käfig mit ihrem schwarzen Unrathe. Ihren Raub bemerkte sie nicht durch das Gesicht, sondern vermittels ihres feinen Gehörs und durch den Geruch. Sie wurde, wenn Fliegen in ihrer Nähe sich bewegten, sofort unruhig, ging witternd umher, spitzte und drehte die Ohren, machte Halt vor der Fliege und fuhr dann mit ausgebreiteten Flügeln auf sie los, suchte sie, um sie zu erwischen, unter ihre Flügel zu bringen, und ergriff sie dann mit der nach abwärts gebogenen Schnauze. War es eine sehr große Fliege, so bog sie den Kopf unter die Brust, um sie besser zu fangen. Sie kaute ihre Nahrung leicht und geschwind und leckte sie mit der Zunge hinein. Beine und Flügel, welche sie nicht gern fraß, verstand sie prächtig auszuscheiden. Auf todte Fliegen ging sie nur dann, wenn sie sehr hungrig war; sobald sich aber ihre Beute bewegte, fuhr sie rasch auf dieselbe los. Nach vollbrachter Mahlzeit saß sie ruhig und zog sich zusammen.

Die Ohrenfledermaus ist dieselbe, von welcher ich oben berichtete, daß sie, außer von ihren schmarotzenden Läusen, Spinnenthieren und Milben, auch noch von Blutsaugern ihres eigenen Geschlechts angefallen wird und dann diese aus Rache frißt.


[318] *


Die Gruppe der Nachtschwirrer (Vespertilio), welche neuerdings ebenfalls in mehrere Sippen zerfällt wurde, hat freie, d.h. von einander getrennte, länglichrunde Ohren, mit länglichem, lanzettförmigem Deckel, verhältnismäßig breite und kurze Fittige ohne Sporenlappen, höchstens körperlangen, meist kürzeren Schwanz und ziemlich dichten, oben graubraunen, unten weißlichen, ausnahmsweise dunkleren Pelz. Das Gebiß besteht aus 38 Zähnen, und zwar zwei Vorderzähnen in jedem Oberkiefer, sechs geschlossenen Schneidezähnen im Unterkiefer und oben wie unten jederseits drei einspitzigen und hinter denselben drei vielspitzigen Backenzähnen, unter denen die beiden ersteren als Lückzähne angesehen werden dürfen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. CCCXVI316-CCCXIX319.
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